Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 8
Live Bilder aus Ägypten: Einem Land platzt der Kragen
Volksaufstand in Ägypten: Ticker
Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 6
Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 7
Kairo: Tag 8 des Volksaufstandes in Ägypten. Es herrscht Generalstreik im Land. Bereits jetzt sind über hunderttausend Menschen auf dem Kairoer Tahrir-Platz um sich für den „Marsch von Millionen“ zu versammeln, der durch Graswurzel-Gruppen wie die Jugendbewegung “6.April” innerhalb eines Tages organisiert wurde, obwohl das Internet durch Konzerne und die Diktatur immer noch größtenteils lahmgelegt worden ist.
Bilder vom Morgen.
Die Menschen sind entschlossen. Es haben inzwischen auch ein paar hundert Unterstützer von Diktator Husni Mubarak demonstriert. Niemand beachtet sie.
Die Ägypter haben die Diktatur satt. Endgültig.
Al Jazeera Reporter und Beobachter berichten per Twitter vom Tahrir-Platz. Die Menschen halten Plakate hoch. „Wir suchen einen Führer, der blöde, repressiv und seit 30 Jahren hier ist. Wenn Sie ihn finden, bringen Sie ihn bitte zum Flughafen.“
Die Demonstranten rufen, „Das Volk, die Armee sind eins“. Soldaten rufen zurück, „Wir sind mit Euch“. Überall herrscht die gleiche Stimmung: der Diktator muss weg. Reporter berichten, wie seltsam es ist in Kairo sich mit Menschen unverblümt über Politik zu unterhalten. Die Jugend Ägyptens hat dies nie erlebt. Nie. Seit 30 Jahren herrscht Ausnahmezustand.
Doch nicht mehr lange. Jetzt ist es genug. Tag 8 des Volksaufstandes in Ägypten.
Tag der Entscheidung.
Öffentlich zugängliche Quellen:
Live TV Stream Al Jazeera: http://english.aljazeera.net/watch_now/
Twitter Al Jazeera: http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2011/01/201112523026521335.html
Ticker Al Jazeera: http://blogs.aljazeera.net/middle-east/2011/01/31/live-blog-feb-1-egypt-protests
11.15 Uhr
Die Menschen sind auf dem Tahrir-Platz so dicht gedrängt, dass sich nicht alle Menschen zum Morgengebet niederlassen können. Doch der Platz wird fast völlig still.
Journalisten berichten von Menschen, die zum ersten Mal in ihrem Leben an einer politischen Versammlung teilnehmen. Gefragt warum, antworten sie: wir glauben, dass der Diktator heute flüchten wird. Wir glauben es wirklich.
Die Menschen sind friedlich. Aber so entschlossen, wie Menschen nur sein können.
11.40 Uhr
Eine Million Menschen auf dem Tahrir-Platz.
Vom Platz melden es die Organisatoren, Journalisten können dies von ihren Beobachtungspunkten bestätigen. Sämtliche Zugangswege zum Tahrir-Platz quellen über von Menschen. Es ist mit Abstand die größte Versammlung von Menschen, die in den 30 Jahren Ausnahmezustand unter Diktator Husni Mubarak jemals stattgefunden hat.
11.55 Uhr
Berichte über eine Rede vom türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan. Er ruft Richtung Mubarak: „Wir sind alle sterblich. Wir alle werden eines Tages sterben. Und dann müssen wir uns für unser Leben verantworten.“
12.00 Uhr
Ganz Kairo ist auf dem Weg zum Tahrir-Platz. Säkulare, religiöse Individuen und Gruppen, Junge, Alte. Auf dem Platz verteilen Menschen Brot. Ein Journalist: „Es fühlt sich an wie ein ägyptisches Woodstock“. Eine andere Journalistin live via Al Jazeera: „Es ist eine organische Bewegung, von Menschen aller politischen Richtungen und Ideen.“
Sie berichtet, dass jede einzelne Person die den Platz betritt, von Soldaten und kooperierenden Zivilisten auf Waffen durchsucht wird. Die Armee hat bereits Provokateure und Saboteure verhaftet, die versucht haben sich unter die Menschen zu mischen.
