Selbstmorde beim Militär und belastete Gewissen

Amerikanische Statistiker und Imperialisten präsentieren alle möglichen Erklärungen für die Epidemie von Selbstmorden im Bereich des militärischen Personals der Vereinigten Staaten von Amerika.

Die beliebtesten Erklärungen beziehen sich auf Stress im Krieg und Stress zu Hause.

Ich habe einen weiteren plausiblen Grund: Schuld, die aus dem ungerechtfertigten Töten von anderen Menschen erwächst.

Nehmen wir den Irak. Weder das irakische Volk noch die irakische Regierung haben die Vereinigten Staaten von Amerika je angegriffen, ja nicht einmal gedroht, das zu tun. Sie hatten nichts zu tun mit den 9/11-Attacken. Als die Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika in den Irak einmarschierten, waren sie die Aggressoren. Schlimmstenfalls verteidigte jeder Iraker, der vom Militär der Vereinigten Staaten von Amerika getötet wurde, sein Land gegen eine gesetzwidrige Invasion durch die militärischen Kräfte einer fremden Macht.

In der ersten Phase der Invasion redeten sich die Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika ohne Zweifel ein, dass sie Iraker im Rahmen der Selbstverteidigung in der Annahme töteten, dass sie die Vereinigten Staaten von Amerika vor einem unmittelbar bevorstehenden Angriff mit Massenvernichtungswaffen beschützen mussten.

Mit der Zeit kam allerdings die Realität zum Vorschein. Es gab da keine Massenvernichtungswaffen. Nichtsdestotrotz waren bereits zahllose Iraker von Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika getötet worden.

Hat sich da die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika für diesen schweren Fehler entschuldigt? Hat Präsident Bush einen sofortigen Abzug aus dem Land angeordnet?

Nein.

Nachdem feststand, dass Saddam Hussein tatsächlich seine Bestände von Waffen der Massenvernichtung zerstört hatte, beschloss die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika dennoch, im Irak zu bleiben und befahl ihren Truppen, eine brutale Okkupation durchzusetzen, was zwangsläufig mit der Tötung weiterer Iraker verbunden war.

An diesem Punkt schwand der letzte Eindruck von „Selbstverteidigung“ für die Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika dahin, die Iraker töteten. Jeder Soldat, der einen Iraker tötete, wusste jetzt mit 100%iger Sicherheit, dass der Mensch, den er tötete, völlig unschuldig war an Angriffen oder angedrohten Angriffen gegen die Vereinigten Staaten von Amerika einschließlich 9/11 und Massenvernichtungswaffen.

Die ganze Zeit der Okkupation hindurch forderten Leute das Militär der Vereinigten Staaten von Amerika auf, vorsichtiger hinsichtlich des Tötens von Zivilisten vorzugehen. Man ging von der Annahme aus, dass es in Ordnung für das Militär der Vereinigten Staaten von Amerika ist, wenn es Aufständische oder Kämpfer tötet, größere Sorgfalt in der Frage des „Kollateralschadens“ jedoch angebracht sei.

Weit daneben. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika hatte keinerlei Recht, weder auf gesetzlicher noch auf moralischer Basis, im Irak zu sein, und das erst recht, nachdem fest stand, dass sich Bush in der Frage der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen geirrt hatte. Das heißt, dass Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika kein Recht hatten, weder gesetzlich noch moralisch, irgendeinen Iraker zu töten, schon gar nicht Iraker, die ihr Land gegen eine illegale Invasion verteidigten.

Nehmen wir an, dass ein Soldat der Vereinigten Staaten von Amerika sagt: „Aber wenn sie auf mich schießen, habe ich das Recht, in Selbstverteidigung zurück zu zuschießen.“

Weit daneben. Wenn ein Einbrecher in ein Haus einsteigt und vom Hausbesitzer beschossen wird, hat der Einbrecher kein Recht, weder gesetzlich noch moralisch, zurück zu schießen und Selbstverteidigung geltend zu machen. Da der Einbrecher kein Recht hat, in dem Haus zu sein, hat er nur die Option, rechtlich wie moralisch, sich aus dem Haus zu entfernen, ohne das Feuer des Hausbesitzers zu erwidern.

