DER VERFALL DER „EUROPÄISCHEN UNION“ (VII): Die Betrogenen der Betrüger – Das „EU-Parlament“
13.11.2011, I : Aufprall am Grundgesetz und radikaler Strategiewechsel
14.11.2011, II : Gänsemarsch der Tontauben
16.11.2011, III : Schicksalstag 9.November – Chronologie einer Zeitenwende
27.11.2011, IV : Sollen sie doch Geld drucken
15.01.2012, V : 9.Dezember – Der Große Bluff der “zwei Europas”
16.01.2011, VI : Der “Fiskalpakt” fliegt auf
Von Frank Zappa stammt folgendes Zitat: „Der meiste Rock-Journalismus besteht aus Leuten die nicht schreiben können, die Leute interviewen die nicht sprechen können, für Leute die nicht lesen können“. Vielleicht muss man Rockmusiker sein, um zu begreifen, daß im Jahre 2012 Teil drei dieser Aussage auf die gesamte Gesellschaft in Deutschland und alle anderen europäischen Demokratien zutrifft.
Doch Leute, die schreiben und sprechen können, die gibt es zuhauf. Und sie hören gar nicht mehr auf. Eine Heerschaar von Schreibern und Sprechern steht auf der Bühne. Und da sie über Publikum verfügen, was nicht lesen kann, belügen und betrügen sie es so dreckig, wie sie nur können.
I
In den fast 20 Jahren der Existenz des Theatre of „Europäische Union“ ist der Verkauf von Eintrittskarten konstant gestiegen – allerdings für den Eintritt in das Ensemble. Dieses ist, in all seiner Größe und Vielfalt, in den Winkeln und Kammern stetig angewachsen. Sogar die Kulissen mussten schon nach vorn geschoben werden, um hinter dem Vorhang Platz zu schaffen. Die Jeders unter den Jeden, die Middle-Haves unter den Haves, alle wollten sie dabei sein, endlich auch in ganz Europa. Und gezahlt wurde in Seelen, Charakter, Ethik und Moral. Alles musste raus, rauuuus…Man wollte innerlich ganz frei sein von allem, für das Große und Ganze, was da nun rein kam. Ganz flexibel.
Doch wunderten sich – irgendwann in den letzten Jahren fing es an – die innerlich entleerten und mit Text vollgestopften Sprech- und Schreibmaschinen, was denn da plötzlich im Publikum los war. Die guckten irgendwie so mürrisch. Kein Wunder. Lesen konnten die zwar immer noch nicht. Aber denken. Wenn sie wollten. Dabei waren sie doch gekommen, um zu bleiben und sich unterhalten zu lassen. Ein Leben lang.
Doch waren die Eintrittspreise für die Vorstellung enorm gestiegen. Die gereichte Verpflegung wurde schlechter und ging im Parkett schließlich sogar ganz aus. Und im Zuschauerraum waren keine Sitze, wie es das Plakat draußen noch versprochen hatte. Stattdessen standen dort nur bunt bemalte Hamsterräder. Nicht nur, daß man nun andauernd strampeln musste um die Vorstellung zu sehen, das Geratter und Geknatter machte einen ganz kirre. Dazu stand irgendwo ein Fenster offen. Licht fiel herein. Die Gestalten auf der Bühne sahen auf einmal so hässlich aus. Die Beleuchter hatten alle Hände voll damit zu tun, mit gleißenden Spots auf irgendwas alles wieder wettzumachen.
