Italien: Militärgeheimdienst spionierte europaweit 200 linke Richter aus

Rom: Der militärische Geheimdienst Italien´s SISMI (ungefähr zu vergleichen mit dem MAD oder dem kürzlich aufgeflogenen ZNBw in Deutschland) hat laut des führenden italienischen Richterverbandes 203 linke und progressive Richter in Europa ausspioniert, die u.a. gegen die Mafia ermittelten.

Der oberste Rat der Magistrate erklärte vorgestern in Rom zu den 47 italienischen Opfern gehören all jene Mailänder Staatsanwälte, die Verfahren gegen Ex-Premier Silvio Berlusconi eröffneten und vom Geheimdienst als „regierungsfeindlich“ (1) bzw. „politisch unzuverlässig“ (2) eingestuft wurden.
In 12 weiteren europäischen Ländern wurden von 2001-2006 Richter überwacht, beschattet, per Online-Durchsuchung ausspioniert und ihnen gezielt Falschinformationen zugespielt.

Dabei dürfte der Militärgeheimdienst unter seinem langjährigen Chef Nicolò Pollari mit seinen Partnerdiensten im Rahmen der NATO und der EU bestens kooperiert haben, wie das im Zuge der Globalisierung des Krieges gegen den Terror mit Partnern nun mal so üblich ist.
Ob auch in Deutschland Richter ausspioniert wurden, ist zur Zeit noch nicht ganz klar.
Es scheint hier auch niemanden so richtig zu interessieren. Schliesslich hat man schon genug Skandale noch nicht weggeredet.

Klar ist, dass der Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert vor kurzem erklärt hatte, dass die Unterlagen des militärischen Geheimdienstes ZNBw und seines „Jasmin“-Datensystems aus den Jahren 1999-2003 „verschwunden“ seien und nirgendwo zu finden, obwohl dort erklärtermassen auch Unterlagen von EU-Militärs gespeichert und gesammelt wurden.
Auch wurde offenbar eifrig Daten getauscht mit anderen Geheimdiensten, wie dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND. (3)

DER KAMPF DER EXEKUTIVE UM DIE ALLMACHT

Anti-Mafia-Staatsanwalt Antonio Ingroia zu den Vorgängen in Italien:
„Wir haben den Staat immer als Garanten im Kampf gegen die Mafia betrachtet. Jetzt stellt sich heraus, dass wir nicht nur von der Mafia verfolgt werden, sondern auch vom Staat. Das ist ungeheuerlich.“ (1)
Willkommen im Club.

Der Minister und Ex-Staatsanwalt Antonio di Pietro unterstellte dem ex-Permier und Milliardär Silvio Berlusconi ein „erhebliches Interesse an einer Kriminalisierung der Richter und Staatsanwälte“.
Berlusconi hatte die gegen ihn ermittelnden Richter als „psychisch gestört“ bezeichnet. (1)

Besonders im Visier des Militärgeheimdienstes SISMI: demokratische, linke und progressive Richter.
In Italien Mitglieder des „Magistratura democratica“, in Europa „Magistrats Européens pour la Démocratie et les Libertés“ (MEDEL).
In Deutschland wird sich die Zersetzung von demokratischen, linken und progressiven Richtern und ihren Vereinigungen deswegen in Grenzen gehalten haben, weil es sowas hier nicht gibt.

In Italien wurde der Vorsitzende des obersten Rats der Magistrate, Edmondo Bruti Liberati, und dessen Kontakte nach Frankreich und Belgien überwacht.
SISMI-Chef Nicolò Pollari wurde übrigens wegen der Affäre des von der CIA über Deutschland entführten Abu Omar entlassen.
In Deutschland hatte die offensichtliche Verwicklung deutscher Behörden in den Fall wie immer keine Konsequenz.

