Wiesbaden: Der Staatsgerichtshof des Landes Hessen lässt sich auffällig viel Zeit mit seiner Entscheidung. Am 7.Januar hatte der Chaos Computer Club (CCC) zusammen mit der IT-Expertin Nicole Hornung von der Piratenpartei einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Einsatz von Wahlcomputern bei der Landtagswahl am 27.Januar gestellt (1,2). Einen Tag später hatte ein Gerichtssprecher den Eingang des Antrags bestätigt und geäussert, er könne nicht sagen wann eine Entscheidung in dem Eilverfahren falle.
Seitdem – nichts mehr.
Computermanipulation: Der maschinelle Abbau der Demokratie
„Nach der durch das hessische Innenministerium am 6. Dezember erteilten Verwendungsgenehmigung werden acht Städte und Gemeinden die Wähler in einem mangelbehafteten Verfahren mit Wahlcomputern abstimmen lassen“, hiess es bereits am 7.Januar in einer Presseerklärung der Piratenpartei (1). „Die Wähler von Alsbach-Hähnlein, Bad Soden, Lampertheim, Langen, Niedernhausen, Niestetal, Obertshausen und Viernheim sollen gezwungen werden, ihre Stimmen den unsicheren Computern anzuvertrauen“, deren gravierende Sicherheitsmängel bekannt seien, so die Kläger. Annähernd baugleiche Wahlcomputer des Herstellers NEDAP waren im September 2007 in den Niederlanden komplett ausgemustert worden, da eine Regierungskommission auf Grund der eklatanten Manipulationsanfälligkeit von der weiteren Verwendung abriet.
Das hessische Innenministerium unter Volker Bouffier gab dies sogar zu, allerdings erst nach entsprechendem öffentlichen Druck.
„Da auch das hessische Innenministerium nach Presseberichten und wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Kenntnis nehmen musste, dass gravierende Sicherheitsmängel bei den NEDAP-Wahlcomputern tatsächlich bestehen, wurde eine Reihe von Sicherheitsplacebos verordnet“, so die Piratenpartei. Der CCC sprach von Versuchen, „ein kaputtes System durch kultartige Prozeduren zu retten“.
„Die in Hessen geplanten neuen ‚Sicherungsmaßnahmen‘, die
verhindern sollen, dass der Wahlausgang manipuliert wird, können nur als unsinniger, zeitraubender und teurer Schildbürgerstreich angesehen werden“, kommentierte CCC-Sprecher Dirk Engling. „Ob die Software oder die Hardware der Computer manipuliert wurde, kann der Wähler weiterhin nicht wissen.“
Klägerin: Einsatz von Wahlcomputern in Hessen Akt der „Mischverwaltung“ und verfassungswidrig nach Art. 30 GG
Die hessische Regierung selbst war es, die mit der im Oktober 2005 erlassenen Landeswahlgeräteverordnung (WahlGV) ihre Kompetenz nach Berlin abgegeben hat. IT-Expertin Nicole Hornung wies in ihrer Klage daraufhin, dass dadurch die Zulassung für Landeswahlen an die Bauartzulassung auf Bundesebene gekoppelt worden sei, sodass die Bauartzulassung durch das Bundesministerium des Innern erfolgt und unmittelbar für die Wahlen in Hessen gilt. „Dies entzieht dem Land Hessen die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Bauartzulassung und stellt eine unzulässige Mischverwaltung dar, die gegen Art. 30 GG verstößt“, so Hornung.
Es gibt weitere schwerwiegende Gründe gegen die Verwendung von Wahlcomputern bei der hessischen Landtagswahl am 27.Januar, bei der Roland Koch und sein CDU-Innenminister Volker Bouffier – selbst in der rechten Union bundesweit isoliert – politisch mit dem Rücken an der Wand stehen und alles zu verlieren haben.
Keine Wahl bei der Wahl: Computerzwang ohne Überprüfung auf Manipulation
„Die Möglichkeit, einen Vergleich der eingesetzten Geräte einschließlich Software mit dem geprüften Baumuster vornehmen zu können, besteht jedenfalls nicht für die Antragstellerin oder den Wahlvorstand“, so die Kläger gegen die Verwendung der Wahlmaschinen. Die Baumusterprüfung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt sehe keine Einzelüberprüfung der eingesetzten Geräte vor, sondern die Bauartzulassung stütze sich lediglich auf eine Erklärung des Herstellers, dass die tatsächlich eingesetzten Geräte baugleich zum geprüften Muster seien. „Dem Wähler ist eine solche Überprüfung weder technisch noch rechtlich möglich.“
Die Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips würde zudem „zu einer formalen Ungleichheit mit den Wählern führen, die auf herkömmliche Weise wählen dürfen, und verstößt daher auch gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl“, geht weiter aus der Begründung hervor.
