EU-Kommission fordert für Gentechnik Verfassungsidentitäten heraus
Ein neuer Verordnungsentwurf der EU-Kommission für die Zulassung genveränderter Organismen (“ Draft COMMISSION REGULATION on implementing rules concerning applications for authorisation of genetically modified food and feed in accordance with Regulation (EC) No 1829/ 2003 of the European Parliament and of the Council and amending Regulations No (EC) 641/2004 and (EC) No 1981/ 2006” ist von kritischen Naturwissenschaftlern des Unabhängigen Wissenschaftsrats am 23.02.2010 mit einem offenen Brief (“Formal Protest from Scientists: Commission Regulation on Implementing Rules for GM applications and assessments”) beantwortet worden.
Bereits im Mai 2010 will die EU-Kommission im Verordnungswege einen grundlegenden Richtungswandel zu einer wesentlich erleichterten Zulassung genveränderter Pflanzen durchsetzen.
Und das ohne ordnungsgemäße Debatte in der Öffentlichkeit und den mitgliedsstaatlichen Parlamenten. Es drängt sich der Eindruck auf, als wollte die EU-Kommission vollendete Tatsachen schaffen, und als habe sie panische Angst vor einer Menschenrechtsdebatte um die Genmanipulation in der Landwirtschaft.
Dieser Artikel entlarvt den Entwurf aus bürger- und menschenrechtlicher Sicht und zeigt auf, wo der Entwurf wichtigen Vorschriften des EU-Primärrechts zuwider läuft.
Zuerst jedoch gibt er in eigenen Worten zusammengefasst den Inhalt des Protestbriefes der unabhängigen Wissenschaftler wieder.
die Kritik der unabhängigen Wissenschaftler
Die Wissenschaftler haben ihren Protest in 16 Punkten zusammengefasst:
1.Der Verordnungsentwurf enthalte die irrige Grundannahme, es gebe ausreichend Erfahrung für die Sicherheitseinschätzung von genveränderten Lebensmittel- und Futtersorten; in Wirklichkeit beziehen sich die meisten Fütterungsstudien auf den Nährwert und nicht auf die Sicherheit.
2.Der Verordnungsentwurf will der EU-Gentechnikzulassungsbehörde EFSA die Macht geben, von den Anforderungen der Verordnung abweichende vertragliche Vereinbarungen mit den Gentechnikfirmen zu machen. So will Art. 4 Abs. 2 der Verordnung es der EFSA ermöglichen, auf beliebige nach den Art. 4 bis 6 und des von dort in bezug genommenen Anhangs I der VO festgelegten Anforderungen für die Zulassungsanträge zu verzichten, wenn die Antragsteller dafür nur überprüfbare Rechtfertigungen liefern. Außerdem wird beanstandet, dass nach Art. 4 Abs. 6 des VO-Entwurfs unter bestimmten Bedingungen der Verweis auf andere Sicherheitsstudien genügen soll anstatt neuer Sicherheitsstudien für die aktuell zur Zulassung beantragte Sorte. Ausgerechnet im Abschnitt II.1.4 des Anhangs II zur Toxikologie (Giftigkeit) will der VO-Entwurf es ermöglichen, auf eigene Studien zur Giftigkeit zu verzichten, wenn keine besonderen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine bestimmte genmanipulierte Sorte wesentlich unterschiedlich ist von einer vergleichbaren konventionellen Sorte. Die EU-Kommission will hier die Beweislast bzgl. der Giftigkeit genveränderter Pflanzen im Verordnungswege regeln !
3.Abschnitt I.2.2 von Anhang II des VO-Entwurfs will bei Pflanzen mit mehreren Genveränderungen die Möglichkeit eröffnen, auf eigene Sicherheitstests für diese zu verzichten, wenn nur eine wissenschaftliche Begründung dafür gegeben wird, dass es ausreichen würde, sich auf bereits vorliegende Untersuchungen von Genpflanzen zu beziehen, welche jeweils nur einen Teil der betreffenden Veränderungen aufweisen – als gäbe es noch keinerlei Untersuchungen, die beweisen, dass die Kombination mehrerer Genveränderungen völlig andere zusätzliche Effekte haben kann.
