Die Wikileaks-Veröffentlichung und die Afghanistan-Pakistan-Strategie der USA
Wikileaks veröffentlichte heute Nacht insg. 91.000 Berichte der Spionagedienste und Militärs der USA, die als geheim klassifiziert sind. Medienpartner sind der „Spiegel“, die „New York Times“ und der „Guardian“, welche die Dokumente bereits vorher einsehen konnten, offensichtlich sogar lange vorher. Noch bevor Wikileaks die Veröffentlichung bekannt gab, bliesen der „Spiegel“ und die „New York Times“ zu noch mehr Krieg in Afghanistan und Pakistan – im vollständigen Einklang mit den Plänen der US-Regierung.
Es sollte offensichtlich eine Sensation werden. Jedenfalls war es so geplant. Der Raum war geschmückt, die Band spielte, die Kellner waren gut gekleidet und mitten im Raume lag ein saftiger, fetter Knochen, mit viel, viel Fleisch dran.
Und herein kamen mürrische Vegetarierer, die keine Lust mehr haben zu tanzen und es satt haben, dass irgendwelche Leute sie ständig verarschen wollen.
Kapitel I: Der Inhalt
Über den Inhalt dieser endlosen Files von Dokumenten, die Wikileaks gestern Nacht veröffentlichte, schrieben im Kleingedruckten auch die Zeitungen, welche sie zuvor sichten und auswerten konnten. Die „New York Times“ (1):
„Vieles der Information – rohe Geheimdienstdaten und Bedrohungs-Einschätzungen, gesammelt vom (Schlacht)Feld in Afghanistan – kann nicht verifiziert werden und kommt wahrscheinlich von Quellen, die mit dem afghanischen Geheimdienst zusammen hängen, der Pakistan als Feind betrachtet, sowie von bezahlten Informanten. Manche beschreiben Pläne für Angriffe, die anscheinend nicht stattgefunden haben.“
Wie nahe am offensichtlichen Blödsinn sich die „New York Times“ entlang hedderte, machte folgende Passage deutlich:
„Manche der Berichte beschreiben, dass der pakistanische Geheimdienst an der Seite von Al Qaeda arbeitet, um Angriffe zu planen. Experten mahnten, dass obwohl Pakistans militante Gruppen und Al Qaeda zusammenarbeiten, es schwierig sei, eine direkte Verbindung zwischen Pakistans Spionage-Agentur, dem Directorate for Inter-Services Intelligence, oder ISI, und der Al Qaeda herzustellen.“
Der „Guardian“ (2) schrieb explizit zu der in den veröffentlichten Dokumenten afghanischer Geheimdienstinformanten behaupteten direkten Komplizenschaft zwischen dem pakistanischen Geheimdienst ISI, den „Taliban“, sowie auch noch der „Al Qaeda“ folgendes:
„Aber mit all ihren ins Auge knallenden Details, scheitern die Geheimdienst-Dateien – größtenteils von Unteroffizieren zusammengetragen, die auf Informanten und afghanische Offizielle vertrauen – darin einen überzeugenden Beweis zu liefern für eine Komplizenschaft des ISI. Die meisten der Berichte sind vage, gefüllt mit unzusammenhängenden Details, oder grob fingiert. Die gleichen Charaktere – berühmte Taliban-Kommandeure, altbekannte ISI-Offizielle – und Szenarios tauchen immer wieder auf. Und wenige der Ereignisse, vorhergesagt in den Berichten, ereigneten sich später.“
Kapitel 2: „Taliban ist Pakistan ist im Laden, laden Sie durch, go, go, go!“
All die obskuren geheimen Quellen, irgendwo im afghanischen Bergstaub zusammenverhandelt, hinderten gerade den „Spiegel“ – von dem natürlich wieder jeder Trottel abschrieb – wieder einmal überhaupt nicht, die eigentliche Story hinter der Veröffentlichung der Medienmilitärtagebücher in die Welt hinaus zu blasen: Der Führer lebt! Bin Laden in Pakistan! Pakistan und die Taliban! Taliban ist Pakistan ist laden, bin ich sicher!