12.20 Uhr
Die verschiedenen Parteien der Opposition haben sich auf ein gemeinsames Statement geeinigt. Es erklärt die „Legitimität“ des Mubarak-Regimes für beendet.
12.30 Uhr
Während sich auf dem Tahrir-Platz das Volk Ägyptens aus allen Schichten versammelt, sitzt Mohammed El Baradei in einem Garten und sondert surreale Statements ab. Die Menge solle nicht zum Präsidentenpalast marschieren, sondern auf dem Tahrir-Platz bleiben, wo er selbst nicht ist – aus Sicherheitsgründen, wie es heisst.
Wie eine Journalistin Al Jazeeras verlautbart, suchen die Menschen aber keinen Oppositionsführer „der von hinten führt, sondern von der Front“.
Demonstranten verteilen Flublätter, in dem sie das Militär – insbesondere die Soldaten der Armee vor Ort – ultimativ auffordern sich zu entscheiden: für den Diktator oder für das Volk.
12.50 Uhr
Die Dinge entwickeln sich mit zunehmender Geschwindigkeit: die Oppositon hat Gespräche mit Vize-Präsident Omar Suleiman, dem Spionage-Chef und designierten Nachfolger Mubaraks, abgelehnt.
Gestern hatte Suleiman im Auftrage Mubaraks Gespräche angeboten.
Analyse: Wenn jetzt nicht ganz schnell jemand in Washington seinen verdammten Arsch ans Telefon schwingt, haben wir hier eine Konfrontation im Nahen Osten, die sehr, sehr viel schlimmer sein wird als eine demokratische Regierung nach einer 30-jährigen Diktatur über eine uralte Kultur.
13.00 Uhr
An der Kasr Al Nile Brücke, auf der am Freitag Tausende von Ägypter die Sondereinheiten der Polizei des Innenministeriums in die Flucht schlugen und den Durchmarsch erzwangen, hält das Militär z.Z. weitere Zehntausende von Demonstranten auf, die versuchen auf den Tahrir-Platz zu gelangen.
Bilder vom Tahrir-Platz:
13.15 Uhr
Aus ganz Ägypten werden Demonstrationen gemeldet. Das Land steht still, die Menschen sind auf der Straße. Überall ist die Forderung die gleiche, von allen Seiten, von allen Gruppen: Husni Mubarak muss zurücktreten. Sofort.
Auf dem Tahrir-Platz steht der Marsch auf den Präsidentenpalast bevor. Er kann jede Minute beginnen.
13.20 Uhr
Ein Sprecher der Muslimbruderschaft, Dr. Abd el-Monem Abu Al-Fotouh, erklärt in einem Telefoninterview auf Al Jazeera, dass die Opposition jede Gespräche mit dem Regime ablehnt, solange der Diktator noch im Amt ist. Er appelliert an Mubarak sofort zurückzutreten, um jedes Blutvergießen zu vermeiden.
Derweil ein weiteres, surreales Statement des Mubarak-Regimes: der Finanzminister der Diktatur verspricht Finanzhilfe für Arbeitslose.
Die Forderungen der Opposition:
– sofortiger Rücktritt des Diktators
– Verfassungsänderungen
– Neuwahl aller Institutionen und Parlamente
13.35 Uhr
Derweil in Jordanien: Die gesamte Regierung tritt wegen andauernden Protesten der Bevölkerung zurück.
Zuvor hatte Hamza Mansour, Chef der größten Oppositionspartei „Islamische Aktionsfront“ (Islamic Action Front) betont, dass man nicht den Rücktritt von König Abdullah, sondern demokratische Reformen fordere. Mansour wörtlich:
„Jordanien ist nicht Ägypten“
Die Opposition in Jordanien verlangt eine Reform des Wahlgesetzes und eine Direktwahl des Premierministers und der Minister, die bisher vom König ernannt werden.
13.40 Uhr
Die Regierungen in London und Paris geben windelweiche, nichtssagende Statements ab.
Der türkische Premierminister Tayyip Erdogan sagt eine Reise nach Kairo ab.
