Endspiel: Teile & Herrsche, und nutze das Öl
Es ist ohne einen Schnitt durch den Nebel des Krieges unmöglich zu verstehen, was wirklich in Libyen vor sich geht.
Odyssey Dawn geschieht nur, weil die 22 Mitglieder der Arabischen Liga dafür gestimmt haben, eine Flugverbotszone über Libyen zu verhängen. Die Arabische Liga – vor dieser Entscheidung routinemäßig in den westlichen Hauptstädten als irrelevant abgetan – ist kaum etwas anderes als ein Instrument der Außenpolitik des Hauses Saud.
Ihre “Entscheidung” wurde von Washingtons Versprechen angetrieben, die Könige / Scheichs / Oligarchen des Gulf Cooperation Council (GCC) vor den demokratischen Bestrebungen ihrer eigenen Untertanen zu schützen – die sich nach den gleichen demokratischen Rechten wie ihre “Vettern” in Ost-Libyen sehnen.
Dies ist genau die gleiche GCC, die für Saudi-Arabien posierend in Bahrain einmarschierte, um der sunnitischen al-Khalifa-Dynastie dabei zu helfen, die Pro-Demokratie-Bewegung zu zerschlagen. Die GCC-Bande wird durch den Westen als “unsere” Bastarde angesehen, während Oberst Muammar Gaddafi – entsprechend der westlichen Erzähltradition – ein Terrorist ist, der in Entziehungskur ging, und nunmehr ein Verbrecher ist.
Die GCC umfasst die handfest egalitären Regime von Saudi-Arabien, Bahrain, Kuwait, Katar, Oman und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Es war der GCC, der zuerst für eine Flugverbotszone stimmte. Danach verdrehte der Platzhirsch Saudi-Arabien ein paar Arme und versprach Bestechungen, um eine erweiterte Empfehlung der Arabischen Liga zu erhalten (Syrien und Algerien waren zum Beispiel ernsthaft dagegen).
Für den opportunistischen Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Moussa, der sich bereits um die Präsidentschaft von Ägypten bewirbt, war das eine große Sache; er nahm seinen Marschbefehl aus Riad entgegen, während er zur gleichen Zeit seinen Lebenslauf für Washington aufpolierte.
Für Saudi-Arabien war es auch eine große Sache. Es war die perfekte Möglichkeit für König Abdullah, um Gaddafi loszuwerden (das böse Blut zwischen den beiden seit 2002 ist legendär), und die perfekte Chance für das Haus Saud, um dem verwirrten Washington eine Hand zu reichen.
Odyssey Dawn hat kein eingebautes Endspiel. US-Präsident Barack Obama hat mehrfach deutlich gemacht, dass sein Endspiel “Gaddafi muss gehen” bedeutet. Dies nennt man “Regimewechsel”. Oder in der neuen zweigleisigen Obama-Doktrin “US-Kontaktaufnahme” (in Richtung der Gegner “böser Regime”). Nicht-so-böse Regime, wie die in Bahrain oder Jemen, werden zur “Regime-Veränderung” ermuntert.
Das Problem ist, dass der “Regimewechsel” von der UN-Resolution 1973 nicht beauftragt wurde.
Odyssey Dawn ist der erste afrikanische Krieg des neuesten Pentagon-Übersee-Militärkommandos Africom. Bald wird er zum ersten afrikanischen Krieg der North Atlantic Treaty Organization (NATO) werden. Obwohl als “begrenzte Mission” verkauft, wird Odyssey Dawn – nur für die Errichtung und Aufrechterhaltung einer Flugverbotszone – mindestens $ 15 Milliarden aufs Jahr gerechnet kosten. Die Mitglieder der Arabischen Liga sollen für einen wesentlichen Teil der Rechnung aufkommen – da der einzige Staat, der Streitkräfte beigetragen hat, Katar ist (zwei Mirage-Jets).
Der gesamte laufende Zirkus dreht sich um die Frage, wie der Krieg des Pentagons in Afrika – mit Hauptsitz in Stuttgart, weil keines unter den 53 afrikanischen Ländern ihn haben wollte – in einen Krieg des Pentagon in Europa, auch als NATO bekannt, “überführt“ werden kann.
