Die Libyen-Affäre hat internationale Dimensionen, die von der Bundesregierung systematisch vertuscht werden.
Berlin: Während die „Bild“-Zeitung heute wieder einmal eine skurrile Nebelkerze warf und einen Zusammenhang mit der Entführung der Wallert-Familie auf den Philippinen im Jahre 2000 zog, log sich heute in der Hauptstadt händewedelnd wieder jeder was zu Recht.
Nachdem Verteidigungsminister Jung noch vorgestern in Bukarest kreidebleich und stotternd behauptet hatte, erst im „ersten Halbjahr 2006“ von der Ausbildung libyschen Militärs durch deutsche Soldaten und Polizisten erfahren zu haben, stellte sich gestern heraus dass der Leibwächter des höchsten deutschen Bundeswehroffiziers, Generalinspekteur Schneiderhan, bereits 2005 die Leibwächter von Gaddafi höchstpersönlich tranierte.
Auch hatte das Verteidigungsministerium noch am 4.4. behauptet, es gäbe weder eine „militärische Zusammenarbeit“, noch eine „polizeiliche Zusammenarbeit „ mit Libyen.
Das ist falsch. Libyen ist Einsatzgebiet der multinationalen Militärstreitmacht der Europäischen Union EUFOR (European Union Force), die 2003 gebildet wurde.
Einsatzgebiete der EUFOR: Tschad, Zentralafrikanische Republik, Nigeria, Kamerun und Libyen
Vor kurzem wurden EUFOR-Truppen in den Tschad geschickt. In den dortigen Öl-Putsch ist Libyen an der Seite Frankreichs tief verstrickt (wir berichteten).
TSCHAD, LIBYEN UND DIE FRENCH CONNECTION
Die französische Regierung gab am 15.Februar zu, innerhalb kürzester Zeit 16 Tonnen Munition (u.a. für sowjetische T-55 Panzer) in den Tschad geschafft zu haben. Frankreichs Aussenminister Bernard Kouchner hatte zuerst gelogen und dann später die Lieferung zugegeben.
Ein Sprecher des Aussenministeriums von Frankreich erklärte, man habe „Tschad geholfen, Munition von anderen Ländern zu bekommen“. Er benannte Lybien. Es gäbe aber noch andere. Diese benannte der Sprecher Kouchners nicht. Auch blieb „unklar“, ob diese Munition vor dem Ausbruch des Putsches in den Tschad gelangt war.
Laut „La Croix“ war sie zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Kämpfe in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena am 1.Februar bereits in den Tschad geliefert worden.
(T-55 Panzer waren u.a. von den NVA-Streitkräften der DDR genutzt worden.)
Spezialeinheiten Frankreichs waren Wochen vor dem Putsch bereits im Tschad im Einsatz gewesen.
Im EUFOR-Hauptquartier in Paris sitzen deutsche Soldaten als „Beobachter“.
Am Abend des 5.Februars, nur Stunden vor dem plötzlichen Wiederauftauchen des wochenlang verschwundenen Diktators Idriss Deby vor der Weltpresse, war in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena eine Delegation aus Libyen (Lybien) eingetroffen.
Deby will dann bei seiner Pressekonferenz – zusammen mit dem französischen Verteidigungsminister Herve Morin – von irgendwelchen Differenzen mit Libyen auch nichts wissen.
“Die Beziehungen zwischen Tschad und Libyen sind exzellent”, so Deby.
Kurz vorher hatte sein „Ministerpräsident“, Delwa Kassire Coumakoye, aber erklärt, Lybien habe den Umsturz im Tschad unterstützt.
WETTRENNEN UM LIBYEN SEIT EMBARGO-ENDE 2003
Was für eine unverschämte, hemmungslose Heuchel-Orgie sich Bundesregierung, Militär, Geheimdienste und Konzernpresse derzeit zur Libyen-Affäre leisten, kann man allein daran ermessen dass Schröder bei seinem Gaddafi-Besuch im Oktober 2004 u.a. einen 180-Millionen-Deal für Siemens zwecks „Modernisierung“ der Öl- und Gasförderung herausholte.
Ebenfalls wurde eine Ölbohrung der BASF-Tochterfirma Wintershall in der libyschen Wüste in Betrieb genommen.
