Tauschangebot: Elitespezial-Truppe des Bundesinnenministers für Fahren unter deutscher Flagge oder privat gegen Bezahlung anheuern.
Am Montag, den 24.Januar 2011 trafen sich in Berlin Vertreter der deutschen Reedereien, Gewerkschaften und der politischen Hochsicherheitsszene des Innen-, Aussen-, Justiz- und Verteidigungsministeriums unter Vorsitz des Maritimen Koordinators Hans-Joachim Otto zu einem ersten grossen Krisentreffen einer sehr zweifelhaften Krise.
Thema der seit längerer Zeit anberaumten Sitzung war unter dem Stichwort „Piraten“ unter anderem der immer weiter auszudehnende Einsatz von Bundeswehr auf dem afrikanischen Festland, Sonderspezialeinsatzkräfte wie die GSG 9 des Innenministeriums auf zivilen Schiffen zur Wahrung deutscher Interessen der Wirtschaftsverbände und anderer Gruppen.
Diese Vorstellungen, staatliche Sicherheitskräfte im Ausland zum Schutz einer Privatfirma einzusetzen und zu erlauben, sind von weitertragenden Konsequenzen:
Dabei wird die Taktik der kleinen Nadelstiche angewendet: man wirft eine Forderung in den Raum, weil sie gesetzlich nicht abgedeckt ist und wartet ab, ob sich öffentlicher Widerstand regt.
Ist das nicht der Fall, werden Gesetzesänderungen problemlos vorbereitet.
Trifft das Gegenteil zu, werden in gewissen zeitlichen Abständen die Absichten wiederholt. Damit werden diejenigen ermittelt, die den erweiterten Einsätzen kritisch gegenüber stehen und das auch deutlich äussern und können auf verschiedene Weise beeinflusst werden. Die angewendeten Massnahmen, um diese Stimmen zum Schweigen zu bringen reichen von Versetzungen (auf der Karriereleiter stehen beide Wege je nach Charakter des Betroffenen nach oben oder unten offen), Rufmorden und viele Dinge mehr. Der weitere damit erzielte psychologische Effekt ist die Gewöhnung. Was am Anfang noch Entrüstung und Empörung hervorrief, schleift sich mit der Zeit ab wird irgendwann zur Normalität.
Die Fahne zur Bewahrung des im Grundgesetz nicht ohne Grund verbotenen Einsatzes von staatlichen Polizeibeamten und Sicherheitskräften auf zivilen deutschen Handelsschiffen hochzuhalten bleibt wieder den Aktivisten überlassen, die unermüdlich auf diese Missstände der Regierungsbestrebungen, die Verfassung zu verändern, hinweisen und die Öffentlichkeit darüber informieren.
Auch in dem vorliegenden Fall vom Montag wurde nur in eins, zwei Blättern über die Forderungen des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) – hoheitliche Sicherheitskräfte an Bord zu bekommen – Marinesoldaten oder Bundespolizisten, die die Schiffe in den gefährlichen Gewässern vor Ostafrika schützen und dafür im Ernstfall ihre Waffen einsetzen – knapp berichtet ohne weiteren Kommentar zu der skandalösen Dreistigkeit abzugeben, die sich hier unter der Flagge der vorgeschobenen Reedereibranche abspielte. (1)
Sicher ist es kaum jemanden ausserhalb der „Szene“ aufgefallen, dass das Mandat der Bundeswehr im Rahmen der Atalanta-Mission nur für Schiffe mit offiziellen staatlichen Lieferungen im Rahmen der Nahrungsmittelhilfen für Afrika nach Somalia gilt, die im Auftrag der Regierungen Begleitschutz bieten sollen, denn diese Tatsache wird gern verschwiegen. Die meisten Menschen nehmen an, dass die Marine am Horn von Afrika die deutschen Handelsschiffe und die anderer Länder vor „Räubern beschützt“ und finden den Millionen Euro verschlingenden Einsatz in Ordnung.
Die Marine ist nicht trotz gegenteiliger Darstellungen in der Presse dazu ermächtigt, private Tanker und Passagierschiffe zu begleiten und schon gar nicht an Bord mitzufahren.
Wenn wie in der Welt am 26.Januar 2011 dargestellt, ein Streit darüber ausgebrochen ist, so ist das eine Inszenierung der üblichen Art. Alle Beteiligten kennen die für sie unerträgliche Rechtslage zur Genüge und das Treffen wurde zur Abänderung dieser einberufen, dem im Frühsommer ein weiteres folgen soll.
