Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn Rüdiger Grube kann sich offenbar einfach kein Bild mehr von der Realität machen.
Heute am frühen Morgen: man denkt, Gott, jetzt hat man schon Halluzinationen. Aber nein.
„BLÖDE FRAGE: Herr Grube, zwei Stuttgarter CDU-Bürgermeister und der SPD-Chef, alles Stuttgart21-Befürworter, verlangen sogar einen Baustopp. Wird’s jetzt eng?
Rüdiger Grube: Nein. Es gibt eine parlamentarische Mehrheit, dieses Projekt zu realisieren. Daran halte ich mich! Die Gegner haben für mich auch überhaupt keine überzeugenden Argumente geliefert, einem Baustopp nachzukommen. „(1)
Mal abgesehen davon, dass Bahnchefchen Grube offenbar immer noch auf die SPD-Fraktionsvormumie Claus Schmiedel setzt, obwohl die SPD mittlerweile schon von den Grünen überholt wird (Stuttgart 21: Wird Silke Krebs bald erste grüne Ministerpräsidentin?):
Jürgen Grube hat offenbar das Prinzip Internet immer noch nicht so recht verstanden.
Wir sitzen hier alle gar nicht in der U-Bahn oder zu siebt im Bauwagen. Und wir schütten uns morgens um 7 auch nicht das erste Bier rein und erzählen dann grunzend unseren verblödeten Kollegen den Mist weiter, den wir – ohne zu begreifen, was da eigentlich geschrieben steht – in einer von Titten und Tragödien übersähten Papierzeitung für Fuffich und nochwas Cent verschwommen haben entziffern können.
Die Initiative „Leben in Stuttgart“ hat in bisher einwandfreier politischer und informativer Arbeit eine Menge gut begründbarer Argumente und Sachverhalte gegen das gewaltige urbane und verkehrstechnische Umstrukturierungsprogramm „Stuttgart 21“ zusammen getragen. Ebenso wurden die Halbwahrheiten, aus der Luft gegriffenen Behauptungen und offenen Lügen der Befürworter und Profiteure des „Stuttgart 21“-Programms, allen voran denen von Rüdiger Grube, Punkt für Punkt auseinander genommen. (1)
„Seit 1995 geben mal die Deutsche Bahn, mal das Stuttgarter Rathaus Broschüren und Werbematerial für Stuttgart 21 heraus, die mal nur halbe Wahrheiten, mal einfach auch pure Lügen verbreiten. Die offenkundigste Lüge war immer, Stuttgart 21 verkürze die Fahrtzeit nach Ulm von 54 Minuten auf 28 Minuten. Dass diese Fahrtzeitverkürzung nicht durch Stuttgart 21, sondern nur durch die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm entsteht, weiß zwar die einigermaßen informierte Bevölkerung; dies hindert Stadt und Bahn aber nicht daran, diese Lüge weiterhin zu drucken und zu verbreiten.
Man kann es drehen und wenden, neue Namen erfinden, den Leuten ein X für ein U vormachen wollen: Stuttgart 21 geht bis Wendlingen. Dort beginnt dann die Neubaustrecke nach Ulm. Und wir werden weiterhin von Stuttgart 21 reden, also vom Abschnitt Feuerbach – Wendlingen, der 7 bis 9 Milliarden Euro kosten wird und keine Zeitersparnis bringt. Im Gegensatz zur Neubaustrecke, die 2 Milliarden kosten soll und 26 Minuten Reisezeit einspart. Und gegen die keiner etwas hat.“
Nun reiten die Protagonisten und Propagandisten von „Stuttgart 21“ immer auf dem Argument daher, Stuttgart würde durch das ca. neun Milliarden Euro teure urbane und verkehrsindustrielle Programm „an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz“ angeschlossen. Dazu „Leben in Stuttgart“:
„Diese gebetsmühlenhaft wiederholte Behauptung ist lächerlich. Stuttgart ist von Norden – und von dort kommt das Hauptverkehrsaufkommen – mit der Neubaustrecke Mannheim – Stuttgart und demnächst auch vom Südwesten her mit der Neubaustrecke Basel – Bruchsal – Stuttgart an das Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen. Die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm komplettiert diesen Anschluss Richtung Südosten. Stuttgart 21 hat damit überhaupt nichts zu tun. Stuttgart 21 ist eine – und zwar die schlechteste – Variante der Verbindung zwischen den Anschlüssen Stuttgart-Feuerbach und Wendlingen.“
Hervorragende Arbeit leistete „Leben in Stuttgart“ auch bei der Auflistung personeller Interessen im „Stuttgart 21 Kartell“ (2). Der Ausführlichkeit und Aktualität wegen sei dieses einmal ausführlich dokumentiert.