Es gibt nicht einmal die Möglichkeit auszuweichen. Man wird als Wähler in Hessen – als Souverän des Staates – dazu gezwungen, die NEDAP-Computer zu verwenden. Ein Ausweichen auf die Briefwahl ist nicht möglich, „da diese nur zulässig ist, wenn der Wähler verhindert ist, selbst das Wahllokal aufzusuchen, nicht aber, um die Verwendung von Wahlcomputern zu vermeiden“, so die Kläger.
Auch die hessischen Grünen hatten schon vor geraumer Zeit den Verzicht auf Wahlcomputer gefordert. Bei deren Einsatz drohe die Anfechtung der Wahl, argumentierten sie (3).
Anfechtung, wo denn? Und mit welcher Konsequenz? Eine Klage gegen die denkbar knapp ausgegangene Bundestagswahl 2005 – wegen der Verwendung von Wahlcomputern – liegt bis heute beim Bundesverfassungsgericht herum. Es geschieht nichts. Die Gerichte schauen einfach zu, wie die Berliner Republik demontiert und durch die Exekutive zersetzt wird.
Auch haben die Grünen selbst Anteil an diesem schleichenden Abbau der parlamentarischen Demokratie.
Wahlcomputer: Geschäftsgeheimnis vor Wahlgeheimnis und Demokratie
Am 1. Januar trat das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) in Kraft, was von den „rot-grünen“ Schröder- und Fischer-Parteien noch am 3. Juni 2005 beschlossen worden war (4). Im § 6 des IFG heisst es, „Zugang zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen darf nur gewährt werden, soweit der Betroffene eingewilligt hat“. Das heisst nichts Anderes, als dass Wahlcomputer nicht überprüft werden dürfen – nicht einmal durch eine Wahlkommission. Das Verwaltungsgericht Braunschweig enschied diesbezüglich (Az.: 5 A 188/06) in der Klage eines Berliner Journalisten auf Einsicht in die Zulassungsunterlagen der Nedap-Wahlcomputer, dass der § 6 IFG weder verfassungswidrig sei, noch dass dies überhaupt dem Bundesverfassungsgericht zur Normenkontrolle vorgelegt werden müsse. Durch das IFG seien amtliche Informationen nun allgemein zugängliche Quellen geworden, aber dazu sei „der Gesetzgeber nach einhelliger Auffassung aus Art. 5 GG nicht verpflichtet“ gewesen, so das Braunschweiger Verwaltunsggericht. Ergo könne deshalb im Umkehrschluss die Regelung auch nicht an Art. 5 GG „gemessen werden“. Die öffentliche Zugänglichkeit habe der Gesetzgeber im Rahmen seiner Befugnis zur Schaffung und Ausgestaltung eines Informationsfreiheitsgesetzes geregelt, und in diesem Rahmen sei er „frei, den Informationszugang zu Gunsten des Schutzes geistigen Eigentums und der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu beschränken“. (5)
Da aber kein Bürger einen konkreten Nachweis für Wahlmanipulation durch Computer erbringen könne – weil die Geräte ja nicht überprüft werden dürfen – läge auch kein Wahlfehler vor, so die Rechtssprechung. Jeder Wahlvorstand habe gefälligst an die Korrektheit des von dem Kassenbondrucker in dem Gerät ausgedruckten Ergebnis glauben, so das Gesetz. Wegen dem GESCHÄFTSGEHEIMNIS.
Mithilfe dieses Bundesgesetzes von SPD und den Grünen wurde bisher jeder Einspruch wegen Wahlmanipulation durch Computer zurückgewiesen, ob bei den Bürgermeisterwahlen in Cottbus oder anlässlich der Bundestagswahl in Bonn. Das Geschäftsgeheimnis der Hersteller von Wahlcomputern geht in dieser „Republik“ vor den Wählerwillen, vor die Demokratie, vor die Verfassung, vor die freie, direkte, unmittelbare, freie und geheime Wahl von 82 Millionen Menschen.
Das ist kein Witz – das ist die Realität. Einzig das Bundesverfassungsgericht hätte die Möglichkeit diesen Wahnsinn zu beenden. Aber das schweigt.
Der Staatsgerichtshof des Landes Hessen: zu beschäftigt mit anderen Dingen als der freien Wahl?
Wenn das Landesverfassungsgericht in Wiesbaden nicht bis zum 27.Januar entscheidet, dann weil es das nicht will.
Und das ist auch eine Entscheidung.
Quellen:
(1)
http://www.heise.de/newsticker/meldung/101380
(2)
http://openpr.de/news/180278/Chaos-Computer-Club-und-Piratenpartei-gehen-juristisch-gegen-Wahlcomputer-in-Hessen-vor.html
(3)
http://www.wiesbadener-kurier.de/region/objekt.php3?artikel_id=3115217
(4)
http://de.wikipedia.org/wiki/Informationsfreiheitsgesetz#Bundesebene
(5)
http://193.99.144.85/ct/07/25/052/