Das Gleiche trifft auch auf die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zu. Sie hatte kein Recht, in den Irak einzumarschieren. Sie hatte kein Recht, den Irak zu besetzen. Die Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika hatten kein Recht, auch nur einen einzigen Iraker zu töten (oder zu verstümmeln, einzusperren, zu foltern, zu misshandeln, zu vergewaltigen oder hinzurichten) – weder Zivilpersonen, noch Aufständische, auch keine Soldaten der irakischen Streitkräfte.

Statistiker und Imperialisten verteidigen das Töten von Irakern mit einer mathematischen Formel. Sie sagen, dass es die irakischen Tode wert war, weil der Irak jetzt, wie sie behaupten, ein besserer Ort ist als unter Saddam Hussein. Das ist natürlich eine Behauptung, die von vielen Irakern in Frage gestellt wird, und mit größter Wahrscheinlichkeit hätten die Getöteten es vorgezogen zu leben, sogar wenn der Irak ein schlimmerer Ort gewesen wäre ohne die Invasion und Okkupation.

Es geht hier allerdings um ein moralisches Problem. Die Statistiker und die Imperialisten sagen den Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika, dass es in Ordnung ist, wenn sie andere Menschen töten bei dem Versuch, dem Rest der Bürger in jener Gesellschaft ein besseres Leben zu bringen.

Welcher moralische oder religiöse Glauben rechtfertigt, dass man einen anderen Menschen unter dieser Art von Begründung umbringt? Das Christentum sicher nicht.

Erschwerend kommt in dieser Situation dazu, dass Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika Menschen in einem Krieg getötet haben, der gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika verstößt, die einzuhalten und zu verteidigen diese Soldaten geschworen haben. Es ist unbestritten, dass der Kongress niemals dem Irak den Krieg erklärt hat, wie es die Verfassung verlangt.

Natürlich wird es keine Strafverfahren gegen Soldaten geben, die Iraker getötet haben. Immunität vor gerichtlicher Verfolgung kann einen Menschen allerdings nicht vor der Verfolgung durch sein eigenes Gewissen schützen. Die schlimmsten soziopathischen Mörder können irgendwie ihr Gewissen begraben und scheinen niemals an Schuld oder Reue zu leiden, wenn sie Menschen töten, die meisten Soldaten sind aber keine soziopathischen Mörder. Sie sind normale Menschen, die in der idealistischen Annahme dem Militär beigetreten sind, ihrem Land zu dienen. Wenn sie ungerechtfertigt Menschen töten, ist es nicht so leicht, den psychologischen und emotionalen Folgen zu entkommen, die sich aus einem belasteten Gewissen ergeben.

Da es Soldaten nicht erlaubt ist und sie nicht ermutigt werden, sich der Realität dessen zu stellen, was sie wirklich im Irak getan haben – Menschen im Rahmen einer ungerechtfertigten Invasion und Okkupation zu töten – und weil sie weiterhin vorzugeben haben, dass sie Iraker im Dienste Amerikas oder im Interesse des Irak getötet haben, wird der Selbstmord zu einem einfachen Weg, der wachsenden Qual eines belasteten Gewissens zu entkommen.

erschienen am 5. August 2010 auf THE FUTURE OF FREEDOM FOUNDATIONhttp://www.fff.org/blog/jghblog2010-08-05.asp

Die Weiterverbreitung dieses Textes ist durchaus erwünscht. In diesem Fall bitte die Angabe der Webadresse www.antikrieg.com nicht zu vergessen!

Artikel zum Thema

25.12.2009 US-Navy: Selbstmordversuche innerhalb von drei Jahren fast verdreifacht

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert