Das Alle-Meine-Daten-Spiel um „Geheimdienst-Informant“ Edward Snowden könnte ein böses Erwachen bringen. Vielleicht wird ja noch ein gutes daraus.
Es ist mir völlig bewusst, dass all die nun ob der „Überwachung“ des Internets so schwer empörten Fingerwedler, die gegenüber Autoritäten jahrzehntelang nur Kopfnicker waren, sich jetzt schon wieder auf den Ehrenschlips getreten fühlen werden. Und wieder kümmert mich das einen feuchten Schmutz.
Von Anfang an waren wir in der Redaktion Radio Utopie bezüglich der Enthüllungen von Edward Snowden skeptisch. Wer sich erinnert: als im „Guardian“ die ersten Powerpoint-Folien (noch ohne Nennung der Quelle) veröffentlicht wurden, gingen wir am 7.Juni mit der Nachrichtenagentur bis Sonntag (9.) um 24.00 Uhr in den Streik, da aus unserer Sicht „das Ausmaß an Nachrichten-Müll, der uns Internauten hier täglich vor die Füße geworfen wird“ ein „inakzeptables Ausmaß“ erreicht hatte.
Am Sonntag Abend wurde Edward Snowden im „Guardian“ als Informant genannt. Ich veröffentlichte am 11. Juni einen Artikel mit dem übersetzten Wortlaut von Snowdens Interview mit dem „Guardian“ und schilderte dazu ein paar Hintergründe. Bereits in diesem Artikel betonte ich (und wiederhole es heute) dass es uns bei unserer Skepsis nicht um eine Beschädigung des investigativen Journalisten Glenn Greenwald geht. Wir schätzen seine Arbeit sehr.
Ich verstecke mich hinter keinem. Ich bin mir nun, mit der Zeit, über eine gewohnte, weil aus der Geschichte dreier Diktaturen herrührende traditionelle Angst fast aller meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger bewusst geworden: der Angst eine Meinung zu bilden und sie nicht einfach zu adaptieren, um sich dann („gemeinsam“ und sicher fühlend in der „Masse“) einzubilden sie schon immer gehabt zu haben und dass sei auch gut so. Daher sei hier auf eine Schrift von Naomi Wolf hingewiesen, die sich ebenfalls (und gut begründet) fragt, ob Edward Snowden tatsächlich aus den von den Meisten vermuteten Motiven heraus handelt. Bezeichnenderweise veröffentlichte Naomi Wolf (die auch im „Guardian“ veröffentlicht) ihre skeptische Schrift auf Facebook.
Ich möchte hier nun zunächst auf die – in der deutschsprachigen Presse ziemlich wenig zitierte – Pressekonferenz von U.S.-Präsident Barack Obama bei seinem Besuch in Berlin am 19. Juni verweisen. Neben Kanzlerin Angela Merkel stehend sagte er zu der Spionage von Geheimdiensten im Weltinformationsnetz Internet folgendes:
„Was wir tun werden wenn ich nach Hause zurückkehre, ist Wege zu finden mehr von diesen Programmen zu deklassifizieren, ohne ihre Effektivität völlig zu kompromittieren, diese Information mit der Öffentlichkeit zu teilen, und außerdem sind unsere Geheimdienst-Teams angewiesen sehr eng mit unseren deutschen Geheimdienst-Partnern zu arbeiten, so dass diese Klarheit und Sicherheit haben, dass sie nicht missbraucht zu werden.“
Für jeden muss klar sein, dass die Geheimdienste der N.A.T.O.-Länder durch einen Geheimbeschluss des Militärpakts seit dem 4.Oktober 2001 faktisch der C.I.A. unterstellt sind. Natürlich weiß das fast keiner, weil sich hier in diesem Lande schon jeder ins Höschen macht wenn er bloß lesen muss. An die Öffentlichkeit brachte dies übrigens der Schweizer Ständerat Dick Marty, bereits vor einigen Jahren.
Des Weiteren ist die totale Spionage der U.S.-Geheimdienste seit 2001 – das komplette Abfangen bzw Kopieren aller ins Weltinformationsnetz Internet eingegeben Daten, die man technisch nur irgendwie in die Finger bekam – bereits am 16. Mai 2005 durch die „New York Times“ öffentlich gemacht worden. Und der Bericht war, nach eigenen Angaben der Zeitung, bereits ein Jahr zurückgehalten worden.
