Berlin, Rathaus Kreuzberg, gestern 19.00 Uhr:
Es herrschte soetwas wie die Stimmung vor der letzten Schlacht. Die Aktivisten und Aktivistinnen der WASG Berlin, die es zeitlich zu dem kurzfristig einberaumten Treffen schafften, scharten sich zusammen um vor der alles entscheidenden Gerichtsverhandlung am Dienstag über ein in letzter Minute vorgelegtes Vergleichsangebot der Linkspartei.PDS/Die Linke zu beraten.Das weder schriftlich noch rechtsverbindliche Angebot, vorgelegt vom gegnerischen Rechtsanwalt Dr.Ulf Wende, lautete wie folgt:
– Anerkennung der Rechtsnachfolge der WASG Berlin durch die Linke für eine neue Partei, die aber den Namen WASG Berlin ablegen müsste.
– Anerkennung der Wahlkampfkostenerstattung für die WASG Berlin durch die Linke.
Bisher sieht es ja so aus, dass zwangsweise alle kommunal gewählten Bezirksabgeordneten der WASG in den BVV´s zu Mitgliedern der Regierungspartei „Linke“ erklärt werden, gegen die man wegen ihrer korrupten und antisozialen Politik vor einem Jahr in den Wahlkampf gezogen war.
Auch will die mit 10% Verlust der Wählerstimmen abgestrafte ex-SED die Wahlkampfkostenerstattung der WASG einfach selbst einkassieren – immerhin 100.000 Euro.
Da sich Tausende von WASG Mitgliedern bundesweit schon nach der Bundestagswahl 2005 von der Linkspartei.PDS betrogen fühlten – die kein einziges ihrer Versprechen einhielt und insgesamt 10 Millionen Euro Wahlkampfkostenerstattung auf dem Buckel der WASG einfuhr, selbst aber die komplette Bundestagsfraktion unter ihrer Kontrolle hatte – hatten viele Mitglieder der nun aufgelösten „Wahlalternative für Abeit und Soziale Gerechtigkeit“ explezit die WASG Berlin bei ihrem Wahlkampf gegen den „rot-roten“ Wowereit-Senat unterstützt.
Gerade kleine Unternehmer, Arbeiter und Angestellte hatten für die WASG Berlin gespendet, viele hofften auf einen Funken Gerechtigkeit in der politischen Landschaft, ein bischen Hoffnung in der alles zerfressenden Korruption.
Hunderte kamen bundesweit während des Wahlkampfes nach Berlin und klebten Plakate, machten Stände und halfen den 800 Mitgliedern gegen die 10.000 Mitglieder starke Regierungspartei und ihren Apparat.
Gestern nun stellte sich heraus – es waren über bestimmte Kanäle Drohungen und Befürchtungen an den Notvorstand der WASG Berlin herangetragen worden.
Man hätte 30.000 Euro Schulden aus dem Wahlkampf bei Gläubigern zu begleichen. Wahlkampfkostenerstattung im Falle eines Sieges sei nicht zu erwarten, da man über keinerlei Einnahmen verfüge. Es sei ausserdem kein Geld da, um Gerichtsprozesse zu führen. Selbst im Falle eines Sieges hätte man nur verloren.
Man solle den Vergleich annehmen.
Nur mühsam gelang in einer hochdramtischen Debatte klarzustellen, dass man im Falle einer Niederlage vor Gericht nicht mehr die WASG sei, also auch keine Schulden mehr habe, während man im Falle eines Sieges zumindestens Öffentlichkeit bekommen und um Spenden und Mitglieder werben könne.
Das sei man auch den Tausenden Mitgliedern der WASG bundesweit schuldig, die bereits wegen der Selbstauflösung und des Anschlusses an die „Linke“ verbittert aus der Partei ausgetreten seien.
Seitens Befürwortern eines Aufgebens war zu hören, es müsse mit 4-jährigen Verfahren gerechnet werden.
Antwort darauf: in 4 Jahren sei in Berlin der nächste Wahlkampf zu bestehen, die Aufmerksamkeit könne man da gut bebrauchen.
Es wurde geäussert, der Charme eines Vergleichs bestünde darin, dass dann alles vorbei sei.
Gegenargument: vor allem alles mit der WASG Berlin.
Die Aufgabe des eigenen Namens sei eine Kapitulation, die man nach jahrelangem, erbitterten Kampf nicht mitmache.
Nach teils sehr emotionaler Debatte wurde dem Notvorstand von Ulrike Kölver, Gerd Maierhöfer und dem zeitlich verhinderten Michael Hammerbacher eine klare Botschaft mitgegeben – durchziehen.
Wenn man am Dienstag verlieren sollte, dann doch wenigstens kämpfend untergehen.