Kommentar: Man kann solchen Hampelmännern ihres Geldsystems wie David Cameron und Nicolas Sarkozy nur raten jetzt die Klappe zu halten. Das Einzige was die Weltöffentlichkeit von ihnen hören will, ist: „Ok, ok, wir haben verloren, Mubarak: bitte tritt zurück.“
Ein ehemaliger Armeeoffizier beschreibt in einem Statement auf Al Jazeera die Haltung des Militärs zum demonstrierenden Volk. Er wiederholt das Statement der Armee keine Gewalt gegen die Menschen anzuwenden und die „friedlichen und gesetzlichen Forderungen“ der Ägypter zu unterstützen. Er äußerte die Befürchtungen, dass „Infiltratoren der Sicherheitskräfte“ (offensichtlich des Innenministeriums, der Polizei und der Geheimdienste) Provokationen versuchen könnten. Er betont: „Die Armee und das Volk sind eins“.
14.00 Uhr
Bis zu 2 Millionen Menschen auf und um den Tahrir-Platz
14.15 Uhr
Mohammed El Baradei gbit von seinem Gartensitz weitere schwergewichtige Erklärungen ab. Sie sollen hier nicht weiter erwähnt werden.
Dafür redet ein Oppositionspolitiker am Telefon Klartext: El Baradei spiele in diesem Volksaufstand keine Rolle, er sei nicht einmal ein guter Politiker.
Um den Präsidentenpalast Mubaraks zieht Militärpolizei derweil Stacheldraht.
14.20 Uhr
Via Titter wird gemeldet, dass Mobiltelefon-Verbindungen nach Kairo durch das Regime gekappt worden sind.
Hunterttausende demonstrieren in Alexandria. Allein dort hat laut Berichten von Korrespondenten vor Ort der Volksaufstand bisher über 100 Ägypter das Leben gekostet.
14.30 Uhr
Die organisierten Parteien der Opposition haben ein zehnköpfiges Komitee gebildet.
Die benachbarte rechtsradikale israelische Regierung versucht – vezweifelt und zunehmend isoliert – die Diktatur über Ägypten zu retten. Passenderweise bietet auch die Finanzseite „Bloomberg“ Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu eine adäquate Plattform. Netanjahu warnt vor „Chaos“ und einer Machtübernahme von „Islamisten“ über Ägypten. Ein gänzlich irrationales Statement.
15.00 Uhr
Eine Viertelmillion Menschen demonstrieren in Sinai, ebenfalls Großdemonstrationen in Suez und Mansoura.
Al Jazeera meldet, dass in den Aussenbezirken Kairos ein Truck mit Bewaffneten abgefangen wurde.
Die Atmosphäre auf dem Tahrir-Platz gleicht laut Korrespondenten vor Ort einem Volksfest. Die Menschen sind guten Mutes, helfen sich gegenseitig, sind sehr diszipliniert und haben sogar eine Müllbeseitigung organisiert. Mehr und mehr tragen englischsprachige Transparente („Game over“, „People want a Removal of the Regime“).
Wie der Ticker von Al Jazeera meldet, hat die Armee die Bewaffneten auf dem gestoppten Truck festgenommenen. Es handelt sich offenbar um „ex-Sicherheitspersonal“, das versucht hatte die zwei Millionen Menschen auf dem Tahrir-Platz zu infiltrieren.
Das US-Aussenministerium in Washington veröffentlicht eine Erklärung. Es fordert alles nicht unbedingt notwendige Personal der US-Botschaft auf, Ägypten zu verlassen.
Analyse: Das könnte ein, zwei „Diplomaten“ dort arg enttäuschen.
15.30 Uhr
Vom Dach eines am Tahrir-Platz gelegenen Gebäudes berichtet Al Jazeera-Reporter Ayman Mohyeldin live von der Demonstration. Als die Kamerafrau das Bild über den Platz und die mit Menschen gefüllten Seitenstraßen streifen lässt, wird klar – dieses Ereignis ist beispiellos, nicht nur in der Geschichte Ägyptens. Diese demokratische Freiheitsbewegung am Nil ist bereits ein Leuchtturm unserer Zivilisation.