Die Stimmung wurde schlechter. Doch von oben schallte es:
„Allen geht es besser!“
Man schaute sich an. Unruhe im Publikum. Blicke aus der Loge auf die billigen Hamsterräder. Was sollte das, da unten? Diener wurden herbei gewunken und los geschickt, Zettel herumgereicht. Irgendwann, nach einer Weile, war die Angelegenheit hinter dem Vorhang geklärt worden. Nun wisperte es zuerst leise, dann immer lauter und eindringlicher aus der Souffleuse. Die Darsteller schauten verwirrt. Dann fassten sie sich und brachten ihre Mienen wieder ins Lot. Ein unmerkliches Nicken. Dann schallte es durch den Raum, im vereinten Chor durch das Geratter:
„Es muss erst schlechter werden, bevor es besser werden kann!“
Wieder nichts. Hi und da im Publikum sogar ein Kopfschütteln. Durch matte Hirne schossen rudimentäre Fragen. Warum rannte man da eigentlich? Und warum wurden einem die Taschen immer leichter? Gut, man hatte mal Ballast abgeworfen und konnte noch schneller rennen. Aber auch da oben, über dem Hals, da ging es immer so hui, hui, zwischen den Ohren durch, wenn der Wind durch das offene Fenster wehte, das sich einmal geöffnet, irgendwie nicht wieder schließen ließ. Es war wie verhext.
Wieder hektische Aktivitäten hinter dem Vorhang. Licht aus. Gerumpel und Gepumpel, sogar ein leiser Fluch zu hören. Knarrend werden die Kulissen hin und her geschoben. Dann: Licht an, Spot an, traraaaaaaa, alle im Chor:
„Ihr seid alle selbst schuld! Wir müssen das Theater retten! Wir, das seid Ihr! Habt Ihr verstanden?!“
Nun reichte es. Nur die Dauerkartenbesitzer und die auf dem Balkon blieben in ihren Hamsterrädern, in der vagen Hoffnung, das Investierte doch noch in Unterhaltung umsetzen zu können (aus den Logen hatte man sich bereits unauffällig hinter die Bühne begeben).
Die Zuschauerzahlen gingen zurück. Es gab weniger Eintrittsgelder zu verteilen. Die Besitzer des Theaters berieten mit den Intendanten. Doch man kam nicht weiter. Dann berieten sie mit den Regisseuren, die mit ihren Vorstellungen jeweils links und rechts auf den großen bunten Werbeplakaten zu finden waren. Doch man kam immer noch nicht weiter. Dann berieten sie den Stars ihres Ensembles. Und da hatten sie eine Idee.
Nun begann ein verheerender Prozess. Damit das Theater, was lange Zeit so gut von seinem Publikum hatte leben können, irgendwie weiter existieren konnte, veranstalteten nun die Besitzer, Intendanten, Regisseure und Stars hinter der Bühne Vorstellungen für das eigene Ensemble. Dieses war, bis dato immer gut befördert und gefüttert von den Herren und Damen aus den Logen, im Laufe der Jahre gigantisch angewachsen. Nun aber langte es nicht mehr für alle. Das Ensemble selbst musste nun enorme Eintrittsgelder für eine Show hinter dem Vorhang bezahlen, ohne allerdings zu begreifen, was da eigentlich vor sich ging. Denn lesen konnten auch die Schreiber und Sprecher nicht. Nur vorlesen und ihren Text aufsagen. Und denken, das hatten sie nie gelernt. Wozu auch.
So wurden die Betrüger selbst zum Publikum, zu Betrogenen. Ab ins Hamsterrad. Das Drama nahm seinen Lauf.
II
Es ist Donnerstag, der 12.Januar, noch früh am Morgen. Aus dem „Deutschlandradio“ ertönt die Stimme von Jaspar Barenberg. (1)
„Neue strenge Haushaltsregeln sollen in Europa eingeführt werden. Das wurde auf dem letzten EU-Gipfel kurz vor Weihnachten beschlossen. Es geht um strikte nationale Schuldenbremsen und um scharfe und automatische Strafen für Defizitsünder. Eine Änderung der Verträge von Lissabon scheiterte bekanntlich am Widerstand von Großbritannien. Stattdessen sollen jetzt möglichst alle anderen 26 untereinander einen völkerrechtlichen Vertrag schließen. Die Verhandlungen über den Text für diesen sogenannten Fiskalpakt sind in vollem Gange, auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments sind beteiligt. Die allerdings halten den jüngsten und letzten Entwurf für diesen Haushaltspakt für inakzeptabel. Dazu gehört auch der CDU-Europapolitiker Elmar Brok, er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen.
Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Barenberg.“
Man kann keinen völkerrechtlichen Vertrag beschließen, der einem anderen bereits geschlossenen völkerrechtlichen Vertrag widerspricht. Einen Beschluss des obersten EU-Regierungsrates, des EU-Gipfels vom 9. Dezember gibt es nicht. Denn dieser kann nur von allen 27 Regierungsleitern der EU-Mitgliedsländer getroffen werden. Stattdessen gaben am 9. Dezember die Regierungsleiter der 17 Staaten im Euro-Währungsgebiet eine eigene Erklärung ab, in der allen Schwachköpfen, die nicht lesen und nicht denken konnten, erzählt wurde, was sie zu sprechen und zu schreiben hätten. (DER VERFALL DER “EUROPÄISCHEN UNION” (V) : 9.Dezember – Der Große Bluff der “zwei Europas”
Nachdem dann Finanzminister und Kanzlerin von Deutschland (mitsamt Anhang in Paris, Wien, etc, pp) ihr Ensemble in den Weihnachtsurlaub geschickt hatte, mit dem Vorhaben eines „Fiskalpaktes“, der laut allen EU-Juristen nichts anderes sein konnte als eine „politische Absichtserklärung“ ohne „rechtsverbindlichen Charakter“, wurden nach dem ersten Entwurf vom 17.Dezember dann am 6.Januar ein zweiter und schließlich am 10.Januar ein dritter Entwurf des „Fiskalpaktes“ bekannt. Dort bestätigten die Juristen des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy abermals, was sie bereits vor dem Gipfel vom 9. Dezember zusammen mit den juristischen Diensten von EU-Kommission und EZB geäußert hatten: ein neuer, die (im EU-Vertrag bereits ausführlich geregelte) Währungsunion betreffende Vertrag der 17 Staaten mit Euro-Währungssystem ist unzulässig.
Außerdem wird in diesem nun dritten Entwurf aufgegeben, die EU-Mitgliedsstaaten zwingend zu den einzig real möglichen und tatsächlich rechtlich relevanten Schritten zu erpressen: Verfassungsänderungen. Auch der EU-Kommission und EU-Parlament versprochene Machtzuwachs, auf Kosten der Bürger der europäischen Demokratien, die die EU-Abgeordneten selbst gewählt haben, löst sich in Luft auf. (DER VERFALL DER “EUROPÄISCHEN UNION” (VI): Der “Fiskalpakt” fliegt auf)
Dazu gestern ein Nebensatz in einem Artikel von „DiePresse.com“ (2):
„Die noch bei dem EU-Gipfel von Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel versprochene Einbindung des Europaparlaments ist nicht realisiert worden.“
Elmar Brok sitzt seit 32 Jahren in einem „Parlament“, was als „parlamentarische Versammlung“ der westeuropäischen „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ EWG 1979 zum ersten Mal direkt gewählt wurde.Der Begriff „Europaparlament“ wurde erst Mitte der 80er offiziell.
Die EWG wurde 1992 in „Europäische Gemeinschaft“ (EG) umbenannt. Gleichzeitig wurde die „Europäische Union“ gegründet, die fortan als als reine „Dachorganisation“ der EG existierte, ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Erst mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags am 1. Dezember 2009 wurde der bis zu diesem Zeitpunkt einzig rechtsgültige Vertrag des europäischen Staatenbundes, der EG-Vertrag, zusammen mit der EG selbst still und leise aufgelöst und in den „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ überführt.
Das heisst: das „EU-Parlament“ ist rechtlich betrachtet erst seit dem 1. Dezember 2009 das „EU-Parlament“. Ein Parlament ist es aber immer noch nicht. Denn ein Parlament hat nicht nur etwas zu sprechen und zu schreiben – es hat auch etwas zu entscheiden. Und das hat das EU-Parlament nicht. Es hat gerade soviel Kompetenzen, dass es ein paar Dinge etwas aufhalten kann, eventuell. Und das war es.
Das war es seit 32 Jahren.
Elmar Brok ist aber nicht nur seit 32 Jahren Abgeordneter eines Parlaments, was seit 32 Jahren nichts zu entscheiden hat. Elmar Brok ist außerdem einer der Darsteller der sogenannten „Föderalisten“, die alle echten Parlamente in Europa für die geplante Installation von „Vereinigten Staaten von Europa“ als lästig empfinden. Elmar Brok war von 1999 bis 2006 Vorsitzender des Vereins „Europa-Union Deutschland e.V.“, der seit 2007, mit Hunderten von Mitgliedern aus allen oder fast allen Fraktionen, in unserem Parlament eine eigene Schatten-Fraktion führt, die “Europa-Union Parlamentariergruppe Deutscher Bundestag”. Broks Nachfolger als Chef der „Europa-Union Deutschland“ war übrigens Peter Altmaier, Geschäftsführer der Union im Bundestag. (Die Schatten-Fraktion des Deutschen Bundestages)
Elmar Brok sitzt nun da, an jenem Donnerstag Morgen, am 12.Januar im „Deutschlandradio“. Was fällt ihm ein, dem Super-Europäer, Verzeihung, Super-Demokraten des Super-Parlaments in Straßbourg, zu dem so enttäuschenden neuen Entwurf des „Fiskalpaktes“?
„..wenn das Europäische Parlament – und der Aufschrei gestern war über alle Fraktionsgrenzen hinweg -, wenn das Europäische Parlament sich negativ aussprechen sollte, dann wird es natürlich noch schwerer, diesen Vertrag überall in den nationalen Parlamenten ratifiziert zu bekommen.“
Er muss – weil es eben nicht die versprochene Parallelunion zur EU gibt und er das langsam begreift und Angst bekommt- als „EU-Parlamentarier“ nun mit genau den echten Parlamenten der „Nationalstaaten“ drohen, die er Zeit seines Lebens nichts als loswerden wollte. Und er tut auch noch so, als sei das ganz furchtbar demokratisch von ihm.
Jetzt, wo im neuen Entwurf eines irrelevanten „Fiskalpaktes“ klar die Selbstverständlichkeit aller Selbstverständlichkeiten drin steht, nämlich dass der völkerrechtliche „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (der durch den Lissabon-Vertrag aus dem EG-Vertrag geschaffen wurde) nicht gebrochen werden kann, jetzt setzt sich Elmar Brok in den „Deutschlandfunk“ und sagt:
„dies darf kein paralleler Vertrag werden, dies darf nur eine vorübergehende Angelegenheit sein, hier können nicht neue Institutionen geschaffen werden, wir dürfen nicht dazu kommen, dass die Europäische Union de facto geteilt wird.“
Wer ist nach dem am 9.Dezember gescheiterten EU-Gipfel und nachdem Angela Merkel am 14.Dezember im Bundestag das „neue Europa“ ausrief, bei den Verhandlungen über den „neuen Euro-Stabilitätsvertrages mit den 26 beteiligten EU-Mitgliedsländern“ zum Vertragsführer der Betrogenen unter den Betrügern, dem „EU-Parlament“ gemacht worden? Natürlich Elmar Brok. (3)
II
Zu keinem Zeitpunkt waren alle 27 EU-Mitgliedsländer an irgendwelchen Vertragsverhandlungen über den „Pakt“ einer neuen Parallelunion zur EU beteiligt. In der Erklärung der 17 Regierungsleiter im Euro-Währungsgebiet wurde lediglich erklärt, die neun weiteren EU-Mitgliedsländer außer Großbritannien würden sich „möglicherweise“, irgendwann, nach „Konsultierung“ mit ihren Chefs, den echten Parlamenten zu Hause, an dem virtuellen Euro-Vertrag beteiligen. Auch das konnte niemand lesen, weil niemand lesen will.
