Der EU-Reformvertrag von Lissabon (Teil 3)

Autor: Citizenking

Unterzeichnung, Ratifizierung und Einführung – worin liegt der Unterschied?

Um den Charakter der jeweiligen nationalen Zustimmung zum EU-Vertragswerk zu verstehen, müssen die Begrifflichkeiten hierzu verstanden werden. In der heutigen Fortsetzung der Artikelserie zum EU-Reformvertrag von Lissabon werde ich auf die Unterschiede der drei Begriffe „Unterzeichnung“, „Ratifizierung“ und „Einführung“ eingehen.

1.) Unterzeichnung

Die Unterzeichnung des EU-Reformvertrages, der Menschenrechtskonvention oder eines Zusatzprotokolls ist im Grunde lediglich eine reine Willensbekundung bzw. eine Absichtserklärung. Mit der Unterzeichnung bekundet ein Staat die Absicht, die in einem Vertragswerk genannten Ziele anzustreben. Der betreffende Staat bekundet damit seinen Willen, die im Vertragswerk festgeschriebenen Ziele ebenfalls umsetzen zu wollen, unter Einhaltung der im Vertragswerk festgelegten Richtlinien und Bestimmungen. Die Unterzeichnung eines Vertragswerkes, einer Konvention oder eines Zusatzprotokolls ist vollkommen unverbindlich für den unterzeichnenden Staat. Ein unterzeichnender Staat kann rechtlich in keiner Weise zur Verantwortung gezogen werden, wenn es den Vertrag, die Konvention oder das Zusatzprotokoll nicht einhält. Im Anhang zu diesem Artikel werde ich hierzu ein detailliertes Beispiel anführen.

2.) Ratifizierung

Mit der Ratifizierung eines Vertrages, einer Konvention oder eines Zusatzprotokolls erklärt sich ein Staat dazu bereit, die im Vertragswerk festgelegten Richtlinien und Bestimmungen anzunehmen und diese auch juristisch für verbindlich zu erklären. Der unterzeichnende Staat erkennt den Vertragswortlaut erst durch die Ratifizierung an, jedoch erst zum Tage der Einführung. Im Anhang zu diesem Artikel werde ich anhand eines Beispiels deutlich machen, dass die tatsächliche Einführung eines Vertragswerkes, einer Konvention oder eines Zusatzprotokolls in der Regel erst viel später stattfindet, als der Zeitpunkt der Ratifizierung, obwohl dies eigentlich unmittelbar möglich wäre.

3.) Einführung

Erst am Tage der offiziellen Einführung eines Vertrages, einer Konvention oder auch eines Zusatzprotokolls treten die im Vertragswerk vereinbarten Regelungen und Bestimmungen in Kraft. Zwischen der Ratifizierung und der Einführung liegen oftmals mehrere Monate. Die Staaten die unterzeichnet und ratifiziert haben schaffen sich somit einen Übergangszeitraum. Innerhalb dieses Übergangszeitraumes beobachten sie das Verhalten anderer Staaten und verfolgen aufmerksam die Entwicklungen im Unterzeichnungs- und Ratifizierungsprozess derer. Dies lässt den Ratifizierungsstaaten einen Spielraum für eine eventuelle vorzeitige Rücknahme.

4.) Rücknahme

Natürlich gibt es für jeden Staat auch ein offizielles „Hintertürchen“, welches ihm immer offen steht. Die Rücknahme. Jeder Staat ist berechtigt sowohl den EU-Reformvertrag, als auch einzelne Zusatzprotokolle zurückzunehmen. Hierbei ist das leitende Gremium, im Falle des EU-Reformvertrages wäre dies der Vorsitzende des Europäischen Rates, davon in Kenntnis zu setzen. Drei Monate nach der Kenntnisnahme des leitenden Gremiums oder seines beauftragten Vertreters tritt die Rücknahme dann offiziell in Kraft und der betreffende Staat ist fortan nicht mehr an die Vertragsinhalte gebunden.

5.) Anhang zur Verdeutlichung

Anhand des 13. Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention was sich auf die Bestimmungen zum Thema „Todesstrafe“ bezieht, möchte ich nun erläutern, welche Staaten dieses Zusatzprotokoll bisher unterschrieben, ratifiziert und eingeführt haben. Hierzu stelle ich den genauen Wortlaut des 13. Zusatzprotokolls einmal vor:

Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Protokoll unterzeichnen,

in der Überzeugung, dass in einer demokratischen Gesellschaft das Recht jedes Menschen auf Leben einen Grundwert darstellt und die Abschaffung der Todesstrafe für den Schutz dieses Rechts und für die volle Anerkennung der allen Menschen innewohnenden Würde von wesentlicher Bedeutung ist;in dem Wunsch, den Schutz des Rechts auf Leben, der durch die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden als «Konvention» bezeichnet) gewährleistet wird, zu stärken;in Anbetracht dessen, dass das Protokoll Nr. 6 zur Konvention über die Abschaffung der Todesstrafe, das am 28. April 1983 in Strassburg unterzeichnet wurde, die Todesstrafe nicht für Taten ausschliesst, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden; entschlossen, den letzten Schritt zu tun, um die Todesstrafe vollständig abzuschaffen, haben Folgendes vereinbart:

Artikel 1 – Abschaffung der Todesstrafe

Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden.

Artikel 2 – Verbot des Abweichens

Von diesem Protokoll darf nicht nach Artikel 15 der Konvention abgewichen werden.

