DER VERFALL DER “EUROPÄISCHEN UNION” (II) : Gänsemarsch der Tontauben
DER VERFALL DER “EUROPÄISCHEN UNION” (I) : Aufprall am Grundgesetz und radikaler Strategiewechsel
Von EU zur „Euro-Zone“, von „Union“ zu „Föderation“ von „Europa“ zu „Kerneuropa“. Teil 2 der Artikelserie zu einer orwellschen Wende der imperialen Nomenklatura und ihrer Geostrategen.
Am Sonntag, dem 30.Oktober veröffentliche ich auf Radio Utopie das „BULLETIN 3: Hilfestellung in Zeiten des Umbruchs“. Darin prognostiziere ich folgendes:
„Neuwahlen sollen “stabile Verhältnisse” bringen, soll heißen – die für Vollendung des Staatsstreichs gegen die Republik so herbei gesehnten neuen alten groß-koalitionären Gewohnheiten. Als nächster Schritt soll dann, in einem letzten, verzweifelten Akt gescheiterter Möchtegern-Putschisten und “Strategen” einer neuen Weltordnung, eine Volksabstimmung das Grundgesetz als Verfassung ablösen und durch eine neue Verfassung ersetzen, die als Rechtsordnung eines Bundesstaates der geplanten “Vereinigten Staaten von Europa” vorkonzipiert ist.
Startschuss dieses Programms wird vor dem am 3. November in Cannes beginnenden Gipfel der Zentralbanker und Regierungsleiter aus dem G20-Verbund eine bereits morgen urplötzlich ausbrechende erneute “Krise” des Kapitals sein. War es im September 2008 die im Jahre 1850 gegründete Bank Lehman Brothers, die als kleines Opfer des internationalen Banken-Kartells dessen Pläne voran brachte, wird es morgen ein anderes Konsortium sein, etwa MF Global, hervorgegangen aus der 1783 in London gegründeten Man Group.“
Tatsächlich bricht am nächsten Tag MF Global zusammen, das sich auf Derivate-Handel spezialisiert und mit Staatsanleihen europäischer Länder spekuliert hat und als Londoner Rechtsvertretung das Anwalts-Konsortium Weil, Gotshal & Manges LLP unterhält, ebenfalls Rechtsvertretung von Lehman Brothers Holdings Inc. (Wie prognostiziert: Opfer MF Global, neue “Krise” des Kapitals – Hintergründe)
In Athen kündigt, ebenfalls am Montag, in einem vermeintlichen plötzlichen Strategiewechsel Pasok-Premierminister Giorgos Papandreou eine Volksabstimmung über die diktierten Sparmaßnahmen gegen Griechenland an. (Hintergrund: Volksabstimmung in Griechenland soll neue Verfassung zugunsten des Euro-Systems erpressen)
An den „Märkten“ beginnt das übliche Geschrei. In Deutschland ein Gänsemarsch der Tontauben.
Dienstag, 1.November. In der irrigen Annahme, daß sich sowieso niemand durchliest, was für einen Schrott er schreibt, veröffentlicht Joschka Fischer in der „Süddeutschen“ (1). Unter fatalem Bruch der inoffiziellen Publikations-Doktrin „Oh mein Gott, Operative Information, Omerta“ umschreibt Fischer in seinem Artikel nur unzureichend hinter Paniknebel, falschen Zahlen und Schweigegelübde verborgen die Verlustängste einer ganzen Generation, die sich seit 1990 vom scheinbar auf ewig siegreich wähnenden Weltkapitalismus einkaufen ließ:
„Scheitert die Währungsunion, dann wird auch vom gemeinsamen Markt und den europäischen Institutionen und Verträgen nicht allzu viel übrig bleiben. Sechzig Jahre erfolgreiche europäische Integrationsgeschichte müsste man dann mit unabsehbaren Folgen abschreiben. Dieses Scheitern würde sich zudem während einer fundamentalen Neuordnung der Welt vollziehen, denn 200 Jahre westlicher Vorherrschaft gehen zu Ende. Macht und Reichtum verschieben sich nach Ostasien und in andere Schwellenländer.“
Natürlich sind es nicht sechzig Jahre, sondern zwanzig. Es sei denn (was aus Sicht der „europäischen Föderalisten“ natürlich nachvollziehbar wäre), man rechnet zur „Integrationsleistung“ der „Europäischen Union“ auch die der Sowjetunion hinzu, oder redet einfach von Westeuropa und genau der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ EWG, die durch die Maastricht-Verträge in „Europäische Gemeinschaft“ umbenannt, auf´s Abstellgleis geschoben und schließlich im Dezember 2009 durch den Lissabon-Vertrag sang- und klanglos aufgelöst wurde.