Zu diesem Zeitpunkt war der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi allerdings schon vier mal in Tripolis gewesen.
Frankreichs „Staatsoberhaupt“ Jacques Chirac folgte im November 2004, mit seinen Chefs von GDF (Erdgas), Total (Ölförderung und verarbeiterung), Alcatel und Thales (u.a. Elektronik) in der Delegation.
Ein ganz Flotter war wieder einmal Tony Blair. Er hatte Gadaffi schon am 24. März 2004 in Tripolis besucht und u.a. ein Großauftrag in Höhe von 165 Millionen Euro für Shell herausgeholt, sowie künftige Waffenlieferungen durch den britischen Rüstungsriesen BAE (Britisch Aerospace).
Libyen zeigte auch Interesse an Radar und Nachtsichtgeräte bestellen „ur Grenzsicherung gegen unerwünschte Migration.
Es gab nach Ende des UNO-Embargos im September 2003 und dem Ende der US-Wirtschaftssanktionen am 23. April 2004 ein regelrechtes Wettrennen der „westlichen“ Energie- und Waffenkonzerne, die ihre angestellten Regierungen losschickten um für sie Verträge auszuhandeln.
Fortan prügelte man sich in EU-Europa, ob Gaddafi den „Eurofighter“ oder das „Rafale“-Kampfflugzeug des französischen Dassault-Konzerns bekommt, dessen Chef ist zugleich ein persönlicher Freund Jacques Chiracs war und zufällig noch ein Drittel des französischen Papierzeitungsmarktes beherrschte. Auch der französische Kampfhelicopter „Tigre“ war im Gespräch.
Auch zeigte man sich in besonders in Berlin und Rom mächtig interessiert daran, sogenannte „Wächerstaaten“ in Nordafrika zu installieren, die dem reichen, weissen Europa die schwarzen Schmuddelkinder aus Afrika vom Halse halten oder schaffen würden.
Der damals noch designierte Kandidat der Berlusconi-Regierung auf das Amt des Justizkommissars in der Europäischen Kommission, Rocco Buttiglione, leistete sich bei seiner Anhörung vor dem Europaparlament in Strasbourg Anfang Oktober 2004 den Spruch von „Konzentrationslagern“ in Nordafrika. Später hiess es dann, er habe „Auffanglager“ sagen wollen.
Von Anfang an, seit dem Ende des 18 Jahre langen Embargos 2004, ging es um eine enge Verzahnung Libyens mit den Polizei- und Militärstrukturen der EU.
Triebkraft dieser machtpolitischen Absicherung war natürlich die Ausbeutung der libyschen Ressourcen, also Öl, Gas und Menschen.
Immer ging es auch um die Rekrutierung „benötigter“ und „ökonomisch nützlicher“ Einwanderer aus Nordafrika.
Ein libysch-französischer Militärpakt wurde vorbereitet, hiess es 2005.
GEHEIMER MILITÄRPAKT ZWISCHEN FRANKREICH UND LIBYEN
Im August 2007 berichtete dann die französische „Le Canard enchainé“ über einen geheimen Militärpakt von Gaddafi mit dem Elysée-Palast.
Libyen forderte und bekam wohl auch Militärfahrzeuge, Schiffe, Kampf- und Transportflugzeuge, ja sogar Satelliten. Gemeinsame Militärmanöver, gegenseitige Expertenbesuche und die Zusammenarbeit bei der Ausbildung von Spezialeinheiten seien vereinbart worden.
Einen Monat vorher hatte Sarkozy Libyen besucht.
Sehr, sehr unwahrscheinlich, dass die deutsche Bundesregierung so gar nicht davon informiert war oder die gemeinsamen französisch-deutschen Operationen davon nicht betroffen waren.
Das Aussmass der deutschen Ausbildungsmassnahmen für Gaddafis Einheiten passt exakt in dieses Muster eines Militärpaktes.
Gestern berichtete Radio Utopie, dass nach Informationen aus journalistischen Kreisen Hunderte von Libyer in den Jahren 2005-2007 verdeckt und mit falschen Papieren nach Deutschland eingereist sind.
Der „Verdacht auf Teilnahme an einem Ausbildungsprogramm“ liegt da nahe.
