28.11.: Gesetzentwurf für Mindestlohn in Bundestag eingebracht

Vorwort der Redaktion und Rückblick: Nach der zunächst siegreichen Revolution von Arbeitern und Soldaten gegen das Kaiserreich erhoben auf dem ersten und faktisch letzten Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte („Reichsrätekongress“) vom 16. bis 21. Dezember 1918 im Gebäude des heutigen Berliner Abgeordnetenhauses die Delegierten der Unabängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (U.S.P.D.) die Forderung nach Einführung eines allgemeinen Mindestlohns. Auf Betreiben des umtriebigen späteren Reichsfinanzministers Rudolf Hilferding, selbst Mitglied der U.S.P.D. und Mitglied der am 4. November 1918 gegründeten (und fortan seltsam bedeutungslosen) „Sozialisierungskommission“, wurde der Antrag der Unabhängigen Sozialdemokraten zur „Berücksichtigung“ verwiesen an den „Rat der Volksbeauftragten“ unter Vorsitz des späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert (S.P.D.).

Das Schicksal des Mindestlohns teilten denn auch sehr bald sehr viele, die ihn hätten bekommen sollen.

95 Jahre später.

In Erwägung, dass der hier vorgestellte Gesetzentwurf der Partei „Die Linke“ zur Einrichtung einer „Mindestlohnkommission“ unter Beteiligung der jahrzehntelang im gewissen Nichts geübten Funktionäre des „Deutschen Gewerkschaftsbundes“ D.G.B. der allerletzte Mist ist – der Gesetzentwurf wurde von der „Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ übernommenwollen wir uns dennoch nicht nehmen lassen diesen zu dokumentieren, bevor er am Donnerstag im Reichstagsgebäude von genau der S.P.D. abgelehnt werden wird, die ihn entworfen hat.

Ergänzung 26..11:

Wir ersuchen Sie, Leserinnen und Leser, um Nachsicht, dass wir uns das nicht gleich gedacht und danach gesucht haben: Das Modell einer „Kommission“ von Funktionären aus real existierenden Gewerkschaften und Bossen zur Festlegung eines Mindestlohns stammt, wie beschrieben, nicht von Die Linke, aber auch nicht von der S.P.D., es stammt von C.D.U. und C.S.U. Eine Arbeitsgruppe der Unionsfraktion im Bundestag unter Vorsitz von Ursula von der Leyern beschloss das Konzept, welches u.a. „Ausnahmen“ vom Mindestlohn und einen Kommissions-Schlichter vorsieht, am 25. April 2012.

Untenstehend also der Gesetzestext und die allgemeine Begründung („Allgemeines“) vom „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MinLohnG)“ (Bundestag Drucksache 18/6, gespiegelt), eingebracht von der Fraktion „Die Linke“ für die dritte Sitzung des Bundestages nach dessen Wahl 2013, am nächsten Donnerstag, dem 28. November.

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Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MinLohnG)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1
Ziel des Mindestlohngesetzes
Ziel des Gesetzes ist es, den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch die Festsetzung eines Mindestlohns als unterste Grenze des Arbeitsentgelts ein ihre Existenz sicherndes Einkommen zu gewährleisten und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen und soziokulturellen Leben zu ermöglichen.

§ 2
Wirkung des Mindestlohns
(1) Jede Arbeitgeberin und jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, den bei ihr oder ihm beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mindestens den auf der Grundlage dieses Gesetzes festgesetzten Mindestlohn zu zahlen. Ist das Arbeitsentgelt nach Zeitabschnitten bemessen, so ist der Mindestlohn nach Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu zahlen, spätestens am dritten Werktag nach Ablauf des Kalendermonats für diesen Kalendermonat.
(2) Andere arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Entgeltvereinbarungen sowie Entgeltfestsetzungen auf Grund anderer Gesetze sind nur zulässig, wenn sie ein höheres Arbeitsentgelt als den Mindestlohn vorsehen.
(3) Ein Verzicht auf Mindestlohnansprüche ist unzulässig. Ihre Verwirkung ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs auf den Mindestlohn sind unwirksam. Der Anspruch auf den Mindestlohn verjährt nach zehn Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit der Entstehung des Anspruchs; eine Verkürzung der Verjährungsfrist ist ausgeschlossen.

§ 3
Mindestlohnkommission
(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales errichtet eine Kommission zur Festsetzung des Mindestlohns (Mindestlohnkommission).
(2) Die Mindestlohnkommission besteht aus je drei Vertreterinnen oder Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie drei weiteren sachverständigen Personen aus der Wissenschaft, die weder bei Arbeitgeberverbänden oder Gewerkschaften noch bei deren Spitzenorganisationen beschäftigt sind.
(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bestellt die Mitglieder der Mindestlohnkommission für die Dauer von fünf Jahren. Die Vertreterinnen oder Vertreter der Spitzenorganisationen sowie je eine sachverständige Person werden auf Grund von Vorschlägen der Spitzenorganisationen bestellt. Die Benennung der dritten sachverständigen Person, die den Vorsitz der Kommission führt, erfolgt auf Grund eines gemeinsamen Vorschlags der Spitzenorganisationen. Üben die Spitzenorganisationen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr Vorschlagsrecht nicht aus, erfolgt die Berufung auf Vorschlag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Gleiches gilt für den Vorsitz der Kommission.
(4) Die Kommissionsmitglieder sind nicht an Weisungen und Vorgaben gebunden. Die Verhandlungen und Beratungen der Kommission sind nicht öffentlich. Die Kommission kann Stellungnahmen von Vertreterinnen und Vertretern der Wissenschaft oder sonstigen sachverständigen Einzelpersonen und Organisationen einholen.
(5) Die Kommission fasst ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit ihrer Mitglieder.

§ 4
Festsetzung des Mindestlohns
(1) Der Mindestlohn wird als Bruttoarbeitsentgelt für eine Zeitstunde festgesetzt. Seine Festsetzung zielt auf die Schaffung angemessener Arbeitsbedingungen und die Gewährleistung fairer und funktionieren der Wettbewerbsbedingungen ab und erfolgt unter Berücksichtigung der Beschäftigungseffekte, des Existenzminimums und der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen.
(2) Die Mindestlohnkommission schlägt unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes, danach jeweils zum 31. August eines jeden Jahres den Mindestlohn durch Beschluss vor.
(3) Der Mindestlohn beläuft sich auf mindestens 8,50 Euro brutto je Zeitstunde für das gesamte Bundesgebiet.
(4) Der Mindestlohn bedarf der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Stimmt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu, so setzt es den von der Mindestlohnkommission vorgeschlagenen Mindestlohn durch Rechtsverordnung fest.
(5) Stimmt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dem von der Mindestlohnkommission vorgeschlagenen Mindestlohn nicht zu, legt es der Bundesregierung unverzüglich einen Bericht vor, in dem die Gründe für diese Entscheidung dargestellt werden. In diesem Fall bestimmt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Mindestlohn und setzt ihn mit Zustimmung der Bundesregierung durch Rechtsverordnung fest. Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Schlägt die Mindestlohnkommission bis zu dem in Absatz 2 genannten Zeitpunkt keinen Mindestlohn vor, bestimmt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Mindestlohn und setzt ihn durch Rechtsverordnung fest.
(7) Die Rechtsverordnung nach Absatz 4 Satz 2 bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates. Die Rechtsverordnung nach Absatz 5 Satz 2 oder Absatz 6 bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Die Rechtsverordnung ist an der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu bestimmenden Stelle zu
verkünden und tritt am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft, sofern das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bei der Rechtsverordnung nach Absatz 4 Satz 2 im Einvernehmen mit der Mindestlohnkommission in der Rechtsverordnung keinen anderen Zeitpunkt bestimmt.

§ 5
Kontrollen und Nachweise
(1) Für die Prüfung der sich aus diesem Gesetz in Verbindung mit der auf Grund des § 4 erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Verpflichtungen zur Zahlung des Mindestlohns sind die Behörden der Zollverwaltung zuständig.
(2) Die §§ 16 bis 22 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes sind entsprechend anzuwenden.

§ 6
Ordnungswidrigkeiten
(1) Ordnungswidrig handelt, wer
1. vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 2 Absatz 1 den festgesetzten Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig zahlt oder
2. als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber eine andere Unternehmerin oder einen anderen Unternehmer beauftragt, von der oder dem sie oder er weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass diese oder dieser bei der Erfüllung dieses Auftrags
a) gegen § 2 Absatz 1 verstößt, oder
b) eine Nachunternehmerin oder einen Nachunternehmer einsetzt oder zulässt, dass eine Nachunternehmerin oder ein Nachunternehmer tätig wird, die oder der gegen § 2 Absatz 1 verstößt.
(2) Ordnungswidrig handelt auch, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 5 Absatz 2 in Verbindung mit
1. § 17 Satz 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und § 5 Absatz 1 Satz 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes eine Prüfung nicht duldet oder bei einer Prüfung nicht mitwirkt,
2. § 17 Satz 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und § 5 Absatz 1 Satz 2 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes das Betreten eines Grundstücks oder Geschäftsraums nicht duldet,
3. § 17 Satz 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und § 5 Absatz 3 Satz 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes Daten nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig übermittelt,
4. § 18 Absatz 1, auch in Verbindung mit Absatz 3, des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eine Anmeldung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vorlegt oder zuleitet,
5. § 18 Absatz 2 oder 4 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eine Versicherung nicht beifügt,
6. § 19 Absatz 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eine Aufzeichnung nicht, nicht richtig oder nicht vollständig erstellt oder nicht oder nicht mindestens zwei Jahre aufbewahrt oder
7. § 19 Absatz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eine Unterlage nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht in der vorgeschriebenen Weise bereithält.
(3) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 mit einer Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Euro geahndet werden.
(4) Verwaltungsbehörden im Sinne des § 36 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind die in § 16 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes genannten Behörden jeweils für ihren Geschäftsbereich.

§ 7
Durchführungsbestimmung
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erlässt durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen insbesondere über die Errichtung und die Arbeit der Mindestlohnkommission und das Verfahren bei der Festsetzung des Mindestlohns.

§ 8
Inkrafttreten
Die §§ 3, 4 und 7 treten am Tag nach der Verkündung in Kraft. Im Übrigen tritt dieses Gesetz am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden 13. Kalendermonats in Kraft. Gleichzeitig tritt das Mindestarbeitsbedingungengesetz vom 11. Januar 1952 (BGBl. I S. 17), das zuletzt durch Artikel 1 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Festsetzung der Mindestarbeitsbedingungen vom 22. April 2009
(BGBl. I S. 818) geändert worden ist, außer Kraft.

Berlin, den 23. Oktober 2013
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung
A. Allgemeines
Ziel des Gesetzes ist es, sicherzustellen, dass für alle in Deutschland vollzeitbeschäftigten Menschen ein existenzsicherndes und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen und soziokulturellen Leben ermöglichendes Einkommen erreichbar wird. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn kann der Entwicklung, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten und von ihrer Arbeit nicht menschenwürdig leben können, ein wirksames und transparentes Instrument entgegengesetzt werden. Dies ist vor dem Hintergrund, dass der Niedriglohnsektor in Deutschland und damit die Zahl der abhängig Beschäftigten, die für einen Niedriglohn arbeiten, konstant hoch ist, erforderlich.

Nach aktuellen Auswertungen des Statistischen Bundesamtes erhielten im Jahr 2010 20,6 Prozent der Beschäftigten trotz Vollzeitarbeit eine geringe Bezahlung. Im Jahr 2006 waren es noch 18,7 Prozent. Der Anstieg des Anteils der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten, die weniger als zwei Drittel des Medianbruttolohns erhielten, ist damit zwar weniger stark als in den Jahren zuvor gestiegen, aber dennoch setzt sich der ansteigende
Trend fort und es ist ein insgesamt hoher Stand zu konstatieren. Dabei betrugen die durchschnittlichen Stundenlöhne nach den Ergebnissen des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen unter Einbeziehung von Beschäftigungsverhältnissen in Teilzeit in Westdeutschland 6,68 Euro und in Ostdeutschland 6,52 Euro. Rund 2,5 Millionen Beschäftigte verdienten weniger als 6 Euro pro Stunde und knapp 1,4 Millionen Menschen sogar weniger als 5 Euro pro Stunde.

Betroffen von Niedriglöhnen sind dabei keineswegs nur gering Qualifizierte. Naturgemäß haben insbesondere Beschäftigte ohne abgeschlossene Berufsausbildung ein erhöhtes Niedriglohnrisiko. Ihr Anteil lag nach den Erkenntnissen des IAQ 2010 bei 18,4 Prozent, wobei 71 Prozent derjenigen, die einen Niedriglohn bezogen, eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen konnten.

Besonders betroffen von Stundenlöhnen unter 10 Euro sind in Deutschland Frauen. Ihr Anteil liegt nach einem Bericht der Prognos AG doppelt so hoch wie bei den Männern. Zudem werden vor allem junge Menschen mit geringen Stundensätzen entlohnt. So erhalten 14 Prozent der unter 20-Jährigen Stundenlöhne von bis zu 5 Euro, wobei Auszubildende nicht eingeschlossen sind. Auffallend ist auch, dass der Anteil der Alleinerziehenden und Paarhaushalte mit Kindern überproportional hoch ist. Bei den Alleinerziehenden liegt der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die weniger als 7,50 Euro brutto pro Stunde verdienen, bei 18 Prozent. In Paarhaushalten mit Kindern sind es 13 Prozent.

Ein sich verstetigender Niedriglohnsektor begünstigt eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und einen schleichenden Ausgrenzungsprozess von einzelnen Beschäftigungsgruppen. Zudem führen Niedriglöhne für die davon betroffenen Menschen häufig dazu, dass eine Existenzsicherung nicht erreicht werden kann und aufstockende Sozialleistungen in vielen Fällen trotz Vollzeitbeschäftigung in Anspruch genommen werden müssen. Dadurch werden die Beschäftigten nicht nur in ihrer Lebensführung massiv einge-
schränkt, sondern auch die öffentlichen Kassen belastet. Darüber hinaus führen Niedriglöhne in vielen Fällen dazu, dass die Betroffenen von den erworbenen Rentenansprüchen nicht leben können und im Alter auf
zusätzliche Hilfen angewiesen sind. Auch damit gehen erhebliche Auswirkungen für staatliche Leistungen und Sozialversicherungssysteme einher.

Zur Sicherung von Stabilität und Qualität der Arbeit, der Wiederherstellung der Ordnung am Arbeitsmarkt und des Vertrauens in die soziale Marktwirtschaft ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns eine
wesentliche ordnungspolitische Maßnahme. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des Strukturwandels am Arbeitsmarkt vor allem durch Globalisierung, demografische Entwicklung und zunehmende internationale Konkurrenz notwendig. Zugleich geraten die herkömmlichen Tarifstrukturen und -regelungen zunehmend unter Druck und die Tarifbindung in
Deutschland ist seit Jahren rückläufig. So ist ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Erhalt eines Niedriglohns und der Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin beziehungsweise des Arbeitgebers festzustellen.

Nach Auswertung des Statistischen Bundesamtes erhielt fast ein Drittel aller Beschäftigten nicht tarifgebundener Arbeitgeber einen Niedriglohn. Bei tarifgebundenen Arbeitgebern waren es im Vergleich nur 11,9 Prozent. Die Schutzwirkung tariflicher Vereinbarungen wird dadurch geschwächt und Löhne immer mehr in den Wettbewerb hineingezogen. Fairer Wettbewerb wird schwierig bis unmöglich. Wird dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten, so ist neben gespaltenen Arbeitsmärkten und den daraus resultierenden
sozialen Spannungen auch eine weitere drastische Verschlechterung der Situation gerade der Klein- und Mittelbetriebe, die angemessene Löhne zahlen, zu befürchten. Damit werden mittelbar auch die in diesen Unternehmen bestehenden Arbeitsplätze gefährdet. Zudem wird die Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie untergraben.

Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns hat neben den zuvor aufgezeigten Schutzfunktionen aber auch fiskalische Effekte. Nach dem Bericht der Prognos AG könnte sich unter der Annahme, dass von der
Einführung eines Mindestlohns keine Beschäftigungseffekte ausgehen, ein fiskalischer Effekt von knapp 7,1 Mrd. Euro ergeben. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Erwerbseinkommen der privaten Haushalte
um circa 14,5 Mrd. Euro steigen könnten. Damit könnte sich auf der einen Seite das Konsumverhalten zugunsten einer Wirtschaftsbelebung ändern, auf der anderen Seite Mehreinnahmen für den Staatshaushalt bei reduzierten staatlichen Transferleistungen ergeben.

Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns warnen vor negativen Beschäftigungswirkungen. Dem kann vor allem die neuere empirische Forschung entgegen gehalten werden. Denn entgegen vieler Prognosen hat
unter anderem die Evaluation der acht Branchenmindestlöhne in Deutschland, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2010 in Auftrag gegeben hatte, gezeigt, dass in keiner der acht Branchen statistisch
signifikante negative Wirkungen auf die Beschäftigung festgestellt werden konnten. Damit ist auch die zuvor bei den fiskalischen Effekten gemachte Annahme, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns keine Beschäftigungseffekte beziehungsweise keine negativen Beschäftigungseffekte habe, als zumindest nicht unberechtigt einzustufen.

Zudem handelt es sich bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns mit Blick auf die Tatsache, dass in 20 von 27 Staaten in der Europäischen Union Mindestlöhne bestehen, nicht um ein politisches Experiment, sondern vielmehr um die Übernahme einer in vielen anderen Staaten erprobten und erfolgreichen Gesetzgebung. Insgesamt spricht sich auch eine breite Mehrheit der Bevölkerung für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns aus.