Auch würde ein „Scheitern“ des Währungs- und Finanzsystems „Euro“ sich nicht nur „während“ einer fundamentalen Neuordnung der Welt vollziehen, sondern eine bedeuten.
Und natürlich geht es nicht um 200 Jahre sondern 2000 Jahre „westlicher Vorherrschaft“. Auch sind es nicht „drei Jahrzehnte Neoliberalismus“, sondern zwei Jahrzehnte Globalisierung und in drei Jahrzehnten weitgehend ungestörter Feldzüge der „Neokonservativen“, die durch die Schaffung des zweiten Fantomwortes „neoliberal“ ihrem Umsturz von oben das passende Pendants auf der anderen Seite gaben.
Interessant wird es, als Fischer bei der Vorstellung der Pläne ins Detail geht:
– Transformation der Staaten im Euro-Währungsgebiet als „als Avantgarde der EU“ zu einer „echten politischen Föderation.., den Vereinigten Staaten von Europa“
– Umgehung von EU-Kommission und EU-Parlament
– Schaffung einer „Eurokammer“, „proportional aus den Führungen der nationalen Parlamente zusammengesetzt“, das (in typischer Salamitaktik) erst „beratende“ Funktion und nachher auf „Grundlage eines zwischenstaatlichen Vertrages“ als „echtes parlamentarisches Kontroll- und Entscheidungsorgan“ fungieren soll
– „weitgehende Souveränitätsübertragung auf europäisch-zwischenstaatliche Institutionen“, die dafür „einer direkten Legitimation durch die Völker, durch Volksentscheide in allen Mitgliedsstaaten, auch und gerade in Deutschland“ bedürften.
Für den Prozentsatz der Menschen in Europa, der fähig zum Lesen einer Zeitung ist, muss diese Aussage Fischers einigermaßen schockierend gewesen sein. Bezeichnenderweise fiel sie in der deutschen Öffentlichkeit nicht weiter auf.
Auftritt Gerhard Schröder. (5.November, SPD-ex-Kanzler Schröder ruft EU-Antidemokraten zum Angriff auf das Grundgesetz auf)
Was sagt uns der ex-Kanzler von Wählern von Doris ihrem Mann seiner Partei am 5.November im „Handelsblatt“ (2)?
„Heute ist möglich, was wir zu meiner Amtszeit noch nicht liefern konnten: die politische Union zur eigentliche Basis einer gemeinsamen Währung zu machen.
“Die langfristige Perspektive ist das, was die SPD im Heidelberger Programm bereits 1925 beschlossen hat, nämlich ein föderales Europa.”
„Eine wirklich wirksame Wirtschaftsregierung in Europa erfordert den Verzicht von Souveränität und deshalb eine Verfassungsänderung. Dafür braucht man in Deutschland kein Referendum, sondern die Zusammenarbeit der Bundestagsfraktionen von Regierung und Opposition. Eine Volksabstimmung will ich aber nicht ausschließen, weil sie eine ganz andere Form der Legitimation brächte.”
