Baum (FDP) zu BND-Affäre: Bundesregierung log über weltweite Internetspionage
Der letzte liberale Bundesinnenminister der Republik seit über 26 Jahren, Gerhart Baum, hat die derzeit noch amtierende Bunderegierung aus SPD, CDU und CSU angesichts der nun bekannt gewordenen weltweiten Internetspionage des deutschen Auslandsgeheimdientes BND in über 2500 Fällen „in den vergangenen Jahren“ der Lüge gegenüber dem Bundesverfassungsgericht beschuldigt. Die Bundesregierung hatte während dem 2 Jahre dauernden Kampf für ihr BKA-Gesetz wiederholt in der Öffentlichkeit behauptet, die „Online-Durchsuchung“ genannte Internetspionage so aufwendig sei, dass nur von einer Handvoll Fälle pro Jahr auszugehen sei.
Diese offensichtliche Lüge hatte die Merkel-Steinmeier-Administration auch vor dem Bundesverfassungsgericht wiederholt.
Nun sei diese „Lügen getraft“ worden, so der ehemaligen Bundesinnenminister. Gerhart Baum klagt zur Zeit in Karlsruhe gegen das, nicht nur seiner Meinung nach, verfassungswidrige BKA-Gesetz mit seinen unfangreichen Exekutiv-Vollmachten.
Am 31.Januar 2007 hatte der Bundesgerichtshof per Urteil StB18/06 die Gesetzwidrigkeit von „verdeckten Online-Durchsuchungen“ festgestellt.
„Die „verdeckte Online-Durchsuchung“ ist mangels einer Ermächtigungsgrundlage unzulässig. Sie kann insbesondere nicht auf § 102 StPO gestützt werden. Diese Vorschrift gestattet nicht eine auf heimliche Ausführung angelegte Durchsuchung.“
Bereits zu diesem Zeitpunkt war klar, worum es Bundesregierung sowie Generalbundeanwältin Monika Harms wirklich ging: das Aufbrechen von Wohnungen ohne gerichtlichen Durchsuchungsbefehl und den kalten Putsch gegen das Grundgesetz. Unsere Verfassung garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung in Artikel 13, welcher nur durch einen Gerichtsbeschlus ausser Kraft gesetzt werden darf. De BGH in seinem Urteil:
„Eine offen ausgeführte Wohnungsdurchsuchung und Beschlagnahme des Computers mit anschließender Durchsuchung der Speichermedien gemäß §§ 98 ff., 102, 110 StPO, deren Voraussetzungen gegeben wären, ist nicht anzuordnen. Der Generalbundesanwalt hat ausdrücklich erklärt, dass lediglich eine verdeckte Online-Durchsuchung beantragt wird.„
Trotzdem erklärte im März 2007 das Bundesinnenministerium unter Wolfgang Schäuble, dass nach Rechtsauffassung der Exekutive die Geheimdienste, namentlich der Militärische Abwehrdienst (MAD), der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Verfassungsschutz, die Rechtsgrundlagen „für eine heimliche Informationserhebung mittels Online-Durchsuchung“ besässen.
Im Inland würde der BND von seinen Befugnissen aber keinen Gebrauch machen, so damals die Bundesregierung, ohne für diese Behauptung irgendwelche Belege zu liefern.
„Die Geheimdienste hacken bereits, ungeniert und unkontrolliert,“
so damals der Innenexperte der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Wolfgang Wieland. Er forderte die Bundesregierung auf, die Online-Durchsuchungen sofort einzustellen. Laut Wieland wurde damit Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) (sic!) verletzt, da es sich bei Online-Durchsuchungen auf Festplatten heimischer PCs um ein Eindringen in Wohnungen handelte.
Mit welcher Dreistigkeit die Parteien der Bundesregierung sich über Jahre dumm stellten und die Öffentlichkeit schamlos belogen, zeigte vor allem die SPD. Deren Innenexperte Dieter Wiefelspütz, eine fast unbeschreibliche Person, stellte sich am Mittwoch dem 25.April in die WDR-Sendung „Hart aber Fair“ und behauptete folgendes:
Er, Wiefelspütz, habe erst im Dezember 2006 von dem Mittel der Online-Durchsuchung überhaupt erfahren. Dann sagt er, mit den einleitenden Worten, „Ich hoffe, ich plaudere kein Staatsgeheimnis aus“: es sei bisher nur ein einziges Mal durch die staatlichen Behörden von dem Mittel der Online-Durchsuchung Gebrauch gemacht worden. Am gleichen Tag behauptet Wolfgang Schäuble, es habe es habe bis zum damaligen Zeitpunkt „deutlich unter“ einem Dutzend Online-Durchsuchungen gegeben.
