Hausdurchsuchung bei Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. nach Protest gegen „Bundeswehrpatenschaft“
Am frühen Morgen des 10. März 2011 wurde Katrin Warnatzsch durch die Polizei überrascht. Drei Polizisten und eine städtische Angestellte standen an der Haustür des vereinseigenen Lebenshaus-Gebäudes in Gammertingen und verlangten Einlass für eine Durchsuchung.
Ausgestattet waren sie mit einem richterlichen Beschluss vom 20. Dezember 2010.
Als ich von meiner Frühschicht kurz nach 8.30 Uhr nach Hause kam, fiel mir zunächst ein Polizeifahrzeug auf, das vor dem Gebäude geparkt hatte. Und dann traf ich im Haus eben auf die Polizisten, die mir kurz erklärten, um was es gehe und gaben mir einen richterlichen Beschluss zum Lesen. Dort las ich dann u.a., nach §§ soundso – die mir natürlich nichts sagten – werde „ohne vorherige Anhörung die Durchsuchung der Geschäftsräume mit Nebenräumen vom Lebenshaus Schwäbische Alb e.V.“ nach verschiedenen Gegenständen angeordnet. Die gesuchten Gegenstände standen im Zusammenhang mit einem fingierten Schreiben vom 2. August 2010. Mit dieser „Bekanntmachung an alle Bürger“ sollte offensichtlich der Eindruck eines amtlichen Schreibens der Stadt Gammertingen erweckt werden. Inhaltlich ging es um eine Aufforderung zur Musterung für den Afghanistan-Kriegseinsatz, weil angeblich Soldaten der Gammertinger Patenkompanie getötet worden seien.
Hintergrund: Protest gegen „Bundeswehrpatenschaft“
Zur Erinnerung: Als Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. protestieren wir gegen eine von den Gemeindevertretern der Stadt Gammertingen eingegangene „Patenschaft“ mit einer Bundeswehreinheit. Wir sehen in dieser „Bundeswehrpatenschaft“ neben anderem auch eine Form der Unterstützung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr und ein Instrument der Öffentlichkeitsarbeit für den Afghanistankrieg.
Ab Juni 2010 haben wir Unterschriften unter einen „Offenen Brief“ an Bürgermeister Jerg gesammelt. (1) Der Gammertinger Bürgermeister wiederum hatte sofort sehr heftig auf unseren Protest reagiert. Schließlich versuchte er uns zu kriminalisieren. Zu kriminalisieren, indem er uns aufs Engste mit der Verbreitung jenes fingierten „Rathaus-Briefs“ in Verbindung bringt, mit dem wir nichts zu tun haben.
In diesem Brief sah Bürgermeister Jerg einen Akt, der „an Geschmacklosigkeit und krimineller Absicht nicht zu übertreffen“ sei. Er erstattete Strafanzeige, schrieb eine Belohnung von 500 € für Hinweise auf die Urheber und Austräger dieser Schreiben aus und legte in einer öffentlichen Erklärung gleichzeitig die Vermutung nahe, dass Lebenshaus Schwäbische Alb mit seinem Protest gegen die „Bundeswehrpatenschaft“ hinter der Aktion stehe. (2)
Dem widersprach der Vorstand des Lebenshauses umgehend in einer Presseerklärung. Dort heißt es u.a.:
„Solchen oder ähnlichen Vermutungen widersprechen wir als Vorstand von Lebenshaus Schwäbische Alb klar und deutlich. Wir sehen darin vielmehr den Versuch, unsere Aktivitäten gegen die Patenschaft der Stadt Gammertingen mit einer Bundeswehreinheit zu kriminalisieren.
Lebenshaus Schwäbische Alb hat mit der Verteilung von imitierten ‘Musterungsbescheiden’ nichts zu tun. Eine solche Aktion, bei dem die Akteure anonym bleiben, entspricht nicht unserem Grundverständnis von Gewaltfreiheit, zu dem unter anderem gehört, dass wir offen zu unseren Handlungen stehen. …
Nach den in der Presse zitierten Sätzen des Faltblattes dürfte ohne weiteres für Jedermann erkennbar sein, dass es sich um kein amtliches Schreiben handeln kann, sondern um eine provokative, politische Aktion.
Es ist daher falsch und die Öffentlichkeit irreführend, den Verein Lebenshaus Schwäbische Alb in Zusammenhang zu bringen mit Aktivitäten, die als kriminell bezeichnet werden.“ (3)
Fortgesetzter Versuch der Kriminalisierung
Trotz dieser Stellungnahme hat der Gammertinger Bürgermeister nicht davon abgelassen, uns für diese „kriminelle Aktion“ verantwortlich zu machen und uns zu schaden. Er hat dies zum Beispiel durch die Veröffentlichung seiner unveränderten Stellungnahme im Amtsblatt der Stadt Gammertingen gemacht. Und offensichtlich wollte er mit dem Hinweis auf unser angeblich kriminelles Handeln erreichen, dass für die Ökumenische Friedensdekade geplante Veranstaltungen wieder gekippt werden.
