DAS GESPENST

…VON 1848: MONARCHIE UND KOMMUNISMUS

George Orwell hat einmal geschrieben, „Wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Zukunft; wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht die Vergangenheit“.
In der Tat bildet die Definition der Vergangenheit, die Ein- und Unterordnung historischer Ereignisse in zeitgemässe Klischees, Denkweisen und Gewohnheiten das Fundament für die Steuerung der zentralen Gewalt über Gesellschaft, Staat, Arbeitswelt und Besitzverhältnisse – das menschliche Bewusstsein.

Gehen wir also durch die Zeit..

Wandern wir ein bisschen, wie die deutschen Romantiker vergangener Tage auf den Pfaden einer noch nicht ausgetrampelten, toten Zeit, stellen wir uns vor, die Welt läge noch offen vor uns anstatt uns zu erdrücken.
Versetzen wir uns in eine Zeit in der „links“ oder „rechts“ als politische Begriffe nicht bekannt waren, es keine „SPD“, keinen „Kommunismus“, keine Grundrechte, kein Kaiserreich, ja nicht einmal einen Nationalstaat der Deutschen gab, die sich zu diesem Zeitpunkt in einer Revolution befanden..

Reise

Morgen.
Die Luft ist anders.

Augenzwinkern, es hört sich nach Frühling an.
Wir sitzen irgendwo im Badischen unter einem Baum und schlagen die Augen auf.
Die Berge sind nah, ein Bach rauscht auf der Reise zu seinem Meer.
Wir befinden uns im Mai des Jahres 1848.

Überall in Europa, 70 Jahre vor dem 1.Weltkrieg, wackeln die Throne derjenigen Königshäuser die ihn später einmal beginnen sollten.
Wenden wir uns nun den Geschehnissen der letzten Monate zu..
Kapitel I: Republikanische Aufstände gegen die Monarchien

Januar 1848:
In den italienischen Fürstentümern beginnen Aufstände gegen die Herrschaft der spanischen Bourbonen in Süditalien (Sizilien) und gegen die der Österreicher in Norditalien (Mailand, Padua und Brescia). Sie leiten überall in Europa die republikanischen Revolutionen von 1848/49 ein.
24. Februar 1848:

Revolution in Frankreich. Ausrufung der 2. Republik. Ministerpräsident Francois Guizot tritt zurück. Der Monarch („Bürgerkönig“) Louis Philippe dankt ab und geht ins Exil nach England.

In London passierte zu dieser Zeit noch etwas. Am 21.Februar des Jahres 1848 wird, mitten in den überall in Europa ausbrechenden republikanischen Revolutionen gegen die monarchischen und feudalen Diktaturen, das „Kommunistische Manifest“ veröffentlicht.

Auftraggeber dieser Veröffentlichung, auf die sich später riesige Diktaturen und Machtblöcke des 20. Jahrhunderts berufen werden, war ein Geheimbund.

Kapitel II: „Der Bund der Geächteten“

Im Jahre 1834 hatte sich nach dem Verbot des „Deutschen Volksvereins“ in Paris ein Geheimbund aus deutschen Emigranten gegründet. Der streng hierarchisch aufgebaute „Bund der Geächteten“ mit später ungefähr 500 Intellektuellen und Angehörigen des Bürgertums als Führungsschicht (Arbeitern und Handwerkern war die Mitgliedschaft dort verboten) hatte nach den Statuten als Ziel die „Befreiung und Wiedergeburt Deutschlands und Verwirklichung der in der Erklärung der Menschenrechte und Bürgerrechte ausgesprochenen Grundsätze“
Alerdings gab es noch geheime Ziele, die nur die Führungsschicht kannte.

„Befreiung Deutschlands vom Joch schimpflicher Knechtschaft und Begründung eines Zustandes, der, soviel als menschliche Voraussicht vermag, den Rückfall in Knechtschaft verhindert. Die Erreichung dieses Hauptzweckes ist nur möglich bei Begründung und Erhaltung der sozialen und politischen Gleichheit, Freiheit, Bürgertugend und Volkseinheit, zunächst in den der deutschen Sprache und Sitte angehörenden Landesgebieten, sodann aber auch bei allen übrigen Völkern des Erdbodens“.

Eine zentrale Figur des Bundes der Geächteten, der in heutigen Geschichtsbüchern als „frühsozialistisch“ bezeichnet wird: Jacob Venedey.