Die folgenden Aussagen wurden für das Presseblatt „Welt“ vorbereitet und sind nicht auf der Krisensitzung gefallen. Eine Veröffentlichung des Rede-Protokolls verlief bisher trotz umfangreicher Recherche ergebnislos.
VDR-Hauptgeschäftsführer Ralf Nagel sagte der Welt
„Wir können von einem Maritimen Koordinator schon erwarten, dass er die Wünsche der deutschen Reedereien offensiv aufgreift.“
und Otto spielte den Ball zurück, indem er der Welt sagte:
„Die Verantwortung für die Sicherheit der Schifffahrt liegt in erster Linie bei den Reedern selbst. Ein solch grosser Einsatz von Soldaten ist mit den vorhandenen Kräften nicht möglich. Er ist logistisch schwierig und rechtlich derzeit nicht möglich.“
Diese Darstellung Ottos ist insofern richtig, dass die Verfassung diesen Vorstellungen einen Riegel vorgeschoben hat.
Was der Maritime Koordinator, der auch parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium ist, mit dem hinzugefügten Wort „derzeit“ ausdrückte, könnte auch durchaus nichts anderes als „aber nicht mehr lange, wir ziehen hier an einem Strang“ bedeuten.
Die Welt zitierte Otto mit der Aussage, dass Bundespolizisten nur Schiffe schützen können, die unter deutscher Flagge fahren. Auch hier gibt es keinerlei gesetzliche Regelungen, die Einsätze der Bundespolizei im Ausland zur Sicherung privater Interessen zulassen würden.
Nach Angaben der Zeitung suchen der Verband Deutscher Reeder und Verteidigungsministerium angeblich nach einer Lösung, deren Ziel sicher schon längst feststeht.
Nagel hätte gesagt, jedes Handelsschiff ist ein besonders gefährdetes Schiff und somit den Bundestagsmandats-Schiffen der „Nahrungsmittelhilfen für Afrika“ gleichzusetzen.
Der Reedereiverband biete die Bereitstellung von Versorgungsschiffen an, von denen aus Soldaten oder Polizisten eingesetzt werden:
„Die Organisation ist eine logistische Aufgabe, und damit kennen sich die Reedereien aus.“
Das Argument der Kosten spiele dabei überhaupt keine Rolle, obwohl der Reedereiverband in dem vergangenen Jahr ständig versucht hat, die Regierung wegen der horrenden Ausgaben der Kosten für Schutzmassnahmen „unter Druck“ zu setzen.
Diese professionelle Logistik wurde am 26.Januar 2011 von dem Bremer Reeder Niels Stolberg – ausgerechnet dessen Reederei unter Billigflaggen und ausländischer Besatzung fahren lässt, gegenüber dem Hamburger Abendblatt so beschrieben:
Drei Schiffe mit ständig stationierten Sicherheitskräften werden im Gebiet am Horn von Afrika vor der Küste Somalias eingesetzt.
„Von dort aus könnten die Spezialisten auf die jeweils vorbeifahrenden Schiffe umsteigen und sie an Bord begleiten, bis sie das gefährdete Seegebiet wieder verlassen haben“, und weiter hiess es, die Reedereien würden es begrüssen, wenn Bundespolizei und Deutsche Marine daran teilnähmen.
Niels Stolberg ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Beluga Shipping GmbH, und passend zum Piratengipfel erreichte die Runde am Montag die Mitteilung, dass die „Beluga Nomination“ nördlich der Seychellen in sehr abgelegenen Gebiet der Handelsrouten gekidnappt worden sei (das dritte Schiff dieser Reederei, das in einen derartigen Vorfall verwickelt ist) – am vorangegangenen Samstag vor drei Tagen also – und alle Marineschiffe der Bundeswehr wären gerade zufällig zur Reparatur oder zum Auftanken in Häfen gewesen – was für ein Zufall. Auch dieses Schiff fährt nicht unter deutscher Flagge und hat nur ausländische Besatzung an Bord.
Alle anderen Kriegsschiffe der vielen Nationen, die am Horn von Afrika und im Indischen Ozean unterwegs sind, waren ebenfalls an diesem Tag wie vom Erdboden oder eher von der Meeresoberfläche verschwunden.
