„Das wird kein Bahnhof mehr sein, sondern nur noch eine Haltestelle“

Dokumentation: Die Rede von Hans Heydemann, Ingenieure22 für den Kopfbahnhof, bei der heutigen 107. Montagsdemonstration gegen das regionale und verkehrsindustrielle Umbauprogramm “Stuttgart 21″ (S21).

Liebe Freunde und Mitstreiter für den Erhalt des Kopfbahnhofes!

Die Bahn will jetzt nun auch den Südflügel abreißen. Dabei ist dies vom Bauablauf her jetzt noch gar nicht notwendig. Mit dem Aushub der Baugrube, der der Südflügel angeblich im Wege steht, kann erst begonnen werden, wenn das GWM fertig gebaut und anschließend ein Jahr lang erprobt worden ist. Weil die Arbeiten am GWM aber derzeit durch Gerichtsbeschluß gestoppt sind und außerdem auch noch die Genehmigung für die Verdoppelung der Grundwasser-Entnahme nicht erteilt ist, kommt die Bahn an dieser Stelle vorerst nicht weiter.

Die Notwendigkeit zum Abriß des Südflügels würde also frühestens in zwei Jahren bestehen. Warum nun diese Eile, jetzt den Südflügel umzulegen? Die Bahn will damit weitere „vollendete Tatsachen“ schaffen, um dieses milliardenteure Irrsinnsvorhaben S-21 unumkehrbar zu machen und die Ausstiegskosten weiter in die Höhe zu treiben, bevor noch andere, weitere Mängel und Unzulänglichkeiten offenbar werden, die das Vorhaben doch
noch stoppen können. Und davon gibt es jede Menge!

Auch nach inzwischen 17 Jahren Planung mit hunderten Fachleuten und mehr als 270 Millionen € aufgewendeter Planungskosten hat die Bahn ihre Hausaufgaben bei S-21 noch längst nicht erledigt. Der Berg ungelöster Probleme ist riesig; die Bahn steht vor einer Aufgabe, die sie einfach nicht bewältigt. Da ist z.B. jene Liste mit „121 Risiken“, die der vormalige Projektleiter Hany Azer im vorigen Jahr zusammengestellt hat, bevor er dann aufgab. Doch die Bahn hüllt sich darüber in Schweigen. Als weitere Planungsmängel und Unzulänglichkeiten seien hier genannt:

– der übergangene Artenschutz für Juchtenkäfer und Fledermäuse, was immerhin zum Aufschub der Fällung der Bäume im Mittleren Schloßgarten durch Gerichtsbeschluß geführt hat.

– der Antrag der Bahn, die abzupumpende Grundwassermenge auf 6,8 Mio. m³ mehr als zu verdoppeln; damit wasserrechtliche Neubewertung des Vorhabens und erhöhte Gesamtkosten.

– die Statik-Probleme mit dem Technik-Gebäude vor dem Nordausgang, wegen dem der Nordflügel voreilig im Sommer 2010 abgerissen wurde, sollte mit dem Bau doch schon vor einem Jahr begonnen werden. Hierzu wurden Kabel umgelegt, der öffentliche Parkplatz vor dem Nordausgang aufgehoben und 16 Bäume ausgerissen. Doch bislang ist dort weiter nichts geschehen. Das beauftragte Bauunternehmen Wolff & Müller hatte nämlich festgestellt, daß es so wie geplant und ausgeschrieben nicht gehen werde, weil die Standsicherheit des Bonatz-Hauptbaues gefährdet würde. Der Auftrag wurde W & M entzogen, weil diese sich geweigert hatte, die Mehrkosten für die zusätzlich erforderlichen Sicherungs-Maßnahmen zu übernehmen. So also versucht die Bahn, Kostenrisiken, die sich aus ihrer unzulänglichen Planung ergeben, auf andere abzuwälzen!

– Für 2 Bauabschnitte auf den Fildern liegt bisher noch nicht einmal ein Planfeststellungsantrag vor, geschweige denn eine Genehmigung. Die Bahn versucht also, unten im Tal vollendete Tatsachen zu schaffen, damit der Rest dann auch genehmigt werde. Dabei hatte die Bahn selber mal ausdrücklich erklärt, mit dem Bau erst dann zu beginnen, wenn alle Abschnitte genehmigt sind. Doch sieht die Bahn sich heute nicht mehr daran gebunden. Auch sind die Auflagen aus dem „Schlichterspruch“ noch gar nicht umgesetzt; diese sollen offensichtlich unter den Tisch fallen, obwohl Bahn und Befürworter sich doch ausdrücklich dazu bekannt hatten, etwa die Verbesserung von Brandschutz und Barrierefreiheit sowie der Erhalt der Gäubahn und deren leistungsfähige Einbindung in den Tiefbahnhof.

