Afghanistan: Isaf sah Mord an UNO-Mitarbeitern stundenlang tatenlos zu
Das Attentat in Kabul erfolgte durch „Bewaffnete in Polizeiuniformen“. Die NATO-Besatzungstruppen taten nichts. Sagen sie.
New York: UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon berichtete gestern, im Besein von Angehörigen der in Kabul Getöteten, vom Hergang des Geschehens am frühen Mittwoch. Wie Ban mitteilte, reagierten weder afghanische Stellen noch die Isaf-Besatzungstruppen in ihrem Hauptquartier auf die Hilferufe der überfallenen 34 UNO-Mitarbeiter im Bakhtar-Hotel – über eine Stunde lang, mitten in Kabul. Angegriffen wurde das Quartier der Vereinten Nationen, so heisst es, nur durch drei Attentäter, welche wieder einmal den unfassbarsten Terminus aller Medien-Manipulationen auf den Plan riefen; statt „Polizisten“ hiessen die Attentäter wieder einmal „Bewaffnete in Polizeiuniformen“. Ganze zwei UNO-Sicherheitsbeamte stellten sich ihnen entgegen und schlugen diese eine Stunde lang zurück, bis sie fielen.
Ban Ki Moon berichtete am Freitag Morgen, im Besein von Angehörigen der in Kabul Getöteten, vom Hergang des Geschehens am frühen Mittwoch. Schon der Anfang seines Berichtes muss einiges klarstellen (1):
„Liebe Kollegen, lassen Sie mich Ihnen das mitteilen, was wir wissen.
Militante griffen ein UNO-Gästehaus an, in welchem sich 34 Mitglieder der UNO-Mission aufhielten. Sie trugen Granaten und automatische Waffen und trugen Selbstmordwesten. Zwei afghanische Sicherheitsbeamte ausserhalb des Gebäudes wurden anscheinend sofort getötet.“
Man könnte auch sagen – sie waren beim Angriff sofort verschwunden. Ansonsten hätte es der UNO-Generalsekretär 2 Tage später sicherlich anders formuliert.
„Unsere Sicherheitsbeamten hielten die Angreifer für mindestens eine Stunde lang zurück. Diese tapferen Männer kämpften in den Korridoren des Gebäudes. Sie kämpften vom Dach aus. Ihre Handlungen retteten Leben – viele, viele Leben. Ich bin sehr dankbar für ihren Mut und Tapferkeit und ihr Opfer.“
Die Namen der zwei UNO-Sicherheitsbeamten, die sich den Angreifern über eine Stunde lang ohne Hilfe entgegenstellten, sind Lewis Maxwell (USA) und Laurance Mefful (Ghana).
Die Isaf-Besatzungstruppen opferten immerhin ein bisschen Zeit für ein Dementi. Ihre Soldaten in Kabul seien von den afghanischen Stellen nicht zu Hilfe gerufen worden. Die afghanische Polizei des Präsidenten Hamid Karzais wiederum sagt, sie sei nicht langsam, sondern nur eben nicht da gewesen (2). Dabei befindet sich das UNO-Quartier in der gleichen Strasse wie das Haus von Karzais Schwester (3). Schwer vorstellbar, dass ausgerechnet diese Gegend nicht unter der Kontrolle seiner Bewaffneten in Polizeiuniformen steht. Rein zufällig befindet sich in der gleichen Strasse ebenfalls das Haus des Gouverneurs von Jalalabad, Gul Agha Sherzai. Und rein zufällig kam dessen Schwager bei dem Attentat auf das UNO-Quartier auch um´s Leben.
Der Merkwürdigkeiten bezüglich des Überfalls auf UNO-Mitarbeiter durch „Bewaffnete in Polizeiuniformen“ will schier kein Ende nehmen. Auch der Hergang gibt zu denken, sowie ein obskurer Zeuge.
Nachdem also gegen 5 Uhr morgens Ortszeit, simsalabim, die zwei afghanischen Sicherheitsbeamten vor dem UNO-Gästehaus verschwunden oder unauffindbar ermordet sind, fangen laut „Berichten der Polizei und Zeugen“ innerhalb des Gebäudes zwei „Bewaffnete in Polizeiuniformen“ an, mit ihren AK-47 Gewehren um sich zu schiessen und Granaten abzufeuern. Die Hotel-Lobby gerät in Brand. Ein dritter der „Bewaffneten in Polizeiuniform“ – die der 36-jährige Rechtsanwalt Muhamed Zakir im Nebengebäude doch glatt mit Polizisten verwechselt – schiesst vor dem Eingang des Gebäudes wild in beide Richtungen die Strasse hinunter. (3)
Man könnte bei Attentaten auch einfach laut durch Megafone eine Ansage machen, etwa, „Hallo, hier sind wir, und Elvis hat das Gebäude gerade erst betreten“. Das wäre vielleicht noch ein bisschen effektiver, wenn man vorhat innerhalb eines Gebäudes eine bestimmte Operation durchzuführen und von dieser ablenken will.
