Die Militärbesatzung der Philippinen durch die US-Armee: eine unendliche Geschichte?
AUTOR: Roland G. SIMBULAN
Übersetzt von Einar Schlereth, lektoriert von Fausto Giudice
Die Anwesenheit schwer bewaffneter US-Soldaten selbst in entlegenen ländlichen Gebieten der Philippinen wird jetzt zu einem normalen Bestandteil örtlicher Szenerie.
Da wir im zehnten Jahr (1999-2009) des Visiting Forces Agreement (VFA, Abkommen für Streitkräfte auf Besuch) sind, stellen wir fest, dass dieser Vertrag die ländlichen Gebiete zu einer Feuer-frei-Zone für die sogenannten gemeinsamen Truppenübungen gemacht hat, wobei scharfe Munition und Artillerie benutzt werden, die unsere Leute und Kinder getötet, verletzt oder verstümmelt haben. Diese ausländischen Truppen betreten unser Land ohne Pässe oder Visen, ohne Kontrolle durch den Zoll oder Einwanderungsbehörden, ohne Quarantäne-Auflagen unserer Gesundheitsbehörden, ohne Führerscheine oder Registrierung zur Führung ihrer Fahrzeuge in unserem Land. Sie wurden weder für Mord, Vergewaltigung, Belästigung unserer Frauen, Misshandlung unserer Landsleute oder Zerstörung unserer Umwelt belangt. Ein Dokument, genannt ”Visiting Forces Agreement” hat ihnen das Recht gegeben, sich so zu verhalten.
Mehr als 40 000 US-Soldaten haben unser Territorium in mehr als 25 Provinzen auf diese Weise betreten, seit dieser Vertrag 1999 in Kraft trat. Sie kamen mit mehr als 78 Schiffen und Flotten, die mit Atomwaffen ausgerüstete Flugzeugträger, Kreuzer, U-Boote umfassen unter eindeutiger Verletzung der philippinischen Verfassung, die das Mitführen von Atomwaffen in allen Teilen des philippinischen Territoriums verbietet.
Das VFA ist heutzutage der anomalste Aspekt unserer auswärtigen Beziehungen, 17 Jahre nach der historischen Auflösung der US-Militärbasen 1992. Es ist ein schändliches Dokument, das zudem einseitig ist, da es nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Es besudelt den in der Verfassung vorgesehenen
”gleichen Schutz der Gesetze” durch die Tatsache, dass es ausländischen bewaffneten Truppen besondere Rechte und Privilegien auf dem philippinischen Territorium einräumt. Das VFA ist eine Schande für unser Volk, eine Travestie der Rechte unseres Volkes und der Herrschaft des Rechts. Deswegen fahren Philippiner aller Gesellschaftsschichten im ganzen Land fort, gegen diesen sogenannten Vertrag zu protestieren, so lange er in Kraft ist. Er erinnert uns daran, dass wir immer noch nicht wirklich souverän als eine Nation im eigenen Territorium sind.
Das VFA ist daher ein schlechtes Beispiel für weitere vorgeschlagene oder schwebende Militärabkommen mit anderen Ländern wie etwa der philippinisch-australische Status des Visiting Forces Agreement, das dem Senat vorliegt oder ähnliche Abkommensentwürfe mit Singapur und Neuseeland. Sie benutzen offenbar das VFA mit den Vereinigten Staaten als Modell.
Ist das VFA legal und verfassungsmässig?
Die Entscheidungen des Obersten Gerichtes von 2000 und 2009 erlauben eindeutig nur gemeinsame Truppenübungen wie Balikatan („Schulter an Schulter“) und gemeinsame Übungen kleinerer Einheiten. Sie erlauben keine Rechte auf Basen oder zu errichtende Installationen für vorübergehend die Philippinen besuchende US-Streitkräfte. Sie erlauben ebensowenig den US-Streitkräften, an Operationen zur Aufstandsbekämpfung im Lande teilzunehmen.
