EU-Vertrag: Todesstrafe in Europa nun doch abgeschafft ? – Schön wär's…

Bis vor wenigen Tagen gab es die Sorge, dass die Todesstrafe im geplanten EU-Reformvertrag festgeschrieben ist. Mit immer haarsträubenderen Tricks versuchen unsere PolitikerInnen die Desinformation der BürgerInnen voranzutreiben. Mit der Ratifizierung so genannter „Zusatzprotokolle“ sollen die Zweifel der Bevölkerung zerstreut werden, jedoch sind diese Protokolle nur eine weitere Hintertür, durch die unsere Europäische Führungsriege unbemerkt verschwinden will…

 

Im EU-Grundvertragswerk sind alle Regelungen festgeschrieben worden, die uns zukünftig die Grenzen unseres Handelns bedeuten sollen. Die Ablehnung einer dieser Regelungen aus dem Grundvertragswerk, würde ein Mitgliedsland dazu zwingen, dass es aus der Europäischen Union austreten müsste. Um dieser öffentlichkeitswirksamen Negativwerbung zu entgehen, haben sich die „Herrsch“aften etwas ganz Besonderes einfallen lassen, das Zusatzprotokoll ! Und so funktioniert das: Im Gegensatz zum Text des Grundvertragswerkes werden in einem Zusatzprotokoll einzelne Passagen des Vertrages geregelt oder bestehende Vertragsbestandteile geändert. Jedoch ist jedes Zustatzprotokoll ein eigenständiges Dokument, welches jederzeit annullierbar ist. Ich erkläre das mal an einem Beispiel, was momentan in der Bevölkerung grosse Empörung und Diskussionen ausgelöst hat – die Wiedereinführung der Todesstrafe.

 

Im EU-Reformvertrag (Grundvertragswerk) hiess es im Artikel II-62:

 

Recht auf Leben“


(2) Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.

 

In der Schlussakte hiess es dann aber:

 

Erläuterung Titel I „Recht auf Leben“

(2) Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.

 

a) Artikel 2 Absatz 2 EMRK* :

 

„Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um…

 

b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;
c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.“


b) Artikel 2 des Protokolls Nr. 6 zur EMRK*:

 

„Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen,die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden; diese Strafe darf nur in den Fällen, die im Recht vorgesehen sind, und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmungen angewendet werden…“

 

 

Lange konnte dieser Betrugsversuch natürlich nicht unbemerkt bleiben. Da immer mehr BürgerInnen in Europa an ihre Regierungen herantraten und eine Erklärung dieses Sachverhalts forderten, wurde es für unsere PolitikerInnen nun immer schwerer zu bestreiten, dass die Todesstrafe als legitime Maßnahme im EU-Vertrag festgeschrieben wurde. Und nun ? Wie kann man die BürgerInnen denn jetzt wieder beruhigen und dafür sorgen, dass die Möglichkeit zur Wiedereinführung der Todesstrafe trotzdem erhalten bleibt ? Jetzt kommt unser „Zusatzprotokoll“ ins Spiel ! Auf eine Leseranfrage des Bürgers H. Jenni im Forum von Abgeordnetenwatch antwortete Frau Elke Hoff (FDP) :

 

„Sehr geehrter Herr Jenni,
vielen Dank Ihre E-Mail vom 26. Mai2007 und das darin bekundete Interesse an dem Thema Todesstrafe in Europa.
In der Tat ist der Kampf gegen die Todesstrafe ein langer und beschwerlicher Weg gewesen und mit Blick auf das Ziel einer weltweiten Abschaffung der Todesstrafe, liegt auch noch ein ganzes Stück des Weges vor uns.
Hinsichtlich des Verbots der Todesstrafe in Art. 2 Abs.2 der EU-Grundrechtscharta möchte ich allerdings darauf verweisen, dass es im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention inzwischen nicht nur das 6., sondern auch das 13. Zusatzprotokoll gibt, welches das Verbot der Todesstrafe unter allen Umständen statuiert. In Kraft getreten ist dieses Zusatzprotokoll schon am 01. Juli 2003, Deutschland hat es 11. Oktober 2004 ratifiziert.
Die Todesstrafe ist daher aus Europa weitgehend verbannt. Ein Ausruhen darf es gleichwohl noch nicht geben, da in vielen Ländern der Erde noch immer die Todesstrafe verhängt und auch vollstreckt wird. Aber auch in Europa sind noch weitere Anstrengungen vonnöten. So haben Länder wie etwa Italien, Frankreich und Polen das 13. Zusatzprotokoll zwar bereits unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Die FDP hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, dieses Thema mit dem von Ihnen angesprochen Antrag im Deutschen Bundestag erneut auf die Tagesordnung zu bringen, und damit ein nachdrücklicheres Eintreten gegen die Todesstrafe in Europa zu fordern.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Elke Hoff“