„Die „unabhängigen“ Sachverständigen, von der Deutschen Bahn benannt und vom Fünften Senat des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim dankbar angehört:
Prof. Dr. Ing. Gerhard Heimerl, emeritierter Leiter des Verkehrswissenschaftlichen Instituts der Universität Stuttgart. Er begutachtete seine eigene Planung.
Prof. Dr. Ing. Ulrich Martin, Leiter des Verkehrswissenschaftlichen Instituts Stuttgart (Nachfolger von Heimerl) berechnete im Auftrag der DB die Kapazitäten des Tiefbahnhofs von Stuttgart 21 und des Kopfbahnhofs in der alternativen Planung (Kopfbahnhof 21). Dabei legte er folgende Haltezeiten zugrunde:
Stuttgart 21 Kopfbahnhof 21
ICE 2 Min. 4 Min.
IC 2 Min. 6 Min.
RE* 1 Min. 6 Min.
*Ca. 60 Prozent des Zugaufkommens
Was für ein Wunder: Beim 8-gleisigen Kellerbahnhof kam die doppelte Leistungsfähigkeit gegenüber dem 16-gleisigen Kopfbahnhof heraus.Im Kuratorium des Verkehrswissenschaftlichen Instituts von Prof. Martin taucht Raimar Baur auf, der Chef der DB Projektebau Südwest; es finden sich dort auch mehrere Vertreter der Landesregierung, ein Vertreter des Eisenbahnbundesamtes, Manfred Bonz, früher SSB, die Vertreter des Verbandes Region Stuttgart und des Verkehrsverbundes Stuttgart und last not least: Gerhard Heimerl. Und neuerdings ist SSB-Technikvorstand Wolfgang Arnold stellvertretender Vorstand. Das ist der, der durch die Lande zog, um K21 madig zu machen
Prof. Dr. Ing. Wulf Schwanhäußer, emeritierter Leiter des Verkehrswissenschaftlichen Instituts der RWTH Aachen. Er verlieh im Juli 1996 dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG die Ehrendoktorwürde. Dafür wanderte Schwanhäußer 2002 in den Beirat der Deutschen Bahn AG, um sich – wie es in der Aufgabenstellung des Beirats heißt – für die Erreichung der Kapitalmarktfähigkeit der DB einzusetzen.
Wie auf Bestellung von Hartmut Mehdorn plädierten er und Mitarbeiter seines Instituts und u.a. auch Gerhard Heimerl samt Ulrich Martin und andere des Stuttgarter Instituts für den sog. „Integrierten Börsengang“ (Netz und Betrieb).Andere, zum Teil seit Anfang an Beteiligte bzw. Interessierte:
Reimar Baur, Geschäftsführer der DB Projektbau Südwest und früher Gesamtprojektleiter von Stuttgart 21 und noch früher Geschäftsführer bei Drees & Sommer.
Günther Oettinger, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, ist Vorsitzender des Aufsichtsrats und der Trägerversammlung der LBBW. Oettinger ist Mitinhaber der Oettinger-Gruppe, Wirtschaftsprüfung, Treuhand-, Revisions- und Unternehmensberatungsgesellschaft mbH in Ditzingen. Gesellschafter der Oettinger-Gruppe ist der Sparkassenverband Baden-Württemberg. Dessen Präsident, Peter Schneider, ist Vorsitzender des Beirats der Oettinger-Gruppe.
