NATO-Krieg in Afghanistan unter deutscher Beteiligung und die grausamen Phosphorverbrennungen kleiner Kinder: das Schicksal der achtjährigen Razia

Der Krieg in Afghanistan, geführt unter dem Oberkommando der US-Streikräfte mit den verbündeten Allierten einschliesslich Deutschland gegen die unterschiedlichen einheimischen Widerstandsgruppen – zusammengefasst als Taliban bezeichnet – findet wie jeder Krieg auf dieser Welt Opfer unter der Zivilbevölkerung.

Je länger dieser Eroberungskrieg geführt wird, umso mehr erhöht sich der Widerstand der Bevölkerung gegen die Verursacher dieser Auseinandersetzungen um die Hoheit in der Region.

Die ständigen Berichte der Medien über Anschläge und Angriffe der Gegenparteien in allen möglichen Konfliktherden der Welt lassen die meisten Menschen abstumpfen, der Eine oder Andere hört gar nicht mehr hin.

Die Tragik für die Betroffenen erschliesst sich uns erst in der konkreten Schilderung einzelner Schicksale.

Die jüngste Bombardierung zweier Dörfer mit 147 Toten während eines US-Luftangriffes in der westlichen Provinz Farah brachte den größten Verlust zivilen Lebens in einem einzigen Angriff seit 2001.

Der Gouverneur der Provinz teilte gegenüber dem Sender Al Jazeera mit, das er über den Luftangriff nicht informiert wurde.(1)

General David McKiernan begründete diese Bombardierung der beiden Dörfer damit, das dort die afghanische Polizei durch Kämpfer der Taliban in einen Hinterhalt gelockt worden wäre und die US-Luftwaffe dieser zu Hilfe kommen sollte. Wie die Bomben zwischen Zivilisten, afghanischer Miliz und vermuteten Talibankämpfern unterscheiden können, sagt er nicht.

Nach Auskunft Abdul Rauf Ahmadi, Sprecher der Polizei für das westliche Afghanistan, wurden 30 mutmassliche Talibankämpfer getötet, die restlichen 117 Opfer sind zivile Bewohner der beiden Dörfer.

Die Bemerkungen und Vorwürfe, dass die „mutmasslichen“ Taliban die Menschen als Schutzschilde missbraucht haben, können keinesfalls als Ausrede für dieses Verbrechen gelten. US-Bomben auf bewohnte Dörfer zu werfen, um Gegner zu eliminieren, von denen man überhaupt nicht weiss, wo sich diese im Augenblick befinden, ist eine der grausamsten und feigesten Art der Kriegsführung. Völlig überraschte wehrlose Männer, Frauen, Kinder – einfach sinnlos ohne  Vorwarnung ausgelöscht!

Das Töten von Zivilisten in diesem Krieg wird billigend ohne Mitgefühl in Kauf genommen. Und es kommen Mittel zum Einsatz, die fürchterliche Wunden für die Opfer bedeuten: Weisser Phosphor.

Bericht von Human Right Watch vom 8. Mai 2009 über die Verbrennungen von Kindern „Afghanistan: NATO Should ‘Come Clean’ on White Phosphorus“

„Die NATO-Truppen in Afghanistan sollten sofort die Ergebnisse ihrer Untersuchung des Zwischenfalls vom 14.März 2009 der Öffentlichkeit bekanntgeben, bei dem ein 8-jähriges Mädchen in der Provinz Kapisa von Weisser Phosphor-Munition verbrannt wurde“, fordert Marc Garlasco, militärischer Senior Analyst (HRW).
„Weisser Phosphor verursacht schreckliche Verbrennungen und sollte in zivilen Bereichen nicht verwendet werden.“
Ein NATO-Sprecher bestritt die Vorwürfe des Vaters des Mädchens, dass die NATO-Truppen diese Phosphormunition abgeschossen hätten, die zu diesen Verletzungen führte.
Die Familie brachte das Mädchen am 14. März in die US-Militärbasis in Bagram zur medizinischen Behandlung aufgrund ihrer schweren Verbrennungen.
Die  Ärzte des US-Militärs  sagten, dass sie Weissen Phosphor im Gesicht und am Hals feststellen konnten.

Der Vorfall trug sich in Alahsay Kapisa Bezirk im Osten der Provinz zu, wo es im März zu einer Reihe von heftigen Feuergefechten zwischen NATO-Truppen und aufständischen Gruppen kam.

NATO-Beamte äusserten sich dazu, dass sie in ihren Aufzeichnungen keine Geschosse gefunden haben, die in der Nähe des Hauses gelandet wären, haben aber auch nicht bestritten, Weissen Phosphor in diesem „Engagement“!!! eingesetzt zu haben.
Zudem schlugen sie die Möglichkeit vor, dass die Taliban diese Geschosse abgefeuert haben könnten, haben aber keine Beweise für ihre Behauptung.

