Seemanöver, Militärstützpunkte und ein verschollenes Schiff
Im neuen portugiesischen Bermuda-Dreieck verschwindet plötzlich das russisches Frachtschiff „Artic Sea“ sang- und klanglos
Das russische Schiff „Artic Sea“, das der Reederei Solchart Arkhangelsk im russischem Archangelsk gehört und unter maltesischer Billigflagge die Ozeane durchschippert, scheint von einem eigenartigen Fluch verfolgt zu werden. Legenden über derartige Schiffe wurden in der Vergangenheit oft erzählt.
Eigentlich ist das Leben an Bord alles andere als aufregend, wenn es Wochen zu seinem Zielhafen unterwegs ist. Nicht neuerdings auf der „Artic Sea“.
Dabei besteht ihre Fracht aus einer simplen Holzladung, aber im Wert von 1,8 Millionen US-Dollar, die dem Papierhersteller Stora Enso Oyj gehört.
Das Holz, 4706 Tonnen, wurde im finnischen Hafen von Pietarsaari geladen und war für den Transport nach Algerien bestimmt und sollte dort am 4. August in dem Hafen Bejaja eintreffen.
Vor dieser Reise war das Schiff zwei Wochen zur Reparatur in Kaliningrad.
Das Schiff wurde am 24. Juli gegen drei Uhr im Morgengrauen mitten auf der Ostsee nordöstlich der schwedischen Insel Öland von acht schwarzgekleideten maskierten Piraten überfallen und war zwölf Stunden in ihrer Gewalt, berichten russische und schwedische Medien.
Solche Ereignisse erlebten ihre Hochkonjunktur in den Machtkämpfen um die Hoheitsansprüche der Gewässer seit den Fahrten der Wikinger, über die Ansprüche der Hanse und schliesslich bis ins 17. Jahrhundert hinein im Krieg zwischen Schweden und dem kurfürstlichen Brandenburg, indem noch vom Herrschaftshaus 1675 Kaperbriefe ausgestellt wurden. (1)
Der Chef des Bundeswehrverbandes Ulrich Kirsch bekommt eine Heidenangst vor dem erneut entflammten Piratentum in der Ostsee und verlangt von der Politik die Entscheidung zur unverzüglichen Aufrüstung der Deutschen Marine in den bis jetzt so friedlichen Gewässern
„auch vor der heimischen Küste Vorsorge zu treffen – und zwar schnell“. (2)
Ein erschreckender Gedanke, eine Badewanne voller Kriegsflottilien. Aber so kennt man halt das Militär, die Gelegenheit ist günstig – bedenkt man das um sich greifende „schröckliche“ Piratentum – und muss beim Schopfe gepackt werden.
Nur, hier sind sich diesmal alle beteiligten Anrainer einig, waren das keine Piraten, die auf Beutezug ausgefahren waren, sondern vermutlich Angehörige des organisierten Verbrechens, die wahrscheinlich Rauschgift gesucht hätten, vermutet die russische Presse und dass vielleicht ja alles nur Seemannsgarn gewesen sei. Das sie welches gefunden haben, darüber gibt es keine Meldungen. Möglicherweise sei Rauschgift auf der „Arctic Sea“ versteckt worden, ohne dass die Besatzung etwas davon gewusst habe. Andernfalls hätten sie kaum die Behörden über den Vorfall informiert, mutmasst das Fachblatt Morskoj Biulletin aus St. Petersburg. (3)
Die schwedische Polizei wurde von dem Überfall von der russischen Botschaft informiert, die wiederum von der Reederei in Kenntnis gesetzt worden war, die zuvor einem Mannschaftsmitglied informiert worden sein müsste.
Warum hat der Käpt‘n der „Artic Sea“ nicht sofort die Küstenwache informiert?
Allerdings seien weder der Kapitän noch die Matrosen bislang zu den Vorfällen in schwedischen Hoheitsgewässern befragt worden, schrieb die Süddeutsche am 1.August. (3) Das Schiff wäre nach dem Vorfall weitergefahren, und das, obwohl die fünfzehn russischen Besatzungsmitglieder schwer misshandelt, ernsthaft verletzt (6), einem drei Zähne ausgeschlagen und gefesselt worden waren. Dass ein Ärzteteam und Ermittler an Bord gekommen wäre, dazu findet man keine Berichte, obwohl doch mit äusserster Brutalität vorgegangen worden war.
Ganz im Gegenteil.
Ingemar Isaksson, der zuständige Chef der Ermittlungen sagte, dass die Reederei des Schiffs einen entsprechenden Bericht bei der russischen Botschaft in Helsinki abgeliefert hat. Die Behörden in Moskau hätten dann die Polizei in Schweden erst nach knapp einer Woche eingeschaltet. Es gab keinen direkten Kontakt mit der Besatzung, es gäbe viele offene Fragen. (11)
„Wir stehen vor einem Rätsel.“ (3)
Was macht eigentlich so ein Frachtschiff, wenn es ohne Besatzung auf dem Meer zwölf Stunden allein vor sich hinfährt? Denn das alle Mitglieder geschlafen, den Motor ausgeschaltet und „Anker geworfen“ haben, als nachts der Überfall stattfand, wird sicher ausgeschlossen sein im maritimen Transportgewerbe. Auch hier gilt: Time is Money!
Das Schiff fährt also ohne stattgefundene Untersuchungen zum Überfall weiter Richtung Spanien und wird von Augenzeugen in Frankreich und England sowie im westlichen Teil der Biskaya gesichtet, wie die russische Zeitung Fontanka gestern meldete, die sich auf die Angaben von „Sovfracht – Maritime Bulletin“ vom 30.Juli beruft. (4)
Dort wird berichtet, dass seit dem 28. Juli das Schiff von den Radaren verschwunden ist. Es gebe keine Funkverbindung und keine Angaben über seine Ortslage. (6) Der letzte gemeldete Standort des Frachters war in der See von Biskaya.
Die Experten sagen, dass die AIS-Station, die die Koordinaten des Schiffes überträgt, an einen Ort gebracht werden kann und das Schiff im Falle einer Entführung sich ganz woanders befinden könnte, zum Beispiel irgendwo in den Gewässern der Ostsee oder eine andere Strecke zum Arktischen Meer eingeschlagen haben.
Wenn im Laufe des gestrigen Tages keine Spur von dem Schiff auftaucht und sich keine Entführer melden, wird eine breitangelegte Suche im Atlantik angekündigt, Kontrollen von Schiffen im Sund, im Belt, im Ärmelkanal und Befragungen an alle Schiffe werden durchgeführt, um Informationen über verdächtige Aktivitäten auf diesen Routen zu erhalten.
Mikhail Voitenko, Chefredakteur des Sea Newsletter, der langjährige Erfahrung mit den Problemen der Piraterie besitzt, ist der Ansicht, dass die Übernahme des Schiffes in den Gewässern von Europa für kriminelle Zwecke nicht möglich ist. (5)
Die russische Marine ist so besorgt über das Ausbleiben eines Lebenszeichen des Frachtschiffes, dass sie sich nicht auf die europäische Amtshife vor Ort verlässt, die ja nach der Suche der Vermissten stattfinden wird. Das zu mindesten könnte man annehmen.
Ein Mitarbeiter des russischen Marinestabs sagte heute
„Zurzeit befinden sich vier Schiffe der Schwarzmeerflotte nahe Gibraltar, nach einigen Tagen werden sie sich der portugiesischen Küste nähern. Die Schiffe seien zum Ostseehafen Baltijsk unterwegs. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die den Auftrag bekommen, das Meeresgebiet abzusuchen, in dem die „Arctic Sea“ ihren letzten Funkkontakt hatte.“ (7)
Das ist ein erstaunlich präzises Zusammentreffen von Umständen. Vier russische Kriegsschiffe sind schon am Ort des Geschehens. Ihre geplante Heimfahrt wird jetzt verschoben, man bleibt lieber vor Ort.
Überhaupt wimmelt es zur Zeit im Mittelmeer von Schiffen der russischen Marine.
Die russische Kriegsmarine wird ihren einzigen Stützpunkt im Mittelmeer im syrischen Hafen Tartus ausbauen, insbesondere auch für den Kampf gegen Piraten.