Das würde zwar in das 2004 durch Schröder und Gaddafi geschlossene Ausbildungs-Kooperationsabkommen passen, aber durchgeführt durch die Merkel-Regierung von CDU und SPD-Oberen, sowie deren Minister.
DIE ROLLE DES KONSTRUKTES „MITTELMEERUNION“
Das ganze Ausmass imperialer Politik durch USA und EU zeigt sich u.a im Treffen von Ministern aus Ägypten, Jordanien, Syrien, Türkei, Libyen und dem Irak am 21.März in Tripolis. Ziel: die Verknüpfung der Stromnetze.
Auf dem mittlerweile 12. Treffen des operativen Kommitees vom “Septet Electricity Network” genannten Verbund wurde u.a. der Antrag Palästinas bearbeitet, in das Energienetz aufgenommen zu werden.
Wenn man da nun die 2004 vereinbarten Energiedeals der westlichen Konzerne und deren Regierungen mit Libyen, das Atomabkommen Sarkozys mit Gaddafi und die „westliche“ Unerstützung für eine vielzahl arabischer Diktaturen für eigene Atomprogramme einbezieht, lässt sich leicht ausrechnen was der britische Premierminister Brown und Frankreichs Staatspräsident Sarkozy bei ihrem Treffen in London mit der „Rennaissance“ der Atomenergie gemeint haben könnte.
Über ehrgeizige Pläne einer engen Zusammenarbeit beim Bau einer neuen Generation von Atomkraftwerken, deren Technik anschliessend weltweit exportiert werden soll, ist die Rede.
Das der Ministerpräsident Baden-Württemberg Günther Oettinger (CDU) inmitten schwarz-grünen Jubelgeheuls nun den von rot-grün beschlossenen Atomausstieg kippen will, kann jeder für sich selbst einordnen.
DIE ROLLE DER DEUTSCHEN GEHEIMDIENSTE
Die Erklärung des BND, man habe „weder Ausbildungshilfe geleistet“, noch sei man „beratend oder begleitend eingebunden“ gewesen, gar nicht falsch sein.
In der Erklärung des Auslandsgeheimdienstes stand ja streng genommen nicht, „Wir haben nix davon gewusst“.
Das er natürlich vollständig informiert war, liegt auf der Hand. Sonst könnte man ihn wegen Berufsblindheit einmotten.
Allerdings scheint in der Tat die operative Abwicklung eher über andere Behörden, wie etwa das Innenministerium von Dr. Schäuble und das Verteidigungsministerium von Franz Jung, sehr viel eher auf der Hand zu liegen.
Die Bundespolizei und das Bundekriminalamt des umtriebigen Ministers Schäuble – der gern vor eingesickerten, militärisch ausgebildeten „Terroristen der Al Kaida“ warnt und praktisch seit Jahren jeden Moment mit verheerenden Anschlägen rechnet – haben sich zu eigenen, weltweit operierenden Geheimdiensten entwickelt, die niemand kontrolliert.
Das Ganze ist für die Bundespolizei und Schäuble natürlich immens praktisch. Man ist offiziell kein Geheimdienst, also ist das sowieso hilflose Parlamentarische Kontrollgremium PKG nicht zuständig.
Das PKG ist nur für MAD, BND und Verfassungsschutz zuständig. Schäubles Aktivitäten sollte eigentlich der Innenausschuss überwachen, aber der kann getrost als Bundeswitz bezeichnet werden.
Die Trennung zwischen Geheimdiensten und Polizei ist zur Farce geworden, um die sich niemand, aber auch wirklich niemand mehr im Staatsapparat schert.
Wenn sich jetzt BND-Präsident Uhrlau, der eigentlich eher dessen Auflösungsbeauftragter zu sein scheint, diese Woche vor dem PKG für die Libyen-Affäre rechtfertigen soll, so wird das die Aufführung eines professionellen Sündenbocks vor einem Haufen professioneller Alibis ohne reale legislative Macht sein.
Dabei wird das von Nebenberuflern unterwanderte und nur 22 Wochen im Jahr überhaupt tagende (!) „Parlament“ wieder einmal das tun, was es die ganzen letzten Jahrzehnte gegen illegale und verfassungsfeindliche Umtriebe der von Konzernlobbyisten unterwanderten Exekutive gemacht hat:
nichts.
(…)
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