Gladio Berlin: Kaltduscher zwischen maple and marble
Im Teil I dieser (Roman-) Serie habe ich einige (zum Teil kaschierte) Fakten vorgestellt. Im diesem Teil möchte ich die Welt einmal aus der Sicht des Ahornblattes erläutern, welches ursprünglich in blauer Farbe, zwischen zwei blauen Balken, welche Atlantik und Pazifik symbolisieren, die Fahne Kanadas darstellen sollte. Dies gefiel Israel nicht, weshalb das Parlament der kanadischen Konföderation sich auf die Farbe „Rot“ besann, die Farbe der kanadischen Soldaten, welche in zwei Weltkriegen für King and Empire fielen.
Demis Turan erreichte Kanada Anfangs der Sechziger mit einem von der syrisch- orthodoxen Kirche gesponserten Schülervisum. Seiner Legende nach war Demis im griechischen Patras als Sohn einer Illegalen geboren, welche aus dem türkischen Südostanatolien stammte und der assyrischen, christlichen Minderheit des TurAbdin angehörte, die bei seiner Geburt verstarb. Aufgewachsen war er in einem Waisenhaus in Norddeutschland, wo er auch einen Schulabschluss gemacht hatte, der dem nordamerikanischen High School Abschluss entsprach, weshalb er, nach einem Leistungstest, gnädig Aufnahme in einem heute nicht mehr existierenden collèges d’enseignement general et professional in der Nähe von Saint-Jean-sur-Richelieu.im Centre-du-Québec fand.
Kaltduscher
Nicht etwa auf dem Royal Militäry College in Saint-Jean-sur-Richelieu, sondern auf einem von Jesuiten geführten „allgemein- und berufsbildenden College“, dessen Ziel es eigentlich sein sollte, seine Schüler (Studenten) zum Abitur zu führen.
Der erste Schock für Demis war die Gemeinschaftsdusche des Internats, den Warmwasserhahn suchte er vergeblich. Seine Mitschüler stammten alle aus kleinen Farmerfamilien und wenige dieser Farmen hatten damals eine Zentralheizung oder gar fliesendes, warmes Wasser.
Der zweite Schock war die Sprache – von wegen Französisch – gesprochen wurde ein Kreolisch, aus einem Altfranzösisch und Englisch, welches die Einheimischen „le Québécois“ nannten.
Jacques de tolérance
Der dritte Schock wog erheblich schwerer. Was der Direktor des College, der Jesuitenpater Jacques unter einem „Junior- College“ verstand, welches eigentlich den Schülern die Lehrinhalte des Advanced Placement Programm vermitteln sollte, welches mit dem scholastic Assessment Test (SAT) endete – dem nordamerikanischen Abitur – entsprach eher der Qualität einer deutschen Gewerbeschule, an der Hilfsmechaniker für land- und forstwirtschaftlichen Maschinen ausgebildet wurden, weshalb Demis ihm auch bald den Nickname „Jacques de tolérance“ gab, in Anspielung an den Begriff „maison de tolérance“ (Bordell), da dieser das Schulsystem zum Bordell seiner persönlichen Vorstellung gemacht hatte.
Dieser leicht homophil angehauchte „Knabenfreund“ handelte aus der tiefsten Überzeugung heraus, das er das Optimale für die berufliche Zukunft seiner Schüler tat, welche auf Grund ihrer Herkunft ohnehin nur eine berufliche Zukunft als „halbqualifizierte“ Landfacharbeiter hätten, da sie sich ein Universitätsstudium ohnehin nie leisten konnten. Tatsächlich war der berufliche Traum seiner Mitschüler der Job des „Gipfelfällers“, also eines Holzfällers der die Baumgipfel fällte. Ein sehr gut bezahlter Job, mit dessen Einkommen damals das Gehalt eines Ingenieurs nicht mithalten konnte. Kaum einer ahnte, dass zwanzig Jahre später die schweren Harvester- Baumerntemaschinen diesen Job obsolet machten.
