Telekom-Affäre wird zur Staatsaffäre
Neben Hunderttausenden von Daten offenbar auch Mitarbeiter der Bundesregierung ausspioniert, ex-Stasi-Leute verwickelt
Am Freitag hatte es der CDU-Bundestagsabgeordnete Steffen Kampeter im rbb-inforadio, offenbar in Kenntnis der ganzen Tragweite der Affäre, bereits auf den Punkt gebracht: das ganze werde die Spiegel-Affäre der westdeutschen Bonner Republik der 60er-Jahre noch übertreffen:
„Ich glaube, die Telekom-Krise ist bei weitem größer“, so Kampeter.
Im Laufe des Tages sickerte dann langsam durch, warum er das sagte.
Er machte nämlich ebenfalls öffentlich, dass „nicht einmal auszuschließen“ sei dass auch Vertreter der Bundesregierung ausgeforscht wurden.
Merkwürdigerweise blieb es der „Tagesschau“ überlassen, widerwillig diesen einen Satz zu den unfassbaren Vorgängen herauszurücken.
Nicht nur Telefondaten von Aufsichtsräten und Betriebsräten wurden durch kriminelle Seilschaften ausspioniert und für eigene Zwecke benutzt. Auch Bewegungsprofile von Journalisten wurden erstellt, von einem Journalisten der „Financial Times Deutschland“ weiss man, dass er über eine versteckte Kamera observiert wurde.
Dabei geht es keineswegs nur um Vorfälle in den Jahren 2005 und 2006, die bereits von Telekom-Chef Obermann eingestanden worden sind.
Nach Informationen der «Financial Times Deutschland/FTD» soll die Telekom bereits im Jahr 2000 die Berliner Sicherheitsfirma „Control Risks“ beauftragt haben, „Urheber von Indiskretionen“ ausfindig zu machen.
Eine Liste von 80 Verdächtigen wurde erstellt. Die Sicherheitsfirma „Control Risks“ wiederum beauftragte die Firma „Desa Investigation + Risk Protection“. Die nun, so die Berichte, soll das Kölner Büro eines «FTD»-Journalisten mit einer versteckten Kamera überwacht haben. Geschäftsführer und Firmengründer dieser Firma „Desa Investigation + Risk Protection“ sollen früher bei der Stasi-Spionageabwehr tätig gewesen sein.
Die Berliner Firma „Control Risks“, die „Desa“ beauftragt hatte, ging nun an die Öffentlichkeit. Sie erklärte „den pressebekannten Vorgängen in Zusammenhang mit unserer Tätigkeit für die Deutsche Telekom zwischen 2000 und 2002 nachgegangen“ zu sein. Man habe alle disbezüglichen Unterlagen und Informationen am Freitag „freiwillig der Staatsanwaltschaft übergeben“. Ausserdem sei man für die Telekom „seit 2002 nicht mehr tätig“ gewesen.
Für die Telekom nicht – aber nach Informationen der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ z.Z. für mehrere andere grosse Konzerne mit Sitz in Deutschland, darunter auch DAX-Firmen.
Unterdessen sagten die Firmen Vodafone, Arcor, Debitel und E-Plus einen öffentlichen Auftritt an der Seite von Telekom-Chef Obermann im Innenministerium von Wolfgang Schäuble ab.
Freitag Nachmittag, die Affäre kam richtig in Fahrt, packte dann der ehemalige Sicherheitschef der Telekom in den Jahren 1998 bis 2004, Hans-Jürgen Knoke, aus. Die Affäre hätte schon unter Ron Sommer (1995 bis 2002 Telekom-Chef) begonnen.
Aufgescheucht von schlechter Presse über die Konzernpolitik habe der Vorstand Nachforschungen über undichte Stellen angeordnet, Observationen hätten begonnen.
Auch bei dem Journalisten Tasso Enzweiler habe man mit dem Konzerngeheimdienst „mal vor der Haustür gestanden“, so Knoke.
Knoke sagte ausserdem aus, dass er es war, der „Control Risks“ beauftragt habe.
Legendär der Spruch des Ministers des Innern Dr.Schäuble dazu, in dessen Verantwortungsbereich die Vorgänge fallen:
Es sei besser, „in Ruhe zu prüfen, statt neunmalklug zu sagen, wir müssen alles ändern“.
Hört, hört.
Neben diesen denkwürdigen Worten war ansonsten aus der Bundesregierung das gleiche, nichtssagende Gefasel und Beschwichtigungs-Blabla wie immer zu hören, allen voran natürlich die Spezialdemokraten. „Heise online“ recherchierte dazu auch ausführlich die Totalausfälle „Datenschutzbeauftragter“ und die „Bundesnetzagentur“.
Neben vergleichsweisen kleineren Fällen von Spionage in Handelsketten wie „Lidl“, „Plus“ und „Edeka“, über die in der Presse zu lesen war, drängt sich vor allem der Vergleich mit dem in etwa zeitgleichen Spionage-Skandal der Telecom Italia auf.
Im Oktober 2006 war bekannt geworden, dass nach der Staatsaffäre um die Telecom Italia – praktisch jeder Prominente in Italien war 10 Jahre lang mittels eines “privaten Supergeheimdienstes” abgehört und bespitzelt worden – auch noch die Steuerdateien von Ministerpräsident Prodi und anderen Politpromis nach Belieben von “Unbekannten” direkt vom Finanzamt downgeloaded worden waren.
Tief verstrickt: der italienische Militärgeheimdienst SISMI.
Die SISMI spionierte ausserdem von 2001 bis 2006 via Telefon und Internet nicht nur jene Staatsanwälte aus, die gegen Berlusconi ermittelten sondern auch noch 203 Richter in Italien und in zwölf weiteren europäischen Ländern.
Nach Angaben des „Tagesspiegel“, der gestern von einem Skandal sprach „wie ihn Nachkriegs- und Nachwendedeutschland noch nicht erlebt hat“, sollen nun in den zurückliegenden Jahren in Deutschland „mehrere hunderttausend Verbindungsdaten aus Festnetz und Mobilfunk“ ausgeforscht worden sein, dazu möglicherweise Bankkontoinformationen.
Ungewohnt offen sprach der bürgerliche Tagesspiegel von einem „Monsterkampf“ und „permanenter Besserwisserei der Manager bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Brandstifterei“.
„Die Linke, die Lafontaines, auch die Wagenknechts, können rufen: Haben wir es nicht immer gesagt! Und was hat die ganz Linke immer gesagt? Macht korrumpiert, totale Macht korrumpiert total.“
A sentence to remember.
Wenn die aufziehende Staatsaffäre ein Gutes hat – zwischen Mächtigen im Allgemeinen wird vielleicht endlich aufgehört sinnlos zu differenzieren.
(…)
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