Eingeschränkte Solidarität beim Abzug
Afghanistan-Krieg: Die bewaffneten Parteien gehen, sich misstrauisch beäugend, schon mal diskutierend an die Rehling vom absaufenden Schiff. Keiner traut mehr dem anderen.
Am 6.August schrieb Radio Utopie, unqualifiziert und utopisch wie immer, „Afghanistan-Krieg vor dem Ende?“ (1). Einen Tag später erklärte der leitende Sicherheitsberater von US-Präsident, George Brennan, im Washingtoner “Center for Strategic and International Studies” das Ende des weltweiten Kriegs „gegen den Terror“. Am 19.August forderte dann die FDP einen „Rückzugsplan“ für die deutsche Besatzungsmacht in Zentralasien und versetzte die Sozialsoziopathie SPD in helle Panik, die wieder einmal ihren Spruch von „noch 10 Jahre“ Afghanistan-Krieg losliess und nach der Kanzlerin schrie, ohne dass es irgendetwas half.
Heute nun hatte man (im sicheren Heissluftballon leise vor sich hinwiehernd) den Eindruck, auf der Titanic flanierten die Paare und Diskutanten, unauffällig auf den unübersehbaren Eisberg am Horizont schielend, so ein bisschen über die Promenade, steckten sich gegenseitig ein wenig Leuchtspurmunition zu wenn grad nienand hinsah, rief hi und da irgendeinen Unsinn und lachte dann ein bisschen bemüht, während ringsum schon die dienstbaren Kofferträger zwischen den viel zu wenigen Rettungsbooten und der Luxusklasse hin- und herflitzten.
Die „Tagesschau“ (4), mit ihrem Redakteur Michael Götschenberg im MDR-Hörfunkstudio Brüssel, war da quasi direkt an der Quelle. Man hörte die Signale, das Täterä mit dem „vielen Dank nochmal“ und schrieb unter der vielsagenden Schlagzeile „Unterstützen bis zum Rückzug“:
„Letztlich verbirgt sich dahinter die Exit-Strategie der NATO: Die internationalen Truppen langsam aber sicher überflüssig zu machen, weil Armee und Polizei in Afghanistan selbst für Sicherheit sorgen können. „Das Ziel ist, dass wir Afghanen selbst in der Lage sind, uns gegen alle inneren und äußeren Bedrohungen zur Wehr zu setzen“, sagt auch der afghanische Verteidigungsminister Rahim Wardack. Er ist auf afghanischer Seite die treibende Kraft beim Aufbau der Armee.“
Über Wardacks ehrenwerten Marshall auf Lebenszeit, Generalissimus Abdul Dostum, schrieben wir bereits (3).
Die „Welt“ (5) der Springer wiederum verblüffte mit einem Martin Walser-Interview, in welchem dieser sagen durfte:
„Joffe wirft mir vor, dass ich den Afghanistankrieg mit dem Vietnamkrieg verglichen habe. Das sei ein uralter Trick der Rhetorik, mit Analogien etwas beweisen zu wollen. Was soll das? Warum sollen die beiden Kriege nicht miteinander verglichen werden? Es ist unheimlich schwer, aus Afghanistan wieder herauszukommen. Dieser Krieg hat die Tendenz, zu wachsen und zum Alltag zu werden. Die Sowjetunion ist an Afghanistan praktisch kaputt gegangen. Und wir haben das Beispiel Irak-Krieg. Ich verstehe diese ganzen Experten nicht, die einen Krieg beginnen, ohne zu wissen, wie man ihn wieder beenden kann.
WELT ONLINE: Anfangs erschien der Afghanistankrieg ja als der „richtige“ Krieg gegen den Terrorismus mit klarem Mandat und klaren Zielen, ganz anders als die Irak-Invasion, deren Rechtfertigungen von der amerikanischen Regierung zusammengelogen worden waren.
Walser: Ja, und deshalb nennt der Herr von Klaeden die Taliban „Verbrecher“. Der Krieg ist also ein „Einsatz“ gegen „Verbrecher“. Wer soll da etwas dagegen haben? Nein, nein. Auch in Afghanistan wird die Legitimierung des Krieges künstlich produziert.