Zu Beginn der 1830er nahm er am Hambacher Fest teil und wurde wegen angeblicher Teilnahme am Frankfurter Wachensturm in Frankenthal in Untersuchungshaft genommen. Venedey floh aus dem Gefängnis nach Straßburg und lebte ab 1833 in Paris. Dort gründete er 1833 den Deutschen Volksverein und wurde 1834 Leiter des Bundes der Geächteten. Er arbeitete als Pariser Korrespondent unter anderem für die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ und die „Leipziger Allgemeine Zeitung“.

1840 beruft sich Heinrich Heine auf ihn im Dritten Buch seiner Börne-„Denkschrift“.
1848 sollte Venedy dem Vorparlament angehören und Mitglied des Fünfzigerausschusses werden. Vom 18. Mai 1848 bis zum Ende des Rumpfparlaments am 18. Juni 1849 wird er Abgeordneter für Hessen-Homburg in der Frankfurter Nationalversammlung, im Paulskirchenparlament Mitglied mehrerer Ausschüsse insbesondere zu österreichischen Angelegenheiten und er gehört zu den Fraktionen Deutscher Hof und Westendhall.

Doch jetzt, im Jahr 1836, spaltet sich zuerst einmal Venedeys Geheimbund.

Kapitel III: Der „Bund der Gerechten“

Vor allem das Fussvolk des „Bund der Geächteten“ gründet mit 400 Mitgliedern den „Bund der Gerechten“, de facto war es eine Umbennung und Entmachtung der bisherigen Führungsschicht.
Massgeblichen Anteil daran hat der Schneidergeselle Wilhelm Weitling, das im Elend aufgewachsene uneheliche Kind des Dienstmädchens Christiane Weitling und des später in Russland vermissten französischen Besatzungsoffiziers Guillaume Terijon.

Weitling ändert die programmtische Ausrichtung des Geheimbundes, weg von den französischen Utopisten und den humanitären „Frühsozialisten“ Saint-Simon und Charles Fourier.

(Als „Frühsozialismus“ oder „Utopischen Sozialismus“ findet man heute „frühe Anläufe zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung“: „Utopien eines gerechten Idealstaates, frühe Formen des Gemeineigentums und sozialistische Bewegungen und Theorien der Neuzeit vor 1848.“)

Weitling verfasst 1838/39 die Schrift „Die Menschheit. Wie sie ist und wie sie sein sollte“.
Das Vorwort lautet:

„Die Namen Republik und Konstitution,
So schön sie sind, genügen nicht allein;
Das arme Volk hat nichts im Magen,
Nichts auf dem Leib und muß sich immer plagen;
Drum muß die nächste Revolution,
Soll sie verbessern, eine soziale sein.“

Im Jahre 1839 verlegt der Geheimbund seine Zentrale von Paris nach London, in Frankreich war mittlerweile ein Aufstandsversuch gegen den König gescheitert.
Dort geriet der „Bund der Gerechten“ dann unter den Einfluss zweier nur allzu bekannter Personen: Karl Marx und Friedrich Engels.

Engels, der noch bis September 1842 als Offizier der königlich-preussischen Armee ausgebildet wird, begegnet nach offizieller Geschichtsschreibung Karl Marx zum ersten Mal bereits im November 1842 bei der „Rheinischen Zeitung“.
Anschliessend reist Engels ins Britische Empire, bereits im Jahr 1843 hat Engels Kontakt zum „Bund der Gerechten“.

Dieser verändert sich nun fundamental.

Der einst 1834 durch deutsche Emigranten, Intellektuelle und Republikaner in Paris gegründete Geheimbund hatte angefangen mit den Zielen der „in der Erklärung der Menschenrechte und Bürgerrechte ausgesprochenen Grundsätze“.

Diese waren nach der Revolution in Frankreich am 26.August 1789 verkündet worden.

Nun aber sah dieser 1839 nach dem gescheiterten Pariser Aufstand in London vor dem Nichts stehende „Bund der Gerechten“ zwischen den Interessen der Arbeiterschaft und denen des Bürgertums einen unvereinbaren Widerspruch.
Er forderte nicht nur eine politische, sondern auch eine soziale Revolution, in der es zu einer Umwälzung der herrschenden Einkommensverhältnisse kommen sollte, welche die wesentliche Voraussetzung der Befreiung der Arbeiterklasse sei.

De facto hiess das: „Eine Revolution reicht nicht“.
Für die Völker Europas, die sich genau in diesen Tagen des ersten deutschen Frühlings 1848 – nach Jahrhunderten der Feudalherrschaft, immerwährenden Kriege durch Ursupatoren, Könige und wechselnden Besatzer – gerade mitten in einer befanden. war dies sicher keine Hilfe.