Ob im Inland, wird allerdings nicht gesagt. Hinsichtlich des Internets gibt es das bekanntlich auch nicht.
Einen Tag später erdreisten sich SPD, CDU und CSU den „begründeten Eilfall“ zu erfinden, um einen „Online-Zugriff“ von Polizei, Geheimdiensten und Exekutivbehörden auf (biometrische) Passdokumente von 84 Millionen Deutschen zu erlauben – ohne Gerichtsbeschluss, ohne Kontrolle.
Auf die einfache Frage wie ein „Eilfall“ begründet sein kann ohne vor einem Gericht auch begründet werden zu können, kommt niemand. Ebenso spricht niemand über die zahlreichen Abkommen der Regierung mit den Geheimdiensten anderer Länder, mit denen willkürlicher Datenaustausch vereinbart worden ist.
Am 27.Februar 2008 erlaubt dann das Bundesverfassungsgericht in einem sehr weitgehenden Beschluss die Präventiv-Spionage und Totalüberwachung Einzelner, auch mit dem Mittel der Internetspionage, des heimlichen Wohnungsaufbruchs und anschliessender Video- sowie Audioüberwachung. Auch Daten aus dem intimsten Bereich „privater Lebengestaltung“ könnten erstmal erhoben werden, müssten nachher dann eben gelöscht werden. Und:
„Die Maßnahme kann schon dann gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft eintritt“
Auch ein Richter seit diesem, weithin völlig falsch eingeschätzten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 28.Februar 2008, nicht mehr zwingend gefordert um dies anzuordnen. Erst im Nachhinein müsse dies geschehen, so unser Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 1 BvR 370/07)
„Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 werden durch den Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder seinen Vertreter angeordnet, wenn eine richterliche Entscheidung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann. Die richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen“
Doch auch dieser Beschluss ging den Bundesbehörden immer noch nicht weit genug. Sie wollten eine Generalvollmacht – ein Ermächtigungsgesetz. Weiter wurde gelogen, dass sich die Balken biegen. Dabei entpuppte sich der Vorsitzende des Verfassungsorgans, dessen Aufgabe es ist das Bundesinnenministerium zu kontrollieren, als grösster Helfershelfer der Regierung bei der strategischen Errichtung eines faschistischen Polizeistaates.
Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des Innenausschusses, zeigte sich schon am 3.Januar 2007 dazu bereit Artikel 35 der Verfassung zu verändern um das Militär im Innern marschieren zu lassen.
„Es ist auch eine inhaltliche Differenz zwischen der SPD-Fraktion und dem, was Herr Schäuble will. Wir sind der Auffassung, dass ein Verwenden eines Flugobjektes zu einem Angriff nicht den Verteidigungsfall darstellt, sondern den Katastrophenfall. Der ist aber nicht dort geregelt, wo jetzt Herr Schäuble Änderungen vornehmen will, nämlich in Artikel 87 des Grundgesetzes, sondern in Artikel 35, und da sind wir bereit, im Lichte der Entscheidung von Karlsruhe auch eine Änderung vorzunehmen, die kann sich aber nur auf ein sehr enges Fenster beschränken, nämlich auf den Abschuss, da haben die Karlsruher Richter gesagt, das ist vertretbar, das kann man machen, wenn man das Grundgesetz entsprechend ändert, auf den Abschuss von unbemannten Maschinen oder von Maschinen, die nur mit Terroristen besetzt sind.“
Diese Form der wirren Abschussfantasien aller entführten und nichtentführten Vögel im Luftraum über dem Berliner Regierungsviertel toppte der stets angebräunte Innenheld Edathy mit einer Aussage vom 28.Februar 2008 – einen Tag nach der erteilten Vollmacht zur Präventivspionage durch Karlsruhe – indem er behauptete, bei den zu erwartenden „Online-Durchsuchungen“ rede man von einer „einstelligen Zahl pro Jahr„.
„Das ist kein Masseninstrument, sondern ein Instrument unter vielen anderen“,
so der parlamentarische Innenkontrolleur Edathy. Aber er begrüße, dass den weitergehenden Vorstellungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) „ein Riegel vorgeschoben worden“ sei.
Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast blödelte wieder einmal inkompetenten Schwachsinn daher. Sie begrüße das Urteil als unmissverständliches Signal, so Künast. „Der Kern der Privatsphäre muss auch im digitalen Zeitalter geschützt bleiben“, sagte sie vielsagend. Der Versuch der großen Koalition, Online-Durchsuchungen jetzt per BKA-Gesetz zu legitimieren, verstoße „eklatant gegen den Geist des Verfassungsgerichts-Urteils“. Offenbar hatte die vielbeschäftigte Grüne das Urteil nicht einmal gelesen.