Tätlicher – Angriff und Kriminalisierung
Was diese Weiberrock tragenden Möchtegern-Pädagogen unter ihrem Job als Lehrer verstanden erfuhr Demis nur vierzehn Monate später, nachdem er „Jacques de tolérance“ cora publica zwei gescheuert hatte, weil dieser (rein zufällig natürlich) den Oberschenkel mit dem Schritt – bei einer behaupteten Hilfestellung beim Turnen – verwechselte.
Jacques de tolérance erstatte Strafanzeige wegen „Tätlichem Angriff“. Demis konterte mit einer Gegenanzeige wegen sexueller Belästigung und Beleidigung und akzeptiere amüsiert den Schulverweis.
Zum Ärger seiner Auftraggeber verlies er die Provinz Quebec, um sein College- Studium an einem Junior- College in der Bundeshauptstadt Ottawa fortzusetzen, in der weisen Voraussicht, das bei ihm die Dinge nicht anders verlaufen würden als bei ehemaligen Mitschülern, von denen man ihm erzählt hatte, die nach einer solchen Anschuldigung gegen ein Mitglied des Lehrkörpers – aus unerfindlichen Gründen – alle in einer Besserungsanstalt oder im Knast gelandet waren.
[Über das Sanktionssystem nordamerikanischer Schulen sollte ich vielleicht einmal eine eigne Serie schreiben – was für uns Belustigung ist, weil Unvorstellbar, ist dort der Schüleralltag.]
Ein anderes Kanada
Wer aus dem frankophonen „Lower Canada“ kommend den Ottawa River damals überquerte, um künftig im weltoffenen, anglophonen „Upper Canada“ zu leben, glaubte in den Sechzigern in eine neue Welt zu kommen.
Der juristische Ärger mit diesem „Knabenfreund“ beendete ein Machtwort des Bischofs der syrisch- orthodoxen Kirche Kanadas, der seine katholischen Glaubensbrüder ohnehin nur verächtlich als Papisten bezeichnete. Als Sanktion für Demis zog er die kirchliche Bürgschaft für das Schülervisum zurück, da nach seiner Meinung derartige Probleme auch ohne Ohrfeigen (für einen Priester) zu lösen waren.
„Wir bitten Sie das Land umgehend zu verlassen ….ihr ergebener ….“ stand in den in englischer Sprache gehaltenen Briefen der Einwanderungsbehörde, die Demis ignorierte, wissend, das die staatliche Drohgebärde spätestens nach dem vierten Schreiben ihr Ende automatisch fand. Er war längst im Besitz eines kanadischen Führerscheines, den er noch auf dem Jesuiten- College mit Sechzehn gemacht hatte und hatte einen der neuen Sozialversicherungsausweise. Eine Meldepflicht gab es nicht, weshalb die Behörde ihn „gern haben durfte“. Seine Auftraggeber zogen seinen deutschen Reisepass ein und händigten ihm diesen nach vierzehn Tagen wieder aus, mit einem Einwanderungssichtvermerk des Migrations- Office München.
Parallelen der Stadtguerilla
Es ist kein Zufall, das ausgehend von den Tupamaros ( Montevideo) der bewaffnete politische Kampf sich weltweit in bestimmten Regionen in den Sechzigern und Siebzigern ausbreitete. Die Bewegung 2. Juni nannte sich in ihren Anfängen sogar noch 1970 „Tupamaros West-Berlin“.
Die Strategie der Tupamaros hatte bereits Anfangs der Sechziger das frankophone Nordamerika erreicht und nannte sich dort FLQ (Front pour la Libération du Québec), welche ohne Zweifel eine marxistische Organisation war. Der bewaffnete Kampf der Québécois hatte eine lange Tradition, welche letztmalig in der Rebellion von 1837 zum Ausbruch kam.
Die so genannte Révolution tranquille (die stillen Revolution) der Liberalen, welche 1960 endlich die absolute Mehrheit dieser unheiligen Allianz zwischen Konservativen und der Katholischen Kirche brachen, kam zu spät.
