Schweizer Parlament: Anti-Piraterie-Mission Atalanta ist einer Demokratie nicht würdig

Kleine Schweiz ganz gross: Atalanta heisst Solidarität mit einem „war on terror“ – Einsatz klar abgelehnt und deutlich als das benannt, was er ist: Krieg der NATO

Die Schweiz hat den europäischen Ländern bewiesen, dass man eine Politik betreiben kann, die sich nicht an den Interessen von Militär und Kriegsgewinnlern orientiert.
Deutschland und die anderen „Mächtigen“ in der Europäischen Union können sich hier – was Moral betrifft – eine Riesenscheibe abschneiden.

Die Schweiz bleibt sich in ihrem jahrhundertelangen Anspruch treu, die Neutralität zu bewahren und sich nicht an Kriegen zu beteiligen. Sie unterstützt diese auch nicht hinten herum, um den Schein zu wahren, indem sie auch keine zivilen und logistischen Aufgaben zu militärischen Aktionen unterstützt.

Erstaunlich war das Abstimmungsergebnis zu dem Einsatz von Soldaten zur Piratenjagd vor Somalia am 16. September des Schweizer Nationalrates.

103 zu 84 Stimmen bei 11 Enthaltungen

Dieses umwerfende Ergebnis der Abstimmung der Nationalratsmitglieder verdient es, besonders gewürdigt zu werden. (1) Es ist ein überwältigendes Bekenntnis gegen die Beteiligung am „Operation Navfor Atalanta-Einsatz“. Die Schweizer haben erkannt, dass es sich hier nicht um den Schutz von Seewegen handelt sondern um kriegerische Interessen. Deutschland ist natürlich wieder ganz vorn dabei, eine geopolitische neue Grossmachtsposition einzunehmen.

Der Nationalrat hat den Antrag gleich von Anfang an in der Eintretensdebatte entschieden abgewiesen und damit deutlich gemacht, dass man nicht bereit ist, über das Thema weiter zu diskutieren.

Bemerkenswert an der Abstimmung ist auch, dass hier nicht nach Parteizwängen votiert wurde. Jeder Stimmberechtigte hat nach seinen eigene Vorstellungen oder Gewissen entschieden.

Die Rechtsgrundlage im Militärgesetz ist klar ungenügend für diesen Einsatz, der nicht einmal auf einem UNO-Mandat beruht, sondern von der Nato übernommen wurde und nun unter EU-Kommando steht

heisst es in der Stellungnahmen ihrer Abgeordneten und weiter (2)

Militäreinsätze zwecks Unterstützung handfester Interessen der Grossmächte stehen in diametralem Gegensatz zum Schweizer Weg und schaden unserem Image als friedliches Land und unserer Verpflichtung als Depositarstaat der Genfer Konventionen.

Auszüge aus der Nationalratsdebatte (3)

„Wo war der Protest der Schweiz, als die äthiopische Armee im Auftrag der USA Ende 2006 völkerrechtswidrig ausgerechnet jene Regierung stürzte, die in wenigen Monaten eine Waffenruhe geschaffen, die Ernährungssituation verbessert und vor allem die Piraterie weitgehend zurückgedrängt hatte?

Atalanta heisst nicht Solidarität mit den Armen; Atalanta heisst Solidarität mit der Nato; Atalanta heisst Solidarität mit einem „war on terror“, der an Land gescheitert ist und jetzt vor der Küste Somalias weitergeführt werden soll.

Aber selbst wer der Meinung ist, Atalanta mache Sinn, steht vor der Frage, ob es Sinn mache, dass die Schweiz bei dieser Operation mitmacht – die Schweiz, ein Land, das seit 1847 zum Glück keine Kriegserfahrungen mehr sammeln musste; die Schweiz, ein Land, das nicht einmal über eine Kriegsmarine verfügt. Und nota bene würde die neutrale Schweiz das im Verbund mit Armeen tun, die sehr wohl über eine belastende, in Afrika unvergessene Kolonialvergangenheit verfügen.
Ist es nicht gescheiter, dass die Schweiz Somalia ihre zivilen Stärken zur Verfügung stellt – das humanitäre, technische, diplomatische und politische Friedenshandwerk?“
Josef Lang, Grüne Partei, Zug

„Wir riskieren, dass wir später einsehen müssen, dass wir den Karren vor die Ochsen gespannt haben, indem wir Atalanta genehmigt haben, ohne die gesetzliche Basis vorher entsprechend anzupassen. Wir werden selbstverständlich die Freiheit haben, dies hinterher zu korrigieren, aber dann wird das Übel angerichtet sein, und wir werden die Irrtümer verantworten müssen. Ein solches Vorgehen ist unserer Demokratie nicht würdig. Zuerst die rechtliche Grundlage, dann die Umsetzung.“
Yvan Perrin, SVP, Neuenburg

