Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Beschluss vom 12.Mai 2010 die Hürden von Durchsuchungen von Demonstrationsteilnehmern nach Waffen durch die Polizei höher gelegt und das ungehinderte Recht auf Versammlungsfreiheit ohne diskriminierende Personenkontrollen bei fehlenden konkreten Anhaltspunkten gestärkt.
Vorausgegangen waren die Auflagen des Polizeipräsidiums Bielefeld zu dem Durchsuchen der Teilnehmer nach Waffen bei einer angemeldeten Demonstration. Das Verwaltungsgericht Minden und das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hatten die Klage gegen den Auflagenbescheid des Polizeipräsidiums Bielefeld vom 1. März 2002 – VL 12.5-231-W-02/01 abgewiesen.
Das Bundesverfassungsgericht gab mit seinem Urteil dem Kläger recht. (1)
Unter Punkt 2b in der Urteilsbegründung hiess es:
„Die Auflage, dass die Teilnehmer einer Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht werden, behindert den freien Zugang zu der Versammlung. Eine polizeiliche Durchsuchung ist – zumal wenn sie pauschal jeden Versammlungsteilnehmer erfasst – geeignet, einschüchternde, diskriminierende Wirkung zu entfalten, die Teilnehmer in den Augen der Öffentlichkeit als möglicherweise gefährlich erscheinen zu lassen und damit potentielle Versammlungsteilnehmer von einer Teilnahme abzuhalten.“
Bundesverfassungsgericht – Pressestelle –
Pressemitteilung Nr. 37/2010 vom 10. Juni 2010
Der Text des Urteils: Beschluss vom 12. Mai 2010 – 1 BvR 2636/04 –
Auflage der polizeilichen Durchsuchung sämtlicher Teilnehmer einer Versammlung wegen mangelhafter Gefahrenprognose verfassungswidrig
Der Beschwerdeführer meldete für den 2. März 2002 in Bielefeld die Versammlung unter dem Motto „Die Soldaten der Wehrmacht waren Helden, keine Verbrecher“ an. Anlass war die in Bielefeld gezeigte Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht, Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 – 1944“ (Wehrmachtsausstellung). Im Folgenden ordnete das Polizeipräsidium die Auflage an, dass die Teilnehmer der vom Beschwerdeführer geplanten Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht werden.
Hiergegen klagte der Beschwerdeführer vor den Verwaltungsgerichten und legte eidesstattliche Versicherungen von zwei Teilnehmern einer früheren, ebenfalls gegen die Wehrmachtsausstellung gerichteten Versammlung der NPD vor. Darin schilderten diese, dass ihnen auf jener Versammlung die Aufgabe zugefallen sei, den Lautsprecherwagen gegen eventuelle Übergriffe gewaltsamer Gegendemonstranten zu sichern. Des Weiteren legte der Beschwerdeführer die eidesstattliche Versicherung eines Teilnehmers einer (ebenfalls rechtsgerichteten) Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig vor. Darin schilderte dieser, dass die Versammlung von linken Demonstranten mit Steinen, Flaschen und anderen Gegenständen beworfen worden sei. Das auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage gerichtete Rechtsschutzbegehren des Beschwerdeführers blieb in allen Instanzen erfolglos. Hierbei stützten die Verwaltungsgerichte sich im Hinblick auf die nach § 15 Abs. 1 VersG anzustellende Gefahrenprognose auf die genannten eidesstattlichen Versicherungen.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung seines Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen und die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen aufgehoben. Diese werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen für die Gefahrenprognose im Rahmen von § 15 Abs. 1 VersG nicht gerecht und verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG, da die Verwaltungsgerichte keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine von der Versammlung selbst ausgehende – und damit die Auflage rechtfertigende – Gefahr für die öffentliche Sicherheit aufgezeigt haben.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Der Sache nach haben sich die Verwaltungsgerichte bei ihrer Gefahrenprognose allein auf die – nicht ausgesprochene – Vermutung gestützt, die Teilnehmer der vom Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung könnten durch frühere Störungen von gewalttätigen linken
Gegendemonstranten gereizt nunmehr zum Präventivschlag ausholen.
Die zwei Teilnehmer der NPD-Versammlung haben in ihren eidesstattlichen Versicherungen, auf die sich das Gericht im Wesentlichen stützt, lediglich organisatorische Vorsichtsmaßnahmen auf Veranstalterseite gegen eventuelle Übergriffe gewaltbereiter linker Gegendemonstranten beschrieben. Diese Aussagen privater Personen zu ihrerseits lediglich verdachtsgeleiteten Handlungen stellen keine nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dar, wie sie für eine Gefahrenprognose im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG erforderlich sind. Vor allem lässt sich diesen Aussagen nicht entnehmen, dass sich die Teilnehmer der vom Beschwerdeführer geplanten Versammlung bei dieser Gelegenheit nicht rechtstreu verhalten haben. Auch die eidesstattliche Versicherung über die Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig bezieht sich lediglich auf Übergriffe gewalttätiger linker Gegendemonstranten.
Derartige Vermutungen ohne hinreichende konkrete Tatsachengrundlage reichen für die Gefahrenprognose im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG nicht aus. Der Umstand, dass bei der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung Störungen der öffentlichen Sicherheit durch gewaltbereite linke Gegendemonstranten zu befürchten waren, hätte den zuständigen Behörden Anlass sein müssen, zuvörderst gegen die angekündigten Gegendemonstrationen Maßnahmen zu ergreifen. Das durch gewaltbereite Gegendemonstranten drohende Gefahrenpotential ist der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung nicht zurechenbar.
Als Nichtstörerin hätte die vom Beschwerdeführer veranstaltete Versammlung daher nur im Wege des polizeilichen Notstandes in Anspruch genommen werden können. Hierzu fehlt es den angegriffenen Entscheidungen jedoch an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen und Ansätzen für deren notwendige rechtliche Würdigung.
Der Vorsitzende der Gerwerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg meinte zu dem Urteil der höchsten Instanz:
„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verlangt nun höhere Anforderungen an die Gefahrenprognose im Einzelfall, um die Durchsuchung von Demonstrationsteilnehmern nach Waffen zu rechtfertigen. Wenn rechtsextremistische Demonstrationen stattfinden und die Polizei die Teilnehmer kontrollieren will, so muss sie, so die Maßgabe des höchsten Gerichts, die Teilnehmer der Gegendemonstrationen, sofern Hinweise auf Gewaltbereitschaft vorliegen, mindestens genauso gründlich kontrollieren. Angesichts der Tatsache, dass rechten Demonstrationen oft hundert- bis tausendfach mehr Gegendemonstranten gegenüberstehen, wäre eine solche Maßnahme allein durch die notorische Personalknappheit bei polizeilichen Einsätzen nicht möglich.“
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Quellen:
(1) Bundesverfassungsgericht – Pressemitteilung Nr. 37/2010 vom 10. Juni 2010
(2) http://www.cop2cop.de/2010/06/10/hurden-fur-durchsuchung-von-demonstranten-hoher-gesetzt/