4.Die kritischen Wissenschaftler beanstanden, dass eine einheitliche Vorschrift, welche Testverfahren anzuwenden sind, im VO-Entwurf fehlt, und dass statt des verbindlichen Wortes “muss” nur das Wort “sollte” zu finden ist.
5.Es wird beanstandet, dass der VO-Entwurf bei den Vergleichsstudien Möglichkeiten eröffnen will, mit anderen als mit solchen konventionellen Pflanzen, aus denen die genmanipulierten entwickelt wurden, zu vergleichen.
6.Der Entwurf will es ermöglichen, gar nicht die tatsächlich veränderten Proteine zu testen, sondern stattdessen einfach andere zu nehmen, die man für “äquivalent” hält.
7.In dem VO-Entwurf fehlt laut den kritischen Gentechnikern jegliche ausdrückliche Verpflichtung, gezielt danach zu suchen, ob es nach der Einfügung der neuen Gene zu Mutationen in der Pflanze gekommen ist.
8.Der VO-Entwurf verlangt an keiner Stelle die Entfernung von Antibiotikaresistenz-Markergenen, sondern nur als Soll-Vorschrift deren vorsichtige Auswahl in Abstimmung mit der EFSA. Als Muss-Vorschrift wird nur die Minimierung von der für die Erreichung der gewünschten Veränderung nicht wesentlichen Gene verlangt.
9.Abschnitt II.1.2.1.3 von Anhang II des VO-Entwurfs will sich begnügen mit der Einreichung einer DNA-Sequenz, welche man einzufügen beabsichtigt, die sich also von der unterscheiden kann, welche hinterher tatsächlich eingefügt wird !
10.Abschnitt II.1.3.2.1 lit a.ii von Anhang II des VO-Entwurfs will eine naturwissenschaftlich längst widerlegte Hypothese, dass genveränderte Pflanzen im Zweifel “substantiell äquivalent” (im wesentlichen gleichwertig) seien mit entsprechenden nicht genveränderten, im Verordnungswege festschreiben !
11.Hinsichtlich der Auswirkungen auf die reproduktive Gesundheit der Tiere wird in Abschnitt II.1.4.4.2 von Anhang II lediglich eine Untersuchung von Organgewicht und Gewebepathologie verlangt. In Abschnitt II.1.4.4.4 und II.1.6.2 fehlt jegliche Anforderung lebenslänglicher Fütterungsstudien zur Überprüfung der Langzeitsicherheit.
12.Nach Abschnitt II.1.4.4.5 von Anhang II genügen der EU-Kommission vom Antragsteller selbst durchgeführte Studien ohne unabhängige Überprüfung, so, als ob alle Antragsteller so ehrlich wären, negative Ergebnisse von sich aus zu berichten.
13.Abschnitt II.3.2.2.2 von Anhang II des VO-Entwurfs will dem Antragsteller die Macht geben, selbst einzuschätzen, ob seine Untersuchungsergebnisse weitere Untersuchungen erfordern. Die unabhängigen Wissenschaftler befürchten, dass die EFSA sich damit zufrieden geben würde, und fordern verpflichtende weitere Untersuchungen bei allen Risiken von statistischer Relevanz.
14.Anhang III des VO-Entwurfs beschäftigt sich mit Sicherheitsüberprüfungen nach Marktzulassungen. Bereits dessen erster Absatz will im Falle verbleibender Unsicherheiten es ermöglichen, deren Überprüfung auf einen Zeitpunkt nach der Marktzulassung der betreffenden Genpflanze zu verschieben. Bei kombinierten Genmanipulationen will der VO-Entwurf es der EFSA ermöglichen, sogar auf Tests nach der Markteinführung zu verzichten, wenn für die betreffenden Genveränderungen einzeln, nicht aber für deren Kombination, Sicherheitsstudien existieren.
