Gestern Mittag interviewte Radio Utopie den Sprecher der Stuttgarter Parkschützer, Matthias von Herrmann, zum laufenden Widerstand der Bevölkerung gegen das städtebauliche und verkehrsindustrielle „Infrastrukturprogramm“ namens „Stuttgart 21“ (S 21). Während des Interviews traten interessante Hintergründe zu Tage.
Denn entgegen der Darstellung der Befürworter von S 21 wurde das Programm im Jahre 1999 von der Deutschen Bahn AG selbst für acht Jahre beendet, da es offenkundig sinnlos und „unbezahlbar“ war. Erst 2007 liess es die Landesregierung Günther Oettingers aus wahltaktischen Motiven durch eine Milliarden-Subvention wieder aufleben, tatkräftig unterstützt von der „großen Koalition“ aus SPD, CDU und CSU an der Berliner Bundesregierung.
Wie Parkschützer-Sprecher von Herrmann berichtete, wurde das Projekt S 21 im Jahre 1994 durch die damaliges Landesregierung von Baden-Württemberg und der Deutschen Bahn AG ins Leben gerufen. (Anm.: der Konzern entstand zu diesem Zeitpunkt im Zuge des einsetzenden und bis heute laufenden Staatsabbaus aus Staatseigentum, namentlich den staatlichen Verkehrssystemen Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn.)
Von Herrman zufolge entstand der Plan im Zuge eines Hubschrauber-Überflugs des damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und des Vorstandsvorsitzenden der DB AG über die Stadt Stuttgart.
Das S 21-Projekt wurde 1997 der Öffentlichkeit vorgestellt. Laut Parkschützer Von Herrmann habe der bis heute regierende Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) trotz einsetzender Bürgerproteste bereits damals den Stuttgartern klar gemacht, dass das Projekt S 21 beschlossene Sache sei und auch so durchgesetzt werde. In 1999 jedoch, so Von Herrmann weiter, habe der noch von CDU-Kanzler Helmut Kohl ernannte Vorstandsvorsitzende der Deutsche Bahn AG, Johannes Ludewig, das Programm „Stuttgart 21“ als „bahntechnische Katastrophe“, „Nadelöhr“ und „unbezahlbar“ bezeichnet und gestoppt.
Bis 2007 lagen die Pläne für das Programm „Stuttgart 21“ in der Schublade, so Von Herrmann. Erst Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) habe nach seiner unsäglichen Filbinger-Rede im April des Jahres dringend ein neues Image-Projekt gebraucht und die Deutsche Bahn AG mit der Kostenübernahme von 950 Millionen Euro für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm dazu gebracht, das Programm doch noch zu starten. Erst durch die massiven staatlichen Subventionen durch Bundesregierung, Landesregierung und Region sei die Aufnahme des Programms S 21 für die DB AG wieder lukrativ geworden, so der Parkschützer.
(Anm. Die Bundesregierung bezifferte nach Eigendarstellung noch in 2007 ihren Anteil wie folgt: Der Bund solle sich mit 700 Millionen beteiligen: „eventuelle, zu beantragende, Zuschüsse im Rahmen des TEN-Programms werden von den Bundesmitteln abgezogen.“
Am 20. November 2008 genehmigte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages dann Bundesmittel in Höhe von insgesamt 1.55 Milliarden Euro, die aber erst ab 2014 zur Verfügung stehen. Bis dahin soll das Land Baden-Württemberg in Vorleistung treten.
Die bis zum Jahre 2020 reichende Agenda TEN (Transeuropean Networks) der 1992 gegründeten „Europäischen Union“ bildet den strategischen Hintergrund der Auseinandersetzung in der Region Stuttgart.)
Um die Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm ranken sich schwere Widersprüche in der Darstellung seitens Rüdiger Grube, derzeitiger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG. Er war im Frühjahr 2009 nach einer Einigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) von der Bundesregierung zum „Bahnchef“ des Staatskonzerns ernannt worden.
Wie Parkschützer Von Herrmann Radio Utopie berichtete, habe man seitens der Bahn im entsprechenden Planfeststellungsverfahren jahrelang behauptet, dass „leichte Güterzüge bis 1000 Tonnen“ die steil ansteigende Neubaustrecke nach Ulm passieren könnten.
„Nun hat aber Bahnchef Grube am 9.September im SWR 1 im Radiointerview gesagt, dass Güterzüge für diese Neubaustrecke nie geplant gewesen seien. Also war entweder das Planfeststellungsverfahren, was sich auf leichte Güterzüge bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung bezieht, eine Lüge, oder er lügt oder er weiss nicht was sein Konzern will.“
Von Herrmann weiter:
„Da ist ganz massiv was faul dran, was aber auch zeigt, dass dieses Projekt auf Biegen und Brechen durchgeboxt werden soll, egal was für Inhalte dagegen sprechen.“
Radio Utopie Interview mit Matthias von Herrmann, Parkschuetzer Stuttgart 23.09.10 by Radio Utopie