Protest gegen das VFA, 2008
Rechte auf Basen oder Privilegien
Aber seit 2003 haben Budget-Dokumente des US-Kongresses auf die Installation in den Philippinen von ”vorgeschobenen oder vorverlegten Operationsbasen” Bezug genommen. Sie sind von Herbert Docena, dem Forscher vom Focus on the Global South in mehreren Artikeln eingehend dargestellt worden (Docena, 2006). Die Einrichtungen für die US Joint Special Operations Task Force-Philippines [Eingreiftruppe für Sonderoperationen] (früher Operation Enduring Freedom-Philippines genannt], die jetzt das ganze Jahr über im Land stationiert ist, ist aufgestockt worden, indem das US-Verteidigungsministerium das Verteidigungsunternehmen Global Contingency Services LLC für 14.4 Millionen US$ (oder 650 Millionen Pesos) unter Vertrag genommen hat für den ”Basis-Ausbau” auf Mindanao. Diese bereits gebauten Einrichtungen werden von offiziellen US-Dokumenten selbst und in deren Pentagon-Lexikon als ”vorgeschobene Operationsbasen” oder ”vorverlegte Operationsbasen” beschrieben, insbesondere jene, die in verschiedenen Teilen von Mindanao innerhalb von philippinischen Armeestandorten errichtet wurden. In Wirklichkeit sind sie permanente Basen für Operationen, Unterstützung, Spionage und Training zur direkten Unterstützung der philippinischen Operationen zur Aufstandsbekämpfung. Ist dies wirklich erlaubt durch das VFA und vom Obersten Gericht der Philippinen?
Rolle bei der Aufstandsbekämpfung
Die Philippinen sind unter dem Deckmantel der Balikatan-Übungen als Laboratorium für die neuesten US-Taktiken und Strategien zur Aufstandsbekämpfung in den Philippinen benutzt worden, die später bei US-Militärinterventionen in anderen Ländern benutzt werden. Dies umfasst den ”security development approach” [Ansatz zur Sicherheitsentwicklung] bei der Aufstandsbekämpfung. Die traditionelle Rolle der US-Armee bei Übersee-Operationen umfasst ”das Training kleiner Einheiten örtlicher Streitkräfte, zivile Aktionsinitiativen, psychologische Kriegsführung”. Aber es gibt auch ”nicht-traditionelle” Operationen, die in Verbindung mit Agenturen für Entwicklungsbeistand, wie das US-Institute for Peace, das National Endowment for Democracy usw.umgesetzt werden.
US-General T. Galvin sagte bei einer Anhörung vor dem US-Senat aus, dass die US Special Operations Forces auch bei ”direkten Aktionen” eingesetzt werden, einschliesslich ”Kommando-Aktivitäten kleiner Einheiten”, bei denen ”Schnelligkeit und Überraschung … eine Rolle spielen, ansonsten stehen sie für Sicherheitsbeistand, Gefechtsinformationen und Kommunikation” (Galvin 1987). Oder sie können durch den Sonderbefehl 12333, der vom US Präsidenten 1980 erlassen wurde, bei geheimen chirurgischen ”Spezialaktivitäten” eingesetzt werden neben der Ausbildung von Regierungstruppen vor Ort als Mobile Training Teams (MTT).
Die US-Militärpräsenz in den Philippinen beruht vor allem auf heimlicher militärischer Beteiligung durch die US Special Operations Forces (SOFs), Geheimdienstorganisationen, die Central Intelligence Agency (CIA) und andere US Geheimdienste wie die National Security Agency (NSA) und das Federal Bureau of Investigation (FBI), die alle eine zentrale Rolle spielen. Weitere Agenturen sind die United States Agency for International Development (USAID) und das Peace Corps, das auf den ”Herz-und Geist-Ansatz” spezialisiert ist und sogenannte humanitäre und nicht-tödliche Hilfe leistet. Heimliche Aktionen umfassen unkonventionelle Kriegführung, Geheimdienst-und psychologische Operationen (psy-ops) in Zielgebieten wie etwa abgelegene Gebiete, die im Verdacht stehen, von ”Aufständischen kontrolliert oder beeinflusst zu sein”. Diese Aktivitäten liefern die grundlegenden Elemente zur Unterstützung der örtlichen Aufstandsbekämpfung.
Laut dem Visiting Forces Agreement werden ”dem US Zivilpersonal, das dem US Verteidigungsministerium untersteht” auch spezielle Rechte und Privilegien genau wie ihren uniformierten militärischen Partnern zugestanden. Deren Aufgabenbereich besteht aus ökonomischen, zivilen, diplomatischen und politischen Aktionen, die alle darauf abzielen, das politisch/psychologische (psy-ops) Ziel zu erreichen, die Basis der Unterstützung einer bestimmten Bewegung zu untergraben und ihre Glaubwürdigkeit und ihren Einfluss zu zerstören. Humanitäre oder zivile Missionen in Gestalt von medizinisch/zahnärztlichen Teams (MEDCAP), die angeblich menschliche Bedürfnisse befriedigen sollen, bezwecken, die örtlichen politischen Infrastrukturen zu unterwandern und die Ziele der psychologischen Operationen zu erreichen. Genau so heisst es in den US-Handbüchern für Aufstandsbekämpfung über diese ”nicht-tödlichen Instrumente” der Aufstandsbekämpfung und die Absichten mit diesen Aktivitäten (US Armee, 1975).