„Seit Jahrzehnten plündern Europäer und Asiaten die somalischen Gewässer. Die leergefischten Gewässer sind ein Grund für den Missstand, war doch die Fischerei für einen grossen Teil der Bevölkerung die Lebensgrundlage; ohne Fische keine Arbeit und keine Nahrung. Die Völkergemeinschaft, darunter auch die Schweiz, hat bei der Plünderung der Meere zugesehen, ohne einzugreifen, und zum Teil mitgemacht. Sie muss nun die Verantwortung wahrnehmen, die humanitäre Hilfe verstärken und Gewässer und Küste vom radioaktiven Unrat der Industrieländer, welcher dort bewusst versenkt oder 2004 durch den Tsunami angeschwemmt wurde, befreien.
Welche Rolle soll die Schweiz einnehmen? Ein Land sollte sich, wie eine Person, auf seine Stärken berufen und seine Energie gezielt und effizient einsetzen. Die Stärken der Schweiz liegen nicht bei der Kriegsmarine, da sind sich wohl alle einig, sondern bei der humanitären Hilfe und bei der Neutralität. Die Schweiz leistet in jener Region bereits zivile Hilfe im Umfang von 17 Millionen Franken jährlich. Zugegeben, angesichts des Elends handelt es sich dabei um einen Tropfen auf den heissen Stein, doch auch viele Tropfen führen zum Erfolg, und bei einem Verzicht auf Atalanta könnte man die Mittel für die humanitäre Hilfe verdoppeln.
Mit einer aktiven Unterstützung der Operation Atalanta würden die Neutralität der Schweiz gefährdet und unsere Ressourcen – es handelt sich immerhin um 17 Millionen Franken für nur ein Jahr – falsch eingesetzt.“
Anita Lachenmeier-Thüring, Grüne Partei, Basel-Stadt

Diese deutlichen Worte sprachen Volksvertreter, die diesen Namen noch verdienen!

Schweizer Geld für die „Atalanta“-Mission wird auch nicht an die Europäische Union fliessen. (4)

Am Sonntag, wenn die Deutschen über die zukünftige Politik ihrer Regierung und Parlament zu entscheiden haben, sollte neben den vielen Fehlentwicklungen, mit denen die Grosse Koalition unter der Merkel-Steinmeier-Führung unser Land an den Rand des Abgrundes brachten, auch an die Kriegspolitik derselbigen gedacht werden – und dass es auch anders gehen könnte!

Die etablierten Oppositionsparteien sind unter diesem Aspekt auch näher zu betrachten.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Winfried Nachtwei, kam gerade aus Kunduz zuück und wünscht sich weitere Aktionen in Afghanistan, das sonst „abrutscht“. (5) Zehn Millionen Euro soll die Bundesregierung zusätzlich ausgeben, um 2500 afghanische Polizisten im Norden zu stationieren. Mit dieser Forderung unterstützt er Brigadegeneral Jörg Vollmer. Das Geld wäre vergeudete Liebesmühe, denn die afghanische Polizei gehorcht den gleichen Gesetzen der Korruption wie Karzais Regierung, Stammesfürsten und die Warlords. Sie ist ein Witz, zusammengewürfelt rekrutiert und sorgt für „ihre“ Ordnung. Für die Bevölkerung wird sich gar nichts ändern in den Auseinandersetzungen, die nach der Wahl Karzais weiterhin stattfinden werden.

Weshalb hört man nichts von den Besatzungsmitgliedern der glücklich nach Hause zurück gekehrten entführten Stavanger?

Dieses Schweigen ist aussergewöhnlich. Was ist damals wirklich passiert?
Jedes kleinste Detail wird ansonsten medial breit getreten, um die Pirateriegefahr heraufzubeschwören.

Für Deutschland gilt nur eines, sich aus Afghanistan und „Atalanta“ gleich nach der Bundestagswahl zurückzuziehen. Das entscheidet übermorgen das deutsche Volk.

Artikel zum Thema

22.12.2008 Schweizer Neutralität: Endet sie bei den Somalia-Piraten?

Quellen:
(1) http://www.zeit-fragen.ch/ausgaben/2009/nr37-vom-2192009/klares-votum-fuer-die-humanitaere-schweiz/
(2) http://www.zeit-fragen.ch/ausgaben/2009/nr37-vom-2192009/nationalrat-lehnt-beteiligung-der-schweizer-armee-an-operation-navfor-atalanta-ab/
(3) http://www.admin.ch/
(4) http://bazonline.ch/schweiz/standard/Wir-sollten-uns-ja-nicht-ueberschaetzen/story/11654059
(5) http://www.ftd.de/politik/international/:aufstand-in-kundus-bundeswehr-verzweifelt-an-afghanistan/50013876.html

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