Auf „Netzpolitik“ kann man jetzt noch in einem Audiomitschnitt anhören, wie dumm Bundesinnenminister Schäuble damals im Juni 2007 beim Thema Internetspionage tat, übrigens zusammen mit Bundesverfassungschef Heinz „Kronleuchte“ Fromm (SPD), bezeichnenderweise vor seinem Amtsantritt Leiter der JVA Kassel.
Im heutigen Artikel der „Netzeitung“ ist das ganze Elend und Gejammer des deutschen Parlamentarismus nachzulesen. Max Stadler, FDP-Obmann im sogenannten „Parlamentarischem Kontrollgremium“ – dem hilflosen, selten tagenden Witzverein ohne einen einzigen hauptamtlichen Angestellten, der aber mit 9 Mitgliedern sämtliche Geheimdienste Deutschlands „kontrollieren“ soll – zeigte sich irgendwie betroffen.
Er wolle in Sachen Internetspionage „den rechtsstaatlichen Standard neu per Gesetz definieren“. Eine allgemeine Generalvollmacht, auf die sich der BND berufe, entspreche „nicht mehr dem Stand der Debatte seit der Entscheidung des Verfassungsgerichts“, so Stadler.
Stand der Debatte? Rechtsstaatlichen Standard? Ist der Mann noch ganz dicht? Der BND hackt sich in 2500 Computer weltweit, in Afghanistan, im Irak, hier wird der Öffentlichkeit vorgegaukelt es gäbe im Internet „Ausländer“ („Ausinterneter“?) und der FDP-Obmann im Kontrollorgan über sämtliche Geheimdienste Deutschlands redet von „Stand der Debatte“, wenn es um die Durchsetzung unserer Verfassung geht??
Worum es ausserdem noch geht, zeigt folgendes, vorsichtig formuliertes Zitat im Artikel der „Netzeitung“:
„Nicht wenige IT-Experten gehen außerdem davon aus, dass deutsche Sicherheitsbehörden technisch gar nicht in der Lage, eine Online-Durchsuchung durchzuführen, ohne dabei die Wohnung des Verdächtigen zu betreten.„
Nun – dann werden sie es im Irak höchstwahrscheinlich auch nicht sein. Das aber nur am Rande.
Fest steht: die Bundesregierung hat das Bundesverfassungsgericht belogen und den Bundesgerichtshof ignoriert. Das hat sie laut Aussage von FDP und Linken auch im BND-Untersuchungsausschuss diesen Donnerstag schon getan, als sie durch einen „Verfassungsbruch“ und unter „skandalöser Missachtung“ des BGH nicht die Akten des Bundesnachrichtendienstes über Kontakte des US-Militärs zu BND-Agenten in Bagdad während der US-Invasion des Irak 2003 herausrückte.
Man fragt sich eigentlich nur noch – wer soll diese Bundesregierung und die ihr unterstellten Behörden an ihren ganzen illegalen Aktivitäten überhaupt ernsthaft hindern?
Das Bundesverfassungsgericht, was den Verfassungsfeinden in Regierung, Parteien, Militär und Überwachungsapparat ständig absurde Fristen lässt um ihre Operationen zu beenden und der Exekutive nicht ein einziges Mal zwingend und unnachgiebig Einhalt geboten hat?
Oder diese jämmerlichen Parlamentsausschüsse, die von allem nichts wissen was sie kontrollieren müssen, weil sie entweder sowieso korrupt sind und mit der Regierung unter einer Decke stecken, oder nie tagen, keine Infrastruktur und Personal haben und weglaufen wenn´s drauf ankommt?
Wenn das Parlament und die Gerichte, Legislative und Judikative, in diesem Kampf der Gewalten jetzt nicht gegen die Regierung durchzieht, dann wächst sich die Wirtschaftskrise zu einer Demokratiekrise aus.
Es wäre nicht das erste Mal in Deutschland.
(…)
Artikel zum Thema:
06.03.09 FDP und Linke zu BND-Irak-Affäre: Bundesregierung begeht „Verfassungsbruch“ durch „skandalöse Missachtung“ der Justiz
27.02.09 Schlag gegen Staatsstreich „Föderalismusreform“: Bundesverfassungsgericht setzt Grundgesetz auch in Bayern durch
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19.01.2008 Bayern,Putsch und BKA: Zitate über die Online-Durchsuchung
Artikel technisch aktualisiert am 26.04.2015. Der Inhalt wurde nicht verändert.