Niemand. Das bin ich. (DER VERFALL DER “EUROPÄISCHEN UNION” (V) : 9.Dezember – Der Große Bluff der “zwei Europas”)
Angela Merkel am 14. Dezember im Parlament von Deutschland, dem niemand mehr zuhört. (4)
„Ich sage hier ausdrücklich: Sosehr ich bedaure, dass Großbritannien sich nicht mit uns gemeinsam auf diesen Weg gemacht hat, sosehr ich bedaure, dass Großbritannien sich schon vor 20 Jahren gegen den Euro entschieden hat, so sehr steht für mich außer Zweifel, dass Großbritannien auch in Zukunft ein wichtiger Partner in der Europäischen Union sein wird.“
Großbritannien ist kein „Partner“, es ist Mitglied der „Europäischen Union“. Und das bleibt dieser Staat, bis er austritt, warum auch immer und wer auch immer dies in dieser Monarchie beschließen kann und würde. Was nicht passieren wird, ist, daß Dummschwätzer aus den Logen ihre eigene Realitätsentfremdung den Völkern und ihrem Recht aufbeten.
Einem der noch mäßig intelligenten Regisseure unter diesen Runterguckern und Inszenatoren schwante an jenem 14. Tage im Bundestag, wer den Leitern des Ensembles da in die Karten schaute. Fast hatte man den Eindruck, Frank-Walter Steinmeier drehte sich bei dieser Rede nicht Richtung seiner Kanzlerin, sondern unangenehm berührt Richtung Fenster.
„Das Fiskalpaket ist bei genauerem Hinsehen – ich habe versucht, das deutlich zu machen – ein Scheinriese. Von weitem sieht es bedeutsam aus, beim Näherkommen erkennt man jedoch auf Anhieb: Es ist in Wirklichkeit ein Zwerg. Deshalb hat die Nachgipfeleuphorie nicht einmal drei Tage angehalten. Schon am Montag waren die Märkte wieder im tiefroten Bereich. ..
Aus meiner Sicht haben wir ein Stück mehr Rechtsunsicherheit und – was wir gar nicht gebrauchen können – weitere verkomplizierte Strukturen innerhalb der EU, Strukturen, die wir auch Menschen außerhalb der Europäischen Union erklären müssen. Wir müssen erklären, dass wir nicht nur die EU 27 und nicht nur die EU 17 haben, sondern etwas, das wir vielleicht – je nachdem, wer dabeibleibt – EU 26 minus x nennen können.
Wer außerhalb Europas soll das verstehen? Nach dem Gipfel habe ich mir die entscheidende Frage gestellt: Rechtfertigt dieses Ergebnis eigentlich die faktische Abspaltung Großbritanniens, die jetzt stattgefunden hat?
Auch ich habe die Berichterstattung gesehen. Sie ist ein wenig von oberflächlicher Schadenfreude geprägt. Jeder kann sie verstehen, der sich in der Vergangenheit in Europäischen Räten über unsere britischen Freunde geärgert hat; aber ich bin mir sicher, dass wir das in ein paar Monaten neu bewerten werden. Dann werden wir genau sehen: Für Schadenfreude darüber, dass wir die Briten nicht mehr an Bord haben, besteht eigentlich gar kein Anlass; denn der Entfremdungsprozess zwischen Kontinentaleuropa und Großbritannien wird nicht aufzuhalten sein. Am Ende, meine Damen und Herren, wird Schaden bleiben – Freude überhaupt nicht.“
Steinmeiers Problem war, daß er eine Rede hinter dem Vorhang als eine für das Publikum da draußen verkaufen musste. Das aber hörte schon gar nicht mehr zu, vom Lesen ganz zu schweigen. Es ging einfach alles weiter. Nun saßen die Damen und Herren des Theatre of European Union genau in dem Hamsterrad, in das sie eigentlich die Völker stecken wollten, die so dumm gewesen waren dafür auch noch Eintritt zu bezahlen.
Sie liefen schneller und schneller und schneller und schneller. Und alles drehte sich immer schneller und schneller und schneller. Und die Betrogenen der Betrüger kamen unter ihre eigenen Räder.