Die NATO griff bereits 2010 in Somalia ein, indem sie Tausenden von ugandischen Truppen eine Luftbrücke bot. Derzeit führt sie die Operation Ocean Shield am Horn von Afrika durch. Und bevor Odyssey Dawn in Kraft trat, hatte sie Libyen schon unter 24-stündiger Überwachung durch ihre AWACS-Flugzeuge gestellt – ein Teil der fast 10-jährigen Operation Active Endeavour.
Im großen Bild fällt die kombinierte Rolle der globalen Tentakeln des Pentagon unter die Full-Spectrum-Dominance-Doktrin, die darauf abzielt, jede Entwicklungsnation oder Gruppe von Nationen daran zu hindern, Allianzen oder bevorzugte Beziehungen mit China und Russland zu gründen.
China und Russland gehören zu den vier Top-BRIC-Staaten, zusammen mit Brasilien und Indien. Alle vier enthielten sich bei der UN-Abstimmung. Nur 48 Stunden vor der beschleunigt herbeigeführten Abstimmung hatte Muammar Gaddafi gedroht, dass er für den Fall, durch den Westen angegriffen zu werden, Libyens saftige Energie-Aufträge an Unternehmen aus Russland, Indien und China geben werde.
Ein von einem Ausschuss beschlossener Krieg
Die libysche Opposition ist eine bunt gemischte Truppe von unzufriedenen Stämmen, der wohlmeinende Jugendbewegung, zivilen und militärischen Überläufern aus dem Gaddafi-Regime, nachrichtendienstliche Assets, die von der Central Intelligence Agency gefördert werden (wie der unheimliche ehemalige Justizminister Mustafa Abdel-Jalil), den mit der Muslim-Bruderschaft in Verbindung stehenden (und unabhängigen) Islamisten, und den monarchistischen Senussi-Stammesangehörigen. Die Senussi sind der Top-Stamm in der Gegend von Benghazi, die meisten der Kalaschnikow-”Rebellen” sind Senussi, so wie König Idris, der von Gaddafi im Jahr 1969 gestürzt wurde.
Der libysche Übergangsrat nennt sich nun selbst eine “Übergangsregierung” – obwohl immer noch, in ihren eigenen Worten, einem einheitlichen Libyen verpflichtet. Aber eine Spaltung kann nicht ausgeschlossen werden – denn historisch gesehen war die Kyrenaika-Provinz schon immer im Widerspruch zu Tripolitanien gewesen. Wenn Gaddafi eine mehrheitliche Stammes-Unterstützung für sich sichern kann, wird das Regime nicht bröckeln.
Alle Augen werden sich auf einen “grünen Marsch” richten, der nun durch den eine Millionen-Mann starken al-Warfalla-Stamm, dem größten in Libyen, angekündigt wurde. Er war zunächst zur Opposition übergelaufen, ist aber jetzt begierig darauf, seine Loyalität gegenüber Gaddafi zu zeigen.
Es gibt keine Garantie dafür, dass die Bewegung des 17. Februar, die politische Kraft an der Spitze der libyschen Revolte, mit einer demokratischen Plattform für Menschenrechte, Rechtsstaat sowie freien und fairen Wahlen die Oberhand in einer Post-Gaddafi-Umwelt behalten wird.
Der Westen wird eine Führung previligieren, die Englisch spricht und mit Washington und den europäischen Hauptstädten schmust. Vorzugsweise eine biegsame Puppe. Öl kann die neue Führung bis ins Mark korrumpieren. Man füge dem die würzige Nachricht hinzu, dass dem Islamischen Maghreb al-Qaida angehört (AQIM) – wohl noch eine weitere CIA-“Briefkastenfirma“ -, die mit ihren maximal 800 Dschihadisten bereits heute die “Rebellen” unterstützt. Kein Wunder, dass Armageddon-Szenarien herumwirbeln – der Fall von Gaddafi besitzt das Potential, um zu einem neuen Afghanistan oder einem weiteren Irak zu werden.
Die Vereinbarung, die von Obama, dem britische Premierminister David Cameron und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy erreicht wurde, besagt, dass die NATO “eine Schlüsselrolle” bei Odyssey Dawn spielt. Übersetzung: für alle praktischen Zwecke wird die NATO das Kommando haben. Die politische Führung geht an ein “Lenkungskommittee” der Außenminister – ein Anglo-Französisch-Amerikanischer Club mit einer Prise Arabische Liga. Sie sollen in Kürze in Brüssel, London oder Paris zusammentreffen.