Diese Entwicklung, nach der Verlagerung der Geheimbundzentrale nach London 1839, wird bei „Wikipedia“ dem Schneidergesellen Wilhelm Weitling zugeschrieben.

Fakt aber ist: Weitling wird 1846 nach einem Machtkampf mit Karl Marx und Friedrich Engels aus dem „Bund der Gerechten“ ausgeschlossen – mitsamt seinen Anhängern.
Das wirft Fragen auf.
1839 musste der „Sitz“ nach London verlegt werden.
1834 hatte der „Bund der Geächteten“ laut Wikipedia fünhundert Mitglieder, vierhundert davon gründeten 1836 mit Wilhelm Weitling den „Bund der Gerechten“.

Wieviele Mitglieder hat dieser Geheimbund noch, als Weitling mitsamt seinen Anhängern 10 Jahre später in London ausgeschlossen wird? Und wieviele Mitglieder leben dort, im Königreich von England?

Im Wikipedia-Eintrag Weitlings ist zu lesen:
„Im Jahr 1846 lernte Weitling Karl Marx und Friedrich Engels kennen.“
Aber im Eintrag von Friedrich Engels steht dann (in gewohntem Tonfall):
„Engels nahm 1843 in London Kontakt auf mit der ersten revolutionären deutschen Arbeiterorganisation, dem Bund der Gerechten“.

Wie kann das sein? Wie kann Engels in England seit 1843 in Kontakt mit dem Geheimbund unter Führung und massgeblichem Einfluss Weitlings sein, aber diesen erst 1846 kennenlernen, aber dann auch sofort entmachten?

Weitling zieht nach New York und stirbt dort in Armut, wie er geboren wurde.
Marx und Engels aber, die beide in ihrem Leben niemals mit den Händen arbeiteten, sie haben nun 1847 den Geheimbund vollständig unter ihrer Kontrolle. Dabei ist keineswegs klar ob dieser strukturell oder operativ überhaupt noch existierte.
Offiziell nennt sich der „Bund der Gerechten“ nun um – in „Bund der Kommunisten“.

Kapitel IV: „Der Bund der Kommunisten“

Vom nun unbenannten Geheimbund lassen sich Marx und Engels 1847 „beauftragen“ das kommunistische Manifest zu schreiben, angeblich auf einem „Kongress“ mit 30 „Ortsgruppen“ aus vielerlei Ländern.
Dieser Kongress scheint, recht mühelos, unter der Nase des britischen Königshauses vom 29.November bis 8.Dezember 1847 in London getagt zu haben. Ein Wunder der Revolution.

Das „Manifest der Kommunistischen Partei“ erscheint am 21.Februar 1848 in London, drei Tage bevor dorthin der französische König vor der gänzlich unkommunistischen Revolution flüchtet und 6 Tage bevor am 27.Februar die Mannheimer Volksversammlung ihre sogenannten Märzforderungen formuliert. Diese werden zum Fanal der ersten deutschen Revolution, der „Märzrevolution“ in den feudalen Staaten des damaligen „Deutschen Bundes“.

Kapitel V: „Die Märzrevolution“

1. März:
Beginn der Märzrevolution in Baden mit der Besetzung des Ständehauses des badischen Landtags in Karlsruhe.
Am 4. März folgt in Nordbaden ein Bauernaufstand, der auf andere Regionen des Deutschen Bundes übergreift und die „Badische Revolution“ einleutet. Diese zielt in mehreren Anläufen immer wieder auf eine Republik.
5. März:
Bei der „Heidelberger Versammlung“ treffen sich 51 „oppositionelle“ Personen, darunter mindestens ein „Unternehmer“, 2 Grossgrundbesitzer, ein Bänker, 3 regionale Abgeordnete im Grossherzogtum Baden, 2 Beamte und 7 Akademiker, darunter viele Juristen.

Dort setzt sich nun Professor Carl Theodor Georg Philipp Welcker – eines von 17 Kindern eines Pfarrers, erklärter Feind aller „französischer“ Ideen und Anhänger eines gesunden „germanisch-deutsch-christlichen“ Kaisertums – für die flinke Einsetzung eines „Siebenerausschusses“ ein.
Also 7 Personen.
Diese treffen sich dann auch am 12. März 1848 in Heidelberg und machen unter sich aus, wer denn nun das „Vorparlament“ des angehenden deutschen Staates sein soll.
Allein der rheinische Gutsbesitzer Stedtmann lädt 40 Freunde ein.

Beginn der Märzrevolution in Preußen mit ersten Unruhen in Berlin.
13. März:
Beginn der Märzrevolution in Wien mit dem Sturm auf das Ständehaus; Rücktritt des Staatskanzlers Fürst Metternich. Auch er flüchtet nach England.