Nur – wo war das in entsprechenden Artikel der Onlineausgabe des „Spiegel“ (3) zu lesen? Hmm. Nirgendwo. Warum aber konnte man dann in der „Tagesschau“ (4) lesen:
„Eine entscheidende Rolle im Krieg spielt laut den Dokumenten Afghanistans Nachbarstaat Pakistan: Obwohl das Land der weltweiten Anti-Terror-Koalition angehört, sei der pakistanische Geheimdienst ISI der wohl wichtigste Helfer der Taliban außerhalb Afghanistans. So hätten sowohl die Taliban um Mullah Omar als auch der Mudschaheddin-Führer Gulbuddin Hekmatjar und der Warlord Haqqanis Stützpunkte in dem Land. Osama bin Laden habe ebenfalls in Pakistan Zuflucht gefunden, schreibt der „Spiegel“.“
So etwas nennt man im weltweiten Showbusiness der Medienmärchen ein Zitatenkarussel. Peinlich ist das.
Immer wieder wurden in Artikelpassagen der „Medienpartner“ von Wikileaks der ganze Irrsinn dieses fast neunjährigen Krieges deutlich, dessen mediale Betrugsmanöver für seine Durchführung essentiell waren. Die „New York Times“ (1):
„Amerikaner die den Krieg in Afghanistan kämpfen, haben lange den starken Verdacht gehabt, dass Pakistans militärischer Spionagedienst die afghanischen Aufständischen mit verdeckter Hand geführt hat, obwohl Pakistan mehr als eine Milliarde Dollar von Washington für die Bekämpfung der Militanten bekommt.“
Soso.
Gestern Nacht stand der oberste Militär der USA, der Chef der Vereinigten Generalstäbe Michael Mullen, in Pakistans Hauptstadt Islamabad und erzählte etwas völlig anderes. (5)
„Mullen, auf seinem neunzehnten Besuch in Pakistan, sagte, dass Islamabad kritische Entscheidungen getroffen habe um Erfolg im Krieg gegen den Terrorismus zu erreichen und würdigte die Rolle, die Pakistans Armee und der (Geheimdienst)Agentur des Landes ´Inter Services Intelligence` (ISI) bei der Gefangennahme von Terroristen gespielt hat.“
Wie passt das zusammen?
Der Chef der Vereinigten Generalstäbe der US-Militärs behauptete zudem allen Ernstes, dass „keine geheimen US-Truppen“ in Pakistan operieren würden und dass alle US-Truppen im Land auf Wunsch Pakistans stationiert worden seien – „zu Trainingszwecken.“
Auch stritt US-Generalstäbe-Leiter Admiral Michael Mullen energisch ab, dass er seinem alten Freund Ashfaq Parvez Kayani, Generalstabschef der Armee Pakistans, zu einer dreijährigen Verlängerung seiner Amtszeit verholfen habe.
„Pakistan ist ein souveränes Land und das ist eine interne Angelegenheit von Pakistan,“
so Mullen großzügig. Wie interessant. Nur Tage vorher hatte US-Aussenministerin Hillary Clinton ebenfalls in Islamabad gestanden und wörtlich gesagt (5):
„Ich vermute, dass jemand in dieser Regierung, angefangen von dessen Spitze bis in die niederen Ränge, sehr wohl weiß, wo Bin Laden ist. Also, ich denke, wir müssen den Druck weiter aufrecht erhalten, was wir auch tun.“
Die „Bild“-Zeitung (6) hatte offensichtlich beim Fernsehen wieder einmal zuviel „Bild“-Zeitung gelesen und brachte zu schreckenerregenden Fotos von Hillary Clinton und Osama bin Laden folgende Überschrift:
„Pakistan weiß, wo Osama bin Laden ist“
Nun diese Veröffentlichung auf Wikileaks. Sowohl Timing als auch Inhalt passen verdammt gut zu den Plänen der US-Regierung. Im vor der Veröffentlichung von Wikileaks online gegangen Artikel des „Spiegel“, zitierte man dazu bereits ausführlich einen engen Vertrauten von US-Präsident Barack Obama (3):
„Ben Rhodes, Direktor für strategische Kommunikation im Nationalen Sicherheitsrat der USA, sagte: „Seit seinem Amtsantritt äußerte sich Präsident Obama gegenüber Amerikas Bürgern sehr klar und offen über die Herausforderungen, denen wir in Afghanistan und Pakistan begegnen. Der Präsident und Spitzenregierungsbeamte haben immer wieder über Rückzugsorte in Pakistan gesprochen, über die Sicherheits- und Regierungsherausforderungen in Afghanistan und die Schwierigkeiten, die vor uns liegen.“ Es sei wichtig, „sich daran zu erinnern, dass die Dokumente vom Januar 2004 bis Dezember 2009 reichen. Der Krieg in Afghanistan wurde viele Jahre mit zu wenig Ressourcen geführt. (…) Am 1. Dezember 2009 hat Präsident Obama eine neue Strategie und neue Ressourcen für Afghanistan und Pakistan verkündet, gerade weil die Lage dort so ernst war.“
Ben Rhodes, den hier der „Spiegel“ so ausführlich zu Wikileaks-Veröffentlichungen zitiert, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erfolgt sind, ist vielleicht auch „Direktor für strategische Kommunikation im Nationalen Sicherheitsrat der USA“; aber zuerst einmal ist er ein 31-jähriger Autor, ein Schriftsteller, der die Reden des US-Präsidenten schreibt (7). Vielleicht liest er ihm sogar Geschichten vor. Schliesslich schreibt er sie ihm auch.