Nun, viele Monate später, sahen wir uns urplötzlich gezwungen, das massive Strafverfolgungsmittel einer Durchsuchung sämtlicher der Vereinsräumlichkeiten über uns ergehen lassen zu müssen. Und weil wir in diesem Gebäude wohnen, ebenfalls eines Teils unserer privaten Räume. Wir konnten auch nichts dagegen unternehmen, dass die Polizei dann zwei PCs des Lebenshauses, einen privaten Laptop, einen Ordner sowie weitere Schriftstücke in Verwahrung nahm.
Ich wohnte dieser Angelegenheit mit einem Gefühl von Empörung und Gelassenheit bei. Empört war ich, weil überhaupt so eine drastische Aktion der Staatsorgane gegen uns lief. Gelassen konnte ich bleiben, weil ich ja sicher war, dass bei uns nichts Verdächtiges gefunden werden würde.
Die Polizisten zogen dann wieder ab. Und uns waren mit den PCs ganz unvermittelt wesentliche Arbeitsmittel entzogen. Nun war es nichts mehr mit dem für diesen Morgen geplanten Lebenshaus-Newsletter, mit dem ich insbesondere nochmals für die Menschenkette vom AKW Neckarwestheim nach Stuttgart mobilisieren wollte. Nichts mit dem Veröffentlichen von Artikeln in unserer Website. Nichts mit dem eigenen Informieren aus dem Internet…
Erleichterung dann zumindest darüber, dass ich die beiden PCs des Lebenshauses bereits am nächsten Abend bei der Polizei in Sigmaringen abholen „durfte“. Der Polizeibeamte, der für die Untersuchung derartiger Medien zuständig ist, hatte sich wahrlich beeilt, damit wir die Computer bald wieder zur Verfügung hatten. In anderen Fällen kann dies offensichtlich viele Monate dauern.
Überhaupt ist zu den Polizisten, welche die Durchsuchung durchführen mussten, zu sagen, dass sie sich sehr korrekt verhalten haben. Es schien ihnen fast peinlich zu sein, dass sie diese Anordnung von Staatsanwaltschaft bzw. Ermittlungsrichterin bei uns umsetzen mussten.
Inzwischen haben wir unseren Freund Ullrich Hahn als Anwalt mit unserer Vertretung beauftragt. Als erstes hat er Beschwerde beim Amtsgericht Hechingen gegen die erfolgte Durchsuchung eingelegt, u.a. weil sie nicht verhältnismäßig war. Vielleicht kann eine anwaltliche Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft dann auch einmal aufklären, was unserem Verein als „Unbekannter“, der „zum Nachteil von Stadt Gammertingen“ gehandelt haben soll, genau vorgeworfen wird.
Den weiteren Ermittlungen sehen wir gelassen entgegen, weil es keine Beweismittel gegen uns geben kann. Gleichzeitig sind wir empört über diesen unglaublichen Vorgang, mit dem unser legitimer Protest kriminalisiert werden soll. Allerdings wissen wir, dass Pazifisten öfter diffamiert und kriminalisiert werden, damit der „Bazillus Pazifismus“ sich möglichst nicht weiterverbreitet. Wir werden uns jedenfalls von unserem Engagement nicht durch Versuche der Kriminalisierung einschüchtern oder gar davon abbringen lassen.
Eine ausführliche Übersicht über eine ganze Reihe von Artikeln zu unterschiedlichen Aspekten der Protestaktion und zur Gammertinger „Bundeswehrpatenschaft“ findet sich in der Lebenshaus-Website unter:
Nachbemerkung:
Über die bereits eingegangenen Solidaritätsbekundungen freuen wir uns sehr. Sie tun gut! Vielen Dank!
Weil schon nachgefragt wurde: Der obige Artikel darf gerne auf anderen Websites veröffentlicht werden. Über eine kurze Benachrichtigung an info@lebenshaus-alb.de würden wir uns freuen.
Fußnoten
1. Siehe „Offener Brief“ an Bürgermeister wegen Unterstützung des Afghanistan-Krieges .
2. Siehe Gefälschter „Rathaus“-Brief im Umlauf – Bundeswehrpatenschaft im Verruf – Dokumentation der Stellungnahme von BM Jerg einschließlich des fingierten „Amtsschreibens“, Amtsblatt der Stadt Gammertingen vom 19.08.2010 (PDF-Datei, 192 KB).
3. Siehe Lebenshaus widerspricht Versuch der Kriminalisierung – Zuspruch zur Kritik an Bundeswehrpatenschaft auch aus Reihen der Bundeswehr.
Michael Schmid