 

Dann schauen wir jetzt mal in das 13. Zusatzprotokoll, welches Frau Hoff hier zitiert hat – und tatsächlich finden wir dort den folgenden Wortlaut:

 

Protokoll Nr. 13 zur EMRK*

 

„Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Protokoll unterzeichnen, in der Überzeugung, dass in einer demokratischen Gesellschaft das Recht jedes Menschen auf Leben einen Grundwert darstellt und die Abschaffung der Todesstrafe für den Schutz dieses Rechts und für die volle Anerkennung der allen Menschen innewohnenden Würde von wesentlicher Bedeutung ist; in dem Wunsch, den Schutz des Rechts auf Leben, der durch die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden als «Konvention» bezeichnet) gewährleistet wird, zu stärken; in Anbetracht dessen, dass das Protokoll Nr. 6 zur Konvention über die Abschaffung der Todesstrafe, das am 28. April 1983 in Strassburg unterzeichnet wurde, die Todesstrafe nicht für Taten ausschliesst, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden; entschlossen, den letzten Schritt zu tun, um die Todesstrafe vollständig abzuschaffen, haben Folgendes vereinbart:

 

Artikel 1 – Abschaffung der Todesstrafe

 

Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden.

 

 

 

Artikel 2 – Verbot des Abweichens

Von diesem Protokoll darf nicht nach Artikel 15 der Konvention abgewichen werden.

Artikel 3 – Verbot von Vorbehalten

Vorbehalte nach Artikel 57 der Konvention zu diesem Protokoll sind nicht zulässig.“

Na, hier wird doch alles klar formuliert was das BürgerInnenherz begehrt ! Die Todesstrafe ist abgeschafft, Ausnahmen sind nicht möglich und Vorbehalte sind unzulässig – also abgeschafft !!! – Wirklich abgeschafft ? Aber nicht doch… !!! (oder glauben Sie wirklich an die Rechtschaffenheit der PolitikerInnen ?) Dann muss ich Ihnen Ihren Glauben leider gleich wieder nehmen, denn im Artikel 4 des 13. Protokolls zur EMRK* heisst es dann:

Artikel 4 – Räumlicher Geltungsbereich

 

1. Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen, auf die dieses Protokoll Anwendung findet.

 

2. Jeder Staat kann jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung die Anwendung dieses Protokolls auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken. Das Protokoll tritt für dieses Hoheitsgebiet am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Erklärung beim Generalsekretär folgt.

 

3. Jede nach den Absätzen 1 und 2 abgegebene Erklärung kann in Bezug auf jedes darin bezeichnete Hoheitsgebiet durch eine an den Generalsekretär gerichtete Notifikation zurückgenommen oder geändert werden. Die Rücknahme oder Änderung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär folgt.“

 

Im Klartext bedeutet das (so wie in Artikel 4.3 eindeutig formuliert ist), dass dieses Zusatzprotokoll Nr. 13 zur EMRK* jederzeit zurückgenommen oder geändert werden kann. Nämlich dann, wenn es die betreffende Regierung als erforderlich erachtet. Zwar wird hier eine Übergangszeit von 3 Monaten festgelegt, die aber bei einer „Notstandsverordnung“ der Regierung wohl kaum Anwendung finden wird, da es ja in betreffendem Fall um die unmittelbare Abwendung einer Gefahr gehen würde – da hat man dann natürlich keine 3 Monate Zeit und wird dies im Zweifelsfall auch genau so begründen. Der Vorteil dieses Zusatzprotokolls (so wie jedes anderen Zusatzprotokolls auch) liegt darin, dass kein Mitgliedsstaat aus der Europäischen Union austreten muss, sondern lediglich nur den Inhalt eines einzelnen Zusatzprotokolls revidieren kann.