Kapitel 3: Krieg durch Geschwätz, mehr Krieg durch noch mehr Geschwätz
Der Chef der Vereinigten Generalstäbe des US-Militärs, Admiral Michael „Mike“ Mullen, brachte es gestern in Islamabad schlicht und einfach auf den Punkt (8):
„Mike Mullen stellte fest, dass mehr Nato Truppen sterben werden in Afghanistan und dass der Krieg schlimmer wird bevor es besser wird.“
So denken Militärs. Und so etwas glauben tun Irre.
Zuvor war Mullen in Afghanistan. Dort legte er vor „Diplomaten“ in der US-Botschaft (darunter bestimmt ebenfalls viele begnadete Literaten) die Sache einigermaßen deutlich klar: zusammen mit dem neuen Afghanistan-Kommandeur General David Petraeus vertrete er die Position, dass jetzt die Entscheidung herbei geführt werden müsse (9):
„Wo er und ich glauben, dass wir angelangt sind, ist – wir sind in der Ausführung („execution“). Wir wissen, was wir tun müssen. Wir wissen, wie wir es tun müssen. Nun müssen wir es ausführen und dort stehen wir. Und diese nächsten 12 Monate, aus meiner Perspektive, werden so kritisch dafür sein das hier herumzudrehen, wie alle anderen 12 Monate auch.“
Mullen setzt erklärtermaßen die neue Strategie des Weissen Hauses um. Diese läuft, wie von Mullen selbst umschrieben, auf noch mehr Krieg hinaus.
Nur – wo? Und gegen wen?
Kapitel 4: Analyse
Die 91.000 Dokumente, die Wikileaks veröffentlicht hat, sind bisher von niemandem analysiert worden ausser den vorab informierten Zeitungen, dem „Guardian“, der „New York Times“ und dem „Spiegel“. Wie der „Guardian“ in einigermassen distanzierter und kritischer Einschätzung schreibt – und die „New York Times“ ebenfalls andeutet – sind sie teilweise reines Hörensagen von bezahlten Informanten des afghanischen Geheimdienstes, des NDS, der wiederum eng mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) verwoben ist. (Oberst Klein: Wer war “sein Geheimdienst-Chef”?, 4.Dezember 2009)
Anzunehmen ist durchaus, dass die Berichte authentisch sind – in dem Sinne, dass sie tatsächlich im Spionage-Milieu geschrieben worden sind – irgendwo in dem Sumpf, der nach achteinhalb Jahren Besatzung in Afghanistan ein unentwirrbares Dickicht der Profiteure und Interessen geschaffen hat, mit viel zu vielen Kriegsfürsten, die sich an ein regelmäßiges, üppiges Salär von Transferleistungen gewöhnt haben. Diese gehen aus vom regulären, uninformierten Steuerzahler in den kriegführenden Ländern, von dort gehen die Milliarden und Abermilliarden in das jeweilige Staatssäckel, von dort über korrupte, unfähige Parlamente in die Militäretats und von den eigenen Militärs dann zu über Hilfstruppen, Milizen, Drogenbaronen und lokale Machthaber in den Kriegsgebieten. Dort hält man nun gern die Hand auf und möchte gar nicht mehr loslassen. (McChrystal raus, Petraeus degradiert: Die “Warlord AG” Afghanistan bekommt einen neuen Geschäftsführer, 23.Juni)
Diese aktuelle Entführungsgeschichte von zwei US-Soldaten, deren Berichte sich auf „lokale Medien“ in Bergkäffern, windige „Offizielle“ und „Taliban“ am Telefon stützen, ist ganz offensichtlich dazu gedacht, uns alle auf dieser großen Schnitzeljagd der Medienmärchen weiter auf Trab zu halten – und eventuell, ganz unauffällig, aus Afghanistan hinaus. Es gibt ja so viel Böses in der Welt. Und es will bekämpft sein, in Iran, in Pakistan, in Usbekistan, in Tadschikistan, usw, usw, usw. „Auch China soll ja..man weiss ja..ich habe Informationen…ich habe gehört…ja wie naiv sind Sie denn?“, blablabla.