III
In Wien sitzt am 17. Januar der Führer einer der Laienschauspiel-Gruppen Europas bei einem Interview: Jörg Leichtfried, ehrenwerter Leiter der Abgeordneten der „Sozialdemokratischen Partei Österreichs“ (SPÖ) im „Europaparlament“. Er spricht und „Die Presse“ schreibt (2):
„Das ist ein schleichender Putsch der Staats- und Regierungschefs.“
Was meint Leichtfried mit diesen Worten? Meint Leichtfried den vor 20 Jahren programmierten und seitdem in Zeitlupe laufenden Abbau von Bürger- und Verfassungsrechten in allen Staaten der „Europäischen Union“? Denn dieser wurde, wie alles andere auch, durch niemanden anderes beschlossen als die Regierungsleiter und ihre Minister, die – im eigenen Staat als Exekutive ernannt oder gewählt – in Brüssel als Legislative aus dem Flieger steigen.
Meint Leichtfried also z.B. die Datentauschbörsen von Polizei und Spionen aus der gesamten EU, die sich und ihren Kollegen aus den USA über die eigenen Chat- und Suchmaschinensysteme Lachhaftes und Witziges über ihre Bürger in Bild und Ton zusenden? Meint Leichtfried die Vorratsdatenspeicherung? Meint SPÖ-Leichtfried den EU-weiten Versuch in einer konzertierten Aktion den Militäreinsatz im Inneren in die Verfassungen einzutätowieren? Meint Leichtfried diesen im Zuge der Globalisierung aus dem chinesischen Nachbarabteil erhaltenen vernünftigen Tipp, doch endlich mit den eigenen Soldaten im eigenen Lande wettbewerbsfähig zu werden? Meint SPÖ-Leichtfried vielleicht allen anderen Müll, den die Brüsseler Räte schon beschlossen haben, wie z.B. mitsamt allen Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssysteme áuch die gesamte Infrastruktur und alle anderen souveränen eigenstaatlichen Strukturen im EU-Einflussbereich an die Konzerne zu verramschen, Seit an Seit mit den Banken und dem Kapital, für die Banken und das Kapital die eigenen Staatsfinanzen zu ruinieren und vom eigenen Staat alles kaputt zu reden was man nicht kaputt machen kann, solange, bis die Generalstreiks ausgebrochen sind und die Rauchwolken aufsteigen?
Meint das der Leichtfried, Jörg, SPÖ, an jenem gestrigen Tage in Wien?
Aber nein. Er meint den neuen Entwurf des „Fiskalpaktes“. Und einmal in Fahrt, fängt er an, das zu machen, was er kann: sprechen. Leider ohne zu denken.
„Wir könnten alle Gesetze blockieren, so lange, bis der Vorschlag umgearbeitet wird“
Wen meint Leichtfried mit diesen fulminanten, imposanten, jo ei gar schmissig-sozialdemokratischen Worten? Er meint das „EU-Parlament“, was seit 32 Jahren nichts zu entscheiden, aber immer viel mitzuteilen hat. Offensichtlich hat der Sprecher, Verzeihung, Leiter der SPÖ-Abgeordneten im „Europaparlament“ noch nicht einmal Ahnung von dessen Kompetenzen.
IV
Gestern wurde Martin Schulz, aus der der deutschen SPD-Sektion der „Party of European Socialists“ (PES, auch „Sozialdemokratische Partei Europas“ SPE), zum Präsidenten des „Europaparlaments“ ernannt.
Ernannt, nicht gewählt, weil die Präsidentschaft dieses „Parlaments“ „traditionsgemäß“ zwischen „Europäischer Volkspartei“ (EVP) und „Sozialdemokratischer Partei Europas“ (SPE) wechselt.
PES/SPE-Ableger in Österreich ist die SPÖ, EVP-Ableger die ÖVP. In Deutschland sind CDU und CSU Ableger der EVP. Und so weiter. Jede Partei im Parlament von Deutschland ist der Ableger einer Einheitspartei auf EU-Ebene. Jede. (Die wahren Parteien des Bundestages)
Schulz sprach (5):
„Mit Demut trete ich heute dieses Amt an. Europa durchlebt stürmische Zeiten. Für viele Menschen in Europa sind es harte Zeiten. Meine Eltern gehörten noch einer Generation an, deren Leitmotiv lautete: „Unseren Kindern soll es einmal besser gehen als uns“. Und es geht uns besser!“
Siehe oben. Jetzt müsste eigentlich Unruhe in einem Publikum ausbrechen, das sehr wohl zwischen vorher (1990) und vorher (1945) und vorher (1933) unterscheiden kann. Es ist aber kein Publikum mehr da. Und was da ist, läuft in den mittelteuren Hamsterrädern und kann nicht lesen.
