Imperium ohne Volk
Weder bei der NATO, noch bei der „Mittelmeerunion“ von Sarkozy und Merkel, spielen die Menschen noch irgendeine Rolle
Aachen: Das Skurrilste an der gestrigen Verleihung des Karlspreises an Angela Merkel waren nicht die Worte, mit der sich die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident Nicolas Sarkozy gegenseitig den Nacken massierten.
Es war die Tatsache, in welchem Namen sie dies taten: Deutschland, Frankreich, eigentlich alle Völker und Staaten zwischen dem Nordpol und der Sahara, mit der Option auf weitere Ausdehnung, versteht sich.
SARKOZY IN DER REPUBLIK DEUTSCHLAND
Der als zukünftiger Präsident von Europa gehandelte Sarkozy gestern in Aachen:
„“Ich liebe Angela Merkel, mehr als manche schreiben mögen““.
(Nun, Zitate gehen da gerade noch.)
„Lächelnd und mit viel Charme“ sagte er, sei es ihm „eine Chance und ein Glück“ mit „Angela“ Hand in Hand für die Einheit Europas zusammenzuarbeiten.
(Wo bleiben die blühenden Landschaften?)
Er bewundere sie, so Sarkozy. Sie sei mutig, sie sei intelligent. „Wir sind ein harmonisches Paar..Unsere Großväter haben sich noch gegenseitig umgebracht. Jetzt sind Deutschland und Frankreich für immer Freunde geworden.“
(Wer schliesst hier eigentlich auf wen und wer tut nur so?)
Er dankte Angela Merkel für die Unterschrift der deutschen Parlamentarier unter einen EU-Vertrag, den sie nicht verstanden hätten wenn sie ihn gelesen hätten, und sagte dann:
„Der vereinfachte Vertrag hat die Krise zwischen Europa und den Europäern noch nicht gelöst“, sagte Sarkozy. „Unsere Arbeit beginnt erst jetzt.“ Europa sei eine „zu schöne, zu gerechte Idee, um nur die Idee der Eliten zu sein“.
(Immerhin. Es reicht ihm nicht.)
SARKOZY IM KÖNIGREICH GROSSBRITANNIEN
Nicolas Sarkozy am 26.März in London vor seinem Abendessen mit der britischen Königin in einem BBC-Interview:
Niemand könne sich vorstellen, dass das „Europa von morgen ohne Großbritannien aufgebaut wird..Ich habe den Ehrgeiz, Hand in Hand mit den Engländern zu arbeiten.“
(Marchant, marchant, Entente cordiale..)
Er plädiere für eine „neue französisch-britische Brüderlichkeit“
(oder wahlweise „französisch-britische Bruderschaft“, die Übersetzung differiert ja nach Angehörigkeit der Medienbruderschaft.)
Die „Höflichkeit“ zwischen Großbritannien und Frankreich sei künftig nicht mehr ausreichend. „Wir können von der Höflichkeit zur Freundschaft übergehen.“
Sarkozy versicherte gleichzeitig, er wolle durch die stärkere Partnerschaft mit London „die Notwendigkeit der Achse Paris-Berlin nicht in Frage stellen“. Die französisch-britische Zusammenarbeit könne die mit Deutschland aber ergänzen.
(der Begriff Triumvirat wäre auch eher abschreckend gewesen, ausserdem hätte sich Berlusconi beschwert..)
Wichtiges Thema bei dem Treff mit der Queen sei der Krieg in Afghanistan.
die Alliierten könnten sich nicht erlauben, „in Afghanistan zu verlieren“. Dort finde „ein Teil des Kampfes gegen weltweiten Terrorismus statt, folglich müssen wir gewinnen“.
(Europa muss sich sogar selbst überwinden)
SARKOZY IN TUNESIEN
Sarkozy vorgestern in Tunesien:
Die Mittelmeerunion bringe Frieden und Wohlstand für alle. Für alle, die darin involviert seien, so der französische Präsident.
„Wenn sie Realität wird, wird die `Union für das Mittelmeer` die Welt verändern“.
Ihre „grösste Herausforderung“ dabei: das Säubern des verschmutzten Mittelmeeres.