15.Abschnitt II.1.5.2 des Anhangs II des VO-Entwurfs will Sicherheitsstudien im Hinblick auf die Allergenität, wenn der Zielorganismus dafür bekannt ist, allergen zu sein, und selbst das nur auf einer Fall-zu-Fall-Basis basierend auf bereits verfügbaren Informationen. Abschnitt II.1.6.1 ver- langt eine Einschätzung, welche Bevölkerungsgruppen einem erhöhten Risiko ausgesetzt sein könnten, und welche besonders von einer bestimmten genveränderten Sorte profitieren könnten. Was die kritischen Wissenschaftler vermissen, sind konkrete Vorgaben zum Schutz genau zu benennender Bevölkerungsgruppen wie z. B. von Vegetariern und von zöliakieerkrankten Menschen.
16.Laut dem 2. Absatz von Abschnitt 4. des Anhangs IV des VO-Entwurfs “sollen” die Antragsteller angeben, wo das Referenzmaterial, mit welchem sie ihre Sicherheitsstudien durchgeführt haben, sich befindet. Das bedeutet, dass gerade nicht verlangt wird, immer einen Teil des Referenzmaterials einzureichen, um eine unabhängige Wiederholbarkeit ihrer Studien sicherzustellen. Ohne Verpflichtung zur Einreichung des Referenzmaterials würde es mit der Verordnung also höchstens eine stichprobenartige Überprüfung geben, ob die eingereichten Unterlagen den tat-sächlichen Untersuchungsergebnissen entsprechen.
Überschreitung der Kompetenz einer EU-Verordnung – Verstoss gegen Demokratie und grundrechtsgleiches Wahlrecht
Verordnungen der EU mit direkter Wirkung entstehen allein auf EU-Ebene in der Zusammenarbeit von EU-Kommission, EU-Ministerrat und (nicht einmal zu allen Themen) dem EU-Parlament, aber ohne Mitentscheidungsrecht der nationalen Parlamente. Der Entscheidungsbereich dieser Verordnungen muss eng eingegrenzt sein, weil man ihre Anwendung sonst auf nationaler Ebene nur auf dem Klageweg eingrenzen kann.
Im EU-Sekundärrecht hat eine Verordnung unmittelbare Wirksamkeit, anders als eine EU-Richtlinie. Eine Richtlinie gibt Ziele vor, deren Umsetzung aus Sicht des EU-Rechts innerhalb einer be-stimmten Frist vom nationalen Gesetzgeber per unmittelbar wirksamem Gesetz zu erreichen ist. Das trägt auch der Tatsache Rechnung, dass der Umsetzung des EU-Rechts auf nationaler Ebene Grenzen gesetzt sind durch nationale Verfassungen (z. B. durch die Ewigkeitsgarantie gem. Art. 79 Abs. 3 des deutschen Grundgesetzes (siehe auch Leitsatz 4 und Rn. 217 des Lissabon-Urteils vom 30. 06.2009) und durch die Souveränität der lettischen Verfassung) sowie durch den Ranganspruch der Uno-Charta direkt unterhalb der nationalen Verfassungen (Art. 2 Abs. 1 Uno-Charta, Art. 103 Uno-Charta) und der universellen Menschenrechte der Vereinten Nationen sowie der mit diesen vom Rang gleichgestellten Genfer und Haager Konventionen des humanitären Kriegsvölkerrechts direkt unterhalb der Uno-Charta (Art. 28 Allgem. Erklärung der Menschenrechte (AEMR), Art. 29 Nr. 3 AEMR, Art. 1 Nr. 3 Uno-Charta, IGH-Gutachten vom 08.07.1996). Auch für die Umsetzung der universellen Menschenrechte der Uno muss nach Leitsatz 3 des Lissabon-Urteils im Verhältnis zum EU-Recht noch genügend Raum bleiben. Im Falle von EU-Richtlinien ist der nationale Gesetzgeber dadurch, dass er es in der Hand hat, diese auf einfach-gesetzlicher Ebene nur insoweit umzusetzen, wie dies mit vom Rang über dem EU-Recht bzw. über dem EU-Sekundär-recht stehenden Recht vereinbar ist, in der Lage, die Wahrung des jeweils höherrangigeren Rechts durchzusetzen. Auf diese Weise lassen sich viele unnötige Verfassungsbeschwerden vermeiden. Denn die EU ist autonom, sie kann im Rahmen der ihr in ihren Verträgen eingeräumten Kompeten-zen EU-Sekundärrecht setzen ohne Bindung an die mitgliedsstaatlichen Verfassungen (Erklärung Nr. 1 zum Lissabon-Vertrag) und ohne direkte Bindung der EU an das Recht der Vereinten Nationen (Art. 4 Uno-Charta), da nur Staaten Mitglied der Vereinten Nationen werden können. So ist es bei einer Gemeinschaft von 27 Staaten nicht vollständig zu verhindern, dass EU-Recht gegen nationale Verfassungen, gegen die Uno-Charta oder gegen die universellen Menschenrechte der Uno verstoßen kann. Die korrekte Umsetzung, niedrigerrangigeres Recht nur insoweit anzuwenden, wie es mit höherrangigerem Recht vereinbar ist, kann also nur auf nationaler Ebene erfolgen.
Nach Rn. 275 und 351 des Lissabon-Urteils müssen auch bei fortschreitender europäischer Integration dem nationalen Parlament noch genügend Entscheidungsbefugnisse von hinreichendem Gewicht verbleiben. Wenn man in das Recht des Bundestags, über die Beachtung der Rangfolge der Rechtsordnungen in Deutschland bei der Gesetzgebung zu wachen, eingreifen bzw. dieses aushebeln würde, wäre diese Anforderung des Lissabon-Urteils zum Schutz von Demokratie und grundrechtsgleichem Wahlrecht offensichtlich verletzt.
Denn das grundrechtsgleiche Wahlrecht (Art. 38 GG) bezieht sich auf die Wahl der Abgeordneten zum deutschen Bundestag. Werden den Bundestagsabgeordneten ihre wichtigsten Rechte genommen, wird gleichermaßen das Wahlrecht entleert.
Gem. Leitsatz 2 lit. b des Lissabon-Urteils müssen alle Machtübertragungen auf die EU hinreichend bestimmt und vorhersehbar sein. Darum hat das deutsche Bundesverfassungsgericht darüber hinaus im Lissabon-Urteil alle Klauseln des Lissabonvertrags, mit welchen die EU sich selbst neue, in ihren Verträgen nicht explizit vorgesehene, Zuständigkeiten hätte schaffen können, für Deutschland für ungültig erklärt.
Und nach Leitsatz 4 des Urteils ist das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich für die ultra-vires – Kontrolle zuständig, also darüber zu wachen, dass die EU bzw. deren Organe ihre in den Verträgen der EU ihnen zugewiesenen Kompetenzen nicht überschreiten.
Und nun will die EU-Kommission mit ihrem neuen Verordnungsentwurf das vom Volk als Souverän der Verfassung abgeleitete Recht des Bundestags, über die Verfassungsidentität und über die Rangfolge der Rechtsordnungen im Bereich der Legislative zu wachen, aushebeln, sodass dem nati-onalen Parlament seine wesentlichste Aufgabe genommen würde.
Die Kommission überschreitet zugleich ihre Kompetenzen, denn sie darf nur autonomes Recht initi- ieren, welches seine Grenzen durch die Souveränität der Staaten (Art. 2 Abs. 1 Uno-Charta), insbesondere in der Verfassungsidentität der nationalen Verfassungen, findet. Wenn die EU-Kommission Grundsatzentscheidungen in Verordnungen packt, wird die Souveränität der Mitgliedsstaaten herausgefordert. Das erinnert schon fast an einen putschartigen Vorgang.
Das Verhalten der Kommission bei diesem Verordnungsentwurf ist nicht vorsehbar gewesen, als der EU vor Jahrzehnten die Zuständigkeit für die gemeinsame Landwirtschaftspolitik übertragen wurde. Als die EU diese Zuständigkeit damals erhielt, hat niemand beabsichtigt gehabt, der EU- Kommission die Macht zu geben, die universellen Menschenrechte der Vereinten Nationen oder gar die Verfassungsidentitäten ihrer Mitgliedsstaaten im Verordnungswege für die Partikularinteressen einer überschaubaren Zahl von Gentechnikkonzernen auszuhebeln.
Sturmangriff auf die Rechtsstaatlichkeit
Zur Rechtsstaatlichkeit gehört ein hinreichendes Maß an Rechtsklarheit und an Einheitlichkeit der Rechtsanwendung. Insbesondere die Absicht des Verordnungsentwurfs, der Zulassungsbehörde EFSA die Macht zu geben, aus allen beliebigen überprüfbaren Gründen der Antragsteller auf belie- bige Zulassungsanforderungen zu verzichten, ist geradezu eine Einladung zur Ungleichbehandlung und ein Anreiz zur Korruption. Die unzureichende Verpflichtung zur Einreichung des Referenzma-terials und sogar die Möglichkeit, zur Einreichung von DNA-Sequenzen, welche man einzubauen beabsichtige, dann tatsächlich aber ganz andere einzubauen, sind geradezu eine Einladung zum Be- trug und ebenfalls unvereinbar mit der Rechtsstaatlichkeit.
Verletzung des Menschenrechts auf Gesundheit
Art. 12 Uno-Sozialpakt normiert das Recht auf das für den jeweiligen Menschen höchst erreichbare Maß an körperlicher und geistiger Gesundheit. Das Menschenrecht auf Gesundheit umfasst laut Tz. 4 + 11 + 36 des Allgemeinen Kommentars Nr. 14 auch das Recht auf sichere Nahrungsmittel und auf gesunde Umwelt sowie gem. Tz. 51 den Schutz vor gesundheitsschädlichen Praktiken von Nahrungsmittelproduzenten.
Der Verordnungsentwurf der EU-Kommission gefährdet die Gesundheit bereits dadurch, dass er nicht ausdrücklich verlangt, dass die Genpflanzen vollständig frei von Antibiotikaresistenzmarkergenen sind. Der Verzehr von Pflanzen, die solche Gene enthalten, birgt das Risiko, dass Medikamente, welche entsprechende Antibiotika enthalten, beim Menschen nicht mehr wirken.
Laut dem Plädoyer des Unabhängigen Wissenschaftsrats für eine gentechnikfreie zukunftsfähige Welt wird der Wirkstoff Glufosinat in Verbindung gebracht wird mit neurologischen, respiratorischen, gastrointestinalen und haematologischen Vergiftungen sowie mit Geburtsschädigungen bei Menschen und Säugetieren. Glyphosat ist laut dem Unabhängigen Wissenschaftsrat der häufigste Grund von Beschwerden und Vergiftungen in Grossbritannien. Glyphosat verdoppele beinahe das Risiko von späten und spontanen Schwangerschaftsabbrüchen und erhöhe das Risiko von erhöhten nervlichen Verhaltensdefekten bei Kindern. Glyphosat habe bei Laborratten eine verlangsamte Ent-wicklung des fötalen Skeletts verursacht. Bei einem der Totalherbizide mit dem Wirkstoff Glypho-sat seien Dysfunktionen der Zellteilung, die mit dem Entstehen von menschlichen Krebsarten in Verbindung gebracht werden könnten, beobachtet worden.
Das Menschenrecht auf Gesundheit wird außerdem bedroht durch sog. “Pharmacrops”, also Pflanzen, die genmanipuliert werden, um pharmazeutische Wirkstoffe zu produzieren. Deren Anbau im Freiland sorgt für ihre Vermischung mit natürlichen Pflanzen, sodass die Menschen den Überblick verlieren, wieviel sie von welchem medizinischen Wirkstoff aufnehmen.