In Tartus befinden sich ein Stützpunkt zur materiell-technischen Versorgung von russischen Kampfschiffen, der von 50 russischen Marinern bedient wird, sowie ein Werkstattschiff der Schwarzmeerflotte, das die Reparatur der anlaufenden russischen Schiffe sichert.
„In dieser Woche werden zwei Schlepper der Schwarzmeerflotte eine neue schwimmende Anlegestelle nach Tartus bringen. Der Stützpunkt wird die Schiffe, die Aufgaben zum Schutz der zivilen Schifffahrt im Raum des Hornes von Afrika erfüllen, mit allem Notwendigen versorgen“
sagte ein Vertreter des Hauptstabes der russischen Kriegsmarine.
Der Berater des russischen Verteidigungsministers, Igor Kassatonow, ehemaliger Befehlshaber der Schwarzmeerflotte, hat sich stets dafür stark gemacht, die russische Präsenz im Mittelmeerraum zu erweitern.
Die Stationierung von Schiffen in Syrien erweitert wesentlich die Möglichkeit eines operativen Einsatzes der Flottenkräfte. Denn sie könnten dadurch innerhalb von wenigen Tagen den Suez-Kanal und die Straße von Gibraltar erreichen und in den Atlantischen Ozean gelangen, meint Herr Igor Kassatonow. (8)
In portugiesischen Gewässern findet zur Zeit eine Übung im Rahmen der Standing Nato Maritime Group 1 (SNMG 1), einer der vier Einsatzverbände der NATO, statt. Am 8. August versammelten sich einige Teilnehmer in Lissabon, so der deutsche Betriebsstofftanker RHÖN, der zur Versorgung des multinationalen Verbandes mit Kraftstoff eingesetzt wird, die portugiesische Fregatte NRP ALVARES CABRAL und die Fregatte USS Stephen W. Groves. (9).
Neben zahlreichen anderen Manövern findet von Mitte September bis Anfang Oktober die Grossübung Loyal Midas 09 im Seegebiet von Spanien, Italien und Frankreich statt unter der Leitung des portugiesische Admiral Pereira da Cunha.
In einem fiktiven Szenarium üben Schiffe und Flugzeuge die gemeinsame Bewältigung einer politischen Krise. (10)
Vielleicht ist die ganze Geschichte um die „Arctic Sea“ – der den schwedischen Behörden eine Woche zu spät gemeldete Ostseeüberfall – der somit keinerlei Befragungen der weiter gefahrenen Besatzung und Ermittlungen zu den Hintergründen zulässt und das jetzige Verschwinden des Schiffes ein grosser Bluff der Russen und sie brauchen ganz einfach ein prominentes Alibi – ein unbekanntes Schiff ist da eher ungeeignet, um mit ihren vier Kriegsschiffen am Schauplatz so vieler interessanter Manöver dabei zu sein und irgendwie ihren Verbleib plausibel zu machen.
Auffallend ist, dass die Meldung über den Überfall in der Ostsee erst zwei Tage nachdem das Schiff verschollen ist, bekanntgegeben wurde.
Eine sehr mysteriöse Geisterschiffgeschichte allemal. Bleibt nur abzuwarten, ob und wann das Schiff wieder auftaucht.
Quellen:
(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Kurbrandenburgische_Marine
(2) http://www.nibelungen-kurier.de/?t=news&s=Aus%20aller%20Welt&ID=21664
(3) http://www.sueddeutsche.de/15I38U/2990129/Stoertebekers-Erben.html
(4) http://www.fontanka.ru/2009/08/10/031/
(5) http://www.fontanka.ru/2009/08/10/005/
(6) http://de.rian.ru/announcements/20090809/122628769.html
(7) http://de.rian.ru/society/20090810/122639620.html
(8) http://de.rian.ru/safety/20090720/122398654.html
(9) http://seefahrer.blog.de/2009/08/08/snmg-1-rhoen-6675989/
(10)http://www.marine.de/portal/a/marine/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKLNzKO9zYLBclB2SH6kXDRoJRUfW99X4_83FT9AP2C3IhyR0dFRQAz_uaJ/delta/base64xml/L2dJQSEvUUt3QS80SVVFLzZfMjNfMUZDTA!!?yw_contentURL=%2F01DB070000000001%2FW27UEEH3604INFODE%2Fcontent.jsp
(11) http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,639431,00.html