DER „PRIVATE SUPERGEHEIMDIENST“ SISMI UND DIE TELECOM ITALIA

September 2006 wurde bekannt, dass ein privater „Supergeheimdienst“ im Schatten der Telekom Italia und unter der Kontrolle von Geschäftsleuten, Bänkern, Mafiosis, Polizei und Militärgeheimdienstlern der SISMI in den vergangen 10 Jahren über 100.000 Prominente Italiens, praktisch jede gewünschte Zielperson, heimlich abgehört und bei Bedarf erpreßt hat.
Nachrichten und Informationen aus sämtlichen Ministerien der Regierung waren je nach Belieben einfach an- oder verkauft worden, der Skandal erschüttert selbst die korruptionserfahrene italienische Republik in bis ins Mark.
Die Mailänder Staatsanwaltschaft hatte damals 21 Verdächtige in Untersuchungshaft genommen, im Zentrum der Verschwörung stand der ehemalige „Sicherheits-Chef“ der Telecom, Giuliano Tavaroli, der auch schon in die Entführung von Abu Omar in Italien durch die CIA verwickelt sein soll.
Justizminister Mastella erklärte sich selbst für höchst alarmiert, Regierungschef Prodi, dem schon vor Tagen vorgeworfen wurde von allem gewußt zu haben, stellte sich am 23.September endlich der Presse und verkündete, man müsse was tun, am Besten man tue besorgt und erlasse dann irgendwann irgendwelche Gesetze.
Seitdem ist die Affäre vergessen und verdrängt.

Ein Selbstmord, der offenbar keiner war, war damals kurz ins Licht der öffentlichen Diskussion gerückt.

Der ehemalige Anti-Mafia-Ermittler und Sicherheitsbeauftragte der Telecom Italia Adam Bove (der mit seinen technischen Kenntnissen als Daten- und Kommunikationsspezialist durch Installieren einer Spezialsoftware auf den Handys der Abu Omar-Entführer aus CIA und SISMI wesentlich dazubeigetragen hatte vier Personen welche an der Entführung Abu Omars mitgewirkt hatten über Handygespräche zu identifizieren) fiel am 21.Juli in Neapel von der Zufahrtsbrücke einer Autobahn.
Der Motor seines Autos lief, die Warnblinkanlage war eingeschaltet, trotzdem titelten sämtliche Zeitungen auffallend eilig: „Er hat sich umgebracht!“
Außerdem wurde der bei seinen Kollegen der Polizei hoch angesehene Ermittler und Datenfachmann durch Desinformation in den Medien auch noch ausgerechnet mit dem Milieu in Verbindung gebracht, gegen das er als Ziehsohn des ermordeten Mafiaermittlers Falcone sein Leben lang gearbeitet und gekämpft hatte.
Adam Bove hatte übrigens auch in einer Abhöraffäre ermittelt, in die die Mussolini-Enkelin Alessandra Mussolini verwickelt ist. (4)

DIE EXEKUTIVE UND DER EKEL VOR DER DEMOKRATIE

Es müssten die nötigen gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden, um im „Anti-Terror-Kampf“ Telefone, Handys und Computer überwachen zu können, so der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble am Montag im Deutschlandfunk. Man müsse dem Bundeskriminalamt (BKA) „unter klaren rechtlichen Begrenzungen und Voraussetzungen die Möglichkeit geben, in die Kommunikationsstrukturen“ einzudringen, so Schäuble. (5)
Natürlich nur in die der Terroristen.
Oder die man dafür hält, in der Exekutive.
Und natürlich ohne Gerichtsbeschluss. Dauert zu lange. Keine Zeit, keine Zeit.
Und die Verfassung muss natürlich auch weg da.
Er, Schäuble, sei „ganz sicher“, dass er mit seinen Forderungen auch den Koalitionspartner SPD noch „überzeuge“.

Die Zeitung „La Republica“ schrieb zu den Vorgängen in Europa, die Rolle des militärischen Geheimdienstes SISMI „die Integrität des Staates zu garantieren wurde als Verteidigung der Regierung vor verfassungsgemässer Kontrolle (`checks and balances`) verstanden“.
SISMI habe versucht „eine autonome Macht zu schaffen, privat und ausserhalb der Verfassung“ mit dem Mantra „Staat gleich Regierung und Opposition gleich Subversion“. (2)

Hmm. Nehmen wir mal an, Sie sind jetzt Richter, Anwalt, bei der FDP, Bündnis 90/die Grünen, der Linken oder Journalist.
In wieviel Sekunden können Sie sich an nichts mehr erinnern?

Denn mal ehrlich – ekeln Sie sich nicht auch manchmal vor der Demokratie und ihrem Job darin?

weitere Artikel:
26.06.07
„Jasmin“-Daten, der MAD und das US-EUCOM (Kapitel IV)

23.09.02006
Code 1199: Der lange Arm der HASPA

Quellen:
(1)
http://derstandard.at/?id=2948229
(2)
http://news.independent.co.uk/europe/article2739749.ece
(3)
https://www.radio-utopie.de/2007/06/26/jasmin-daten-der-mad-und-das-us-eucom-kapitel-iv/
(4)
http://www.radio-utopie.de/2006/09/23/code-1199-der-lange-arm-der-haspa/
(5)
http://www.ftd.de/politik/deutschland/220614.html

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert