Bereits die Nacht zum Dienstag über wurde im Auswärtigen Amt ein Kriesenstab zusammengetrommelt.
Die Deutsche Susanne Osthoff war, so die offiziellen Angaben, bereits seit Freitag vermißt worden.
Nun drohten vermeintliche Entführer offenbar ultimativ mittels eines der Botschaft im Irak zugespielten Videos mit der Ermordung der Archäologin wenn nicht sofort die Zusammenarbeit zwischen deutschen und irakischen Behörden eingestellt würde.
Näheres wurde nicht verlautbart, vom Video bekam die Öffentlichkeit nur 2 Standbilder zu sehen.Schon kurz nach Veröffentlichkeit traten Pressevertreter vor die Kamera und berichteten von bekannt gewordenen Einzelheiten –
einer der drei Entführer, so hieß es u.a. in der ARD, sei „aus der Golfregion“, was auf die Gruppe von „al-Sarkawi“ hindeute. Auch sei Susanne Osthoff vor kurzem “ in Mossul von Sarkawi bedroht worden“ und „von US-Spezialeinheiten in Sicherheit“ gebracht worden. Dann hätte sie „auf Druck der irakischen Regierung das Land verlassen“ und sei „auf eigene Faust“ zurückgekehrt.
So heißt es.
Die Person Susanne Osthoff, wie sie derzeit vor allem mit Bildern und umfangreichen, persönlichen Zitaten geschildert wird steht im völligen Gegensatz zu ihrem offiziellen Arbeitgeber seit 1998: der Firma FaktorM, eine Beratungsfirma, welche u.a.“Lösungen für Energieversorger“ anbietet, sowie Schulungen deutscher Führungskräfte für den Auslandsaufenthalt.
Der Chef der „Archäologin“ Osthoff, FaktorM-Führungsmitglied Wolfgang Oppacher, war Organisator einer durch Eon und Siemens unterstützten Tagung namens „Bild und Macht“ am 23/24.4.2004 in den Räumen der Ludwig-Maximilians-Universität Münchens.
Ein Referent dort: Referent u.a.: Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl, Thema des Vortrags: „Bild und Wahrheit“.
Vossenkuhl, mit einem Lehrstuhl für Philosophie an der LMU München, ist Kurator, also Berater der Jesuiten-Hochschule für Philosophie, der HFPH welche ihren Sitz ebenfalls in München hat. Allerdings erst seit 1971, bis zu diesem Zeitpunkt lag der Sitz dieser traditionsreichen Elite-Bildungswerkstatt in Pullach.
Erst vor wenigen Tagen, am 25.11.2005, referierten dort unter dem Motto „Entwicklungspolitik im Fadenkreuz der Sicherheitspolitik. Welche entwicklungspolitische Strategie verfolgt die Europäische Union?“ u.a. Dr.Klaus-Dieter Schwarz und Prof. Dr. Franz Nuscheler, beide mit hochaktuellen Themen:
Dr.Nuscheler sprach über „Nationale und globale Sicherheit als neue Herausforderung für die Entwicklungspolitik“, sein Kollege Schwarz, aus der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, stellte die Frage nach der Europäische Union als „globaler sicherheits- und entwicklungspolitischer Akteur“.
Präsident der Stiftung Wissenschaft und Politik: Ulrich Hartmann, Aufsichtsratsvorsitzender E.ON AG. Und sein Vize ausgerechnet Dr. Frank-Walter Steinmeier – der deutsche Außenminster.
Überhaupt liest sich die Zusammensetzung dieser Stiftung wie ein who-is-who des Establisments aus dem militärisch-industriellen Komplex..
Stellv. Präsident: der einflußreiche Hans-Ulrich Klose, bis vor kurzem MdB (SPD), Stellv. Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Weitere Mitglieder (Stand 25.11.):
Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik, President Boeing Deutschland
General a.D. Peter-Heinrich Carstens
Staatssekretär Dr. Peter Eickenboom, Bundesministerium der Verteidigung
Ministerialdirektor Georg Clemens Dick, Leiter Planungsstab Auswärtiges Amt
Prof. Dr. Dieter Grimm, Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin
Prof. Dr. Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Minister a.D. Markus Meckel, MdB (SPD)
Prof. Dr. Jürgen Mlynek, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin
Ministerialdirektor Bernd Mützelburg, Bundeskanzleramt
Winfried Nachtwei, MdB (Bündnis 90/Die Grünen)
Bundesminister a.D. Volker Rühe, MdB (CDU/CSU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses
Ministerialdirektorin Sigrid Selz, Bundesministerium der Finanzen
Dr. Hermann Otto Solms, MdB (F.D.P.), Vizepräsident des Deutschen Bundestages
Staatssekretär Erich Stather, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ministerialdirektor Dr. Karl-Ernst Brauner, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit
usw.
Nicht allein die Verbindungen und Arbeitsfelder des Arbeitgebers Susanne Osthoffs sind auffällig, sondern auch die Tatsache, daß diese in der Öffentlichkeit praktisch nicht vorkommen.
Sogar das Internet wurde von Hinweisen auf den beruflichen Hintergrund gesäubert, auffällig viele Webseiten haben zeitgleich Server-Schwierigkeiten.
Die heute vielzitierte Mutter hatte seit 5 Jahren keinerlei Kontakt zu ihrer Tochter, nicht einmal anläßlich ihres laut ARD-Berichtes von der irakischen Regierung erzwungenen Ausreise nach Deutschland meldete sich diese bei ihr. Warum?
Und warum reiste Susanne Osthoff sofort wieder in den Irak, warum verließ sie sich auf ihr dortiges „Netzerk“ (ARD Do.Abend) wenn sie doch durch die Gruppe „Al-Sarkawis“ direkt bedroht worden war?
Die Antwort wird erst dann sichtbar wenn die Frage beleuchtet wird warum eine fanatische, mordlüsterne, aber infrastrukturell hervorragend aufgestellte Terrorgruppe „El Kaida“ nicht gewinnen will. Denn der Zeitpunkt für die Entführung einer Deutschen hätte für die „Phantome des Schreckens“ nicht ungünstiger sein können.
Die Entführungen, Folterungen und Flüge der US-Geheimdienste über europäische Flughäfen waren bis gestern Tagesthema gerade der deutschen Öffentlichkeit, und tränenreiche Rücktritte von korrupten republikanischen U-Booten des Militärs sowie die CIA-Affäre um die Enttarnung der Agentin Valerie Plame durch das Weiße Haus aus Rache für kritische Äußerungen ihres Mannes ziehen in den USA die Schlinge um die Bush-Administration immer fester zu.
Die Debatte über den baldigen Rückzug der US-Truppen aus dem Irak ist voll entbrannnt, vor kurzem gab es nie dagewesene Wutausbrüche der bisher apathischen Demokraten im Kongreß als Reaktion auf die Beleidigung John Murthas, eines hochdekorierten Vietnam-Veterans und ehemaligen Kriegsbefürworters.
Murtha hatte die Situation im Irak als unhaltbar eingeschätzt und einen Zeitplan für den Rückzug gefordert. Daraufhin beleidigte ihn eine republikanische Abgeordnete indirekt als „Feigling“.
Dann reist auch noch der deutsche Außenminister in die USA um Aufklärung über die Operationen und Geheimgefängnisse der verschiedenen US-Geheimdienste zu verlangen und genau zu diesem hochbrisanten Zeitpunkt wird durch die Entführung Osthoffs die Bush-Regierung de facto entlastet.
Denn nun wird die Reise von Dr.Steinmeier auf einmal zu einem Bittgesuch um Hilfe bei der Befreiung der „Archäologin“.
Gestern berichtete die Los Angeles Times umfangreich über Morde, Folterungen und Entführungen durch Bewaffnete im Irak, und zwar mit mit Waffen, Fahrzeugen und in Uniformen der irakischen Sicherheitskräfte.
Die Annahme es könnte sich um irakische Sicherheitskräfte handeln, wurde als „Spekulation“ zurückgewiesen und zwar von den irakischen Sichheitskräften sowie von ihren Befehlshabern, den Invasoren der Kriegskoalition.