Gefragt, wie er sich das Fehlen sämtlicher führender Funktionäre aller Oppositionsparteien auf dem Tahrir-Platz erkläre, berichtet Al Jazeera Reporter Ayman Mohyeldin, dass diese Freiheitsbewegung durch keine einzelne Gruppe oder Partei bestimmt wird oder auch nur dominiert werden kann. Jede Oppositionspartei Ägyptens bestünde seit langem aus immer den gleichen Führungspersonen und Anhängern. Diese Freiheitsbewegung sei in der Tat eine „organische Bewegung“, die nicht von oben administriert oder geführt würde, sondern demokratisch von unten enstanden sei. Gefragt, ob dieser heutige Tag all die Opfer und möglichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten wert gewesen sei, hätte jeder einzelne Ägypter, den er heute gefragt habe, uneingeschränkt mit Ja geantwortet.
Die Menschen, so Reporter Ayman Mohyeldin, hätten den „Angst-Faktor“ überwunden, der sie 30 Jahre lang in Schach gehalten hätte, die Angst vor der Staatssicherheit und dem Polizei-Apparat.
16.30 Uhr
Ticker-Meldung Al Jazeera: Abdel Haleem Kandeel, Sekretär der Oppositonsgruppe der Kefaya-Bewegung, erklärt, dass sich die gesamte organisierte Opposition einig sei: bevor der Diktator nicht zurücktritt, gibt es keine Verhandlungen und keinen Dialog mit dem Regime.
16.45 Uhr
Die den Gazastreifen kontrollierende Hamas und die rechtsradikale Regierung in Israel mögen auch Unterschiede haben. Gemeinsam haben sie jedenfalls die Unterstützung für den ägyptischen Diktator Mubarak und die Angst vor der Freiheitsbewegung. Eine Solidaritätsdemonstration in Gaza für die ägyptische Freiheitsbewegung wurde durch die Hamas brutal aufgelöst.
Die palästinensischen Dissidenten der Gruppe „Gaza Youth Breaks Out“ (GYBO), ehemals Wähler der Hamas, beschweren sich seit langem sehr deutlich über die Unterdrückung durch die islamistische Regierungspartei und ihre Milizen und die hemmungslose Korruption in Gaza. Ihre Facebook-Seite hat mittlerweile 19.000 Unterstützer.
16.55 Uhr
Auf Facebook hat sich durch Internet-Aktivisten ein virtueller „Marsch der Millionen“ zur Unterstützung der Freiheitsbewegung in Ägypten gebildet.
Dies gilt es im Internet ein wenig rumzuerzählen.
17.30 Uhr
Das ägyptische Staatsfernsehen hat den neuen Innenminister Mahmoud Wagdy gezeigt, wie er irgendwo in den Vorortern Kairos auf der Straße herum spaziert und eine neue Initiative bewirbt: „Die Polizei, Dein Freund und Helfer“ („Police Serving the People“).
Derweil veröffentlicht das Militär, nach den von Polizei und Geheimdienst organisierten Verwüstungen der letzen Tage, eine Statement: alle Zivilisten werden davor gewarnt, Militäruniformen zu tragen.
Die Zahl der Menschen auf dem Tahrir-Platz beträgt jetzt wieder rund eine Million.
17.42 Uhr
Laut Motaz Salah Al Deen, Sprecher der Partei WAFD, hat sich aus den politischen Parteien der Opposition eine „Nationale Koalition für den Wandel“ gebildet.
Währenddessen ist Al Jazeera dabei, CNN als führender weltweiter Fernsehsender abzulösen. Der investigative Journalist Jeremy Scarhill berichtet dazu in „The Nation“ von einer zunehmenden „Leidenschaft“ in den USA für das Medien-Netzwerk.
18.10 Uhr
Eine riesige Leinwand ist am Tahrir-Platz aufgespannt worden. Die Menschen verfolgen die Live-Berichterstattung von Al Jazeera über ihre Demonstration.