Ich bin Frau Elke Hoff ebenfalls dankbar für ihren Hinweis auf die unterbliebene Ratifizierung anderer Mitgliedsstaaten der EU. Es gibt nämlich einen gravierenden Unterschied zwischen den Begriffen „Unterzeichnung“ und „Ratifizierung“. Mit der Unterzeichnung bekennt sich das betreffende Mitgliedsland ausdrücklich nur zur Unterstützung der gemeinsamen Willensbekundung der EU-Staaten. Erst mit der Ratifizierung tritt die im Zusatzprotokoll festgeschriebene Regelung dann auch tatsächlich in Kraft, abgesehen vom Zeitpunkt der praktischen Einführung dieser Regelung im jeweiligen Mitgliedsstaat, die gewohnheitsgemäß erst viel später erfolgt als die Ratifizierung. Interessant ist in diesem Fall vor allem, welche Staaten die Ratifizierung bisher abgelehnt bzw. nicht vollzogen haben. Auf der Webseite des Europarats werden die einzelnen Staaten aufgeführt. Hier mal eine Übersicht der Staaten, die nicht einmal die Willensbekundung (Unterzeichnung) geleistet haben: Armenien, Aserbaidschan und Russland. Hinzu kommen noch alle diejenigen Staaten, die zwar ihre Willensbekundung (Unterzeichnung) abgegeben haben, jedoch nicht die rechtsgültige Einführung (Ratifizierung): Albanien, Frankreich, Italien, Lettland, Luxemburg, Moldawien, Monaco, Niederlande, Polen, Spanien und die Türkei. Was hindert diese Länder eigentlich daran, sich zu den Menschenrechten der EMRK* zu bekennen ? Vielleicht sind sich die betreffenden Regierungen nicht sicher, ob sie die Todesstrafe nicht doch eines Tages zur Festigung ihrer Regierungsmacht benötigen werden. Oder fehlt diesen Staaten etwa das Vertrauen in den EU-Vertrag, dass ihnen gemäß Artikel 4.3 die Rücknahme des Zusatzprotokolls garantiert ?

Abschliessend möchte ich noch bemerken, dass die Recherche nach den Vertragsinhalten ein beschwerlicher Weg durch das Dokumentendickicht der Europäischen Union war. Sie können ja mal auf der Webseite des Rates der Europäischen Union, die den BürgerInnen als Dokumentation an die Hand gegeben wurde versuchen, beispielsweise das 13. Zusatzprotokoll zu finden, welches ich im vorangegangenen Text erläutert habe. Sagen Sie aber besser Ihre für die nächsten drei Wochen geplanten Termine ab – da sind Sie dann nämlich immer noch mit der Suche beschäftigt !

Fazit: Die Phantasien und Gestaltungsmöglichkeiten der Desinformation durch die Politik sind nahezu unerschöpflich und wie sollte jemand einer Regierung vertrauen, die sich dieser Verschleierung von Sachverhalten schuldig macht, die für mich die Grenzen meines Handels bedeuten sollen ? Sollte uns BürgerInnen letzendlich nur der Austritt aus der Europäischen Union vor der Willkür der Politik schützen, dann müssen wir diesen Austritt unbedingt vorantreiben. Unsere machthungrigen EU-Politiker haben sich fest vorgenommen, den EU-Reformvertrag zum 01.01.2009 für alle Mitgliedsstaaten verbindlich einzuführen. Danach ist der Sack endgültig zu – und wir sitzen drin !!!

Berlin, 23. Februar 2008

Udo König, Berlin

 

 

 

 

(* EMRK = Europäische Menschenrechtskonvention)