Wer nicht miterlebt hat, wie knapp Bargeld bei der einfachen Landbevölkerung der kanadischen Provinz war und welches ungeheuerliche finanzielle Opfer alleine das Schulgeld für die Pflichtgrundschule für die meisten, sehr Kinderreichen Familien darstellte, kann sich die Ursachen dieses bewaffneten Kampfes kaum vorstellen.
Den Erlös der Ernte der kleinen Farmer (heutige Durchschnittsgröße etwa 90 Hektar), fraß die Steuer, das Schulgeld und die Kosten der medizinischen Behandlung erkrankter Familienangehöriger auf. Eine primitive Infrastruktur (Feldwege, die großspurig Straßen genannt wurden) sorgten dafür, das die vielen Zwischenhändler an der Ernte mehr verdienten, als die Farmer.
Das Schulgeld für die Grundschule war infolge der Révolution tranquille entfallen, eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung befreite die Menschen von der Geisel „Krankenbehandlungskosten“.
Eine Zukunft gab es für die Jugend des ländlichen Raums in Lower Canada trotzdem nicht. Nun war Bildung kein Privileg mehr, dafür gab es keine Jobs für diese gut ausgebildete Jugend, welche in Scharen in das anglophone Upper Canada auswanderten. Zurück blieben die Alten und die „Hoferben“. Eine Entwicklung, welche unschwer an der Geburtenstatistik abgelesen werden kann. Die Frankophonen waren infolge der stillen Revolution nicht „Lendenfaul“ geworden, die Zeugungsfähige Generation verlies das Land.
Parallelen zu West- Berlin
Es ist kein Witz, wenn ich behaupte, dass die Situation in Quebec der in West- Berlin sehr ähnlich war, im Sinne einer konspirativen Solidarität. Wer damals in das Cafe Kranzler kam, fand an einem Tisch mit drei Personen insgesamt 210 Lebensjahre vertreten. Die politische Einstellung der Mehrheit der (überalterten) Bevölkerung war offiziell streng Antimarxistisch.
Ein Antikommunismus, der geprägt war von der Anti- Bolschewistischen- Erziehung während der Nazi- Zeit, der Berlin Blockade (vgl. Luftbrücke) und der Angst überrannt zu werden.
Gleichzeitig war dieses West- Berlin ein Sammelbecken all der jungen Menschen aus Westdeutschland, welche sich der Wehrpflicht entzogen hatten.
Der Mauerbau und die Läufer
Viele junge Menschen aus Westdeutschland, meist Studenten, welche nur deshalb nach Berlin gekommen waren um fern der verhassten Wehrpflicht leben zu können, wohnten im billigeren Ostberlin. Der Schock dieser Menschen am 13. August 1961, dem Tag, an dem die Sektorengrenze zum russischen Sektor der Stadt abgeriegelt wurde, können wir uns heute sicherlich nicht mehr vorstellen. Immatrikuliert an der FU, geboren in Danzig, über Nacht Bürger der DDR.
Eine ungeheuere Welle der Solidarität schlug diesen Ausgegrenzten entgegen. Ad Hoc bildete sich eine Fluchthilfeorganisation an der FU. Freiwillige (Läufer) brachten den Ausgegrenzten Ausweispapieren, meist von Kommilitonen aus Österreich und der Schweiz, welche diese berechtigten nach West- Berlin umzuziehen, oftmals unter Zurücklassung von allem Hab und Gut.
Dies war kein ungefährlicher Job, so mancher „Läufer“ endete im DDR Knast. Diese erste Phase der Hilfsbereitschaft endete im November 1961. Die DDR hatte die Grenzkontrollen in den Griff gebracht. Die Zeit der Dillitanten in der Fluchthilfe war vorbei.
Es kam die Zeit der Profis, welche von der idealistischen Fluchthilfe, über die CDU- Betonfraktion zum Berliner Bankenskandal führte und damit zurück zum eigentlichen Thema der Serie, zu einer merkwürdigen Verbindung des roten und des schwarzen Filzes, eines politischen Thrillers unserer Tage.