WELT ONLINE: Siebzig Prozent der Bevölkerung sind gegen den Krieg in Afghanistan. Aber eine richtige Erregung darüber ist nicht zu spüren.
Walser: Es gibt heute keine Studentenbewegung. Ohne die Studenten wäre der Vietnamkrieg in den Sechzigerjahren auch hingenommen worden. Wie dem auch sei. Solange mir von der Politik kein Konzept angeboten wird, wo er hinführen soll und wie er beendet werden kann, so lange halte ich diesen Krieg für verderblich.“
Hört, hört.
Nun, im allgemeinen Trubel auf dem Promenadendeck schauten währenddessen die letzten Hinterbliebenen auf dem Kapitänsdeck verwirrt vor dem Ruder herum.
Irgendwie war da niemand.
Derweil hörte man Kapitän Merkel, sich wie immer strikt in der Mitte der bewegenden Masse haltend, vielsagend die ganze Debatte auf dem Deck kritisieren, weil ja die deutschen Soldaten – auf einmal – in einer „sehr schwierigen Situation“ seien und nicht etwa sie selbst (6):
„Es ist nicht hilfreich in einer für die deutschen Soldaten sehr schwierigen Situation, den Sinn des Einsatzes infrage zu stellen“
Vor ein paar Tagen hatte sich schon der ehemalige CDU-Verteidigungsminister Volker Rühe mit einem Rrrrums im Rettungsboot niedergelassen, als er – jetzt schon – den deutschen Besatzungskrieg in Zentralasien im 8.Jahr als „Desaster“ bezeichnete. Was blieb da dem Frank-Walter der deutschen Aussenpolitik anderes übrig, als eingeschränkte Solidarität mit den USA bei einem Abzug der Kampftruppen aus Afghanistan zu verkünden und beim üblichen Spruch mit den 10 Jahren noch eine SPD-Schippe oben draufzuwerfen?
„Ich rechne nicht damit, dass wir noch zehn Jahre oder länger in Afghanistan militärisch präsent sein werden.“
Derweil näselte der beste Verteidigungsminister aller Zeiten, Franz Jung (CDU), wieder den üblichen abgesprochenen Spruch runter, zurrte mürrisch den Gurt um das Ruder noch ein bisschen fester und rückte sich den Schwimmgürtel zurecht:
„Aus meiner Einschätzung brauchen wir dafür noch fünf bis zehn Jahre.“
Prompt setzte es dann was von der, wenn nicht Nach– dann doch mindestens Verfolgerin. Birgit Homburg, FDP-Militärexpertin, bezeichnete einen von 2001 bis 2019 dauernden Afghanistan-Krieg denn doch als irgendwie zu lang und schob den schwarzroten Peter dann elegant nach Brüssel und Berlin, so bekanntlich die gleichen Leistungsträger unsere Republik verbraten.
EU und Bundesregierung (wo bitte ist da der Unterschied?) hätten einfach nicht die versproche Unterstützung geliefert, so Homburg.
Derweil erzählte der „Focus“ (6) weiter Heldengeschichten des Einsatzführungskommandos (EinsFüKdoBw) in Potsdam nach. Deutsche „Ausbilder“ seien in ihrer Besatzungszone im Norden „55 Kilometer östlich des Ortes Meymaneh“ (geile Ortsbeschreibung) mit einer afghanischen Patrouille unterwegs gewesen und seien von afghanischen Aufständischen angegriffen worden. Ohne dass irgendwer verletzt worden sei, habe man dann drei Aufständische „in Gewahrsam“ genommen.
