Das Parlament plant in gemeinsamer Kollaboration aller Parteien eine Änderung seiner Geschäftsordnung. Diese hätte nicht nur eine Einschränkung des Rederechts für die vom Volk gewählten Abgeordneten zur Folge, sondern auch Rückwirkung auf Verfassungsrecht.
Alle im Bundestag vertretenen Parteien, CDU, CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, planen gemeinsam die Einschränkung des Rederechts für diejenigen Abgeordneten des Parlaments von Deutschland, die sich dem legal nicht existierenden, aber seit Jahrzehnten stillschweigend akzeptierten „Fraktionszwang“ ihrer Parteien nicht unterwerfen und im Bundestag eine von den „Führungen“ der Parlamentsfraktionen „abweichende“ Meinung haben. Für Donnerstag, den 26. April, haben die derzeitigen Bundestagsparteien unter Tagesordnungspunkt 13 eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages auf die Tagesordnung gesetzt. Der Änderungsentwurf selbst wird, wieder einmal, vor der Öffentlichkeit verborgen.
Erstellt wurde dieser Änderungsentwurf nach einer „Prüfbitte“ des sogenannten „Ältestenrats“ im Bundestag durch den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Der Beschluss zur entsprechenden Änderung der Geschäftsordnung unseres Parlaments erging auf einer Ausschuss-Sitzung am 22. März. Die Mehrheit der Ausschussmitglieder sitzt auch im einflussreichen Ältestenrat, namentlich der Ausschussvorsitzende Thomas Strobl (CDU), Bernhard Kaster (CDU), Christian Lange (SPD), Jörg van Essen (FDP), Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Dagmar Enkelmann (Die Linke) und Alexander Ulrich (Die Linke). (02. April, Bundestag: Parteien versuchen Einschränkung der Rechte von Abgeordneten und Parlament)
Bundestagspräsident Norbert Lammert gab zu verstehen, daß er diese Einschränkung des Rederechts von Abgeordneten nicht akzeptieren wird.
Ebenfalls am 22. März befasste sich auf Vorschlag von Bundestagspräsident Norbert Lammert der “Ältestenrat” des Bundestages mit den Zustimmungsgesetzen zum Fiskalpakt und zum Vertrag über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Ergänzungen dieser von der Regierung vorgelegten Zustimmungsgesetze müssen sicherstellen, daß das verfassungsmäßige Haushaltsrecht des Bundestages gewahrt bleiben.
Nach einem Bericht von Radio Utopie war am 29. März im Bundestag eine Verfassungsänderung von Artikel 93 Grundgesetz wieder von der Tagesordnung abgesetzt worden. (Antrag auf Verfassungsänderung im Bundestag).
Für Tagesordnung und Publikationen des Bundestags hat der einflussreiche Ältestenrat die Zuständigkeit. Der Entwurf des entsprechenden Gesetzes ist bis heute unbekannt. Die Piratenpartei Deutschland zeigte sich „entsetzt“ über die in aller Stille versuchte Änderung von Artikel 93 Grundgesetz und forderte die Veröffentlichung des Gesetzentwurfs.
Artikel 93 Grundgesetz regelt u.a. das Klagerecht von Staatsbürgern und Abgeordneten vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Zudem bestimmt Artikel 93, daß das Bundesverfassungsgericht auch über die Auslegung des Grundgesetzes “aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter” entscheidet, “die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind”.
Nun soll am 26. April genau solch eine „Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans“ geändert werden, nämlich die Geschäftsordnung des Bundestages. Wie beschrieben, liegt auch dieser Entwurf der Öffentlichkeit und sein genauer Inhalt bislang nicht vor, obwohl der nicht öffentliche Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung diesen Entwurf bereits am 22. März erstellt hat. Lediglich einzelne Passagen sind über Kontakte der Informationsindustrie an die Öffentlichkeit gelangt. Den vom Volk gewählten Abgeordneten des Parlaments der Republik, so die gemeinsame Vereinbarung von SPD, CDU, CSU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, solle das Rederecht entzogen und die Parlamentarier den Anweisungen der “Führer” ihrer jeweiligen Fraktionen unterworfen werden. Abgeordnete sollen nur “im Benehmen mit der jeweiligen Fraktion” vor dem Parlament sprechen dürfen. Und wenn sie sprechen dürften, dann “in der Regel” nur drei Minuten und auch das nur ausnahmsweise – ansonsten sollten sie dem Vorhaben zufolge ihre Reden “zu Protokoll”, also ungehalten in Schriftform abgeben.
Gegenüber dem „Focus“ hat nun der Volksvertreter Peter Gauweiler (CSU) angekündigt, gegen diese geplante Änderung der Geschäftsordnung vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Gauweiler, so der „Focus“ in zwei mageren Sätzen, sei
„empört über den Inhalt des Antrags und über das Verfahren. Er hält die geplanten Reglungen für eine verfassungswidrige Einschränkung der Rechte der Abgeordneten.“
Warum Peter Gauweiler im Jahre 2012 den Geschäftsordnungsentwurf nicht selbst öffentlich macht oder Entsprechendes auf seiner eigenen (grauenvollen) Webseite ankündigt, erschließt sich leider nicht.
Bleibt die Zuversicht, daß der von allen derzeitigen im Parlament vertretenen Parteien in gemeinsamer Kollaboration gestartete Versuch, nicht nur die Rechte des Parlaments insgesamt, sondern auch noch die aller Abgeordneten unserer Republik im Parlament weiter einzuschränken, auf die Empörung der Öffentlichkeit treffen wird.