Der Verbandssprecher Max Johns vom Verband Deutscher Reeder sagte gegenüber dem Hamburger Abendblatt:
„Wir halten es jetzt für realistisch, dass künftig doch noch bewaffnete Teams von Polizei oder Marine mit an Bord gehen.“
und forderte das Innen- und Verteidigungsministerium auf, Schlupflöcher zur Umgehung der bestehenden Rechtslage zu finden. Der Verband erwarte rasch Ergebnisse dieser Suche. Der Maritime Koordinator hätte eine
„verbesserte Zusammenarbeit zwischen Land- und Seestreitkräften in Somalia“ versprochen, sagte der Sprecher.
Und als Belohnung für den Staat gibt es dafür von ein ganz besonderes Schmankerl:
„Ein solcher Einsatz wäre ein gutes Argument für deutsche Reeder, mehr Schiffe unter die deutsche Flagge zu stellen.“
Diese Frechheit ist das verworrenste Seemannsgarn, welches jemals abgespult wurde und passt ins Bild dieses ganzen Theaters. Gerade einmal nur 15 Prozent der Handelsschiffe fahren aus finanziellen Gründen unter deutscher Flagge. Für den Einsatz der GSG 9 Eingreiftruppe bringt man doch verständnisvoll dieses grausame freiwillige Opfer.
Künftig könnten sich alle Unternehmer auf das bis jetzt noch nicht stattgefundene gewünschte Szenario der Reedereien berufen und so könnte Benjamin Meyer aus Niedertrebra, der einen von Überfällen bedrohten Bratwurst-Kiosk in Nimule betreibt, die GSG 9 anfordern, wenn er ihnen das Taxi vom Flughafen bezahlt und im Gegenzug dafür an seinen Imbiss-Stand die deutsche Fahne anbringen. Die Dankbarkeit des Bundesinnenministeriums wäre ihm gewiss, dort einfliegen zu können – gilt es doch die wirtschaftlichen Interessen der deutschen Konzerne in Krisenregionen zu sichern.
Einig war die Runde darin: Private Sicherheitskräfte seien nicht die Lösung, um die Schiffe gegen Angriffe zu verteidigen. Besonders Vertreter der Seemannsmission fürchten um eine Eskalation der Gewalt, sollten verstärkt Söldnertruppen für den Schutz angeheuert werden, hiess es in der Zeitung. Eine merkwürdige Logik ist das allemal – auch Soldaten schiessen zurück, wenn man sie angreift – eine Wehr aus Not.
Selbst die rechtliche Grundlage für den Einsatz von privaten Wachleuten wäre auf einmal unklar, meinte das Hamburger Abendblatt und zielte irreführend auf das Bundesinnenministerium, das der Reederei Komrowski auf dem Schiff unter deutscher Flagge verboten hatte, Wachpersonal einzusetzen. Aus diesem Grund musste die arme geprellte Geschäftsführung laut der Zeitung die „Taipan“ erst nach Liberia ausflaggen.
Liberia unterliegt dem deutschen Waffenausfuhrverbot vom 12. Februar 2008 durch den Gemeinsamen Standpunkt der EU (2008/109/GASP) und so sollte doch die Frage erlaubt sein, warum diese Reeder unbehelligt von Kritik der Regierung seit Jahrzehnten so ihre Gewinne steigern.
Das nennt man Manipulation der Öffentlichkeit vom Plumpesten, was überhaupt noch in diesen Kreisen vorstellbar ist, die die Bevölkerung dieses Landes mit derartigen Aussagen für einen Haufen Idioten hält.
Die Bundestagsabgeordneten, die auch diese zu befürchtende Mandatserweiterung so wie den Afghanistaneinsatz am 28.Januar 2011 in überwältigender Mehrheit befürworteten, haben sich trotz aller dagegen sprechender Fakten der Verlängerung als solche erwiesen.
Auf eine Steigerung der kommenden neuen Argumente für den Einsatz der Elitetruppe GSG 9 in Afrika und im Nahen und Mittleren Osten darf man gespannt sein.
Artikel zum Thema
25.01.2011 Kakophonischer Trauermarsch zum Verfassungs-Piraten-Gipfel
24.01.2011 Gipfel der Verfassungs-Piraten
24.01.2011 Schimpf-Kanonade voraus: Marine-Inspekteur passt das Grundgesetz nicht
Quellen:
http://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article12344944/Kein-Schutz-bei-Piratenueberfaellen.html
http://www.abendblatt.de/wirtschaft/hafen-und-schifffahrt/article1768205/Reeder-wollen-Polizeischutz-auf-Schiffen-selbst-bezahlen.html