Pelosi? Wer ist Pelosi?

Die „drittmächtigste“ Frau der USA ist machtlos

Washington: Mit dem US-üblichen Tamtam wurde gestern der Albtraum aller Neocons und Rechten in den Vereinigten Staaten zelebriert – Nancy Pelosi, ausgerechnet sie, wurde zur Sprecherin des US-Repräsentantenhauses gewählt.

Noch im Wahlkampf hatten die Lobbyisten der Republikanischen Partei und deren Medienmacher in den Pressekonzernen immer wieder, teils höhnisch, teils panisch gefragt, wo denn eigentlich Nancy Pelosi stecke. (1)Das hatte seine Gründe. Die kalifornische Demokratin ist bei großen Teilen der Bevölkerung unbeliebt. Erstens, weil sie eine selbstbewußte Frau ist, zweitens, weil sie das weiß und damit gerne kokettiert, drittens, weil sie aus Kalifornien kommt und viertens, weil sie manche Dinge im Washingtoner Establishment eher ausgesprochen hat als die meisten anderen.
Dabei ist sie, wie ihre innerparteiliche Verbündete Hillary Clinton, eine ganz normale, beinkonservative Parteibürokratin, die in den letzten Monaten vor der Kongreßwahl praktisch völlig abtauchte, nur um den Chancen der Demokraten zur Kongreßwahl, den Präsidentschaftsplänen Hillarys und eben diesem so schmerzlich herbeigeschwiegenen Moment zur Kür der ersten „Madame Speaker“ in der US-Geschichte nicht in die Quere zu kommen.

Der unsägliche Haß, mit dem die „liberale Hexe“(2) von rechts überschüttet wird, ist ihr größter Bonus innerhalb der Linken und Intellektuellen in den USA.
Mal wird sie in reaktionären Radiosendungen mit einer Halloweenmaske verglichen(3), dann soll ihr eine Jahrmarkt-Zielscheibe auf´s Auge gedrückt werden, um den kommenden Rückschlag der „GOP“ (Republikanische Partei) zur Präsidentschaftswahl einzuläuten, bei der man den Demokraten „die Scheiße rausprügeln“ werde (4).
Wirklich rational ist das nicht. Denn Nancy Pelosi hat keine Macht. Keine.

Das Repräsentantenhaus setzt sich aus Abgeordneten zusammen, die mit dem Verhältniswahlrecht gewählt werden, vergleichbar in etwa mit dem Bundestag.
Die zweite Kammer des „Kongresses“, der Senat, bildet sich aus Vertretern der einzelnen Staaten, den Senatoren, welche dort nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt werden.
Einfach ausgedrückt: ohne die Macht in beiden Kammern ist der US-Kongreß das, was er über 200 Jahre war: eine Schwatzbude.
Der US-Präsident, ohnehin schon eine völlig überhöhte Figur in der US-Gesellschaft, kann über vielfältige Veto- oder Blockademöglichkeiten selbst ein einheitliches Parlamentsvotum neutralisieren. Bei unterschiedlichen Mehrheiten in den beiden Kongreßkammern aber erledigt das der Kongreß selbst.
Nun haben die US-Demokraten aber, so tönt es allerorten aus den deutschen Massenmedien, ja eine Mehrheit in beiden Kammern, so heißt es.
Die haben sie nicht. Einer der beiden unabhängigen Senatoren, auf die sich die fiktive 51:49 Mehrheit der Demokraten im US-Senat stützt, ist der ex-Demokrat Joe Lieberman, ein Kriegsbefürworter der aller-, allerersten Stunde, der allzuoft mit den Republikanern stimmte (12).
Außerdem hat der demokratische Senator Tim Johnson aus South Dakota vor kurzem rein zufällig einen vermuteten „Schlaganfall“ erlitten, er liegt im Krankenhaus und ist amtsunfähig. Als Nachfolger soll, wen wundert´s, ein Republikaner ernannt werden…(13)
Bleibt noch zu erwähnen, daß bei Stimmengleichheit Dick Cheney als Vize-Präsident und Vorsitzender des Senats entscheidet.
Warum da also diese Haßorgie gegen Pelosi?