Deshalb sieht man jetzt US-Geheimdienstler und Spezialisten für Aufstandsbekämpfung unter dem Deckmantel der VFA unbehindert im Hauptquartier der Bewaffneten Streitkräfte der Philippinen und anderen AFP-Garnisonen ein und ausgehen. Sie liefern geheime Gefechtsinformationen sowie logistisch/kommunikative Unterstützung für örtliche Aufstandsbekämpfung-Operationen von grossen oder kleinen Einheiten.
Schauen wir uns nochmals die wirkliche Rolle der ”humanitären Missionen” des US Verteidigungsministeriums an. Im philippinisch-amerikanischen Krieg machte General Arthur McArthur (General Douglas McArthurs Vater, der in der US Armee bei der ”Pazifizierung” der Philippinen diente) die folgende offenherzige Aussage vor dem 57. Kongress der Vereinigten Staaten:
”Eins meiner Ziele war es, die Strassen für ausschliesslich strategische Ziele zu verbessern. Ich bekam für diesen Zweck eine Million $ in Gold. Welch zufälliger Nutzen für die Bewohner daraus entstand war natürlich die Konsequenz militärischer Notwendigkeit. Meine Absicht war es, die Strassen bei jedem Wetter passierbar zu machen, so dass wir, indem wir Truppen an zentralen Punkten versammelten und die Aussenposten mit Telefon anbanden, schnell vom Sammelpunkt an die äusseren Enden gelangen und somit vermeiden konnten, uns auf viele Posten zu verteilen.”
Die US Marines und Special Operation Forces liefern in der Tat Gefechtsinformationen und spy-ops bei der Durchführung von Infrastruktur-, zivilen und ”humanitären Missionen” mit USAID-Personal in vielen Teilen des Landes, wobei die VFA als Deckmantel dient. Und die philippinische VFA Kommision, die ursprünglich geschaffen wurde, um die Durchführung der VFA-Vorschriften zu überwachen und Verletzungen festzuhalten, ist lediglich zum wichtigsten Apologeten dieses drückenden Abkommens geworden und fegt ständig die unverschämtesten Verletzungen des Abkommens durch die US Streitkräfte unter den Teppich.
Widerstand gegen das VFA
Die Menschen von Mindanao, insbesondere in der Autonomen Region des moslemischen Mindanao, führen eine ununterbrochene Kampagne zur Beendigung der US Militärintervention – der offenen und verdeckten – in dem internen Konflikt, der lediglich die Situation auf der zweitgrössten Insel der Philippinen komplizierter gemacht hat. Kürzlich haben die Menschen der Bicol Region einen taktischen Sieg im Kampf gegen die Rückkehr der US Streitkräfte gewonnen, indem sie den Abzug von 6000 US-Truppen erzwangen und erreichten, dass sie stattdessen eine sogenannte 100-Mann-US-militärische ”humanitäre Mission” zu den Balikatan-Übungen schickten. BAN Balikatan [Bicolano Allianz gegen Balikatan] und die SUMABA KA [Frei heraus gesagt!] oder Sorsogon United Movement for Peace Against Balikatan [Vereinigte Friedensbewegung von Sorsogon gegen Balikatan] haben erfolgreich den Rückzug der BK ‘09 in eine defensive Position erzwungen. Eine Volks-Karawane, die durch alle Provinzen von Bicolandia zog, demonstrierte den starken Widerstand des Volkes gegen das VFA, das als Tarnung für die US-Beteiligung an der Aufstandsbekämpfung dient und zur Wiedereinführung von de facto -Rechten auf Basen im Lande.
Das philippinische Volk wird den Willen und die Entschlossenheit aufbringen, die fremden Truppen aus unserem Land zu jagen, wie es den Willen und die Kraft aufbrachte, die amerikanischen Militärbasen 1991 aufzulösen.
Balikatan 2009, Prof. Jocelyn Bisuna, BAN Balikatan
Hinweise
Docena, Herbert ”Unconventional Warfare. Focus on the Global South”, 2006. Siehe auch Docnea, Herbert ”At the Door of the East (The Philippines in United States Military Strategy)”
Galvin, T. General ”Testimony before the US Senate Committee on Armed Services, Feb. 23,1987”
United States Army ”Guide for the Planning of Counterinsurgency”, 1975, Department of the Army, Washington D.C.
Quelle: Bulatlat– Ten Years of the VFA: An Assessment
Originalartikel veröffentlicht am 30.5.2009
Über den Autor
Einar Schlereth und Fausto Giudice sind Mitglieder von Tlaxcala, dem Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt. Diese Übersetzung kann frei verwendet werden unter der Bedingung, daß der Text nicht verändert wird und daß sowohl der Autor, der Übersetzer, der Prüfer als auch die Quelle genannt werden.
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