Wendepunkt in Bratislava: der Asienkrieg kommt zum Stehen
Nato-Konferenz: Die Besatzungsmächte schicken keine neuen Truppen nach Afghanistan, die deutsche Regierung wird keine Erhöhung der Bundeswehr-Truppenstärke im neuen Isaf-Mandat versuchen. Diese Entwicklung ist eine Folge fundamentaler Veränderungen in den Gesellschaften der Nato-Mitgliedsstaaten, sowie in der Weltpolitik insgesamt.
Auf ihrer Konferenz im slowakischen Bratislava haben die Mitgliedsstaaten des Atlantikpaktes keine weitere Truppenerhöhung in Afghanistan beschlossen (1). Dafür sollen örtliche Armeeeinheiten und Polizeikräfte durch die Besatzungsmächte ausgebaut und unterstützt werden. Afghanistan-Kommandeur General Stanley A. McChrystal erschien unangekündigt, um sich vor den Verteidigungsministern der Nato-Staaten für seine Forderung nach mehr Truppen in Afghanistan stark zu machen. Allein von seiner zivilen Regierung in Washington verlangt er seit Monaten öffentlich 40.000 neue Soldaten. Es nützte ihm nichts.
Was Deutschland angeht, äusserte der demnächst aus dem Amt scheidende Verteidigungsminister Franz Jung die Absicht der künftigen Berliner Regierung beim Parlament keine Erhöhung der Truppenstärke in Afghanistan zu beantragen (2). Das Isaf-Kriegsmandat, welches am 13.Dezember ausläuft, definiert z.Z. die Obergrenze bei 4500 Soldaten.
Die Nato-Konferenz in Bratislava markiert in mehrfacher Hinsicht einen Wendepunkt.
Zuerst ist die Dynamik des Asienkrieges, mit seinen „asymmetrischen“ Wucherungen und Übersprüngen nach Pakistan, Iran und die westchinesischen Provinzen gebrochen. Allein das nicht, wie in den letzten 8 Jahren, systematisch die Anzahl der (regulären) Besatzungssoldaten weiter ausgebaut wird, verändert die Situation. Die Eskalation äusserer Kriegführung war und ist zwingende Voraussetzung für die weitere Militarisierung der kriegführenden Staaten im Inneren, mithin für die Transformation dieser zu monolithischen, erstarrten Gebilden eines Kontrollstaates, uneingeschränkt durch fundamentale Rechte seiner Bürger, welche wiederum ausschliesslich frei zur Ausplünderung durch wirtschaftliche und politische Oligarchien sein sollten.
Das Ende dieser Dynamik der inneren und äusseren Kriegführung bedeutet einen schweren Rückschlag für die Kriegsparteien in den beteiligten Staaten, sei es im sicherheitsindustriellen Komplex, in den politischen Oligarchien, in der involvierten Medien-Lobby oder in religiös-ideologischen Gruppen. Die Strategie des am 11.September 2001 begonnen Krieges, der von Anfang an einen weltweiten Zusammenhang ergab, verglich der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld einmal mit Fahrradfahren. Hält man an, muss man absteigen. In diesem Kontext ist die Entwicklung zu verstehen.
Zweitens markiert diese Entscheidung der Nato-Konferenz einen Zusammmenbruch der Moral der Kriegsparteien. Trotz praktisch unbegrenzter finanzieller, personeller, medialer, industrieller sowie militärischer Kapazitäten und Ressourcen konnte man sich – in den „eigenen“ Ländern – nicht gegen gesellschaftliche Entwicklungen und Mehrheiten durchsetzen, die von zunächst stigmatisierten Einzelpersonen, Initiativen, Gruppen und schliesslich Bewegungen bewirkt wurden. Der Glaube an die eigene, quasi natürliche Überlegenheit war von Anfang an entscheidende Triebfeder für das innere Korsett ausführender bewaffneter Gruppen in Militär, Nachrichendiensten und Polizeikräften im Krieg. Diese innere Sicherheit, in den sich allmächtig wähnenden Mitgliedern des Ausführenden Staates, ist zusammengebrochen. Der Sicherheit im Inneren der kriegführenden Staaten wird dies nützen. Vorschriften werden wieder gelesen, Nachrichten weniger gemacht als vielmehr gefürchtet und die eigentliche Arbeit, im Sinne des gesellschaftlichen und durch die Allgemeinheit finanzierten Auftrages, wird wieder mehr gemacht werden als vorher.
Drittens verliert der Militärpakt Nato nun Ballast, den sogar er nicht braucht: Bürokraten. Im Weitesten Sinne fallen darunter auch die ganzen Konzepteschreiber, Berufspropheten und Kontakte-Sammler in den „Think Tanks“, einer ganzen Generation von herangezüchteten Nichtstuern ohne Risiko, welche als Beisitzer der Realität sich jahrzehntelang einbilden durften diese zu bestimmen; denn es gab tatsächlich innerhalb der (immer noch) zivilen Nato-Staaten genügend Leute in der Politik die dumm genug waren solche Gedanken-Dienste nicht nur in Anspruch zu nehmen, sondern sich ihnen regelrecht zu unterwerfen.