18.30 Uhr
US-Sonderbeauftragter Frank Wisner, der am Montag in Kairo eintraf, hat sich mit Mohammed El Baradei getroffen.
19.00 Uhr
Khalid Abo al Nagga, prominenter Schauspieler und Bürgerrechtler, im Interview mit Al Jazeera Korrespondent Ayman Mohyeldin:
„Das Regime muss zurücktreten, die sollten vor Gericht gestellt werden für all die Toten. Das ganze Regime muss vor Gericht gestellt werden, für das, was sie den friedlichen Demonstranten angetan haben.
Von nun an wird Ägypten nie mehr sein wie zuvor.“
19.30 Uhr
Der angekündigte Marsch auf den Präsidentenpalast hat bisher nicht stattgefunden. Nun verdichten sich die Berichte: die organisierten Parteien (mit ihrem neuen zehnköpfigem Komitee) haben dem Diktator weitere drei Tage Frist eingeräumt zurückzutreten – und zwar nachdem sie sich mit Mubaraks designiertem Nachfolger und neuem Vize-Präsidenten Omar Suleiman getroffen haben.
Analyse: Die USA haben sich mit ihrer seit Tagen betriebenen Taktik die „Revolution zu entschleunigen“ durchgesetzt – zumindest bis jetzt. Es ist nun entscheidend, wie die Menschen in Ägypten auf diesen Richtungswechsel der „Oppositionsparteien“ reagieren. Dabei gilt es festzuhalten, dass es keine politische Organisaton, keine Partei und keine wie auch immer politisch ausgerichtete Gruppe war, die diesen Volksaufstand anführte, durchführte oder auch nur entscheidend daran beteiligt war. Jede politische Organisation wurde in 30 Jahren Diktatur entweder zerschlagen oder kollaborierte.
Dass der heutige Marsch auf Mubaraks Präsidentenpalast nicht durchgeführt wurde, könnte sich als historischer Fehler erweisen. Das Wort von Regierungen zählt nichts. Das Wort von politischen Funktionären zählt nichts. Das Wort von irgendjemandem, der an dem verdient, was er sagt, zählt nichts. Versprechen sind nichts. Pläne, Träume, Visionen sind nichts. Es zählt, wer die Macht hat.
Es gibt in allen Aufständen, in allen Revolutionen und in allen Bewegungen immer einen Punkt, an dem es nur noch darum geht wer sich durchsetzt. Wenn das Volk Ägyptens diesen Moment, diese Herausforderung verpasst und sich wieder beruhigen und verraten lässt, wird es wieder 30 Jahre dauern, bis es eine neue Chance für seine Freiheit, seine Demokratie und seine Unabhängigkeit von den Mächten der Welt bekommt.
20 Uhr
In der ARD Tagesschau darf der sattsam bekannte Jörg Armbruster – der zur Zeit in Kairo mit allen, nur nicht mit dem ägyptischen Volk redet – die Pläne von Mubarak, den EU-Staaten, den USA und überhaupt allen Verbrechern bekannt geben, die dieses Regime 30 Jahre gestützt und finanziert haben:
– Testballon A: Mubarak bleibt bis September im Amt. Dann erst gibt es die nächsten Präsidentschaftswahlen.
– da dieser Vorschlag wissenschaftlich-medizinisch attestierbarer Wahnsinn ist, darf Armbruster für seine Text-, Arbeits- und Geldgeber gleich den gnädigen Testballon B aufpusten: Omar Suleiman wird „Übergangspräsident“ und bleibt bis September im Amt.
Kommentar: Marsch auf den Präsidentenpalast. Am besten sofort, allerspätestens morgen. Oder Ägypten bleibt nochmal 30 Jahre unter einer Diktatur.
20.10 Uhr
Es heisst (völlig überraschend), Mubarak werde in Kürze im Fernsehen auftreten und eine Rede halten. Er werde eine „Lösung“ anbieten. Helikopter kreisen über dem Tahrir-Platz.