Dabei ist gerade auch der Brandschutz und die Sicherheit der Reisenden wie die der Bahn-Mitarbeiter im Tiefbahnhof und insbesondere in den Zulauftunnels völlig unzureichend. Im bestehenden oberirdischen Kopfbahnhof hingegen gibt es derlei Probleme nicht.

Da ist zunächst die Schieflage des geplanten Tiefbahnhofes von 15 Promille; sechsmal mehr als nach EBO für einen Bahnhof zulässig, ermöglicht durch eine Ausnahmegenehmigung des Bundes-Verkehrsministers als sogen. „Minister-Erlaubnis“. Einen derartigen „Kellerbahnhof“ noch dazu in dieser Schieflage gibt es sonst nirgendwo. Nach der EBO wird das auch gar kein Bahnhof mehr sein, sondern nur noch eine Haltestelle. Ein Zug, dessen Bremse gelöst wird, rollt bei diesem Gefälle sofort von selber los und nimmt schnell hohe Fahrt auf, wodurch Reisende gefährdet werden.

Beim Überrollen des Weichenfeldes am Ende des Kellerbahnhofes besteht weiterhin die Gefahr des Entgleisens und Zusammenstoßens mit einem anderen Zug. Bei einem schweren Brand im Tiefbahnhof wird dieser für die Reisenden zur Falle. Die einzige Möglichkeit zum Entkommen führt nur über die mehr als 7 m hohen, dafür aber zu engen Treppen auf die Querstege – und damit in die tödliche Rauchschicht hinein, die sich dort in Minutenschnelle aufbaut und so den Fluchtweg abschneidet! Am ärgsten betroffen sind Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer, weil diese die Bahnsteige nicht aus eigener Kraft verlassen können und auf die Aufzüge angewiesen sind, die im Brandfall aber nicht benutzt werden können. Die Bahn gedenkt dieses Problem mit Lautsprecher-Durchsagen zu lösen, mit denen die Reisenden aufgefordert werden, solche behinderte Personen im Rahmen der Hilfeleistungspflicht die Treppe hinaufzutragen. Welch ein erbärmliches Ansinnen! Anstatt ein sicheres Notfall- und Rettungskonzept aufzustellen und umzusetzen, versucht die Bahn, sich mit Lautsprecher-Durchsagen aus der Verantwortung zu stehlen!

Im bestehenden oberirdischen Kopfbahnhof bleiben dagegen die Bahnsteige immer dauerhaft rauchfrei; jeder kann die ebenerdigen Bahnsteige aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe verlassen, auch Rollstuhlfahrer. Und bei Bedarf können Rettungs- und Einsatzfahrzeuge über den Nordausgang unmittelbar auf den Bahnsteig bis zum Ort des Geschehens vorfahren. Im Tiefbahnhof ist dies so nicht möglich, trotz der vorgesehen sogenannten „Rettungs-Zufahrten“ über die Tunnel, die für den Ernstfall untauglich und somit nur Augenwischerei sind.

Schließlich noch zur Sicherheit der Zulauftunnel. Der Fildertunnel ist mit einer Steigung von 25 Promille vorgesehen; das ist doppelt soviel wie nach EBO zulässig, ebenfalls ermöglicht durch eine Minister-Erlaubnis des Bundes-Verkehrs-Ministers als weitere Ausnahmegenehmigung. Das ganze S-21-Vorhaben ist eine Aneinanderreihung von Ausnahmegenehmigungen und Ausnahme-Regelungen zugunsten der Bahn! Das trifft auch auf den Tunnel-Querschnitt zu. Der Regel-Querschnitt eines eingleisigen Tunnels hat einen Durchmesser von 9,40 m. Um Baukosten zu sparen und auch um mögliche Quelldrücke der durchbohrten Anhydrit-Schichten besser aufnehmen zu können, sieht die Bahn für S-21 auf 8,10 m verringerte Durchmesser vor. Das hat beträchtliche nachteilige Auswirkungen.

