Gipfel der Verfassungs-Piraten

„Anti-Piraten-Gipfel“: Konspiratives Treffen von Bundesregierung und Verband Deutscher Reeder (VDR) in Berlin.

Auf einem konspirativem Treffen von Bundeswirtschaftsministerium, Bundesinnenministerium, Bundesverteidigungsministerium, Bundesjustizministerium und dem Verband Deutscher Reeder (VDR) sollen Einsätze der „Anti-Terror“-Sondereinheit der Bundespolizei GSG 9 an der strategischen Meerenge zwischen Somalia und Jemen besprochen werden. Alibi des erneuten Angriffes auf unsere Verfassung: angeblich seit Jahren die Reling voluminöser Handelsschiffe hochfliegende „Piraten“.

Seit vielen Jahren steht die Forderung der deutschen Reedereien im Raum, entgegen der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland Personal der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr krimineller Elemente auf hoher See bei Fahrten ziviler deutscher Handelsschiffen einzusetzen. Damit bedienen sie als vorgeschobene Unternehmer die langgehegten Ambitionen der militaristischen Staatslenker und arbeiten eng mit denjenigen zusammen, die die Seehandelswege ausserhalb des deutschen Staates militärisch „sichern“ und ständige deutsche Aussenposten auf dem Festland wie in Dschibouti betreiben.

Gleichzeitig fahren aber die meisten Handelsschiffe der deutschen Reedereien nicht unter deutscher Flagge und haben keine deutschen Matrosen an Bord, sondern engagieren billige Arbeitskräfte aus ärmeren Ländern. (1)

Jens Burgemeister aus der Geschäftsführung der Reederei Dr. Karl-Heinz Krämer, deren siebenunddreissig Schiffe unter der Flagge von Liberia fahren, wird am 31.Dezember 2010 im Hamburger Abendblatt dazu wie folgt zitiert:

„Es gibt für Tanker nicht genügend Deutsch sprechendes Personal, das die Anforderungen der großen Ölgesellschaften erfüllt, für die wir arbeiten.“

Sozusagen fährt man so aber fast unter der Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika – weil das Schiffsregister des afrikanischen Staates quasi als offizielles Zweitregister der USA gelte.

Im Jahr 2006 vereinbarte die Bundesregierung mit dem Verband Deutscher Reeder (VDR) in einer freiwilligen Verpflichtung, dass bis zum Ende des Jahres 2010 sechshundert zivile Schiffe – Tanker, Frachter, Passagierschiffe – unter deutscher Flagge fahren sollten. Sollte die wirtschaftliche Situation für die notleidenden Reeder das nicht zulassen, wurde die Grenze vorsichtshalber mit fünfhundert Schiffen festgelegt.

Diese Selbstverpflichtung haben die deutschen Reeder nicht eingehalten. Am 31.Dezember 2010 fuhren nur vierhundertneununddreissig Schiffe von ca. dreitausend unter deutscher Flagge zur See. Deutschland hat die drittgrösste Handelsflotte der Welt.

In Deutschland wird zur Zeit versucht, krampfhaft den ersten internationalen Piratenprozess einigermassen unter Wahrung des Gesichts durchzuziehen. Den Überfall bezeichnete Kapitän Dierk Eggers selbst als „Kinderkacke“. (2)

Am heutigen Montag, den 24.Januar 2011 wurde ein Staatstreffen im Bundeswirtschaftsministerium von Wirtschaftsstaatssekretär Hans-Joachim Otto, dem maritimen Koordinator der Bundesregierung, zu dem Thema einberufen. (3)

„Es ist wichtig, dass die Seeleute in Zukunft noch besser geschützt werden, denn der Welthandel wird zu über 90 Prozent auf den Weltmeeren abgewickelt.“ hatte der Hauptgeschäftsführer des Reederverbands, Ralf Nagel, am 3.Januar 2011 im Vorfeld des heutigen Treffens gefordert.

Der Chef der deutsche Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt forderte einen eigenen ständigen Stab für Einsätze der Bundespolizei im Ausland, die die Elitetruppe GSG 9 durchführen sollen, wobei sich den Anordnungen des neu zu schaffenden Gremiums des Bundesinnenministeriums das Verteidigungsministerium unterzuordnen hat (4):

„Angesichts der weltweiten Bedrohung wäre es notwendig und sinnvoll, in der Bundespolizei einen ständigen Führungsstab einzurichten und den Einsatz der GSG 9 zu koordinieren. Selbstverständlich könnte die Bundespolizei das leisten, wenn das Militär die Transportfrage löst und ein schlüssiges Konzept für den Einsatz unter dem Führungsstab der Bundespolizei erarbeitet wird.

