EU: Regierungen diskutieren Kapitalverkehrskontrollen für Griechenland

Weiterer Tabubruch im Euro-Finanzsystem: Schutzmaßnahmen gegen ungezügelte Kapitalströme im Gespräch.

Endlich einmal eine echte Information in einem „Welt Online“-Artikel (1). Einzelne Regierungen aus europäischen Staaten mit Euro-Währungssystem diskutieren als „allerletzte Möglichkeit“ eine Wiedereinführung von seit dem 2.Weltkrieg abgebauten Schutzmaßnahmen gegen ungezügelte und staatsgefährdenden Kapitalströme. Diese Schutzmaßnahmen, welche nach dem Bretton Woods-Abkommen und der Schaffung des „Internationalen Währungsfonds“ (IWF) 1944 im Einflussbereich der Kapitalmacht USA sukzessive eingerissen wurden, werden im Allgemeinen unter dem Begriff „Kapitalverkehrskontrollen“ zusammengefasst.

Die Politik des Einreißens dieser Staudämme und Deiche gegen Kapitalfluten, die mit der Errichtung der „Europäischen Union“ 1992, der anschließenden Installation und Einführung des Euro-Systems ab 1999 und dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages Ende 2009 ihren systemischen Höhepunkt erreichte, hatte für die betreffenden Staaten verheerende Folgen. Auf Finanz-Lexikon.de (2) findet man zu den Folgen des Abbaus der Kapitalverkehrskontrollen nach 1944 folgenden Eintrag:

„Immer wieder kam es zu gezielten Attacken auf einzelne Währungen durch Kapitalabflüsse in großem Umfang, die mit einer Kapitalverkehrskontrolle nicht möglich gewesen wären. Die Folge waren nicht selten tiefgreifende Währungskrisen in den betroffenen Staaten.“

Im Blog der „Zeit“ (3), in der Rubrik „Herdentrieb – so funktioniert Kapitalismus“ empfahl Dieter Wermuth Anfang Juni Russland folgende Wirtschafts- und Finanzmaßnahmen:

„Ich würde also darauf setzen, dass ein etwas unterbewerteter und gegenüber dem Euro unverbrüchlich fester Wechselkurs, Schutzzölle sowie Kapitalverkehrskontrollen die Investitionsquote und damit die Wachstumsrate des realen BIP nachhaltig erhöhen dürften. Es ist das Erfolgsrezept Chinas.

Kurz erklärt, da dies immer noch nicht verstanden wird: das Finanzsystem Chinas ist deshalb überlegen, weil es eben staatlich kontrolliert und Regeln unterworfen ist. Nur so kann man überhaupt, wie China es tut, die eigene Währung systematisch unterbewerten und in den Windschatten der Leitwährung Dollar hängen.

Nun versuchen USA und EU-Nomenklatura ihren Bevölkerungen zwar ständig von „Wettbewerbsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit“ zu erzählen. Dabei meinen Weisses Haus, Elysee-Palast, Downing Street und Kanzleramt aber z.B. die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Militärs mit dem chinesischen beim Einsatz im Inneren. Über das Finanzsystem, was aus gutem Grund nirgendwo Verfassungsrang genießt, sondern mit einem Pinselstrich hinweggefegt werden kann, redet in den Regierungen Europas und Nordamerikas niemand. Und wenn, dann nur unter äußerstem Widerwillen. Aber das muss jetzt sein.

Die Verantwortlichen in den Regierungsleitungen unserer Demokratien in Europa sind nicht so dumm wie sie tun. Sie wollen schlicht keine Lösung, sie wollen keine Verbesserung unserer Lebensbedingungen und sie wollen schon gar keine lästige Demokratie. Sie wollen Probleme, Krisen und Konflikte, um ihre EU-Zentralregierung zu errichten und uns als Auftragsentgegennehmer des Kapitals brutalstmöglich auszuplündern. Und das Kapital sitzt im Zentrum der Vier Zonen der Ökonomie, in den USA, der Dollar-Zone. Und mit diesem „Standort“, der ältesten Republik der Welt, macht es ebenfalls, was es will.

Entsprechend nervös reagiert z.Z. die 1944 geschaffene Washingtoner Garde des Weltkapitalismus, der IWF, auf die Diskussionen in Europa über eine Abkehr vom Kapitalismus ohne Regeln und Kontrollen. IWF-Europa-Direktor Poul Thomsen forderte gestern allen Ernstes, Griechenland und alle anderen Staaten der „Europäischen Union“ sollten das Ansteigen von Griechenlands Schuldenberg für weitere zwei Jahre widerspruchslos akzeptieren. Griechenland habe sich voll und ganz dem EU-IWF-Diktat zu unterwerfen und nicht damit zu rechnen, daß sich irgendetwas demnächst verbessere. Indirekt forderte Thompson die zügige Entstaatlichung der griechischen Steuerbehörden und Justiz, welche der ausführende Prokonsul von EU und IWF in Griechenland, Giorgos Papandreou, am Donnerstag angekündigt hatte: (Ihr linker Spiegel: Giorgos Papandreou – Lakai, Kader, Hochverräter)

„Das Programm wird nicht weiter die erwünschten Ergebnisse liefern, wenn es keine echte Kräftigung der Strukturreformen im staatlichen Sektor gibt“, (4)

so der IWF-Europa-Direktor. Im bekannten Zynismus trainierter Römer gab Thompson dann gleichzeitig zu, daß die geplante Entstaatlichung Griechenlands unter dem mörderischen Schuldenberg derzeit auf genau der Kippe steht, auf die gerade von der anderen Seite ein sehr großer Felsen den Berg herauf gerollt kommt:

„Die griechische Schuldenlast ist tragbar, aber es steht, wie wir sagen, auf Messers Schneide“

Wenn jetzt die Regierungen unter dem Euro-System über die Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen diskutieren, so machen die Berater- und Expertenschwärme, Staatssekretäre und Minister dies nicht, weil sie es wollen. Sie machen es nicht, um irgendjemandem außer sich selbst zu helfen. Sie machen es, weil sie es müssen.

Weil jetzt die Puppenspieler tanzen müssen.

(…)

19.05.2011 Der Washingtoner Konsens ist gebrochen
Eine Analyse über Hintergründe zum Fall Strauss-Kahn, zur vermeintlichen Schuldenkrise in den USA, das Scheitern der “Globalisierung” und gänzlich neue Zeiten.

Quellen:
(1) http://www.finanz-lexikon.de/kapitalverkehrskontrolle_3153.html
(2) http://www.welt.de/wirtschaft/article13492411/Merkel-und-Schaeuble-uneins-ueber-Euro-Krisenstrategie.html
(3) http://blog.zeit.de/herdentrieb/2011/06/09/russland-braucht-kapitalverkehrskontrollen_3141
(4) http://www.stern.de/wirtschaft/news/vor-eu-sondergipfel-in-bruessel-iwf-griechische-schuldenlast-auf-messerschneide-1707019.html

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