Al Jazeera Korrespondentin Jacky Rowland im Live Stream hat begriffen, woher der nun Wind weht und sagt, die Leute würden sagen:
„Lieber der Teufel den wir kennen, als den Teufel den wir nicht kennen.“
20.25 Uhr
Na so ein Zufall: Al Jazeera meldet, die „New York Times“ habe gemeldet, Barack Obama hätte sich gemeldet – der Diktator solle doch vielleicht im September nicht mehr antreten…
Kommentar: Liebe Radio Utopie Leserinnen und Leser. Gucken Sie doch einfach Tagesschau. Schauen Sie und kaufen Sie bei der Informationsindustrie und den Staatssendern. Da werden Sie geholfen.
RÜCKTRITT VON MUBARAK! UND ZWAR PRONTO!
20.42 Uhr
Das Staatsfernsehen… das ägyptische Staatsfernsehen meldet, Mubarak werde seine Rede bald beginnen.
21.00 Uhr (22.00 Uhr ägyptischer Zeit)
Analyse: Es gibt zu einem Rücktritt des Diktators Mubarak keine Alternative. Dass die Macht entsprechend der Verfassung übergeht an den Vize-Präsidenten Suleiman, das wissen alle. Es geht darum, was dann passiert. Eine Übergangsregierung, eventuell eine Nationalversammlung zur Ausarbeitung einer Verfassung, die auf dem Boden der alten und im Rahmen eines legalen Prozesses beschlossen wird, muss die Kräfte der Opposition, der Dissidenten und vor allem und zuerst die Kräfte des Volkes umfassen, etwa vertreten durch den unabhängigen Richterbund, anerkannte Künstler oder Vertreter der Volkskomitees, die sich überall gebildet haben.
Entscheidend für eine solche wünschenswerte Entwicklung ist und bleibt der Rücktritt Mubaraks. Ohne diesen Rücktritt – diesen sofortigen Rücktritt – gibt es eine Konfrontation des Volkes mit der etablierten Macht. Und diese sollte sich, angesichts der offenen Sympathie großer Teile des Militärs mit der Bevölkerung, nicht allzu sicher sein, dass sie diese Kontrontation für sich entscheidet.
Ein Twitterer schreibt ironisch:
„Das ägpytische staatliche TV beginnt seine 10 Uhr-Sendung mit Bildern des Protestes auf dem Tahrir-Platz (und haben sie nicht Terroristen genannt!). Das ist eine Richtungsänderung.“
Alles wartet auf die Bekanntmachung des Diktators.
21.30 Uhr
Hochsymbolischer Besuch: der Sohn von Gamal Abdel Nasser, Khalid Abdel Nasser, schliesst sich dem Protest auf dem Tahrir-Platz an.
22.00 Uhr
Mubarak beginnt seine Rede.
Er sagt inhaltlich: Man muss wählen zwischen Chaos und Stabilität. Habe den Vize-Präsidenten angewiesen mit der Opposition in Gespräche über Reformen einzutreten. Doch politische Kräfte blieben auf dem Auge blind und auf den Ohren taub und ignorierten die Einladung. Meine Top-Priorität ist nun die Sicherheit und die Stabilität wieder herzustellen. Hatte sowieso nicht mehr vor wieder als Präsident anzutreten. Werde in den wenigen Monaten, in denen ich noch im Amt bin…
22.07 Uhr
Analyse: Mubarak klammert sich an die Macht. Er will allen Ernstes im Amt bleiben. Jetzt muss der Volksaufstand zu einer echten Revolution werden. Sonst werden die Ägypter ihren Diktator nicht los.
22.09 Uhr
Ende der Rede von Mubarak. Auf Al Jazeera kommentiert nun die gleiche Korrespondentin, die gestern bereits einen minutenlangen Monolog über die vermeintlich ängstlichen Ägypter und ihre Sehnsucht nach Sicherheit und Futter, statt Nebensächlichkeiten wie Freiheit gehalten hat: Jacky Rowland. Sie lobt Mubaraks Redenschreiber. Die Rede habe genau die Ängste der Bevölkerung angesprochen, vor Chaos, Plünderungen, usw. Dass diese durch Mubaraks und Suleimans Polizei selbst organisiert worden waren, erwähnt Jacky Rowland dabei abermals mit keinem Wort.