Es geht da irgendwie um´s Prinzip. Man sagt einfach nicht die Wörter Halliburton und Irakkrieg in einem Atemzug.
„Seit Monaten sind die Amerikaner geschockt über Anschuldigungen, daß Halliburton der Wahl-Geschäftspartner des Weißen Hauses im Irak war und so enormen Profit aus dem Krieg zog“, so die jetzige Parlamentschefin Pelosi am 29.Oktober 2004.
„Sie haben sich gefragt, warum scheinbar niemand etwas dagegen unternommen hat und konnten daraus nur schlußfolgern, daß Halliburton eben Freunde in höchsten Kreisen hat.“ (5)

Damals war das noch ein Skandal. Und Pelosi heute?
Sie freut sich darüber, zusammen mit Hillary Clinton, daß Präsident Bush endlich mehr Truppen in den Irak schicke, weil man das ja bei den Demokraten schon immer gefordert habe. Auch weitere 100 Milliarden $ für den Krieg, von der Bevölkerung der USA erwirtschaftet, will sie Bush freudig in den Rachen schmeißen (6).
Immerhin erwähnte sie in ihrer heutigen Rede, daß sie für einen phaseweisen Rückzug aus dem Irak eintrete(7).
Aber vielen langt das nicht.
Bei einer Umfrage unter US-Truppen im Irak verlangten 72% den sofortigen Rückzug oder innerhalb eines Jahres. Wohlgemerkt, das sagen die Soldaten..(8)

„Die Verantwortung diesen Krieg zu beenden liegt nun bei den Demokraten“, so Michael Moore in einem Brief am 27.11.06.
„Der Kongreß hält die entscheidenen Fäden in der Hand und die Verfassung sagt, daß nur der Kongreß einen Krieg erklären kann. Mr.Reid (Anm.: demokratischer Mehrheitsführer des Senats) und Ms.Pelosi haben es nun in der Hand, diesem Wahnsinn ein Ende zu machen. Dabei zu versagen, wird die Wut der Wähler herauf beschwören. Wir meinen´s ernst, Demokraten, und wenn ihr uns nicht glaubt, dann macht nur so weiter und führt den Krieg bloß einen Monat länger. Wir werden Euch härter bekämpfen als die Republikaner.“ (9)

Wenn man bedenkt, daß die, nach Bush und Cheney, drittmächtigste Person der (politischen) USA einst einen Parteiaufstand gegen den Irakkrieg anzettelte und 2002 im Repräsentantenhaus gegen ihren damaligen Fraktionschef Richard Gephardt stimmte (10), fragt man sich schon, was von Nancy Pelosi dieser Tage noch übrig ist.
Sie und ihr Wunschkandidat als „Mehrheitsführer“ im frisch gewählten Repräsentantenhaus, der Vietnam-Veteran John Murtha, erlitten jedenfalls gegen den Irakkrieg-Befürworter Steny Hoyer schon am 17.November eine furchtbare Niederlage.
Hoyer wurde mit deutlicher Mehrheit zum Fraktionschef gewählt, trotz des energischen Eintretens Pelosis für John Murtha.
Da war eigentlich schon klar, daß politisch sich nichts, aber auch gar nichts ändern würde. Im Gegenteil. Die US-Demokraten, zumindestens die nach Washington gewählten Vertreter, sind voll auf Kriegskurs.
Denn Fakt ist und bleibt – ab jetzt gehen mehr US-Soldaten in den Irak, und nicht etwa weniger, wie John Murtha in einer mutigen Rede Ende 2005 gefordert hatte(11).

Übrig bleibt vom gestrigen Tage nur ein Symbol. Aber wer braucht das?

Quellen:
(1)
http://mediamatters.org/items/200611030011
(2)
http://www.handelsblatt.com/news/Politik/International/_pv/_p/200051/_t/ft/_b/1200214/default.aspx/bushs-neue-gegenspielerin.html
(3)
http://mediamatters.org/items/200610310018
(4)
http://mediamatters.org/items/200611210011
(5)
http://www.dccc.org/stakeholder/archives/001514.html
(6)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,455825,00.html
(7)
http://www.inthenews.co.uk/news/news-channels/headline-channel/pelosi-becomes-first-female-us-speaker-$1037029.htm
(8)
http://www.militaryconnections.com/news_story.cfm?textnewsid=1868
(9)
http://radio-utopie.de/archiv.php?themenID=190&JAHR_AKTUELL=2006&MON_AKTUELL=11
(10)
http://www.bloomberg.com/apps/news?pid=20601070&sid=agI4sInn7WSs&refer=home
(11)
http://radio-utopie.de/archiv.php?themenID=174&JAHR_AKTUELL=2006&MON_AKTUELL=11
(12)
http://radio-utopie.de/archiv.php?themenID=163&JAHR_AKTUELL=2006&MON_AKTUELL=11
(13)
http://www.cbsnews.com/stories/2007/01/04/politics/main2330128

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