Artikel 3 – Verbot von Vorbehalten

Vorbehalte nach Artikel 57 der Konvention zu diesem Protokoll sind nicht zulässig.

Artikel 4 – Räumlicher Geltungsbereich

1. Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen, auf die dieses Protokoll Anwendung findet.

2. Jeder Staat kann jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung die Anwendung dieses Protokolls auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken. Das Protokoll tritt für dieses Hoheitsgebiet am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Erklärung beim Generalsekretär folgt.

3. Jede nach den Absätzen 1 und 2 abgegebene Erklärung kann in Bezug auf jedes darin bezeichnete Hoheitsgebiet durch eine an den Generalsekretär gerichtete Notifikation zurückgenommen oder geändert werden. Die Rücknahme oder Änderung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär folgt.

Artikel 5 – Verhältnis zur Konvention

Die Vertragsstaaten betrachten die Artikel 1 bis 4 dieses Protokolls als Zusatzartikel zur Konvention; alle Bestimmungen der Konvention sind dementsprechend anzuwenden.

Artikel 6 – Unterzeichnung und Ratifikation

Dieses Protokoll liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats, welche die Konvention unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung auf. Es bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung. Ein Mitgliedstaat des Europarats kann dieses Protokoll nur ratifizieren, annehmen oder genehmigen, wenn er die Konvention gleichzeitig ratifiziert oder bereits zu einem früheren Zeitpunkt ratifiziert hat. Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.

Artikel 7 – Inkrafttreten

1. Dieses Protokoll tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag folgt, an dem zehn Mitgliedstaaten des Europarats nach Artikel 6 ihre Zustimmung ausgedrückt haben, durch das Protokoll gebunden zu sein.

2. Für jeden Mitgliedstaat, der später seine Zustimmung ausdrückt, durch dieses Protokoll gebunden zu sein, tritt es am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde folgt.

Artikel 8 – Aufgaben des Verwahrers

Der Generalsekretär des Europarats notifiziert allen Mitgliedstaaten des Europarats

a) jede Unterzeichnung;

b) jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde;

c) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls nach Artikel 4 und 7;

d) jede andere Handlung, Notifikation oder Mitteilung im Zusammenhang mit diesem Protokoll.

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.

Geschehen zu Wilna am 3. Mai 2002 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedstaaten des Europarats beglaubigte Abschriften.

Dies ist der offizielle Text des 13. Zusatzprotokolls. Welche Staaten haben dieses Protokoll unterschrieben, ratifiziert und bereits rechtsverbindlich eingeführt ? Es sind:

Albanien, Andorra, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Irland, Island, Kroatien, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Moldawien, Monaco, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Rumänien, San Marino, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Türkei, Ukraine, Ungarn, Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Zypern.

Den längsten Zeitraum zwischen der Ratifizierung und der Einführung beanspruchten die Staaten Irland, Malta und die Schweiz mit jeweils 14 Monaten. Die meisten anderen Staaten beanspruchten im Durchschnitt etwa 4 Monate.

Viel interessanter hingegen sind die Staaten, die bisher lediglich unterzeichnet haben und somit nur eine unverbindliche Absichtserklärung bzw. Willensbekundung abgegeben haben. Dies sind die folgenden Staaten:

Armenien, Italien , Lettland, Polen und Spanien.

Es ist schon erstaunlich, dass zivilisierte und demokratische Staaten wie Italien und Spanien demnach die Todesstrafe immer noch als exekutive Möglichkeit in ihren nationalen Verfassungen verankert haben und trotzdem Mitglieder der Europäischen Union sind.

Noch viel interessanter sind zwei weitere Staaten, die noch nicht einmal die Unterzeichnung (also die reine unverbindliche Willensbekundung) abgegeben haben, wahrscheinlich aus Angst, ihre nationale Machtstellung nicht ohne das Instrument „Todesstrafe“ aufrecht erhalten zu können: Aserbaidschan und Russland. Doch was wollen wir auch von Vladimir Putin oder seinem ihm hörigen Amtsnachfolger anderes erwarten ?

Der eigentliche Betrug in den Zusatzprotokollen ist das Recht auf Rücknahme. Die Regelungen und Bestimmungen können noch so mundgerecht und demokratisch für die BürgerInnen formuliert sein – letztlich sind sie zurücknehmbar und somit nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Ich bezweifle ebenfalls, dass im Falle eines nationalen Notstandes die festgelegten Rücknahmefristen von 3 Monaten eingehalten werden. Ein Notstand setzt so gut wie alle Vereinbarungen mit der Begründung der unmittelbaren Handlungsnotwendigkeit außer Kraft.

In Bezug auf die geplante Mittelmeer-Union (Radio Utopie berichtete hierzu bereits) böte dies den Mitgliedsstaaten viele Möglichkeiten die Bestimmungen der Menschenrechtskonvention zu umgehen. Im nächsten Artikel der Serie über den EU-Reformvertrag werden wir einzelne Ausschnitte einer Rede eines dänischen EU-Parlamentariers veröffentlichen, die dieser bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung in Irland verlautbarte. Danach dürfte jeder LeserIn klar sein, mit welchen Methoden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union versuchen, ihr Projekt einer neuen Weltordnung in Europa zu verwirklichen. Wir werden unzweifelhaft erkennen, dass die Mitbestimmungsrechte der EU-BürgerInnen nicht ohne Grund ausgeblendet wurden… – CK –

Lese-Empfehlung: http://post.ostate.org

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