„Wie wollen Sie, Herr Schmid, weitere Zahlungen vor der Verfassung rechtfertigen?“

Die Rede von Dieter Reicherter, Richter a. D., auf der heutigen 169. Stuttgarter Montagsdemo der Bürgerbewegung gegen das urbane Umbauprogramm „Stuttgart 21“ (S21).

Möchten auch Sie Gehör finden? Schreiben Sie uns.

Liebe Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofs,

Alles wird gut! Vielleicht habt Ihr schon mitbekommen, dass Peter Ramsauer ein Handbuch für Großprojekte herausbringen wird. Mir ist es gelungen, schon Einblick in den Entwurf zu erhalten.
Folgende Regelungen sind für uns wichtig: Mit einem Großprojekt darf erst begonnen werden, wenn alle Genehmigungen rechtskräftig vorliegen und die Finanzierung gesichert ist. Zusätzlich muss feststehen, dass das Großprojekt nicht den Gewinninteressen Einzelner dient, sondern einen volkswirtschaftlichen Sinn für alle macht. Solange diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, darf die öffentliche Hand keine Zahlungen leisten. Begonnene Arbeiten sind sofort einzustellen.

So, das war natürlich ein verspäteter Aprilscherz. Aber eigentlich wäre eine solche Regelung genau das, was unsere Republik braucht. Bestehende gesetzliche Bestimmungen helfen offenbar nicht. Erst am vergangenen Freitag tagte wieder der Untersuchungsausschuss unseres Landtags zum EnBW-Deal von Mappus. Völlig zu Recht wurde beklagt, dass Mappus sämtliche Haushaltsvorschriften verletzt hat, so auch das Gebot der sparsamen Haushaltsführung und der Prüfung der Wirtschaftlichkeit. Es wurde über den Vorwurf der Untreue diskutiert, falls der Wert einer Aktie nur 37 Euro betrug, Mappus aber zum Preis von 40 Euro kaufte.

Hat die jetzige Landesregierung aus diesem Skandal gelernt? Zumindest soweit es um das von Nils Schmid geführte Finanz- und Wirtschaftsministerium geht, offensichtlich nicht. Wie sonst könnte man sich erklären, dass Staatssekretär Ingo Rust den Stuttgarter Schlossgarten als einzigartiges Denkmal bezeichnet, aber nicht dafür sorgt, dass die beschlossenen Bauarbeiten durch Archäologen und Bodenkundler wissenschaftlich begleitet werden? Offensichtlich will man uns nicht nur den Schlossgarten, sondern gleich noch den Blick in unsere Geschichte nehmen und auch deren Zeugnisse zerstören. Welche Kulturbanausen sitzen verantwortlich in den Amtsstuben?

Zum Rechtsverständnis des Ministeriums passt auch, dass die Untergebenen von Nils Schmid sich nicht scheuen, gesetzliche Informationsrechte der Bürger zu beschneiden. Am 12. Februar 2013 hatte ich mit einem Mitstreiter einen Antrag auf Einsichtnahme in die Gestattungsverträge zum Rosensteinpark gestellt. Die Frist zur Entscheidung beträgt nach dem Umweltinformationsgesetz einen Monat. Entschieden wurde aber bislang nicht. Unser Protest half nichts. Wir werden wohl dem Ministerium mit einer Untätigkeitsklage Beine machen müssen.

Warum ich das alles erzähle? Weil es ein bezeichnendes Licht auf die Arbeits- und Denkweise des Ministers und seines Hauses wirft. Es mutet mehr als seltsam an, wenn man Mappus für die Nichteinhaltung von Haushaltsvorschriften und Zahlung eines überhöhten Kaufpreises kritisiert, sich selbst aber um sparsame und wirtschaftliche Haushaltsführung nicht kümmert. Wo gäbe es das in der freien Wirtschaft, dass ein nicht vollständig genehmigtes Projekt begonnen wird, dessen Finanzierung nicht gesichert ist? Wer würde sich auf ein derartiges Abenteuer einlassen und auch noch weitere Zahlungen an den Projektträger leisten, wenn dieser eingeräumt hat, dass durch Fehlplanungen ein Schaden von 1,2 Milliarden Euro entstanden ist? Würde da nicht jeder ordentliche Kaufmann Zahlungen zurückhalten und Ansprüche des Vertragspartners mit den eigenen Schadensersatzansprüchen verrechnen?

All das würde jeder vernünftige Mensch so handhaben. Nicht aber unser Finanz- und Wirtschaftsminister. Es ist ja nicht sein Geld. Und wir haben es ja. Wen juckt es, dass nicht genügend Lehrer beschäftigt werden können und unser Straßennetz verrottet, weil kein Geld da ist? Aber offenbar ist es wichtiger, der Bahn den Einstieg in eisenbahnfremde Vorhaben in aller Welt zu ermöglichen und eine arbeitnehmerfeindliche Politik der Unterstützung von Immobilien- und Spekulationsgeschäften zu betreiben. Und mit dieser Umsetzung der Merkel-Politik will Nils Schmid bei der kommenden Bundestagswahl für die SPD Boden gut machen.

Ein kleiner Hinweis zur Rechtslage an den Superminister: Der Bund hat weitere Zahlungen für das Projekt gestoppt, weil die Finanzierung nicht mehr gesichert ist. An der mangelnden Finanzierung hat sich inzwischen nichts geändert. Wie wollen Sie, Herr Schmid, angesichts eines Finanzierungsvertrages, der seinen Zweck verfehlt hat und nicht mehr erfüllt werden kann, weitere Zahlungen vor der Verfassung rechtfertigen?

Wir rufen Sie erneut dazu auf, sich an Ihre Pflichten zu erinnern und keine weiteren Zahlungen mehr zu leisten.

Dann können auch Sie noch bis zur nächsten Landtagswahl OBEN BLEIBEN!