Angesichts solcher Gesundheitsrisiken sind die Einfügung von Antibiotikaresistenzgenen, von Genen zur Produktion pharmazeutigscher Wirkstoffe, sowie von Genen zur Produktion des Giftes des Bt-Bakteriums und von Herbizidresistenzgenen zwecks Verwendung von Totalherbiziden mit den Wirkstoffen Glufosinat oder Glyphosat offensichtlich schwere Verletzungen der Schutzpflichtdimension für das Menschenrecht auf Gesundheit. Das von Art. 12 Sozialpakt garantierte Höchst-maß an Gesundheit lässt sich nur sicherstellen, wenn das Eingehen solcher Risiken bei allen Pflanzen, welche sich auf die menschliche Gesundheit auswirken können, vollständig unterbunden wird.
Um wieviel schwerer wiegt da, dass die EU-Kommission in ihren neuen Verordnungsentwurf geradezu massenhaft Möglichkeiten eingebaut hat, Sicherheitsstudien für die genmanipulierten Pflanzen, deren Vermarktung beantragt wird, zu vermeiden. So als wollte man jeglichen vorbeugenden Gesundheitsschutz einfach durch schiere Masse überrennen.
Kollision mit dem Menschenrecht auf Nahrung
Der Wesensgehalt des Menschenrechts auf Nahrung beinhaltet Nahrung in ausreichender Menge und Qualität, ohne gesundheitsgefährdende Stoffe und kulturell akzeptiert (Art. 11 Uno-Sozialpakt, Tz. 8 des Allgem. Kommentars Nr. 12 zum Uno-Sozialpakt). Soweit es um gesundheitsgefährdende Stoffe in Nahrungspflanzen geht, wird auf den Abschnitt dieser Presseerklärung zum Menschen- recht auf Gesundheit verwiesen. Das Verbot kulturell nicht akzeptierter Nahrung bedeutet, dass es eine Menschenrechtsverletzung ist, jemandem kulturell nicht akzeptierte Nahrung aufzuzwingen. Eine deutliche Mehrheit der Einwohner sowohl Deutschlands als auch der EU lehnt Umfragen zu-folge die Genmanipulation zumindest in Nahrungspflanzen ab. Das ist ein Beweis, dass solche Nah- rungspflanzen in Europa keine kulturelle Akzeptanz haben. Damit ist ihr Freilandanbau in Europa bereits unabhängig von den von ihnen ausgehenden Gesundheitsgefahren verboten.
Das Aufzwingen kulturell nicht akzeptierter Nahrung ist zugleich auch eine Verletzung des unantastbaren Strukturprinzips Demokratie (Art. 20 Abs. 1 GG) und des grundrechtsgleichen Wahlrechts (Art. 38 GG).
uneingewilligte Menschenversuche
Art. 7 S. 2 Uno-Zivilpakt normiert das menschenrechtliche Verbot uneingewiligter Menschenversuche. Das bezieht sich auf die Einwilligung jedes einzelnen Menschen, an dem ein Versuch durchge-führt werden soll. Dass der Verordnungsentwurf laut seinem Anhang III (siehe Beanstandung Nr. 14) die Überprüfung verbleibender Unsicherheiten auf einen Zeitpunkt nach der Markteinführung der jeweiligen Genpflanze verschiebbar machen will, ist ein solcher menschenrechtlich verbotener uneingewilligter Menschenversuch. Indem der Verordnungsentwurf es ermöglichen will, DNA-Sequenzen einzureichen, von denen der Antragsteller de-facto nur behaupten müsste, diese einbauen zu wollen, dann aber tatsächlich völlig andere DNA-Sequenzen einzubauen, würde er nahezu beliebige uneingewilligte Massenversuche am Menschen mit genveränderten Pflanzen ermöglichen. Es gab in Friedenszeiten selten größer angelegte Gefährdungen bzw. Verletzungen von Art. 7 S. 2 Uno-Zivilpakt.