Zum einen wird dadurch der Luftwiderstand des Zuges so stark vergrößert, daß seine Fahrgeschwindigkeit auf 160 km/h begrenzt wird; außerdem ist der Energie-Aufwand beim Fahren sehr viel höher als im Freien. Von wegen „ökologisches Projekt“..

Zum andern ist in diesem verringerten Tunnel-Querschnitt das herkömmliche Signalsystem nicht mehr einsetzbar. Hierfür muß ein neues Signalsystem ETCS erst neu eingeführt werden. Die Nachrüstkosten einer Lokomotive betragen hierfür rd. 300 T€.

Für einen vernünftigen Zugverkehr im Bahnknoten Stuttgart müßte der gesamte Lok-Park der DB umgerüstet werden. Bei rd. 10.000 Loks bedeutet das Gesamtkosten von 3 Mia. € – zusätzlich zu den Baukosten von S-21 noch obendrauf! Nun hat Bundesverkehrsminister Ramsauer im letzten Sommer verkündet, die Einführung dieses neuen Signalsystems ETCS sei nicht finanzierbar. Ei, warum aber stoppt er dann nicht Stuttgart-21? Ohne dieses neue Signalsystem ETCS können überhaupt keine Züge in den geplanten Tiefbahnhof einfahren – in den bestehenden Kopfbahnhof aber sehr wohl!

In dem verringerten Tunnel-Querschnitt verbleibt auch nur ein viel zu schmaler Flucht- und Rettungsweg, über den die Reisenden bei einem Brand- und Katastrophenfall über den nächstgelegenen Rettungsstollen in die andere Tunnelröhre flüchten können. Im Ernstfall wird es bei einem schweren Brand im Tunnel viel zu lange dauern, um alle über 1.000 Reisende eines vollbesetzten Zuges in Sicherheit zu bringen. Die sich sehr schnell ausbreitende Rauchschicht wird die meisten Flüchtenden einholen, die dann darin umkommen werden – nach nur 5 Atemzügen in der giftigen Rauchschicht tritt der Tod ein. Die Behauptung der Bahn, der Rauch werde von allein zur Tunnelmündung abziehen, also keine Gefahr für die Reisenden, widerspricht allen Erfahrungen mit Feuer und Rauch! Bis sich
diese Rauchwolke durch den 10 km langen Tunnel mit seiner dafür zu geringen Neigung hinaufschafft, wird es für die meisten zu spät sein – siehe die Brandkatstrophe in der Bergbahn von Kaprun im November 2000, bei der nahezu sämtliche Insassen zu Tode kamen, insgesamt 155 Personen.

Geradezu ein Witz sind aber die vorgesehenen Löscheinrichtungen im Tunnel. Dort soll eine sogen. „Trockene Löschwasserleitung“ mitgeführt werden zur Versorgung der im Tunnel angeordneten Hydranten. Oben beim Tunnelausgang auf den Fildern ist ein Löschwasser-Vorratsbehälter mit 100 m³ Inhalt vorgesehen. Daraus soll diese Leitung im Brandfall von der angerückten Feuerwehr mit Hilfe eines mobilen Pumpen-Aggregates, befüllt werden. Die Förderleistung dieses Pumpenaggregates beträgt 800 l/Minute. Um die 10 km lange Löschwasserleitung DN 100 im Tunnel zu befüllen, dauert es knapp 2 Stunden! Und wenn diese Leitung endlich voll ist, ist der Löschwasser-Vorratsbehälter nahezu leer, und zum Löschen steht dann kein Wasser mehr zur Verfügung! Aber das wird dann wohl auch nicht mehr gebrauch – denn kein Mensch hält es so lange im Rauch aus.

Wie gesagt, es handelt sich hier um das bestgeplante Bauvorhaben aller Zeiten…

Der Kopfbahnhof hat all diese Probleme nicht. Und warum soll jetzt der Südflügel weg? Doch wohl in erster Linie als Zeichen der Macht – um so die Ohnmacht des Widerstandes dagegen vorzuführen, damit dieser sich endlich verläuft und Ruhe gibt! Doch den Gefallen werden wir der Bahn und dem dahinterstehenden Befürworter-Filz nicht tun.

Wir werden Oben bleiben und weitermachen!

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