Zwei Äusserungen, unauffällig geparkt und wohl auch nicht verstanden hinter publizistischer Nebelwand, deuten in diese Richtung.
Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen , äusserte sich vor der Konferenz der Verteidigungsminister der Nato-Staaten in Bratislava wie folgt (3):
„Wir müssen auch unsere Kommandostruktur und unsere Hauptquartiere modernisieren. Was unsere militärischen Hauptquartiere betrifft, so sehe ich da Potenzial für Rationalisierung.“
Der Abteilungsleiter für internationale Fragen im US- Verteidigungsministerium, Alexander Vershbow, äusserte sich bereits am Donnerstag ebenfalls in diese Richtung (2). Falls die Gesellschaften in den Mitgliedsstaaten des Militärpaktes nicht ständig immer mehr Geld für Militär, Waffen und Kriegsindustrie ausgeben wollten,
„dann müssen wir nach anderen Wegen suchen, die Effizienz zu steigern. Es könnte sein, dass die Kommandostruktur verschlankt werden kann und wir damit Ressourcen für wichtigere Aufgaben freisetzen.“
D.h., die gesellschaftlichen Entwicklungen in den Nato-Staaten zwingen den Militärpakt nun zu einem Abbau des Bürokratie- und Militärapparates. Da sich die Nato auch als „zivile“ Organisation begreift, wird dies auf verstärkte diplomatische Aktivitäten hinauslaufen – vor allem untereinander. Die Fliehkräfte in dem 60 Jahre alten Militärblock des Westens machen dies auch notwendig. Die Selbstbeschäftigung der Nato wird zunehmen. Auch das ein gutes Zeichen für die Welt und ihre „Zivilisten“. Vorgesehene grossartige Expansionsträume abgehalfteter „Think Tanks“ Richtung „weltweiter Militärmacht“, etwa mit einer Nato-Mitgliedschaft Japans, Brasiliens, Australiens, Südafrikas oder gleich aller Staaten der in der Geldkrise konstruierten „G-20“, können als Political Fiction abgehakt werden.
Kommen wir mal zum entscheidenden Faktor für diese doch sehr positiven Entwicklungen. Dieser lässt sich leicht zusammenfassen: es handelt sich bei diesem Faktor um den Zusammenbruch des weichen Unterleibs der Nato – der deutschen Kriegspartei „SPD“.
Die Machtbalance im gesamten Westblock, sein Militärapparat, seine Kriegführung, seine militärisch-industrielle Lobby, sein Spionage- und Kontrollapparat, seine gesellschaftlichen Macht- und Finanzeliten, die Kontinuität der wirtschaftlichen, kulturellen und informellen Monopole, ausgeübt durch ein paar Hundert Familien, sind unauflöslich und elementar mit der Kontrolle über die Deutschen und die Berliner Republik verbunden.
Die Kontrolle über die Deutschen und die Berliner Republik aber ist elementar mit der Kontrolle über die Partei „SPD“ verbunden. Noch hält diese Kontrolle. Und noch existiert diese Partei.
Wenn die Kontrolle der weltweit operierenden und international denkenden Machteliten über die „SPD“ verschwindet, verschwindet auch ihre Macht. Verschwindet die „SPD“, ergibt sich das gleiche Bild.
Natürlich wird sich die Kriegslobby wehren. Natürlich werden international weiter Spannungsfälle provoziert und Attentate unter falscher Flagge durchgeführt werden. Natürlich wird versucht werden, die Armeen von Staaten gegeneinander in Bewegung zu setzen. Doch vorher braucht man dafür die Unterstützung derjenigen die keinen Krieg wollen, ihn aber letztlich führen, finanzieren und in ihm sterben sollen: die Gesellschaften und ihre Völker.
Deren zivile Demokratie, auch in Deutschland, hat nun einen wichtigen Sieg über ihren schlimmsten Gegner errungen: die Autoritäten der Macht und ihren Krieg.
Es wird nicht ihr letzter Sieg über den Krieg sein.
(…)
22.08.2009 Eingeschränkte Solidarität beim Abzug
19.08.2009 FDP fordert “Rückzugsplan” aus Afghanistan-Krieg, Sozens in Panik
07.08.2009 Der Krieg ist aus!
06.08.2009 Afghanistan-Krieg vor dem Ende?
Quellen:
(1) http://www.nytimes.com/2009/10/24/world/europe/24nato.html
(2) http://www.zeit.de/newsticker/2009/10/23/iptc-bdt-20091021-790-22762218xml
(3) http://www.focus.de/politik/ausland/nato-nato-soll-nicht-nur-in-afghanistan-mehr-tun_aid_446966.html