Heute hat die International Security Assistance Force (ISAF) Informationen veröffentlicht über die vier getrennten Ereignisse in der Zeit zwischen Dezember 2007 und Mai 2009, wo Aufständische Weisse Phosphor-Munition benutzt hätten.

Im Rahmen des humanitären Völkerrechts können Chemikalien wie Weisser Phosphor in militärischen Operationen und unter bestimmten Umständen wie eine Waffe eingesetzt werden.

Allerdings weist Weisse Phosphor-Munition als Brandbomben in ihrer Wirkung schwere Verbrennungen auf, es können Menschen, Felder, Gebäude und andere zivile Objekte in der Nähe angezündet werden.
Human Rights Watch ist der Auffassung, dass bei dem Einsatz von Weisser Phosphor-Munition in dicht besiedelten Gebieten im Rahmen des humanitären Völkerrechts alle durchführbaren Vorsichtsmassnahmen zur Vermeidung von zivilen Verletzungen und Verlust von Leben zu ergreifen sind.

Der Sprecher des Kommandeurs der NATO-und US-Truppen in Afghanistan, General Richard Blanchette, bestätigte, dass die Weisse Phosphor-Munition in Afghanistan eingesetzt wird.
Er sagte Human Rights Watch: „Wir zielen nicht mit Weissem Phosphor auf Personen, es ist eine konventionelle Waffe in den Arsenalen vieler Nationen, in der Regel für Screening, Kennzeichnung und Beleuchtung.“

„Die NATO hat den Vorfall bei Kapisa mit Weissem Phosphor nicht bestritten, auch hat sie keine Beweise dafür vorgelegt, dass die Aufständischen bei diesen  Gefechten damit gefeuert hätten“, sagte Garlasco. „Die NATO und die US-Streitkräfte müssen das Vertrauen der Menschen in Afghanistan erhalten, die bereits beunruhigt ist durch hohe Opfer unter der Zivilbevölkerung, dass diese Munition nicht rechtswidrig verwendet wird.“ (2)

Zur Erinnerung: Deutschland beteiligt sich in Afghanistan an diesem Krieg.

Bericht des Vaters über die Vorfälle am 14. März 2009

Bagram – Die achtjährige Razia spielte mit ihren Schwestern in ihrem Haus in der östlichen afghanischen Provinz Kapisa.
Plötzlich fiel ein Geschoss auf das Haus, das sofort in Flammen aufging.
„Die Kinder riefen mich, aber das Brennen nach der Explosion war so stark, und ich war für einen Moment taub und konnte nichts hören,“ sagte Razia Vater, Aziz Rahman.

„Und dann, meine Frau schrie „Die Kinder brennen“ und sie brannte auch“, sagte er, sein Gesicht trübte sich bei dieser Erinnerung.

Die Flammen, die Rahman und seine Familie verbrannten, hatten ihre Ursache in der Verwendung von Weissem Phosphor, eine chemische Substanz, die Verbrennungen bis auf Fleisch und Knochen hervorruft und die von den ausländischen Truppen eingesetzt wird.

Als Rahman sein Kind im Feuer sah, eilte er mit ihm auf den Hof, wo er die Flammen mit Wasser und Lehm gemischt löschte, der dort für eine neue Mauer gelagert war.
Ihr Haar war fort, hing in Klumpen in seiner Hand. Rahman rannte ins Innere des Hauses zurück und fand dort zwei weitere seiner Kinder, gestorben an ihren  Kopfwunden.
Er lud sich Razia auf dem Rücken und lief zu der Militärbasis, wo ein US-Soldat einen Lufttransport organisierte. Das afghanische Kind wurde in ein US-Krankenhaus auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram gebracht.
Colleen Fitzpatrick, ein US-Militär-Chirurg, bestätigte, dass das afghanische Mädchen durch Weissen Phosphor verwundet wurde und Verbrennungen von 40 Prozent ihres Körpers erlitten hatte.

Die Verbrennungen ihres Gesichtes waren so schwer, dass wir mehr als einmal Haut an die selbe Stelle transplantieren mussten, sagte Fitzpatrick.
„Sie wird nie wieder normal aussehen, aber es ist sicherlich noch zu verbessern, als es jetzt der Fall ist.“
Razia Gesicht ist fast unkenntlich durch das verbrannte Gewebe und die Hälfte ihrer Kopfhaut ist bald eine einzige Narbe.

Razia, die nicht wollte, dass von ihr Foto gemacht wurde, leidet psychisch als auch physisch.

