Video: Julian Assange zu neuer Wikileaks-Veröffentlichung von US-Spionage-Akten
Der Gründer von Wikileaks Julian Assange hat gestern via Video in einer neuen Diskussionsveranstaltung des Londoner Frontline Club die Veröffentlichung der restlichen bislang unveröffentlichten 15.000 Dokumente aus den Spionage-Akten des US-Militärs angekündigt, welche Wikileaks durch unbekannte Quellen zugespielt worden waren. Der Unterschied zu der Veröffentlichung der ersten Welle von 76.000 US-Militär-Dateien in der Nacht zum 26.Juli: diesmal überprüft das Team von Wikileaks, was es da eigentlich der Weltöffentlichkeit präsentiert.
Frontline Club, gestern Abend (1). Zu der Veranstaltung „Die Daten-Revolution“ sind geladen: Heather Brooke, investigative Journalistin, Rechtsanwalt Mark Stephens (Fachgebiet Medienrecht) und Simon Rogers, Verwalter der Datenbank des „Guardian“. Per Video zugeschaltet ist Julian Assange, Gründer von Wikileaks.
Bereits kurz nach Beginn der Veranstaltung wird Assange auf die Veröffentlichung der restlichen 15.000 Dokumente aus den Beständen des Militär- und Spionage-Komplexes rund um das US-Militär angesprochen, welche Wikileaks bisher nicht veröffentlicht hat.
„Wir sind ungefähr zur Hälfte durch. Dies ist ein sehr teurer Prozess“,
so Assange. 7000 Dokumente seien bisher gesichtet worden. Die Bürgerrechtsorganisation und investigative Medienplattform bemühe sich in sehr zeitaufwendiger Arbeit sicherzustellen, dass keine Informanten des US-Militärs durch die Veröffentlichung in Gefahr geraten.
„Wir sehen uns wie Anwälte, die ihre Klienten vor Gericht vertreten. Wir repräsentieren Informanten („whistleblowers“) vor der Jury der Öffentlichen Meinung.“
Das Pentagon wurde mehrfach von Wikileaks kontaktiert, mit dem Angebot bei der Durchsicht der Dokumente auf möglicherweise für US-Informanten in Afghanistan gefährliches Material behilflich zu sein. Das US-Verteidigungsministerium hatte abgelehnt. Auch die „Medienpartner“ der ersten Veröffentlichung, der „Spiegel“, die „New York Times“ und der „Guardian“, weigern sich Assange zufolge bei der Durchsicht der Dokumente zu helfen.
Assange verteidigte sich nun gegen Vorwürfe von „Amnesty International“, der „Campaign for Innocent Victims in Conflict“ (CIVIC), dem „Open Society Institute“ (OSI), der „Afghanistan Independent Human Rights Commission“ sowie dem „Kabuler Büro der „International Crisis Group“ (ICG). Diese hatten in emails an Wikileaks und Julian Assange die Veröffentlichungen als Gefährdung von in den US-Militärdokumenten namentlich erwähnten Afghanen scharf kritisiert und zugleich sich trotz dreifacher Anfrage durch Wikileaks geweigert, bei der Durchsicht der Dokumente zu helfen. Assange machte den Fehler und antwortete diesen z.T. ominösen und militärnahen Organisationen.
„Ich bin sehr beschäftigt und habe nicht die Zeit mich mit Leuten auseinander zu setzen, die es vorziehen nichts zu tun als ihre Ärsche in Sicherheit zu bringen. Wenn Amnesty nichts tut sollte ich eine Presseveröffentlichung herausgeben, in der ihre Weigerung hervorgehoben wird.“
Danach waren die emails und die Antwort Assanges im „Wall Street Journal“ (2) aufgetaucht und von entsprechenden bellizistischen Presseportalen in Deutschland als „Erpressung“ (3) der wohltätigen Menschenfreunde durch Assange und Wikileaks ausgelegt worden. Ein Twitter Eintrag von Wikileaks (4), der besagte dass das Pentagon und die Medien jede Hilfe bei der ca. 700.000 Dollar teuren Durchsicht der Dokumente verweigerten, wurde dahingehend ausgelegt, dass Wikileaks wohl dringend Geld bräuchte und alleine nichts mehr hinbekäme.