Anwesend im Gästehaus ist rein zufällig auch ein bewaffneter Gast: John Christopher Turner, der nach eigenen Angaben für eine afghanische Transportfirma arbeitet. Irgendwann nach dem Attentat wird Turner vor dem Gästehaus stehen, dem „New York Times“-Reporter Abdul Waheed Wafa erklären, er habe im Haus seine Uhr vergessen und müsse deshalb da nochmal hinein um seine Sachen zu holen. Ausserdem erzählt der Zeuge Turner folgende Geschichte:
Als er die Explosionen im unteren Teil des Gebäudes hört, springt er aus dem Bett, packt seine Waffe und Munition und klopft an die Türen der Gäste um sie zu warnen. Er zählt „ungefähr 30 Gäste“ in dem 42-Bettenhaus, die meisten von ihnen durch die UNO mit der Überwachung der afghanischen Präsidentenwahl beauftragt. Turner bringt die Gäste aus dem Gebäude heraus, sammelt eine Gruppe von 25 Gästen (welche teilweise aus dem zweiten Stock springen) und führt diese um die Rückseite des Hauses. Anschliessend, so der Zeuge Turner, schliessen sich die Gäste selbst im Badehaus ein, während der Kampf im vorderen Innenhof tobt.
Es ist nicht ganz klar, ob Turner ebenfalls im (von aussen oder innen) verschlossenen Badehaus bleibt. Turner berichtet, er habe den später getöteten UNO-Sicherheitsbeamten Lewis Maxwell auf dem Dach kämpfen gesehen.
„Er war auf dem Dach. Ich versuchte ihn dort herunter zu holen. Ich schrie und sagte, `Bitte komm da runter!`“
Andererseits berichtet er von zwei Frauen, die es nicht nach draussen geschafft hätten. Diese hätten in Panik per Handy bei Gästen im Badehaus angerufen. Turner über die Anrufe wörtlich:
„Sie waren in Panik. Sie schrien, `Was sollen wir tun? Ich werde sterben`“
Zeuge Turner ist dann aber ebenfalls in der Lage zu beobachten, dass eine der Frauen im Hotel versucht zu fliehen, durch ein Feuer rennt und dann getötet wird, als einer der „Bewaffneten in Polizeiuniformen“ sie nicht etwa erschiesst, sondern sich gleich selbst in die Luft sprengt, obwohl doch weit und breit nichts von echten Bewaffneten in Polizeiuniformen (oder gar von Zigtausend Isaf-Besatzungsoldaten) zu sehen ist.
Wie die beiden getöteten UNO-Mitarbeiterinnen nun um´s Leben kamen, und wer noch, dass scheint überhaupt etwas strittig zu sein. Ein anonymer „Offizieller“ der afghanischen Polizei bestätigt die Aussage von Turner“ und teilt dem NYT-Reporter mit, er habe die Leichen von zwei Frauen gesehen; eine hätte eine Schusswunde erlitten und eine andere sei „komplett verbrannt“ (der Mann hat ein gutes Auge.)
Der US-Botschafter in Kabul, Karl W. Eikenberry, sagt allerdings etwas ganz anderes aus. Laut Botschafter Eikenberry waren die Opfer
„ohne Waffen getötet worden, in ihren Räumen, von brutalen Killern.“
Es ist typisch für die „New York Times“, dass sie zwar sich völlig gegensätzliche Aussagen und Informationen in einem Artikel bringt, diese aber vor der Veröffentlichung, wie von Redakteurs-Zauberhand, an unterschiedlicher Stelle parkt und auch nicht ein Wörtchen darüber verliert.
Wenn also der Botschafter der Vereinigten Staaten hier glaubwürdiger einzuschätzen ist als die Geschichte vom zufällig anwesenden bewaffneten Zeugen Turner, dann fand die eigentliche Operation offenbar lautlos im Innern des Gebäudes statt, in welchem sich ein oder mehrere Profikiller bwz eine Spezialeinheit aufhielten. Dass, wie und wo nun der Schwager eines Gouverneurs von Jalalabad bei einem Angriff auf ein UNO-Hotel um´s Leben kommt, während das Haus des Gouverneurs in der gleichen Strasse liegt (genauso wie das Haus der Schwester des afghanischen Präsidenten), wäre sicherlich interessant zu erfahren. Bleibt die Bemerkung, dass Transporte so ziemlich das Wichtigste sind in Kriegsgebieten und dass diese durch Söldner oder Angestellte von Kriegskonzernen durchgeführt werden. Soviel noch zum Zeugen John Christopher Turner.