„Meine Tochter ist wirklich sehr traurig und einsam und vermisst ihre Familie und die Mutter“, sagte Rahman.
„Wenn ich am nachmittag zu Hause anrufe, führt sie Gespräche mit ihrer Mutter und sagt immer: „Mama, ich vermisse dich“.(3)

Rahman sagte, das Geschoss, dass sein Kind verbrannt hat, landete nach einem Feuergefecht in der Nähe ihres Hauses.
„Eine feindliche kriegerische Gruppe, von der bekannt wurde, dass sie sich in diesem Bereich aufhält, könnte dafür verantwortlich gewesen sein“, sagte US-Major Jennifer Willis.

Die Taliban bestreiten jedoch die Behauptungen der USA: „Das ist nicht wahr, es ist nur eine bloße Behauptung“ sagte Sprecher Zabihullah Mujahid.
„Truppen auf dem Weg, die Taliban waren auf dem Berg, und wir waren in dem Haus, Sandwich zwischen ihnen“, sagte der Vater, der einen Teil seiner Familie verloren hat.
„Als die Taliban ihren Rückzug begannen, feuerten sie (Anm.: die Koalitionstruppen) Artillerie auf sie, 12 Salven. Eine davon traf mein Haus.“

Zaher Murad, Sprecher des afghanischen Verteidigungsministerium, erklärte dazu, dass die Regierung keine Kenntnisse davon hätte, dass die Taliban Weissen Phosphor in allen bisherigen Angriffen eingesetzt hätten.

Razia ist eine der Betroffenen unter Hunderten von afghanischen Zivilisten, gefangen in der sich steigernden Gewalt in vom Krieg zerrütteten Afghanistan.

Unsere Regierung – und mit ihr die Medien – wird sich hüten, solche Berichte über Afghanistan bekannt werden zu lassen.
Stattdessen schmückt man sich gern mit einer vielgepriesenen Aufbauhilfe, die allerdings mit diesem vielen unschuldig vergossenen Blut der Bevölkerung sich zum Absurdum entwickelt.

Eine Hilfe, wie sie gern dargestellt wird wie hier auf diesem Foto, dass ausgerechnet an diesem 14. März in Kapisa aufgenommen wurde, als das Haus der Familie von Razia in Flammen aufging:
   
Squad Leader für Kapisa / Parwan Provincial Reconstruction Team in Bagram Air Field.
Piloten und Soldaten vor einer Konvoi-Mission in Mahmood Raqi, Afghanistan, 14. März. Mehr als ein Dutzend PRT Mitglieder nahmen an der Mission teil, um mehrere koalitionsgeförderte Bauvorhaben zu besuchen und trafen sich mit gewählten Mitglieder des Rates „Entwicklung“ der Provinz Kapisa, um Fragen der Sicherheit und der Gemeinschaft betreffend zu erörtern.
(US Air Force photo by Staff Sgt. Jason Lake) (4)

Deutsche Truppen dürfen mit ihrer militärischen Beteiligung nicht weiter die auch durch ihre Anwesenheit ausgelösten Kämpfe in Afghanistan anheizen. Hinter jedem gemeldeten Opfer steht ein zerstörtes Schicksal eines Menschen und seiner Angehörigen. Die Beschreibung des Leidens des kleinen Mädchens Razia steht stellvertretend für alle in diesen Krieg hineingezogenen Menschen.

Eine ausschliesslich pazifistische Hilfe durch wirklich humanitäre Organisationen, die sich nicht in Ränkespiele und Ausspielen verschiedener Parteien vor Ort einlässt, ist das einzig Zulässige, was Deutschland Afghanistan geben kann.

So, wie die Lage sich bisher seit 2001 entwickelt hat, wurde das Ansehen unserer Republik mit dieser unseligen Beteiligung im Rahmen des ISAF-Mandates, eines sogenannten friedenserzwingenden Einsatzes, nachhaltig beschädigt.

Nach dem 2.Weltkrieg stand es für die Deutschen fest, dass nie wieder deutsche Waffen und Soldaten Tod über andere Länder bringen werden.

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06.05.2009 Neues imperiales Massaker in Afghanistan: Krieg im 8.Jahr
02.05.2009 Afghanistan: Orden für die Generäle, Wählerstimmen für die Minister, Gräber für das Volk

Quellen:
(1) http://english.aljazeera.net/news/asia/2009/05/20095771939244767.html
(2) http://www.hrw.org/en/news/2009/05/08/afghanistan-nato-should-come-clean-white-phosphorus
(3) http://www.islamonline.net/servlet/Satellite?c=Article_C&cid=1239888754555&pagename=Zone-English-News/NWELayout
(4) http://www.flickr.com/photos/35703177@N00/3360150571/