Peter Schneider, Präsident des Sparkassen-verbandes Baden-Württemberg, gehört zu den Unterstützern von Stuttgart 21…Der Sparkassenverband unterliegt zwar der Aufsicht durch die Landesregierung, also der Aufsicht des Ministerpräsidenten Oettinger, gleichwohl ist er Gesellschafter der Oettinger-Gruppe. Vor Peter Schneider war Heinrich Haasis als Vertreter des Gesellschafters Sparkassenverband Baden-Württemberg Vorsitzender des Beirats der Oettinger-Gruppe. Haasis ist heute Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Und natürlich Unterstützer von Stuttgart 21…
Dr. Wolfgang Schuster, Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart ist Aufsichtsratsvorsitzender der Stuttgarter Straßenbahnen AG, dessen Technikvorstand Arnold gerade als Chefpropagandist für Stuttgart 21 auftritt. Schuster ist auch Aufsichtsratsvorsitzender des Verkehrsverbundes Stuttgart, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafen Stuttgart AG und der Trägerversammlung der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) sowie Vorsitzender des Kreditausschusses der LBBW: Flughafen und LBBW gehören natürlich zu den Unterstützern von Stuttgart 21 (bzw. Profiteuren).
Prof. Dr. Ing. Hans Sommer, Aufsichtsratsvorsitzender von Drees & Sommer (Projektplanung), früher Vorstandsvorsitzender, gleichzeitig war er Mitte der 90er Jahre Gesamtprojektleiter von Stuttgart 21, dann abgelöst durch seinen Nachfolger Reimar Baur aus dem Hause Drees & Sommer. Drees & Sommer waren an der DBProjektgesellschaft Stuttgart 21 (später DB Projektbau Südwest mit zehn Prozent beteiligt, bevor der Bundesrechnungshof diese Beteiligung unterband. Hans Sommer tauchte aber im Mai 2006 als Geschäftsführer der DB Projektbau Südwest anlässlich des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim wieder auf. Nachdem dies publik wurde, verschwand er wieder aus den Analen der DB Projektbau Südwest. Aber wohin?
Lothar (Cleverle) Späth, früherer Minister-präsident Baden-Württembergs, bis 1977 im Vorstand und Aufsichtsrat der Baresel AG, heute Aufsichtsratsvorsitzender der Herrenknecht AG, des europaweit führenden Herstellers von Tunnelbohrmaschinen. War im Herbst 2006 von Ministerpräsident Günther Oettinger zum Anführer (neben Walter Riester) der sog. Unterstützer für Stuttgart 21 berufen worden.
Prof. Dr. Ing. Dirk Vallée, bis Februar 2008 Leitender Technischer Direktor beim Verband Region Stuttgart, machte seinen Doktor bei Prof. Wulf Schwanhäuser an der RWTH Aachen, und in seiner Stuttgarter Zeit Propaganda für Stuttgart 21. Ab März lehrt er als Professor am Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen.
Prof. Dr. Klaus Peter Dolde, von OB Schuster zum Gutachter über die Zulässigkeit des Bürgerentscheids bestellt und erwartungs-gemäß dort zum Schluss kommend, der Bürgerentscheid sei nicht zulässig, gutachtert auch für den Verband Region Stuttgart. Etliche Landräte vermuten nämlich seit Jahren, dass der Verband der Bahn zuviel Geld für die Regionalzüge bezahlt, und zwar 20 Mio. Euro. Und sie mutmaßen, dass dies geschieht, um Stuttgart 21 nicht zu gefährden. Ein Skandal sagen viele Ludwigsburger Kreisräte. Mitnichten, gutachtert Dolde, alles rechtens. „Durchgängig falsch“, sagt stattdessen der frühere Chef der SSB, Roland Batzill, und „Dolde handle wie ein Interessenvertreter der Bahn“. So ist es.
Dr. Wolfgang Arnold. Technikvorstand der SSB und fleißiger Vortragsredner zur Alternative Kopfbahnhof 21 (geht nicht, finanziert niemand, baut keiner ist gleichzeitig auch stellvertretender Vorstand des Verkehrswissenschaftlichen Instituts von Prof. Ulrich Martin.
Der Unterstützerkreis Stuttgart 21 wurde im Herbst 2006 von Ministerpräsident Oettinger einberufen. Ihm gehören unter anderem an (nur ein kleiner Auszug!):
Dr. Ing. Martin Herrenknecht, Vorstandsvor-sitzender der Herrenknecht AG. Die Firma ist in Europa Marktführer für Tunnelbohrmaschinen. Aufsichtsratsvorsitzender von Herrenknecht ist Lothar Späth.
Dr. Ing. Michael Blaschko, Geschäftsführung Bilfinger und Berger. Die Firma ist eine der größten Baufirmen in Deutschland.
Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer Hauptverband Deutsche Bauindustrie
Hans-Martin Peter, Präsident Industrieverband Steine und Erde Baden-Württemberg e.V.
Südwestbank AG, Dr. Peter Baumeister, Aufsichtsratsvorsitzender
Landeskreditbank Baden-Württemberg, Chris-tian Brand, Vorstandsvorsitzender
Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Heinrich Haasis, Präsident
Landesbank Baden-Württemberg (LBBW)*, Siegfried Jaschinski, Vorstandsvorsitzender
Baden-Württembergische Bank, Joachim E. Schielke, Vorstandsvorsitzender
Sparkassenverband Baden-Württemberg, Peter Schneider, Präsident (Schneider ist auch Vorsitzender des Verwaltungsrats der LBBW)
Deutsche Bank AG, Willhelm Haller von Hallerstein, Mitglied der Geschäftsleitung
Und natürlich gibt es noch viele weitere UnterstützerInnen, in den Medien, in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in den Ämtern und so fort.“
Architekt des Projektes war unter anderem Frei Otto, der als einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts gilt. Doch im Gegensatz zu dem ganzen Geflecht von Profiteuren aus Banken, Industrie und Politikgeschäft zeigt sich nun der geistige Vater des baulichen Entwurfes von S 21 entsetzt. Schlimmer noch: er warnt vor einer Katastrophe unabsehbaren Ausmaßes. Auch dieser „Stern“-Bericht vom 25.August verdeutlicht nun, gegen welche Verantwortungslosigkeit der „Volksparteien“ derzeit das Volk in Stuttgart auf den Straßen ist (3):
„Mehrere Gefahren sieht der Architekt, der 1997 gemeinsam mit Christoph Ingenhoven den Wettbewerb für den Tiefbahnhof gewonnen und ihn mit entworfen hat: dass der Bahnhof eventuell überschwemmt werden, oder aber auch, dass er „wie ein U-Boot aus dem Meer“ aufsteigen könne…
Ein geologisches Gutachten für die Deutsche Bahn von 2003, das bisher nur ein kleiner Personenkreis kannte, nicht aber Abgeordnete oder gar Stuttgarts Öffentlichkeit, bestätigt Frei Ottos Bedenken. Diese Studie des Ingenieursbüros Smoltczyk & Partner, die dem stern vorliegt, belegt, wie gefährlich Stuttgarts Untergrund ist: löchrig wie ein Käse, voller Dolinen und Hohlräume, sie zeigt, dass Bauarbeiten in diesem Grund enorm schwierig werden. Es lässt sich kaum abschätzen, wie lange sie dauern. Unkalkulierbar scheint zudem, wie viel die Arbeiten in diesem Untergrund kosten. „Mit dem Wissen von heute“, so Otto zum stern, „kann ich dieses Projekt nicht mehr verantworten. Ich würde auch nicht mehr in die Tiefe gehen, das wollte ich sowieso nie, das wollte der Auftraggeber„.“
Spätestens jetzt müsste eigentlich jedem klar sein, worum es hier geht.
Ein logisches, wirtschaftliches, seriöses und verantwortliches Alternativ-Konzept zum „Stuttgart 21“-Programm – den Entwurf Kopfbahnhof 21 (4) – legte übrigens nicht irgendeine staatliche Behörde, nicht irgendein Konzern und schon gar nicht irgendein „Verkehrsexperte“ der Parteien vor, sondern der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) und „Leben in Stuttgart“. Und zwar schon 2007.
(…)
Quellen:
(1) http://www.bild.de/BILD/regional/stuttgart/aktuell/2010/09/07/bahnchef-ruediger-grube-ueber-stuttgart21/die-stadt-bekommt-modernsten-bahnhof-der-welt.html
(2) http://www.leben-in-stuttgart.de/divers/Stuttgart21-Kartell.doc
(3) http://www.stern.de/wirtschaft/immobilien/gefahr-fuer-leib-und-leben-schoepfer-von-stuttgart-21-fordert-sofortigen-stopp-1596547.html
(4) http://www.vcd-bw.de/themen/s21/Kopfbahnhof_21_2007_screen.pdf