Die Schüsse und Granaten in der Lobby durch die drei afghanischen Uniformierten könnten schlicht der Ablenkung gedient haben – ebenso wie eine gleichzeitig ausgerechnet auf den Präsidentenpalas Karzais abgefeuerte Rakete, die nur „geringfügigen Schaden“ anrichtet.
Die bewaffneten Kämpfe um das UNO-Gästehaus halten den Berichten zufolge zwei Stunden an. Ebenfalls zwei Stunden nach Beginn der Kämpfe wird eine weitere Rakete auf das Serena Luxus-Hotel abgefeuert; dieses sei „populär bei ausländischen Diplomaten und Journalisten“, heisst es. Der Begriff „ausländischer Diplomat“ ist, wie die Meisten wissen, allgemein als „Spion“ übersetzbar.
Das Kommando des Kabul Regionalkommandos der Isaf liegt bei Frankreich. Allein diese Isaf-Truppen umfassen direkt in der Hauptstadt 6200 Soldaten, das Kommando führt der französische General Michel Stollsteiner. Er hatte so schon vorher so merkwürdige Kommunikationsstörungen, wenn es um Überfälle ging. (Mörder der eigenen Soldaten, 21.08.2008)
In Kabul befindet sich natürlich auch das HQ von Afghanistan-Kommandeur und Isaf-Führer General Stanley McChrystal höchstselbst. Rein zufällig verlangt dieser seit Monaten von seinem zivilen Präsidenten 40.000 US-Soldaten mehr, weil sonst „die Taliban“ die Macht übernehmen würden und Attentäter anschliessend wieder die Welt bedrohen täten. Rein zufällig erschien genau am Tag des Attentats von Kabul in der „New York Times“ quasi eine kleine Antwort seiner Washingtoner Regierung auf McChrystals Forderungen. In diesem Zeitungsbericht machten anonyme Regierungsmitglieder öffentlich, dass der Bruder des afghanischen Präsidenten auf der Gehaltsliste der CIA steht und dieser beim Betrieb von Todesschwadronen aus den Militärbasen McChrystals heraus behilflich ist. (NYT: Karzais Bruder organisiert als CIA-Agent Todesschwadronen aus altem “Taliban”-Hauptquartier, 28.10.2009)
Wer da nun eigentlich im UNO-Quartier (das übrigens als ganz normales kommerzielles Hotel unbekannter Kontrolle unterliegt) umgebracht wurde, ist ebenfalls unklar. Laut US-Botschafter Eikenberry war eine getötete Frau US-Bürgerin. Laut UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon kamen bei dem Überfall aber Jossie Esto (Philippinen) und Lydia Wonwene (Liberia) um´s Leben.
4 getötete UNO-Mitarbeiter benennt der UNO-Generalsekretär am Freitag Morgen namentlich: die Wahlbeobachterinnen Jossie Esto Esto und Lydia Wonwene. Die beiden Sicherheitsbeamten, welche bei der Verteidigung ihrer Leute fielen: Lewis Maxwell und Laurance Mefful. Zu einem weiteren Toten sagt Ban Ki-Moon, dass ihre Identität „noch bestätigt werden muss“.
Am Abend dann steht Ban Ki-Moon vor der UNO-Vollversammlung und fordert mehr Schutz für seine Mitarbeiter und Wahlbeobachter in Afghanistan (4). Der Weltsicherheitsrat beschliesst irgendeine Resolution. Derweil trifft sich ebenfalls Freitag der Präsident der Vereinigten Staaten mit seinen Militärs der Vereinigten Generalstäbe, um ihnen seine Strategie in Afghanistan mitzuteilen.
Im Westen nichts Neues vom Mittleren Osten.
(…)
Quellen:
(1) http://www.un.org/apps/sg/sgstats.asp?nid=4197
(2) http://www.google.com/hostednews/ap/article/ALeqM5ihcxyvLQTtUCreNe2jbrDczmO9aQD9BLMLD80
(3) http://www.nytimes.com/2009/10/29/world/asia/29afghan.html
(4) http://www.un.org/apps/sg/sgstats.asp?nid=4201