Im Einzelfall und je nach Lage sollten auf den Schiffen notfalls auch Einsatzkräfte zeitweise anwesend sein, um die Besatzung und das Schiff zu schützen.“

Der ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hatte im Zuge der geheimnisvollen Vorgänge um die „Stavanger“ schon einmal versucht, unrechtmässig im Alleingang die GSG 9 vor der Küste Somalias einzusetzen und wurde schleunigst zurück gepfiffen.

Bundeswehrsoldaten und Bundespolizei auf zivilen deutschen Schiffen auf Seerouten ausserhalb Deutschlands verbietet das Grundgesetz.

Umgangen wird es dennoch, indem im Rahmen der EU-Einsatzgruppe Atalanta bereits bewaffnete Kräfte auf Weisung des EU-Befehlshabers als Begleitschutz auf Handelsschiffen im Atalanta-Gebiet eingesetzt werden können. An Bord der Bundeswehr-Fregatte „Hamburg“ hält sich ein elfköpfiges Schutzteam („vessel protection team“) aus Estland auf.

Hauptgeschäftsführer des Reederverbands, Ralf Nagel, sagte etwas für die Öffentlichkeit sehr Erstaunliches (5):

Die Selbstschutzmassnahmen der deutschen Reeder hätten bereits dazu geführt, dass die Attacken auf deutsche Schiffe seltener erfolgreich seien. Die somalischen Piraten hätten es nicht auf die Schiffe und deren Ladung abgesehen:

„Bei diesen Gewaltverbrechen auf hoher See geht es allein um den Menschenraub.“

Diese Mitteilung ist nun etwas ganz Neues. Erhoffen sich die verantwortlichen Politiker auf diese Weise, sich die Zustimmung zur Grundgesetzänderung von den Bundestagsabgeordneten zu ergauern, indem sie auf die Tränendrüsen drücken?

Humanitäre Menschenrechte zu schützen verkauft sich da viel besser als das Grundgesetz wegen des schnöden Mammons in Form von dubiosen Lösegeldzahlungen zu ändern.

Die Variante des Menschenraubes einzuführen ist da nicht sehr orginell, aber das wurde bisher noch nicht als Argument angebracht.

Demnächst wird man am Ende noch von Massenentführungen der Besatzungen von Handelsschiffen in der Presse zu hören bekommen.

Artikel zum Thema

24.01.2011 Schimpf-Kanonade voraus: Marine-Inspekteur passt das Grundgesetz nicht
22.10.2010 Deutsche Polizei trainiert auf Seychellen Pirateriekampf
21.04.2010 Crew von Kapitän Richard Phillips der “Maersk Alabama” entlarvt dessen Version um die Vorgänge im April 2009 als Lüge
Rechtsanwalt vertritt die Interessen fast der gesamten Mannschaft des Schiffes gegen offizielle Darstellungen des Überfalls vor Somalias Küste
16.06.2009 GSG 9: Wer steht hinter den Piraten?
10.05.2009 Politclown Schäuble oder Die Salami-Taktik ohne Salami
05.05.2009 Die Hansa Stavanger-Farce I: Die „Piraten“-Bucht von Harardhere
11.04.2009 Mit gekaperten Tankern gegen Kriegsschiffe

Quellen:
(1) http://www.abendblatt.de/hamburg/article1743420/Schwarz-Rot-Streit-Konflikt-unter-deutschen-Reedern.html
(2) http://www.fr-online.de/politik/angstschweiss-und-kinderkacke/-/1472596/5064948/-/view/asFirstTeaser/-/index.html
(3) http://www.handelsblatt.com/politik/international/piraten-attacken-reeder-schlagen-alarm-gsg-9-soll-helfen;2738289
4) http://www.focus.de/politik/deutschland/anti-piraten-gipfel-ruf-nach-gsg-9-einsatz-gegen-seeraeuber_aid_593069.html
(5) http://www.verkehrsrundschau.de/gespraeche-ueber-schutz-vor-piraten-geplant-997556.html

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