Wikileaks hat sich, meiner bescheidenen Meinung nach, mit dieser Veröffentlichung keinen Gefallen getan. Die wichtige, unentbehrliche Bürgerrechtsorganisation ist an der Nase herum geführt worden. Auch bei der Wahl seiner „Medienpartner“, vom „Guardian“ einmal abgesehen, sollte Wikileaks demnächst etwas umsichtiger agieren.
Allgemein kann man sagen: alle Anzeichen stehen auf noch mehr Krieg. Begleitendes Informationsrauschen: Lügen und Täuschungsmanöver der Regierungen, Militärs, Spione und Medienerzähler, die diesen Krieg schlicht um jeden Preis fortsetzen wollen.
Nachtrag 18 Uhr:
In Pakistan sind in der Provinz Süd-Waziristan allein dieses Wochenende durch US-geführte Drohnen 35 Menschen getötet worden. Wie die BBC (10) zusammen gezählt hat, sollen seit Anfang 2007 siebenhundert Tote in solchen Drohnen-Angriffen getötet worden sein. Die Region, diese Gegend auf dem Territorium einer Atommacht, dessen Militär seit Jahrzehnten behauptet damit leider überhaupt nichts zu tun zu haben, ist für Journalisten praktisch nicht betretbar. Dafür sterben dann regelmäßig Dutzende, Hunderte, letzlliche jahrelang Tausende von Menschen dort, während sich die Generäle, Spione, Politschauspieler in Kabul, Washington und Islamabad die Hände schütteln, die sie sich vorher in Medien gewaschen haben.
In Afghanistan sind nach Angaben von Dorfbewohnern (11) am Freitag mal eben 52 Zivilisten ermordet worden, durch die ehrenwerten Antiterroristen des Nordatlantikpaktes. Heute bequemte sich auch der Prokonsul der Nato, Hamid Karzai, sowie sein ehrenwerter Stab des „Präsidentenpalastes“ zu einer entsprechenden Erklärung.(12)
Die Nato sagt natürlich, sie war es nicht. Aber – es gibt eine Untersuchung.
Ist das nicht ein schöner Krieg..?
Quellen:
(1) http://www.nytimes.com/2010/07/26/world/asia/26isi.html
(2) http://www.guardian.co.uk/world/2010/jul/25/pakistan-isi-accused-taliban-afghanistan
(3) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,708311,00.html
(4) http://www.tagesschau.de/ausland/wikileaks106.html
(5) http://www.rttnews.com/ArticleView.aspx?Id=1369244
(6) http://www.bild.de/BILD/politik/2010/07/21/us-aussenministerin-hillary-clinton-behauptet/pakistans-regierung-weiss-wo-osama-bin-laden-ist.html
(7) http://www.bild.de/BILD/politik/2009/06/04/ben-rhodes-er-schriebt-obamas/grundstzrede-an-die-islamische-welt.html
(8) http://www.examiner.com/x-57066-SF-Headlines-Examiner~y2010m7d25-Top-military-brass-drops-bombshell-regarding-Afghanistan
(9) http://www1.voanews.com/english/news/Top-US-Military-Official-in-Afghanistan-99189719.html?refresh=1
(10) http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-10758876
(11) http://english.cri.cn/6966/2010/07/26/1781s585086.htm
(12) http://www.tagesschau.de/ausland/afghanistan2068.html