Vorgestern konnte man noch in der irritierten „Zeit“ (7) lesen, dass ein ähnlicher Buhei, von irgendeinem „Polizeisprecher“ der Drogenklinink Nordafghanistan in die Welt hinausgeblasen, entweder frei erfunden war oder das deutsche Bundesverteidigungsministerium „noch 10 Jahre länger“ plant keine Ahnung davon zu haben was in Afghanistan passiert. Zur Behauptung, am Donnerstag seien während der Präsidentenwahl deutsche Soldaten im Norden des Landes in schwere Gefechte verwickelt worden, hiess es aus dem BMVg:
„Dafür haben wir keine Bestätigung..In der Provinz Baghlan waren keine deutschen Soldaten an Gefechten beteiligt.“
Dabei hatte es vorgestern in der „Welt“ (8) noch gerattert und geschnattert wie im T-32.
„Soldaten der Bundeswehr und afghanische Sicherheitskräfte lieferten sich stundenlange Gefechte mit den Taliban..deutschen Soldaten..in Nordafghanistan in schwere Gefechte verwickelt..unterstützten afghanische Sicherheitskräfte nach einem Angriff der Taliban im Distrikt Baghlan Dschadeed..Bei den stundenlangen Kämpfen sind..“
– Pause –
„..nach Angaben der Polizei..“
– Pause –
„..21 Aufständische getötet und 22 weitere verwundet worden. Auf Seiten der Sicherheitskräfte seien der Distrikt-Polizeichef getötet und zwei Polizisten verletzt worden.“
Angesichts dieser Versprecher aus dem Bordlautsprecher natürlich ganz besonders gekniffen: Bündnis 90/Die Grünen.Schliesslich hatten sie 2001 ja das ganze Schiff mit auf den Weg gebracht. Sichtlich schwer hatte es da die zum Dementi geronnene Sorgenfalte Renate Künast, ein Auge immer Richtung Rettungsboot und bereit zum Sprung:
„Es wird schon noch einige Jahre dauern.“
Derweil zieht fröhlich ein Heissluftballon weiter seine Kreise, guckt mal hier, guckt mal da und reist in 80 Sekunden um die Welt.
Tucholsky hatte eben kein Internet.
update, 16.10 Uhr:
just heute Nachmittag, so ein Zufall, stellte sich nun Frank-Walter Steinmeier an die Rehling und verkündete, der Admiral hätte denn doch gesagt, man könne jetzt nach Hause.
Anders ausgedrückt: Steinmeier verlautbarte, US-Präsident Barack Obama wolle – für Oberqualifizierte völlig überraschend – „den Einsatz schnell und erfolgreich zu Ende bringen“ (9). Daher werde er, Steinmeier, sich nun im Falle eines Wahlsiegs der SPD für einen „“konkreten Fahrplan“ des Rückzugs der Bundeswehr aus Afghanistan aussprechen – allerdings ohne Rückzugstermin.
Weil sich sonst bis dahin die Taliban auf die Lauer legen könnten.
Ach die..
(…)
19.08.2009 FDP fordert “Rückzugsplan” aus Afghanistan-Krieg, Sozens in Panik
07.08.2009 Der Krieg ist aus!
06.08.2009 Afghanistan-Krieg vor dem Ende?
22.05.2009 DAS IMPERIUM WILL ZURÜCK: Duell um die Herzen und Köpfe dieser Welt
Quelle:
(1) http://www.radio-utopie.de/2009/08/06/afghanistan-krieg-vor-dem-ende/
(2) http://www.radio-utopie.de/2009/08/07/der-krieg-ist-aus/
(3) http://www.radio-utopie.de/2009/08/19/fdp-fordert-rueckzugsplan-aus-afghanistan-krieg-sozens-in-panik/
(4) http://www.tagesschau.de/ausland/afghanistan1158.html
(5) http://www.welt.de/kultur/article4369436/Warum-nicht-Afghanistan-mit-Vietnam-vergleichen.html
(6) http://www.focus.de/politik/deutschland/bundeswehreinsatz-merkel-kritisiert-afghanistan-debatte_aid_428179.html
(7) http://www.zeit.de/newsticker/2009/8/20/iptc-bdt-20090820-332-22152758xml
(8) http://www.welt.de/politik/ausland/article4363138/Deutsche-Soldaten-in-schwere-Kaempfe-verwickelt.html
(9) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,644415,00.html