Zuerst die 18 Prozent
Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung, Bürgerrechte, kein Militäreinsatz im Innern, Korrekturen bei Hartz-Gesetzen, Abzug der Atomwaffen aus Deutschland – die FDP erhöht entschieden ihr Wählerpotential. Von der SPD redet niemand mehr.
Erstaunliches hörte man dieses Wochende von den Liberalen. In einem Interview legte FDP-Vorsitzender Guido Westerwelle die Vorhaben einer zukünftigen von der liberalen Bundestagsfraktion gewählten Regierung dar. Dabei stellte er den bisher als reine Regierungsabwinker fungierenden CDU-Parlamentariern deutliche Bedingungen.
Die FDP fordert ein „neues, faires Steuersystem“, sowie eine „Neuordnung der Bankenaufsicht“ unter alleiniger Kontrolle der Bundesbank (1). Damit erklärt Westerwelle der am 17.Oktober durch SPD, CDU und CSU in einem nie gekannten Eilverfahren geschaffenen Ermächtigungsinstitution „Soffin“ praktisch den Krieg.
Die „Soffin“ (2) kontrolliert 500 Milliarden Vermögen des deutschen Steuerzahlers, unterliegt keinerlei parlamentarischer Kontrolle und finanziert das unter 11 Regierungsjahren der SPD im Bundsfinanzministerium wild wuchernde Bankensystem. Nur 4 Personen entscheiden über die Verwendung dieser halben Billion Euro Vermögen. Zur Zeit sind das Jens Weidmann vom Bundeskanzleramt Angela Merkels (CDU), Axel Nawrath als Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums unter Peer Steinbrüc (SPD), Walther Otremba als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium unter Karl-Theodor zu Guttenberg, sowie ein Vertreter der Länder.
Laut der Verfassungsbeschwerde einer Gruppe von Anwälten und Jura-Professoren gegen die Schaffung dieser Ermächtigungsinstitution, gibt es im Soffin-Gesetz „Finanzmarktstabilisierungsgesetz“ – welches bekanntlich von Deutsche Bank-Vorstandsvorsitzenden Josef Ackermann und Commerzbank-Chef Martin Blessing mitverfasst wurde (3) – keinerlei Bestimmung über die Rückzahlung der 500.000.000.000 Euro an den Staat. (4)
Das dürfte für die Wähler der Republik auch insofern interessant sein, als die derzeitige von den SPD-, CDU- und CSU-Fraktionen im Parlament gestützte Regierung einen weiteren Ausverkauf unseres Gemeinwesens in Höhe von 329 Milliarden Euro in 2010 plant. Schuldscheine („Staatsanleihen“) auf Deutschland in dieser Höhe sollen zum Verkauf angeboten werden, abermals geht es um eine Finanzierung der globalisierten Banken (5).Wahrlich kein Grund SPD, CDU oder CSU dafür noch einmal zu wählen.
Auch die „Bankenaufsicht“ Bafin (6), die 2002 durch die Finanzgenies Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und seinen Finanzminister Hans Eichel (SPD) aus der Zusammenlegung der Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen (BAKred), den Wertpapierhandel (BAWe) und das Versicherungswesen (BAV) geschaffen worden war, würde dadurch praktisch entmachtet, ebenso wie das vorgesetzte Bundesfinanzministerium. Das muss allerdings für die Staatsbürger kein Nachteil sein.
Mittlerweile ist die Entmachtung des Staates in seiner Verflechtung mit den Banken selbst das kleinere Übel als das, was wir bisher verfolgen durften. In der unter SPD, CDU und CSU systematisch betriebenen Verschmelzung von Staat und Banken spielte das Gemeinwesen durch die Bank weg Blutinfusion am Ellenbogen der Finanzjongleure. Eine ganz normale Bankenpleite ist heutzutage im Kapitalismus weiter weg als die Vollbeschäftigung.
Der Staat, seine Vielzahl an Sekretären, seine Beamtenschaft und Angestelten sind so korrupt geworden, dass man ihnen möglichst viel aus den Händen reissen muss. Der Aufbau eines totalitären Systems durch den Staat ist eine real existierende Gefahr. Ihm auch noch die „Aufsicht“ über das Bankensystem zu überlassen, heisst das Problem nur noch schlimmer zu machen, denn es gibt keine Aufsicht über das Bankensystem. Es gibt nur die staatliche Finanzierung des Bankensystems, samt einer epischen Enteigung der gesamten Bevölkerung durch völlig unkontrolliert und mit Unterstützung der Bundes- und Länderregierungen agierenden globalisierten Geldschöpfer. Die Europäische Zentralbank EZB ist „unabhängig“. Das heisst, sie druckt sowieso so viel „europäisches“ Geld wie sie will und schüttet es den Banken in den Hals.