(Ich dachte schon..)
Er verkündet, dass die Mittelmeerunion von 2 Präsidenten geführt werde, einen aus dem Süden, einen aus dem Norden.
Als den Regenten für die südliche Mittelmeerunion hat er schon einen Kandidaten: Hosni Mubarak,Diktator von Ägypten.
VOM MITTELMEER LERNEN, HEISST SIEGEN LERNEN
Es gibt in Ägypten zwar einen an Planwirtschaft erinnernden Mindestlohn , aber „Von den neuen Partnern lernen“ könnte sonst durchaus die Devise sein.
Nach 27 Jahren Herrschaft Mubaraks hungert das Volk.
Während das Land mehr als die Hälfte der jährlich benötigten 14 Millionen Tonnen Weizen importieren muss, steigen die Schwarzmarktpreise für Brot immer höher da der Bedarf nicht gedeckt ist. Es hat bereits Tote in Schiessereien mit Toten vor Bäckereien gegeben.
40 Prozent der Bevölkerung müssen mit zwei Dollar am Tag auskommen, es herrscht eine gnadenlose Klassengesellschaft mit einer superreichen Elite und einer superarmen Bevölkerung mit zunehmend verbitterter Mittelschicht.
Professoren, Arbeiter, Studenten, Bauern,in der ganzen Bevölkerung brodelt es. Ein Generalstreik wurde Anfang April durch den allgegenwärtigen Polizeistaat brutal unterdrückt, landesweit 500 Menschen verhaftet.
Für den 4.Mai ist ein neuer Anlauf für einen Generalstreik geplant.
Die unabhängige Zeitung („blog“) „The Arabist“ zur Situation in Ägypten:
…die Sache der Arbeiter, die „Brot-Krise“, die Wut über die Verfassungszusätze im letzten Jahr, die vielen Korruptionsskandale, die hohen Preise, die bankrotte ägyptische Außenpolitik, dass man offiziell sogar aufgegeben hat, faire und freie Wahlen vorzutäuschen, die Routine von dauernden Verhaftungen von politischen Dissidenten – all das hat mittlerweile jede Schicht der ägyptischen Gesellschaft erreicht. Dazu noch das Gefühl der Unsicherheit der Zukunft gegenüber dazu, das durch das Fehlen jeglicher Klarheit über den politischen Prozesse der Nachfolge des Präsidenten verstärkt wird – das alles hat zu einer jetzt ziemlich fest verankerten Verärgerung gegenüber dem Regime geführt.
Scheinbar ein Grund für den König von Frankreich, respektive Angela Merkels engem Freund Nicolas Sarkozy alias dem nächsten Präsidenten von „Europa“ (alias dem EU-Apparat), Ägyptens Diktator Hosni Mubarak zu seinem Co-Präsidenten zu machen.
DIE NATO-EU SITUATION
Liest man das vor einigen Tagen erschienene Statement von Marcel H. Van Herpen, Direktor des pro-NATO und pro-EU-Think Tanks „Cicero Foundation“, so ergibt sich folgendes Bild:
Sarkozy galt in Frankreich schon vor seiner Wahl als „Sarkozy, der Amerikaner“.
Die französische Rüstungslobby sieht ihrerseits eine Rückkehr Frankreichs in die Militärstruktur der NATO als Chance auf neue Veräufe.
Eine wichtige Rolle dabei spielen NATO-Lobbyisten wie André Rouvière („Sozialisten“), Pierre Lellouche („UMP“),Jean François-Poncet („UMP“). Die letzten beiden sind Teil des inneren Kreises um Sarkozy.
Seit 1978, als der deutsche General Schmueckle das Amt des NATO-Vize SACEUR [supreme allied commander Europe] übernahm, wird der Posten zwischen zwischen Grossbritannien und Deutschland gewechselt.
Frankreich strebt nun selbst die Übernahme dieses Postens an.
Widersprüche bestehen über die Rolle der NATO. Sarkozy will eher keine zivile, sondern eine militärische Rolle. Er sieht die Oberhoheit bei UN und EU und lehnt, zur Zeit, die „globale Rolle“ der NATO ab.