Seit Jahren bringen Todesschwradronen unter den Augen der Besatzungsmächte Intellektuelle, Künstler, Wissenschaftler, Menschenrechtler, schiitische Pilger, sunnitische Imame und Kritiker der Regierung um und die Weltöffentlichkeit sieht tatenlos zu.
Wenn aber im Irak die Besetzten nicht durch die Besatzer umgebracht würden, wäre dies das erste Mal in der Geschichte.
Am 19.September waren in Basra 2 als Araber verkleidete britische SAS-Agenten von einer regulären irakischen Polizei-Patrouille beim Minenlegen überrascht worden, die Mitglieder der Elite-Einheit eröffneten das Feuer auf die Iraker, ein Polizist starb. Dennoch konnten die 2 Briten festgesetzt werden um dann wenig später durch eine blutige Militäraktion der Besatzungsmacht mit Panzern wieder befreit zu werden. Tags darauf zogen wütende irakische Polizisten bewaffnet durch Basra und verlangten eine Verurteilung der britischen Agenten als „Terroristen“.
Am 3.August wurde in Basra der US-Journalist Steven Vincent ermordet am Straßenrand aufgefunden, seine weibliche Vertrauensperson und Dolmetscherin überlebte seltsamerweise die Entführung durch „Männer in Armeeuniformen“, so Augenzeugen.
Steven Vincent, ein konservativer, eher zurückhaltend-christlicher Reporter, war kurz nach seiner Ankunft ebenfalls von „Sicherheitskräften“ verübten Massakern auf die Spur gekommen und nannte die vom Pentagon bestätigten Treffs mit Ansar al-Sunna, the Islamic Army in Iraq, the Iraqi Liberation Army, Jaish Mohammed, Thawarat al-Ishreen, the Shoura Council of Mujahideen eine „Tea-Party“ mit Terroristen. Bald darauf war er tot.
Ebenfalls ermordet, offiziell „zufällig“ durch einen „Selbstmordanschlag“ auf der wichtigen Route zum Bagdader Flughafen, wurde die Friedensaktivistin Marla Ruzicka. Sie deckte kurz vor ihrem Tod im April 2005 die Existenz von geheim gehaltenen „Body-Count“-Statistiken des Pentagon auf. Die US-Militärs hatten zu diesem Zeitpunkt behauptet sie wisse nicht, wieviele irakische Zivilisten unter dem Besatzungsregime umgekommen waren. Eine Studie des Medizin-Journals „The Lancet“ schätzte der Zahl der zivilen Opfer dagegen auf 100.000 ([local] „No Body Counts“). Das irakische Gesundheitsministerium bezifferte die Zahl der vom April bis September 2004 getöteten Zivilisten auf 3.500 ([local] Irakmethik: Die Zahlenspiele mit den zivilen Opfern).
Wenn man die ganz offiziellen Taktiken der US-Militärs kennt, kann einem der logische Umkehrschluß nicht schwer fallen.
Unter http://www.globalsecurity.org/military/library/report/call/call_99-2_iochap2.htm kann jeder nachlesen was die operativen Maßnahmen von PSYWAR-einheiten sind:
Entführung, Sabotage, gefälschte Bekennerschreiben, Ausschalten von kritischen Kräften duch Zersetzung, Propaganda und Mord, Manipulation der Medien und öffentlichen Meinung, sowie „Verbrechen“ und „brutale Gewalt“ zur Erzwingung der Passivität der besetzten Bevölkerung und ihrer Gefügigkeit gegenüber den verbündeten lokalen Autoritäten.
Wer hat Susanne Osthoff entführt? Wer ist sie, was war ihre Aufgabe im Irak und wie kann ihr geholfen werden?
Sicher nicht dadurch, das die Öffentlichkeit den Blick davor verschließt, was seit dem 11.9.2001 in unserer Welt stattfindet:
ein ganz normaler Krieg.
Durch ein ganz normales Imperium.
Daniel Neun
Berlin, 30.11.2005