„Merkwürdig und störend“ nannte dies der Wikileaks-Gründer und blieb dabei unterkühlt höflich.
Auftritt Jennifer Rowell, nebenberuflich Chefin der Abteilung für Politik und Empfehlungen von „Care“ im besetzten Afghanistan. Zeitgleich mit dem über den „Wall Street Journal“ veröffentlichten Klagelied der anderen „Hilfsorganisationen“ über gefährdete Informanten des US-Militärs, hatte Rowell am 9.August über die Gefährdung von Schülern in vom US-Militär gebauten Schulen informiert. Rowell „studiert“ deren Bewachung.
„Es ist eine sehr, sehr große Sorge von uns. Die sichtbare Beziehung (Anm.: des US-Militärs) mit den Schulen zieht die Aufmerksamkeit auf diese Schule. Dann werden sie ein Ziel, durch ihre Beziehung.“
Man stelle sich mal diese Aufmerksamkeit ohne den entsprechenden Artikel auf „CBC News“ (5) vor. Aber zurück zur Diskussionsveranstaltung im Frontline Club.
Caretaker Jennifer Rowell richtete nun an den Wikileaks-Gründer Assange die energische Frage nach dem Wohlergehen der Informanten des US-Militärs, die ja nun auch die von Wikileaks wären, im übertragenen Sinne. Es handele sich um ein „Informanten Paradoxon“. Es würde sie ein wenig treffen. Schliesslich seien Quellen für die Medien „sakrosankt“.
Assange anwortete, es kämen Zweifel auf, wenn es sich bei den Quellen um Quellen aus dem Militär oder den Spionagediensten handele.
„Bis zu einem gewissen Grad müssen wir unsere eigenen Instinkte bekämpfen um diese Art von Quellen zu beschützen.“
Als Beispiele der Arbeit von Wikileaks, das mit Veröffentlichungen extern der „Monopole“ der innerstaatlichen Nachrichtenwelt zur Information der Öffentlichkeit beitrage, nannte Julian Assange die Nennung der britischen Todesschwadronen „Task Force 444“ und „Task Force 42“ in Afghanistan, deren namentliche Erwähnung aus Buchveröffentlichungen im Vereinigten Königreich gestrichen werden mussten.
Assange berief sich auf den Ersten Verfassungszusatz der US Constitution, welcher die Rechte des staatlichen Gesetzgebers gegenüber der Bevölkerung ausdrücklich einschränkt und betonte, dass die parlamentarische Demokratie und die Verfassung der Vereinigten Staaten selbst aus der Kommunikation von Wissen der Menschen geformt worden sei. Gäbe es eine legislative Agenda, so Assange, welche das Wissen der Menschen reguliere, habe man eine legislative Agenda die sich selbst kontrolliere und damit Korruption und Zensur.
Hier die Aufzeichnung der Veranstaltung.
Einschätzung und Analyse:
Die Veröffentlichung der Daten aus dem Militär und Spionage-Komplex, der sich rund um die „Nationale Sicherheits AG“ der Vereinigten Staaten gebildet hat, ist im Kontext der massiven Kürzungen innerhalb dieses militärisch-industriellen Apparates der USA zu sehen. Die zivile Regierung hat mit der Unterstützung der „Top Secret America“-Artikelserie dazu die notwendige öffentliche Diskussion eröffnet und Wochen danach lang ausgearbeitete Pläne umgesetzt, die offensichtlich nach dem „systemischen Versagen“ (US-Präsident Barack Obama) des gesamten Sicherheitsapparates der USA im Zuge der Affäre um den vermeintlichen Anschlagsversuch an Bord von Flug 253 nach Detroit am 25.Dezember 2009 ausgearbeitet worden waren. (USA: Spionage-Komplex nach 9/11-Attentaten explosionsartig gewachsen, 19.Juli)
U.a. wird die Hälfte aller Generals- und Admiralsposten gestrichen, ein ganzes global operierendes Militärkommando wird aufgelöst. (Gates: United States Joint Forces Command und Hälfte der Generalität überflüssig)
Es geht um 100.000.000.000 Dollar, die ein paar Leuten sehr fehlen werden. Wenn Sie das nicht glauben, denken Sie darüber nach wie sehr Sie sich aufgeregt haben, als Sie das letzte Mal 100 Euro verloren haben.