Auf dem Tahrir-Platz erheben die Menschen ihre Stimmen und rufen dem Diktator in seinem Präsidentenpalast zu – „Irhal, irhal“ (Hau ab, hau ab). Sie rufen es nicht nur in Kairo, sie rufen es im ganzen Land.
Auf CNN mißverstehen die Moderatoren absichtlich oder unabsichtlich die Situation und berichten, die Protestierer würden die Rede Mubaraks feiern. Dazu Al Jazeera Korrespondent Gregg Carlstrom via Twitter:
„Ich bin mir nicht sicher, welche Protestierer die meinen“.
Auf dem Tahrir-Platz rufen die Menschen: „Revolution bis zum Tod“. Andere Sprechchöre lauten:
„Freitag Nachmittag sind wir beim Präsidentenpalast“
22.25 Uhr
Al Jazeeras Chefanalyst Marwan Bishara zu der Situation: der Verbleib des Diktators im Amt sei für die Menschen in Ägypten nicht akkzeptabel.
23.00 Uhr
Kommentar: Die Kräfte hinter der Diktatur über Ägypten, im Land und weltweit, unterschätzen das ägyptische Volk. Sie unterschätzen jedes Volk, genauso wie sie die gesamte Menschheit unterschätzen, weil sie jedes Maß, jede Relativität, an der sie messen und vergleichen könnten, verloren haben – ausser die eigene Existenz und deren Gewohnheiten. Der Verbleib Mubaraks zeugt von genau derselben bräsigen Selbstverliebtheit, gepaart mit bedingungsloser Unterwerfung der Diener, welche die Machteliten weltweit kennzeichnet.
„Im Zweifel für die Freiheit“ – Die Ägypter werden diese Wahl treffen. Sie haben diese Wahl schon getroffen und mit über 100 Toten bereits einen hohen Blutzoll gegen Diktator Mubarak und seine Büttel gezahlt. Jetzt werden sie die letzten Meter des Marsches der Millionen zuende bringen – zum Präsidentenpalast des Diktators.
23.10 Uhr
Live Bilder aus Alexandria: Eine kleine Truppe Unterstützer von Mubarak, 30 bis 40 Personen, betritt den Versammlungsplatz. Armee-Fahrzeuge schieben sich zwischen die Mubarak-Unterstützer und die Regime-Gegner.
Soldaten wird ein Megafon gebracht: sie versuchen die Situation am Rande des Platzes zu beruhigen.
Die Provokateure des Mubarak-Regimes beginnen Auseinandersetzungen. Die Menschen auf dem Platz versuchen Menschenketten gegen die Provokateure zu bilden, die Gegenstände auf die Regime-Gegner werfen.
Schüsse fallen. Panzer fahren auf. Sie stellen sich schützend vor die Regime-Gegner. Die Soldaten schiessen in die Luft, nicht auf die Demonstranten auf dem Platz.
Analyse: Genau das sind die Maßnahmen zur „Herstellung von Stabilität und Sicherheit“, die der Diktator in seiner Fernsehansprache gemeint hat: das Produzieren und Organisieren von Auseinandersetzungen, von Konfrontation, von dem „Chaos“, was er durch seine Polizei- und Geheimdiensteinheiten bereits in den letzten Tagen versucht hat herzustellen und was er selbst dringend braucht, um vor der Weltöffentlichkeit einen Waffeneinsatz gegen sein Volk zu rechtfertigen.
23.49 Uhr
Kairo: Al Jazeera Korrespondent Ayman Mohyeldin berichtet, dass auch in Kairo in einer Seitenstraße ca. 300 Unterstützer des Diktators auf Motorrädern und Fahrzeugen aufgefahren sind. Mohyeldin ist außer Atem. Durch sein Telefon dringen die Parolen der Pro-Mubarak-Demonstranten, die mit Stöcken ausgerüstet sind.
Der Al Jazeera Korrespondent berichtet, dass in Kairo die Soldaten der Armee in erhöhter Alarmbereitschaft seien.