„Stuttgart 21“: Grün-Rote Landesregierung läßt Bürgerbewegung durch Geheimdienste überwachen

In einem offenen Brief hat der langjährige Vorsitzende einer Strafkammer des Landgerichts Stuttgart, Richter und Staatsanwalt a. D. Dieter Reicherter, einen brisanten Rahmenbefehl des Landesinnenministeriums von Baden-Württemberg unter Reinhold Gall (SPD) auffliegen lassen. In dem im Dezember ergangenen Auftrag an das LKA wird angeordnet, die Überwachung der Bürgerbewegung gegen das regionale Umbauprogramm „Stuttgart 21“ (S21) unter Zuhilfenahme von Spionen aus den Landes- und Bundesämtern „wie bisher“ weiterzuführen.

In seinem offenen Brief, der u.a. in der Online-Zeitung der aktiven Parkschützer „Bei Abriss Aufstand“ veröffentlicht wurde, schreibt Richter a. D. Reicherter von einem am 20. Dezember 2011 unter dem Aktenzeichen 3-1134.9/1113-VS-NfD vom Landespolizeipräsidium an das Landeskriminalamt ergangenen Rahmenbefehl. In diesem heisst es:

„Das Landeskriminalamt erstellt unter Einbeziehung der Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz, des Polizeipräsidiums Stuttgart, der Landespolizeidirektionen sowie der Sicherheitsbehörden des Bundes ein Gesamtgefährdungslagebild zum Bauprojekt „Stuttgart 21“, insbesondere hinsichtlich entsprechender Versammlungen und Protestformen, relevanter Veranstaltungen, potentieller Störer sowie gefährdeter Personen und Objekte.
Das Gefährdungslagebild soll – wie bisher – im dreiwöchigen Rhythmus weitergeführt werden und ist dem Innenministerium – Landespolizeipräsidium – sowie dem Polizeipräsidium Stuttgart, unter nachrichtlicher Beteiligung der Landespolizeidirektionen sowie des Bereitschaftspolizeipräsidiums, zu übermitteln.“

Richter und Staatsanwalt a. D. Dieter Reicherter, der u.a. elf Jahre Vorsitzender einer Strafkammer des Landgerichts Stuttgart war, weiter in seinem offenen Brief:

„Die Umsetzung dieses Rahmenbefehls liest sich dann beispielsweise so (zugrunde gelegt wurde von mir das Gefährdungslagebild Nr. 23 vom 08.09.2011 – 28.09.2011):
Tag: Mittwoch, alle 2-3 Wochen
Ort: Stuttgart, Mittlerer Schlossgarten Blutbuche
Thema: Parkgebet – keine Zerstörung unserer Stadt durch das Projekt Stuttgart 21
Anmelder/Verantw.: Frau Guntrun Müller-Enßlin
erw. TN (=erwachsene Teilnehmer): 50-250
zust. OE (=zuständige Organisationseinheit): PP S
Sachverhalt: kein Gottesdienst, sondern Versammlung im rechtlichen Sinne, nächste Termine 15.09. und 29.09.
Bewertung: bürgerlicher Protest
Gef.-Bew. (=Gefährdungsbewertung): 5.
Damit erhält das Parkgebet dieselbe Gefährdungsbewertung wie die Kundgebung auf dem Schlossplatz am 30.9.11 mit 10000 Teilnehmern!“

Wie Richter a.D. Reicherter des Weiteren öffentlich machte, wurden nicht nur Veranstaltungen im Stuttgarter Schlossgarten bzw Baugebiet des Staatskonzerns „Deutsche Bahn AG“, sondern ebenso der landesweite Schwabenstreich, die Treffen der Unternehmer gegen S21, der Ärzte und Psychologen gegen S21, der Gewerkschafterinnen gegen S21, der Senioren gegen S21, Vorträge der Jugendoffensive zum Thema „Stuttgart 21“ und Treffen des Arbeitskreises Jura „erfasst“ und allesamt mit der „Gefährdungsstufe“ 7 bewertet.

Aber nicht nur das: sogar Veranstaltungen der „Stuttgart 21“-Befürworter wurden überwacht, wie die Veranstaltung „Sport u. Aktiv für Stuttgart 21 – Läufer, Inliner, Radfahrer u. Fußgänger für S21“ mit ca. 40 Teilnehmern. Erteilte Gefährdungsstufe der Staatsschützer: 5.

Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg – seit jeher voll im Bilde ihrer Mitarbeiter, der des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz und der lieben Kollegen von außerhalb, gerade bei Besuchen – kam mit tatkräftigem Engagement der „Sicherheitsbehörden“ des Bundes zu der bitteren Erkenntnis, daß selbst die Auftritte von Ministern der eigenen Landesregierung bei Veranstaltungen der Bürgerbewegung eine Gefährdung darstellten. So erteilte man der auf dem Stuttgarter Marktplatz stattfindenden Veranstaltungsreihe „Wir reden mit“ die Gefährdungstufe Stufe 5, obwohl bei diesen der baden-württembergische Justizminister Rainer Stickelberger und der Finanz- und Wirtschaftsministers Nils Schmid auftraten.

Dazu der ehemalige Richter Reicherter:

„Für Bürgerinnen und Bürger, die von ihren Rechten auf Meinungs-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, insbesondere jedoch auch vom Recht auf ungestörte Religionsausübung, Gebrauch machen wollen, ist diese Überwachung durch staatliche Organe, die der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, erschütternd und geeignet, jegliches Vertrauen in unseren Staat zu verlieren.“

Der ehemalige Vorsitzende am Landgericht Stuttgart forderte angesichts einer „vorhandenen Verflechtung von wirtschaftlichen und politischen Interessen unter Mitwirkung des Verfassungsschutzes und von Sicherheitsbehörden des Bundes“, sowie eines „möglichen kriminellen Hintergrunds“ hinsichtlich der „möglichen Brandanschläge der letzten Tage, für die der Sprecher des Kommunikationsbüros der Bahn bereits Projektgegner verantwortlich gemacht hat“, ergebnisoffene strafrechtliche Ermittlungen in alle Richtungen.

Der Verdacht des Richters a.D. bezüglich der Täter:

„Möglicherweise stammen sie..aus anderen Diensten oder gar kriminellen Gesellschaften, die ein Interesse an der Projektverwirklichung und Verunglimpfung der Projektgegner haben könnten.“

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