Am 18. März schiesst in Berlin das preussische Militär in eine friedliche Menschenmenge, weil bei der Verlesung eines königlichen Patents zu Reformen in Preußen „sozialrevolutionäre Parolen laut wurden“. Die anschliessenden Straßen- und Barrikadenkämpfe fordern mehrere hundert Tote.
Die Berliner gewinnen, das preussisch-königliche Militär wird aus der Hauptstadt des Königreichs Preussen verjagt.
19.März:
In Offenburg (Grossherzogtum Baden) nehmen 20.000 Menschen an einer Volksversammlung teil.

20. März:
Abdankung des bayerischen Königs Ludwig I. zugunsten seines Sohnes Maximilian II. in Folge der Unruhen in München und anderen Städten Bayerns.
23. März:
Venedig ruft seine Unabhängigkeit von Österreich aus und erklärt sich zur Republik.
31. März bis 3. April:
In dieser Situation – der bayrische König abgedankt, der preussische König mit seinen Truppen aus Berlin verjagt – beschliesst das „Vorparlament“ in Frankfurt gegen den Willen von Radikaldemokraten und Republikanern wie dem Badener Friedrich Hecker eine Zusammenarbeit mit dem „Bundestag“ (oder „Bundesversammlung“), dem schon damals so heissenden Instrumentarium feudaler Verhältnisse im Rahmen des Deutschen Bundes.

Der „Bundestag“ war kein Parlament. Es war die Abgesandtenversammlung verschiedener Königreiche und Fürstentümer, also fast so wie heute.

Konsequenterweise beschliesst das Vorparlament nun den „Fünfzigerausschuss“, der mit der feudal-monarchistischen Abgesandtenversammlung Bundestag zusammen die Wahl eines bundesweiten Parlamentes vorbereiten soll.

Der Fünfzigerausschuss tritt am 4.April zusammen.

Hecker währenddessen geht zurück nach Baden und ruft zusammen mit Gustav von Struve am 12.April die Badische Republik aus. Sie starten mit 30 Leuten einen bewaffneten revolutionären Aufstand, den „Heckerzug“.

Der „Heckerzug“ macht sich von Konstanz aus auf den Weg Richtung Rheinebene, wo er sich mit einem Zug Georg Herweghs, der „Deutschen Demokratischen Legion“ aus Frankreich vereinigen will, um Karlsruhe, die Haupstadt des Grossherzogtums Baden einzunehmen.
Innehalb einer Woche wächst der Heckerzug auf 800 Mann.

Doch dann rücken die Truppen des Deutschen Bundes an, also die Verbände welche der Bundestag repräsentiert, welcher zur gleichen Zeit zusammen mit dem Fünfzigerausschuss in Frankfurt die Nationalversammlung vorbereitet.

20. April 1848:

Die 800 Mann des Heckerzuges verlieren die Schlacht von Kandern gegen 2000 gut ausgerüstete Soldaten des „Deutschen Bundes“.

Noch Tage später gibt es verspätet Versuche sich Hecker anzuschliessen, am 23. beschliesst in Freiburg eine Volksversammlung einen Aufstand gegen 3.000 eingerückte Soldaten, der blutig niedergeschlagen wird.
Für Hecker ist die deutsche Revolution gescheitert.
Er emigriert. Später kämpft er in den USA als 48er auf Seiten der Nordstaaten im Bürgerkrieg.
In Frankfurt ist die Nationalversammlung noch nicht einmal angetreten.

April/Mai:
Aufstand der Posener Polen gegen die preußische Vorherrschaft unter Führung von Ludwik Mieroslawski.
15. Mai:
zweiter Wiener Aufstand
17. Mai:
Kaiser Ferdinand I. flieht unter dem Druck vor einer Revolution in Wien nach Innsbruck.
18. Mai:
Eröffnung der Frankfurter Nationalversammlung, des ersten demokratisch gewählten deutschen Parlaments; es soll eine Verfassung für das Gebiet des Deutschen Bundes ausarbeiten.

Es ist Mai im Jahre 1848.
Mischen.
Übertritt.
Wir gehen zurück in die Zukunft und betrachten einen Bildschirm..

(…)

Zweite Folge der Reihe:
“Das Gespenst II: Revolution oder die Beherrschung der Gegenwart”
Dritte Folge der Reihe:
Das Gespenst III: Das “Märchen vom Gespenst des Kommunismus”
Vierte Folge der Reihe:
Das Gespenst IV: Utopie und Gesellschaft

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