Es ist wahrscheinlich, mindestens plausibel, dass diese Weitergabe an Wikileaks eine kleine Revanche aus dem „Nationalen Sicherheits-Apparat“ war, an dessen Verantwortung bezüglich der Weitergabe geheimer Informationen US-Generalstabschef Michael Mullen vor kurzem so merkwürdig in „Meet the Press“ warnte (6). Die Informanten, die offenbar über eine so erstaunliche Infrastruktur verfügten um sämtliche US-Dienste über die Weitergabe von ca. 91.000 Dokumenten im Unklaren zu lassen, konnte mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zuerst konnte man sich selbst aussuchen, welche Daten man nun Wikileaks zuspielte. Auch dem Online-Portal „Mein Parteibuch“ (7), das sich die Mühe machte das gesamte Material zu durchforsten, fiel dabei auf, dass sämtliches Material über geheime Einsätze von US Special Forces – also der Todesschwadronen – aus dem Kriegsgebiet fehlte. Nur Material mit der Klassifizierung „secret“ wurde veröffentlicht. Das ist ein Witz.
„Der Zugriff auf Informationen der Stufe „Geheim“ aus dem sogenannten Secret Internet Protocol Router Network (SIPRNet), einem militärinternen Netzwerk, relativ leicht möglich. Soldaten mussten nur als Geheimnisträger gelten, um sich anzumelden. Von da an fehlten zumeist weitere Kontrollmechanismen – darunter etwa eine „Bremse“, wie viele Daten eine Einzelperson herunterladen durfte. „Technische Schutzmaßnahmen, die wir hier in der Heimat kennen, wurden da unten nicht unbedingt buchstabengetreu umgesetzt“, kommentiert John Pike von der Denkfabrik GlobalSecurity.org, die sich Sicherheits- und Verteidigungsfragen widmet.
Hinzu kam, dass die speziellen SIPRNet-Rechner, die auf Militärbasen stehen, nicht unbedingt nur auf Geheimnisträger beschränkt waren. Brian Slaughter, der als Leutnant und Zugführer im Irak war, berichtet von Vorfällen, bei denen sich Soldaten angemeldet hätten, aber schlicht nicht mehr ausloggten.“ (8)
In den Vereinigten Staaten von Amerika operieren 1200 Regierungsorganisationen und 1900 Konzerne an rund 10.000 Örtlichkeiten innerhalb der USA im Geschäft der verdeckten Informationsbeschaffung für Geheimdienste, “Terrorismus-Bekämpfung” und “Heimatschutz”. 854.000 Staatsbürger, anderthalb mal so viele Bewohner wie in der Hauptstadt Washingt0n wohnen, haben das Privileg “Top Secret”-Akten der Regierung einsehen zu können. (TOP SECRET AMERICA: “Eine versteckte Welt, jeder Kontrolle entwachsen”)
Wie viele Personen können dann Akten mit der Klassifizierung „secret“ einsehen?