Der deutsche Staat hat keinerlei Kontrolle über das eigene Geld. Hier von „Bankenaufsicht“ zu sprechen ist sowieso ein Witz und dient nur der strukturellen Korruption in den Behörden.
Hilfreich wäre eventuell eine Informationspflicht der Banken gegenüber einem parlamentarischen Kontrollgremium, was nicht der Schweigepflicht in Angelegenheiten öffentlichen Interesses unterliegt. Das wäre das Mindeste: dass die Staatsbürger wenigstens erfahren, wie wenig sie gegen das „unabhängige“ Geldsystem zu melden haben.
Neben den finanzpolitischen Bedingungen an die CDU formulierte der FDP-Bundesvorsitzende Westerwelle eine sozialpolitische: das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger auf 750 Euro pro Lebensjahr zu verdreifachen (1).
Wer bereits lange unter den Armutsgesetzen und deren Zwangsverwaltung des eigenen Lebens existieren muss, dem wird das nicht helfen; wohl aber allen, welche Kapitalismuskrise und Bankenstreik nun aktuell in die Armut stürzen werden.
Wo die FDP bisher immer Wort hielt, dass will Westerwelle von der CDU nun schriftlich: keine Verfassungsänderung zwecks eines Militäreinsatzes im Innern. Mit der FDP werde es CDU und CSU nicht gelingen, „die Bundeswehr zu einer Art Hilfspolizei im Landesinnern zu machen“, so Westerwelle.
Als einzige Partei kann man der FDP abnehmen, dass sie bereits durch die Exekutive – gegen Karlsruhe, gegen das Grundgesetz, gegen die Bevölkerung – implementierte Massnahmen zur Errichtung eines Überwachungsstaates wieder zurückdreht und aufhebt.
„Die Vorratsdatenspeicherung muss auf den Verhandlungstisch.“
Allein für die seitens der Bundes- und Landesbehörden durchgezogene Inlandsspionage gegen die Deutschen – verdachtsunabhängige Kommunikationsüberwachung, strategische Videoüberwachung, Verkehrsüberwachung, automatisiertes Kennzeichenlesen, Kontenspionage, wildes Tauschen unserer Bürgerdaten auf den Datenbörsen weltweit, konsequent unter Missachtung von Grundrecht und Gesetz – würde dies einen schweren Schlag bedeuten; ganz zu schweigen davon, dass hier auch die Forderung nach Übernahme des Bundesinnenministeriums und Rausschmiss von Wolfgang Schäuble mitschwingt.
Während Merkel (mit dem ewig gleich entrückten Lächeln auf den Lippen) sich weigert gegen die SPD Wahlkampf zu machen und genauso wie diese auf eine Fortsetzung der „grossen“ Koalition setzt, machte der niedersächsische FDP-Vorsitzende Philipp Rösler zwar scherzhaft, aber eben deutlich, dass es sich beim laufenden Zusammenbruch der ehemaligen Sozialdemokratie um eine strategische Umwälzung der Machtverhältnisse innerhalb des etablierten Parteien-Spektrums handelt (7):
„Es wird ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und FDP. Wer hat sie zuerst, die 18 Prozent?“
so Rösler in einem dpa-Interview. Dass dies auch aussenpolitisch seine Wirkung nicht verfehlen wird – und vielleicht diesmal nicht mit irgendeinem versuchten Einmarsch deutscher Truppen irgendwo endet – versprach Westerwelle in einer aufsehenerregenden Ankündigung: er wolle mit der US-Regierung über den Abzug ihrer Atomwaffen verhandeln (8):
„In der kommenden Legislaturperiode wird Deutschland endlich atomwaffenfrei.“
Auch das wäre mal ein Anfang.
(…)
07.08.2009 CDU fordert schon wieder Militäreinsatz im Inneren!
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Quellen:
(1) http://www.zeit.de/newsticker/2009/8/15/iptc-bdt-20090815-14-22099812xml
(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Soffin
(3) http://www.radio-utopie.de/2009/07/31/die-hre-staatsaffaere-chronologie-eines-staatstreichs/
(4) http://www.fr-online.de/top_news/1618266_Juristen-stellen-sich-quer.html
(5) http://www.radio-utopie.de/2009/08/11/merkel-steinmeier-regierung-plant-weiteren-329-mrd-ausverkauf-der-republik/
(6) http://de.wikipedia.org/wiki/Bafin
(7) http://www.netzeitung.de/politik/deutschland/1433219.html
(8) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,642971,00.html