Menschenrecht auf Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt (Art. 15 Abs. 1 lit. b Uno-Sozialpakt)
Dieses Menschenrecht schützt die Teilhabe der Bevölkerung am wissenschaftlichen Fortschritt. Es ist gerade kein Freibrief für Wissenschaftler. Der Kommissionsentwurf kollidiert mit diesem Menschenrecht am deutlichsten dadurch, dass er die naturwissenschaftlich längst widerlegte “substanzielle Äquivalenz” zwischen genmanipulierten und nicht genmanipulierten Pflanzen der gleichen Art im Verordnungswege als widerlegbare Grundannahme festschreiben will. Das ist etwa so naturwissenschaftlich, wie wenn man der Erde rechtlich verordnen wollte, im Zweifelsfall immer eine Scheibe zu sein. Ebenso unwissenschaftlich ist es, einfach andere Proteine zu testen, die man für äquivalent zu den tatsächlich verwendeten hält, oder irgendwelche DNA-Sequenzen zu testen, deren Einbau man erwägt, und dann doch andere einzubauen. Das ist etwa so, wie wenn bei einem Blutal- koholtest im Straßenverkehr einfach das Blut eines anderen Autofahrers, der so ähnlich aussieht wie der seltsam fahrende, verwenden würde. Der Verordnungsentwurf ist ein wahres Horrorkabinett für jeden Bürger, der an die Möglichkeit seriöser Wissenschaft glaubt, und eine außergewöhnliche Verletzung von Art. 15 Abs. 1 lit. b Uno-Sozialpakt.
Gefährdung der Existenzmittel der Völker
Art. 1 Uno-Sozialpakt und Art. 1 Uno-Zivilpakt normieren das kollektive Menschenrecht der Völker auf deren Existenzmittel. Deren Schutz ist ausdrücklich auch dann garantiert, wenn die Staaten, in denen die betreffenden Völker leben, oder gar die Völker selbst durch internationale Verträge den größten Teil ihrer natürlichen Reichtümer verschleudert haben. Die Existenzmittel der Völker um- fassen mindestens das, was diese benötigen, um zu existieren. Dazu gehört auch gesunde nicht gen-manipulierte Nahrung. Ab einer bestimmten Größenordnung von Kontamination mit Genpflanzen liegen nicht nur die Verletzung der Menschenrechte auf Nahrung und auf Gesundheit von zahlreichen Einzelpersonen, sondern sogar der Existenzmittel ganzer Völker vor. Da die EU- Kommission mit ihrem Verordnungsentwurf es unternimmt, riesige Sicherheitslücken bzgl. der Zulassung genmanipulierter Pflanzen direkt für ganz Europa zu schaffen, gefährdet der Entwurf die Existenzmittel der Völker Europas.
Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit
Art. 2 Abs. 2 des deutschen Grundgesetzes schützt die körperliche Unversehrtheit. Das im Ab- schnitt dieser Presseerklärung zum Menschenrecht auf Gesundheit des Uno-Sozialpaktes geschriebene gilt sinngemäß auch für das Recht auf körperliche Unversehrtheit, allerdings mit dem Unterschied, dass das Recht auf Gesundheit deutlich eher präventiv eingreift als das auf körperliche Unversehrtheit, weil das Recht auf Gesundheit ausdrücklich das erreichbare Höchstamß an Gesundheit garantiert.
Staatsziele Umweltschutz und Tierschutz
Die Staatsziele Umweltschutz und Tierschutz (Art. 20 a GG) des deutschen Grundgesetzes stehen nach Rn. 218 des Lissabon-Urteils zumindest unterhalb des EU-Primärrechts, soweit es sich nicht um Außen- und Sicherheitspolitik der EU handelt, die nach dem Lissabon-Urteil nicht supranationalisiert werden darf. Das heißt aber noch lange nicht, dass auch EU-Sekundärrecht über diesen beiden Staatszielen stehen würde, oder dass es gar in einem Rechtsstaat zulässig wäre, per EU-Verordnung das Recht des nationalen Gesetzgebers auszuhebeln, das EU-Recht in einer mit den Staatszielen vereinbaren Weise umzusetzen.