Die Empörung des Pentagon und der US-Regierung über eine vermeintliche Gefährdung von Informanten und Soldaten ist Heuchelei. Die Streitkräfte der Militärmacht, die einst innerhalb von drei Jahren die gesamten Streitkräfte des Kaiserreichs Japan und Nazi-Deutschlands besiegten, stehen nach fast neun Jahren Krieg da und wollen uns weissmachen, sie hätten trotz ihres gigantische Apparates noch nicht einmal Ahnung gegen wen sie eigentlich kämpfen, wo dieser ominöse, allgegenwärtige Gegner überhaupt ist, wo er seine Lager und Stützpunkte hat und wo er Waffen, Munition, Nahrungsmittel, Nachschub, Infrastruktur, Transportmittel und Informationen über die Bewegungen der US- und Nato-Truppen herbekommt. Das alles müsste eigentlich jedem noch rational denkenden Menschen deutlich machen, dass die USA den weltweiten „War on Terror“ in Afghanisten, Irak und anderen (geo)strategisch wichtigen Regionen nicht etwa gewinnen, sondern führen will.
Im Frieden kann man nicht aufrüsten. Im Frieden kann man nicht immer neuen Truppen an die Grenzen von Pakistan, Iran oder China verlegen. Im Frieden kann man seinen eigenen Staat nicht in einen Polizeistaat verwandeln, bzw gezielt ruinieren, um ihn in einen neuen totalitären Block zu überführen. Ebenso kann man im Frieden Milliarden von Schwachköpfen nicht ganz so leicht jahrelang Dreck erzählen, ohne dass sich ein einziger, armseliger „Demokrat“ getrauen würde laut über diese ganze Farce nachzudenken.
Wikileaks ist Müll angedreht worden, voll mit Bin Laden-Bullshit und Informationswitzen über den Iran. Egal was da jetzt noch in den 15.000 verbleibenden Akten von Wikileaks schlummert, es wird nicht zu gebrauchen sein – jedenfalls nicht für die Weltöffentlichkeit; aber zur Hetze gegen Wikileaks, dazu allemal. Und die ganze abgeschmackte, infame und korrupte Informationsindustrie, der Leichenberge als profitträchtige Schlagzeile immer etwas wert ist, wird wieder einmal als Hyänen einer niedergehenden „westlichen Welt“ um Wikileaks und alle unabhängigen Medien herumschleichen und auf Fraß warten, seien es neue Veröffentlichungen oder Wikileaks selbst. Die größte Dummheit von Wikileaks war dabei, sich genau mit diesen Hyänen als „Medienpartner“ einzulassen.
Sei es drum: jetzt heisst es da durch und zwar gemeinsam. Wikileaks braucht Unterstützung bei den kommenden Angriffen und das werden sie auch bekommen.
Nur bitte, bitte: nicht wieder so ein Eigentor, Kollegen.
(…)
29.07.2010 Afghanistan, Pakistan, Iran: Da lang, nein, da lang!
28.07.2010 Der Wikileaks-Trick entlarvt sich
26.07.2010 Die Wikileaks-Veröffentlichung und die Afghanistan-Pakistan-Strategie der USA
23.01.2010 US-Verteidigungsminister Gates bestätigt öffentlich Operationen der Söldnertruppen Blackwater und DynCorp in Pakistan
Quellen:
(1) http://frontlineclub.com/events/2010/08/the-data-revolution-how-wikileaks-is-changing-journalism.html
(2) http://online.wsj.com/article/SB10001424052748703428604575419580947722558.html
(3) http://www.zdnet.de/news/digitale_wirtschaft_internet_ebusiness_wikileaks_gruender_assange_erpresst_amnesty_international_story-39002364-41536180-1.htm
(4) http://twitter.com/wikileaks/status/20663752636
(5) http://www.cbc.ca/world/story/2010/08/06/f-afghanistan-education-schools.html
(6) http://www.msnbc.msn.com/id/38487969/ns/meet_the_press-transcripts
(7) http://www.mein-parteibuch.com/blog/2010/08/03/afghanistan-warlogs-datenanalyse-wie-tropfen-zum-reissenden-strom-werden-4/
(8) http://www.heise.de/newsticker/meldung/US-Militaer-will-Datenfreigabe-einschraenken-1052264.html