„Zum ersten Mal seit ihrer Gründung wird ein Scheitern der Europäischen Union zum realistischen Szenario. Seit Monaten hetzt die Union von einem Krisengipfel zum nächsten.“
Willkommen im Hamsterrad.
Entscheidungen, die uns alle betreffen, werden von Regierungschefs hinter verschlossenen Türen getroffen. Das ist für mich ein Rückfall in einen lange überwunden geglaubten Zustand der europäischen Politik: es erinnert an die Zeit des Wiener Kongresses im 19. Jahrhundert. Damals lautete die Maxime: knallhart nationale Interessen durchdrücken und das ohne demokratische Kontrolle.“
Der Wiener Kongress war 1815. Und da es kein Deutschland gab, konnte das keine „nationalen Interessen“ durchsetzen. Das taten vielmehr die Monarchien Preußen und Österreich-Ungarn, die vom Kaiserreich Napoleons versenkt und nur durch das Königreich Russland und das britische Empire gerettet worden waren. Vorher waren sie ehrenwerte Bausteine des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“, nachher eines „Deutschen Bundes“, der es sich zur Aufgabe machte demokratische Bestrebungen mit aller Gewalt zu unterdrücken, bis sich das Königreich Preußen schließlich aufmachte 1871 Deutschland dadurch als Staat zu erschaffen, in dem es dieses vorher eroberte.
Und genau dieses „Erschaffen durch Erobern“ versucht Martin Schulz, Seit an Seit mit den Regierungen der verratenen Demokratien Europas, Seit an Seit mit den Banken und allen etablierten politischen Parteien, jetzt mit Europa. Und er selbst sitzt in einem seit 32 Jahren existierenden „Parlament“, das mit nichts besser zu vergleichen ist, als mit dem Reichstag des Preußischen Kaiserreichs, der 1933 in Flammen aufging, um den ersten Versuch einer Republik auf Deutschem Boden in Blut und Verdammnis zu versenken. Und genau in diesem Gebäude sitzt heute wieder ein Parlament, welchem das Volk mit aller Macht, mit aller brutalen Macht einer diesmal standhaften Verfassung beibringen muss, sich nicht wieder selbst zu ermorden und alles andere dabei mit in den Abgrund zu reißen, auch die Nachbarländer, wie die schwache, entsetzlich schwache Republik Österreich.
Schulz. Hinsetzen. Keinen Ton mehr.
V
Wer ob des vielen Geschnatter auf der Bühne des Theatre of European Union irgendwie verwirrt ist, sollte zwischen zwei Vorstellungen unterscheiden:
1. Die immer noch für das Publikum abgehalten wird, das noch da ist
2. Das die Besitzer, Intendanten (es gibt tatsächlich mehrere davon), Regisseure und Stars für ihr deppertes Ensemble aufführen.
Schönen Gruß aus der Beleuchtung. Ich meine die auf der Straße. Von der es herein scheint und stürmt, durch ein Fenster, das nie wieder geschlossen werden kann.
(…)
Fortsetzung, 20. Januar 2012:
DER VERFALL DER “EUROPÄISCHEN UNION” (VIII): ESM und “Fiskalpakt” – die epischen Witze der Kanzlerin
Quellen:
(1) http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1650309/
(2) http://diepresse.com/home/politik/eu/724639/Fiskalpakt_Putsch-der-Regierungschefs
(3) http://www.elmarbrok.de/archives/brok-vertreter-der-eu-vertragsverhandlungen
(4) http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/plenarprotokolle/17148.pdf
(5) http://www.europarl.europa.eu/resources/library/media/20120117MLT35531/20120117MLT35531.pdf