Angriff auf die Wettbewerbsfähigkeit
Art. 151 AEUV verpflichtet die EU, die Wettbewerbsfähigkeit zu wahren. Das ist dem EU-Recht so wichtig, dass Art. 151 AEUV aus Sicht des EU-Rechts ausdrücklich dem Sozialen zum Schutz der Wettbewerbsfähigkeit Grenzen setzt. Und es bezieht sich auf die gesamte Wirtschaft in der EU, nicht auf einzelne Sektoren. Eine geradezu komplizenhafte Bevorzugung der Gentechnikindustrie würde die Gesamtwirtschaft in erheblichem Maße schädigen. Am offensichtlichsten ist dies bei ökologisch oder konventionell wirtschaftenden Landwirten, welche ihre Produkte durch die gezielte Kontamination über den Pollenflug nicht mehr als gentechnikfrei verkaufen können. Noch gravierender ist der zu erwartende Einbruch bei den Ernteerträgen, da das in vielen genmanipulierten Pflanzen eingebaute Bt-Gift die Widerstandsfähigkeit von Bienen senkt und zu Bienensterben beiträgt, was die Bestäubung zahlreicher Pflanzen und damit die Ernte verringert. Außerdem verringert Bt die Arbeitsleistung der für die Bodenqualität unentbehrlichen Regenwürmer. Das vor allem zusammen mit Gensoja eingesetzte Totalherbizid Glufosinat schädigt ausgerechnet die Bodenlebewesen, welche für die Anreicherung des Stickstoffs im Boden und damit für dessen Fruchtbarkeit verantwortlich sind. Die Verringerung der Ernteerträge führt nicht nur zur Verarmung der Bauern, sondern auch zur Erhöhung der Lebensmittelpreise, sodass die Arbeitgeber gezwungen sind, höhere Löhne zu zahlen, um die zur Erhaltung der bisherigen Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter erforderliche Lebensmittelversorgung sicherzustellen, was die Wettbewerbsfähigkeit der Gesamtwirtschaft belastet.
Der größte Angriff auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU ist jedoch die Gesundheitsschädlichkeit genmanipulierter Produkte, vor allem, soweit diese sich auf die Ernährung von Mensch und Tier auswirken. Arbeitsausfälle durch Erkrankungen von Beschäftigten sind schon heute eine der schwersten Belastungen der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft in der EU. Gerade auch aus Verantwortung für die Wettbewerbsfähigkeit hat doch die EU-Kommission den Nichtraucherschutz massiv gestärkt und so die Zahl der Krankheitstage durch nikotinbedingte Krebserkrankungen zurückgedrängt. Diese positive Bilanz droht sie nun selbst zunichte zu machen.
Auf den Abschnitt dieser Presseerklärung zum Menschenrecht auf Gesundheit wird verwiesen.
Schlusswort:
Der EU-Kommission scheint bewusst zu sein, in welchem Ausmaß ihre radikal genkonzernfreundliche Haltung mit Grundrechten und Strukturprinzipien nationaler Verfassungen, universellen Menschenrechten und selbst mit EU-Primärrecht kollidiert. Sie scheint Tatsachen schaffen zu wollen, bevor sie für ihr Verhalten verantwortlich gemacht wird.
22.April 2010
Quellen:
GMO-Verordnungsentwurf der EU-Kommission
http://members.wto.org/crnattachments/2010/tbt/eec/10_0030_00_e.pdf
offener Brief gentechnikkritischer Wissenschaftler
www.gmfreecymru.org/open_letters/Open_letter23Feb2010.html
Lissabon-Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts
www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/es20090630_2bve000208en.html
Artikel “bahnbrechendes Urteil aus Lettland – Grundrechte vorrangig vor EU und IWF” von Unser Politikblog
http://unser-politikblog.blogspot.com/2009/12/bahnbrechendes-urteil-aus-lettland.html
Plädoyer des Unabhängigen Wissenschaftsrats für eine gentechnikfreie zukunftsfähige Welt
www.i-sis.org.uk/ispr-summary.php
www.foodfirst.org/progs/global/ge/isp/ispreport.pdf
www.gentechnikfreie-regionen.de/fileadmin/content/studien/allgemein/030615_ISP-German.pdf