Laut dem NYT-Bericht hatte die damalige Bush-Regierung die Rechtsauffassung („legal opinion“) für diese totale Spionage gegen alles und jeden eine rechtliche Grundlage zu haben, auch ohne Gewaltenteilung, Gerichtsbeschlüsse, Anklagen, etc.: nämlich eine Präsident George Bush im „September 2001“ vom Kongress erteilte „Resolution, welche „ihn autorisierte Krieg gegen Al Qaeda und andere terroristische Gruppen zu führen“. Ein klarer Hinweis auf die am 14. September vom Kongress erteilte “Authorization for Use of Military Force” A.U.M.F., die bis heute in Kraft befindliche faktische allgemeine Ermächtigung für den Präsidenten im Namen der Vereinigten Staaten von Amerika mit diesen (und dem ganzen „Rest“ des Planeten) zu machen was er will.
Diese allgemeine Kriegsermächtigung aufzuheben und den ganzen weltweiten war on error endlich zu beenden, hat nun Barack Obama am 23. Mai 2013 in seiner Rede am National Defense University in Fort McNair in Aussicht gestellt. (“Dieser Krieg, wie alle Kriege, muss enden”)
Meine derzeitige Analyse der Situation ist nun wie folgt:
– eine Menge Leute mit Insiderinformationen, eine ganze Generation von Kriegsgewinnlern weitweit, sind mächtig. Das ist nichts Neues. Neu ist – sie sind auch mächtig nervös. Ungezählte Lebensläufe, auch die von Kindern und Kindeskindern (man muss ja immer im voraus planen), sind in höchster Gefahr. Wovon soll man denn leeeeeeben, wenn der ganze Krieg aus ist? Ja dann hat doch keiner mehr Angst?! Und die ganzen Alibis für immer dieselben blöden Attentatsgeschichten der Stasi 3.0., also die glauben dann höchsten noch „Die Linke“-Wähler in irgendeiner Bananenrepublik, die schon zur Vor-Vor-Version die Schnauze hielt (natürlich auch zu der im Goldenen Westen).
– in der ganzen Presse steht wie immer nur Dreck. Mich wundert das nicht. Schließlich habe ich schon selbst Drehbücher geschrieben. Allerdings habe ich das immer dazu gesagt, wenn ich die irgendwem verkaufen wollte und nicht behauptet es seien Nachrichten.
– der Bauer von der großen Farm der Tiere in weiter Ferne (und doch so nah) hat sich auf seinen eigenen Acker gemacht. Und nun rennen hier die Hühner wild gackernd hin und her und suchen händeringend einen neuen Chef, dem sie ihre Eier verkaufen können.
– bleibt die „Europäische Union“. Die ist doch nett. Die beschützt uns vor den „Amerikaaaaaanaaaan“, wie der Brüsseler Märchenonkel Udo van Kampen es immer so entzückend auszudrückend pflegt.
Kurz erklärt: meiner Ansicht nach lässt Big Brother locker, aber trainiert gerade seine kleinen Brüder. Ändern soll sich gar nichts, nicht für uns, auf der niedrigsten Stufe des imperialen Treppchens. Im Gegenteil, ich vermute, der Plan ist alles noch schlimmer zu machen und die bisher unter der A.U.M.F. (und dem Patriot Act) nach U.S.-Recht scheinlegitimierte Spionage nun in der (und durch) die „Europäische Union“ „legalisieren“ zu lassen. Das wäre nach dem Grundgesetz natürlich weiter illegal. Aber welche Regierungsbehörde, welche Partei, welche Organisation, ja welches Gericht in Deutschland hat sich denn in den letzten Jahren an unsere Verfassung gehalten bzw diese verteidigt? Das kümmert die alle doch einen Dreck. Und jetzt stehen sie wieder da und erzählen Müll. Und diese Pseudo-„Bürgerrechtler“ von „Europa“.
Womit wir zum Essay von Jakob Augstein im „Spiegel“ kommen, der für den Titel dieses Artikels sorgte:
„Was soll jetzt geschehen? Die europäischen Institutionen müssen die Kontrolle der Dateninfrastruktur übernehmen und ihren Schutz gewährleisten.“
Das Einzige, was die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland schützt, ist das Grundgesetz. Alles andere ist sekundär oder irrelevant.
Ich rate allen Bürgerinnen und Bürgern der Republik, das bei dieser ganzen Schnitzeljagd um Superheld Edward Snowden („HONGKONG! RUSSLAND! KUBA! VENEZUELA! ECUADOR! AIRPORT! SCHLAFRAUM! DA LANG, NEIN, DA LANG!“) nicht eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
Am Donnerstag (27.) um 00.00 Uhr beendet die Nachrichtenagentur Radio Utopie ihren zweiten Streik. Es sollte mich nun schwer wundern, wenn in den nächsten Tagen aus der untersten der vielen heiligen Schubladen der Pyramide nicht noch das eine oder andere weitere Drehbuch gezogen wird.
Artikel aktualisiert am 17. Juli