Gleichzeitig sieht er die NATO als Instrument zur Durchsetzung der eigenen Energieversorgung und deren Transportlinien.
Frankreich will die European Security and Defense Policy (ESDP) mit einem „Weissbuch“ der europäischen Militärpolitik wiederbeleben. Dafür möchte er den EU-Gipfel im Dezember 2008 nutzen.
Am 60.Jahrestag der NATO möchte er dann beim Gipfel im April 2009 die Rückkehr Frankreichs in die NATO verkünden.
Es ergeben sich Differenzen zwischen den Transatlantikern und der EU-Fraktion.
Die USA möchte die NATO in eine „globale Sicherheitsorganisation“ transformieren und mittelfristig Japan, Australien, Neuseeland und Südkorea in den „Atlantikpakt“ aufnehmen.
Das läuft den Bestrebungen einer eigenen EU-Militärdoktrin unter der politischen Oberhoheit der UN zuwider.
Bruce P. Jackson, aussenpolitischer Berater von US-Präsidentschaftsbewerber John McCain und Klischee eines imperialen US-Lobbyisten, wunderte sich derweil Mitte April über die ablehnende Haltung der Bundesregierung bezüglich eines NATO-Beitritts von Georgien und der Ukraine.
Die Ungeduld der NATO-Lobby schimmerte durch, den Durchmarsch an die Landgrenzen Russlands nur ja nicht abreissen zu lassen.
In diesem Spannungsfeld zwischen NATO- und Westunionisten einerseits und EU-Lobby andererseits bewegt sich Sarkozy und versucht sich beide Seiten offenzuhalten.
Die strategische Kontroverse spiegelt sich auch in der Regierung Sarkozy selbst wieder.
Der stramme Interventionist, Anhänger des Irakkriegs von Beginn an, ex-„Sozialist“ und Aussenminister Bernard Kouchner, lieferte sich Seite an Seite mit seinem Staatssekretär für EU-Fragen, Jean-Pierre Jouyet, im Februar eine öffentliche Intrige mit den mächtigen Einflüsterern Sarkozys, seinem Redenschreiber Henri Guaino und Claude Guéant, dem Generalsekretär des Präsidialamtes.
Die Affäre nervte die Franzosen spürbar.
Diese Rempeleien innerhalb der Sarkozy-Regierung, sowie der strategische Widerspruch zwischen NATO und der entstehenden Mittelmeerunion, könntes sich schnell zu einer noch gewaltigeren Synthese hinentwickeln:
zu einer Zusammenlegung der „Vereinigten Staaten der Amerika“ und der „Mittelmeerunion“ zu einer „Westunion“ oder „Abendlandunion“.
Der Gaullist Edouard Balladur veröffentlichte Anfang dieses Jahres einen 120-seitigen Strategie-Entwurf mit der Überschrift “Für eine Abendlandunion zwischen Europa und den USA” (”Pour une Union occidentale entre l’Europe et les États-Unis”).
Er bezeichnete dies ganz offen als nötigen und konsequenten Weg gegen Russland und China und berief sich dabei u.a. auf alte Pläne des damaligen US-Aussenministers James Baker aus den 80er Jahren.
Ganz besonders lobend erwähnte Balladur als Verbündeten in dieser Frage den britischen Kanzler Gordon Brown – und Angela Merkel…
Angesichts der Lethargie mit der sich die Völker Europas die Zerschlagung ihrer souveränen Staaten gefallen lassen, ist auch die Entwicklung durchaus denkbar.
Wer hat noch vor einem Jahr jemals von einer „Mittelmeerunion“ gehört?
Die absolute Ignoranz der US- und EU-Eliten gegenüber ihren Völkern, die nicht einmal mehr zustimmen brauchen sondern nur noch zu nicken haben, birgt aber die Gefahr einer unkalkulierbaren dritten Variable im Schachspiel der völlig im imperialen Orbit befindlichen Regierungen überall im „Westen“:
die eines selbstbewussten Volkes.
(…)
weitere Artikel:
21.03.08
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04.3.08
Von der Mittelmeerunion zur Abendlandunion