Schmidbauer nennt NATO-General Lügner, Warnung vor zweifelhaften Rebellen
Ehemaliger deutscher Geheimdienstkoordinator meldet sich im Focus und in der Welt zum Libyenkrieg mit einem vernichtenden Urteil für die Alliierten zu Wort – Bomben lösen keine Probleme
Schmidbauer kritisierte die Befürworter einer militärischen Beteiligung Deutschlands sowie die Forderung nach Absetzung Gaddafis und unterstützt die amtierende Regierung in Tripolis, indem er eine Verfassungsänderung des Landes zur Wiederherstellung des Friedens für ausreichend hält. Der verhandelte Entwurf für die neue Verfassung liegt seit einem Jahr in der nordafrikanischen Schublade der Regierung, wo sie, wie sich jetzt zeigt, eher das Licht für eine demokratischere Welt ohne die bisher sinnlos gebrachten Opfer und menschlichen Tragödien hätte erblicken sollen.
Vor einem Monat wurde Bernd Schmidbauer aufgrund seiner guten Kontakte und zwanzigjährigen Beziehungen von der deutschen Regierung nach einer Einladung aus der libyischen Hauptstadt zu einer diplomatischen Mission nach Tripolis entsandt, um die Aussichten zu einen Waffenstillstand zu beraten, den Gaddafi mehrmals seinen Gegnern angeboten hatte -auch unter der Option der UNO-Kontrolle. (1)
Bernd Schmidbauer, der langjährige „heisse Draht“ zwischen den Regierungen in Tripolis und Berlin geht in einem Interview am 7.Mai 2011 in der „Welt“ mit dem Abschlachten durch Raketenangriffe der NATO-Verbände der Familienangehörigen von Muammar al-Gaddafi in der Nacht zum 1. Mai 2011 hart ins Gericht.
Der ehemalige Staatsminister des Bundeskanzlers für die Koordination der deutschen Geheimdienste – des Bundesamts für Verfassungsschutz, des Bundesnachrichtendienstes BND und des Militärischen Abschirmdiensts MAD widerspricht der offiziellen Behauptung des kanadischen Nato-Kommandeurs Charles Bouchard, dass eine militärische Kommandozentrale des Staatschefs zerstört wurde und nennt dessen Aussage klipp und klar im Focus „eine Lüge“. (2)
„Ich kannte das Haus sehr genau. Dort war kein Kommandostand, höchstens Spielzeug. Vier Menschenleben sind einfach ausgelöscht worden“,
so Schmidbauer.
In der Welt äusserte sich der als Agent „008“ bezeichnete Vermittler zu dem Luftangriff:
Der Luftschlag war völkerrechtswidrig und durch die UN-Resolution 1973 nicht gedeckt … Ich sehe mit Sorge, wenn solche Angriffe, die mit dem Tod von Zivilisten enden, von der Nato als Kollateralschäden abgetan werden. Das ist keine Friedenspolitik.
Schmidbauer hatte mit eigenen Augen bei Reisen, von denen er zu seinem Glück nicht als Kollateralschaden der NATO zurück kam, grosse Zerstörungen gesehen und das Auswärtige Amt und die Bundesregierung darüber informiert.
Zu dem Bundeswehreinsatz auf libyschen Territorium meinte der ehemalige Geheimdienstkoordinator, dass der Flug mit der libyschen Regierung abgesprochen und ansonsten so nicht möglich gewesen wäre.
Vor dem unberechenbaren Söldnerpack, das sich im Osten Libyens freiwillig oder im bezahlten Auftrag mehrerer Globalplayer ein neues Spielfeld als Aufständige gesucht hat (Gesetzlose Söldnertruppen sehen in Libyen neue Goldgrube, 21.April 2011, Über 1 Million US-geführte Soldaten und Söldner in Irak und Afghanistan, 24.Dezember 2009), warnte Schmidbauer, der diese Kriegshaufen jedoch nur ganz bewusst polemisch-einseitig gefärbt als „Extremisten“ bezeichnete, als ob dort ein „al-Qaida-Aufstand“ ausgebrochen wäre:
Die muss man differenziert sehen. Es gibt selbstverständlich Rebellen, die Demokratie und Freiheit anstreben. Es gibt aber auch viele, die bereits in Afghanistan oder im Irak als Extremisten aufgefallen sind. Viele von ihnen findet man in Bengasi. Das wissen auch die Amerikaner. Entsprechende Unterlagen habe ich gesehen. Gerade wegen der aktuellen Gefahr durch das Terrornetzwerk al-Qaida, die durch den Tod von Osama Bin Laden nicht kleiner geworden ist, darf darüber nicht einfach so hinweggesehen werden. Wenn es zu einem Machtwechsel kommen soll, dann muss sichergestellt werden, dass die neue Regierung die Menschenrechte achtet und nicht korrupt ist. Es ist keinem geholfen, wenn Verbrecher das Land regieren.
Die deutsche Regierung samt den wirtschaftlichen Interessensvertretern läuft in diesem Krieg um die Pfründe durchaus Gefahr, ihren guten Standpunkt im Land zu verlieren, wenn Muammar al-Gaddafi beseitigt wird – es sei denn, sie verhandelt schon nach allen Seiten.
Ein deutliches „Nein“ im Weltsicherheitsrat bei der Verabschiedung der UN-Resolution 1973 statt einer feigen Enthaltung hätte genügt. Statt dessen erfolgte die anschliessende devote Versicherung der Bundesregierung, alle erdenkliche Hilfe zur Unterstützung der Aufständigen und der NATO ausser zu auffälliges direktes Bombardieren bereitzustellen.
Von einer offiziellen diplomatischen Protestnote gegen diese Gewalt ist weit und breit nichts zu hören. Ganz im Gegenteil.
Den Medien und den diplomatischen Kreisen sind Vertreter einer demokratischen Bürgerrechtsbewegung im Osten Libyens auch irgendwie ganz still und leise abhanden gekommen.
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Quellen:
(1) http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article13357741/Schmidbauer-Toetung-des-Gaddafi-Sohns-voelkerrechtswidrig.html
(2) http://www.focus.de/politik/ausland/krise-in-der-arabischen-welt/libyen-einsatz-ex-geheimdienstkoordinator-attackiert-nato_aid_624894.html