Gleicher Tag. Auftritt Andreas Vosskuhle. (Wie prognostiziert: Vosskuhle redet über Volksabstimmung, “neues Grundgesetz”, “europäischer Bundesstaat”)
Der von der SPD ins Bundesverfassungsgericht gehievte Präsident der Karlsruher Verfassungshüter im „Focus“ (3):
“Wenn wir einen europäischen Bundesstaat schaffen, dann brauchen wir eine neue Verfassung und dann muss das Volk beteiligt werden. Das kann über eine direkte Abstimmung über einen vorher erarbeiteten Verfassungsentwurf geschehen oder über einen Konvent, der speziell dafür gewählt wird.“
Eine Nationalversammlung nach dem Vorbild der Paulskirche wäre das, sagt Vosskuhle,
“und dann das Modell des Verfassungskonvents, der stellvertretend für das Volk ein neues Grundgesetz erarbeitet.“
Einen Tag später. Auftritt Josef Ackermann. (“Man muss die Refinanzierung des Finanzsystems sicherstellen”: Auszüge und Analyse zum Ackermann-Interview)
Der Vorstandsvorsitzende der Deutsche Bank AG und leitende Direktor des internationalen Banken-Kartells “Institute of International Finance” IIF, Josef Ackermann, wird am Sonntag Abend, dem 6.November vom Leiter des Hauptstadtstudios des ersten deutschen Staatssenders, Ulrich Deppendorf, in der ARD-Sendung “Bericht aus Berlin” (5) interviewt. Ackermann äußert sich zu den Beschlüssen des G20-Gipfels, der Affäre um die deutschen Goldreserven, dem Zusammenbruch von MF Global, der Staatskrise in Griechenland, dem Euro-System und dem fundamentalen Verhältnis von Kapital und Staat, explizit im Währungsgebiet “Euro”.
Bei Minute 9.40 sagt er folgendes:
„Wir müssen alles tun, daß die Zentralbanken ihre originäre Aufgabe wahrnehmen, aber dafür brauchen wir in Europa eben gewisse Veränderungen. Wir brauchen wahrscheinlich eine neue Idee für Europa, die auch die jungen Menschen begeistert, damit alle wieder mitziehen. Und wie brauchen eine Stärkung der institutionellen Rahmenbedingungen, sonst werden wir dieses Europa der Zukunft nicht schaffen.”
Zwei Tage zuvor hatten auf dem G20-Gipfel Kanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, zusammen mit ihren Amtskollegen aus 18 weiteren Industrie- und Handelsmächten, die Deutsche Bank AG als eine von 29 Systembanken des Weltkapitalismus ernannt, deren Insolvenz durch alle G20-Staaten um jeden Preis zu verhindern sei. Merkel, Schäuble und Weidmann unterschrieben folgende Erklärung (“Volle Resourcen” des Euro-Gebietes: G20 ernennen 29 Systembanken des Weltkapitalismus):
“Wir begrüßen den umfassenden Plan des Euro-Gebietes und mahnen rasche Ausarbeitung und Umsetzung an, eingeschlossen Länder-Reformen. Wir begrüßen die Entschlossenheit des Euro-Gebietes, seine vollen Ressourcen und gesamte institutionelle Kapazität zu bringen, um die Wiederherstellung von Vertrauen und finanzieller Stabilität zu tragen und das angemessene Funktionieren von Geld- und Finanzmärkten sicherzustellen.”
Doch irgendetwas war schief gelaufen, an jenem denkwürdigen Tage in Cannes, mit all den „Entscheidern“ dieser Welt. Was war es bloß gewesen? Hatte nicht alles und jeder seinen Preis gehabt?
Quellen:
(1) http://www.sueddeutsche.de/politik/joschka-fischer-fordert-europaeische-regierung-es-wird-einsam-und-kalt-um-europa-1.1177334-2
(2) http://www.handelsblatt.com/politik/international/die-konservativen-handeln-unverantwortlich/5802372.html?p5802372=all
(3) http://www.focus.de/politik/ausland/eu/vosskuhle-im-focus-interview–dann-brauchen-wir-eine-neue-verfassung_aid_681412.html