Obama rief den türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan an und hat ihn offenbar von dem Arrangement überzeugt – wenngleich er in einer Rede vor seiner regierenden Partei sagte, die Türkei werde “niemals eine Waffe auf das libysche Volk richten”.
Der französische Außenminister Alain Juppé sagte, da nicht alle Mitglieder der Militär-Koalition NATO-Mitglieder sind, sei “dies daher keine NATO-Operation”. Machen Sie keinen Fehler, es ist eine.
Dieser “Jetzt du NATO, jetzt nicht”-Krieg ist ungefähr das, was Sarkozy wollte – eine “heroische” Plattform, um seine Wiederwahl im Jahr 2012 zu retten. Aber die westliche Motivation, über allem sonstigen, schmeckt nach Öl. Da Saudi-Arabien nicht auf dem Markt ist, ist Libyen ein spektakuläres Immobilien-Stück für den Energie-hungrigen Westen, eine Riesen-Tankstelle in der Wüste mit nur sehr wenige Menschen herum.
Der Großteil der nachgewiesenen Öl- und Gasreserven Libyens liegt in der “rebellierenden“ Kyrenaika-Provinz. Öl und Gas machen einen Anteil von 25% der Wirtschaft aus, 97% der Ausfuhren und 90% der Staatseinnahmen. Sarkozy – ebenso wie der Westen – hat Angst vor einem langen Krieg. Frankreich will ihn jetzt beenden. Anders als Deutschland, Großbritannien und Italien – die bereits drin sind – möchte Frankreich an ein riesiges Stück der Öl-Aktion herankommen.
Es ist absolut nichts Humanitäres am derzeitigen Casino innerhalb der EU und der NATO. Das einzige was zählt, ist die richtige Positionierung für die Post-Gaddafi-Ära – das heißt: die Energie-Bonanza, die geostrategische Vorrangstellung im Mittelmeer und dem Gebiet der Sahara-Sahelzone, und saftige Geschäfts-”Wiederaufbau”-Chancen.
Regimewechsel oder Balkanisierung?
So könnte die moralische Rechtschaffenheit des Westens zusammengefasst werden. Wenn Ihr uns eine Menge an Öl verkauft, unsere Waffen kauft und al-Qaida zerschlagt, das ist in Ordnung für uns. Ihr könnt sogar Eure eigenen Leute töten, sofern es nur Dutzende, nicht Tausende sind.
Das ist es, warum sich Saudi-Arabien alles im aktuellen Konterrevolutions-Klima erlauben kann, bei dem das Haus Saud alle Register zieht, um die demokratischen Bestrebungen im Persischen Golf zu zerquetschen.
Was jene Regime angeht, die vielleicht Tausende ihrer eigenen Leute töten – und Öl haben und damit drohen, das Öl an die Russen oder die Chinesen zu verkaufen, so ist es ihr Schicksal, gegen eine UN / Tomahawk-Resolution kämpfen zu müssen.
Die Kräfte der Konterrevolution sind jetzt an der Hüfte mit dem Westen verbunden. Saudi-Arabiens Militär wird in Bahrain bleiben. Die GCC legitimiert den westlichen Krieg in Libyen. Das beliebteste Endspiel des Westens in Libyen ist divide et impera, und ansonsten mit dem Öl rollen. Ist der große arabische Aufstand 2011 im Begriff, eine Absturzlandung im Wüstensand zu vollführen?
http://atimes.com/atimes/Middle_East/MC25Ak01.html
Übersetzung Lars Schall
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. In Afghanistan interviewte er den militärischen Anführer der Nord-Allianz, Ahmad Shah Masoud, ein paar Wochen vor dessen Ermordung (Masoud: From warrior to statesman). Zwei Wochen vor dem 11. September 2001 druckte Asia Times Escobars prophetischen Artikel Get Osama! Now! Or else … (30. August 2001), den er in Afghanistan schrieb. Pepe Escobar war einer der ersten Journalisten, die Kabul nach der Vertreibung der Taliban erreichten.
Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir nunmehr mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar regelmäßig und exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
http://www.larsschall.com/2011/03/28/das-wandernde-auge-endspiel-teile-herrsche-und-nutze-das-ol/