SHOWDOWN DER ANWÄLTE
Der Rechtsanwalt Dr.Ulf Wende hatte bereits 2006 im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahlen in Berlin die Linkspartei. PDS und den von deren Mitgliedern bereits kontrollierten WASG Bundesvorstand vertreten.
Er hatte vor dem Landgericht Berlin gegen die WASG Berlin eine schwere Niederlage einstecken müssen.
Der WASG-Bundesvorstand hatte damals mit Billigung einer knappen Mehrheit des WASG-Bundesparteitages (wo PDS-Mitglieder auch darüber mitabstimmen durften ob sie zukünftig mitabstimmen dürfen) den gesamten Landesvorstand der WASG Berlin für abgesetzt erklärt, die Wahlteilnahme verboten und einen Polit-Kommissar eingesetzt.
Dies war vom Landgericht förmlich in der Luft zerrissen worden (1). Eine angekündigte „Beschwerde“ von Rechtsanwalt Dr. Wende gegen das Urteil erfolgte nie.
Auch der Landeswahlleiter in Berlin, Andreas Schmidt von Puskás, attestierte Klaus Ernst (IG Metall, Linkspartei) und dem ganzen WASG-Bundesvorstand eine „vordemokratische Denkweise“ (2).
Schon vorher hatte Dr. Wende im Falle der WASG-Aktivisten Merav Blumenthal und Markus Schlegel veloren.
Und zwar gegen den gleichen Gegner: Dr. Sven Korzilius.
ANWALT DER KLEINEN LEUTE
15.Juni, Berlin: Die Sensation war perfekt – das Landgericht Berlin hatte mit Beschluss Az. 35 O 249/07 verfügt, das der trotzkistische Landesvorstand um Lucy Redler die WASG Berlin nicht der neuen Linken angliedern darf, „bis … der Landesverband durch einen satzungsgemässen Beschluss eines Landesparteitages in Verbindung mit einer anschliessenden Urabstimmung gemäß § 16 der Satzung aufgelöst wird oder mit einer anderen Partei verschmilzt.“
Geklagt hatten die basisorientierte Aktivistin und Angehörige des jetzigen Notvorstandes Ulrike Kölver und der in sozialen Kreisen gutbekannte und hochgeschätzte Rechtsanwalt Sven Korzilius.
Dieser hatte bereits als Co-Anwalt den Wahlantritt der WASG Berlin gegen die Linkspartei des Berliner Senates durchgeboxt und zusammen mit Kollegen die Initiative „Anwälte gegen Hartz IV“ gegründet. (3)
Sven Korzilius, Mitglied des AK Regenbogen der WASG Berlin, gilt als etwas, was es in Berlin nur noch selten gibt – normal, nicht korrupt.
DIE ROLLE VON LUCY REDLER UND DEN TROTZKISTEN IM WASG-LANDESVORSTAND
Nach dem Beschluss Az. 35 O 249/07 – der de facto ein Weiterbestehen der WASG Berlin bedeutete, zauberte der WASG-Bundesvorstand einen angeblich rechtmässigen Beschluss zur administrativen Auflösung der WASG Berlin aus dem Hut, der laut eigenen Angaben erfolgt sein soll, während der Sender „Phoenix“ live die Jubelparteitage beider Parteien, den der WASG und den der Linkspartei.PDS im Fernsehen übertrug.
Der nicht mehr exsitierende WASG-Bundesvorstand begab sich damit auf reichlich dünnes Eis.
Laut Zeugenaussagen – die Radio Utopie schriftlich vorliegen – soll das damalige Bundesvorstandsmitglied der WASG, Lucy Redler, und das ehemalige Mitglied des Landesvorstands der WASG Berlin, Rouzbeh Taheri, diesen Beschluss mitinitiiert haben.
Gleichzeitig wurden der WASG Berlin – ohne rechtliche Grundlage – die Internet-accounts abgenommen, die Domain „wasg-berlin.de“ unter dubiosen Umständen abgegeben, die Kasse der WASG Berlin aus dem Parteibüro entwendet und der Mietvertrag für das Parteibüro gekündigt.
Sämtliche Abläufe sind rechtlich in keinster Weise geklärt.
ENTSCHEIDUNG AM DIENSTAG
Am 3.Juni nun, um 12 Uhr im Landgericht Berlin am Tegeler Weg, wird sich das Schicksal eines demokratischen Versuchs soziale und sozialistische Politik zu machen, entscheiden.
16.06.07
Oskar Lafontaine: der grösste Heuchler der Republik
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=614&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=06
15.06.07
Sensation: WASG Berlin gewinnt vor Gericht – „Linke“ illegal?
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=613&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=06
13.06.07
Daniel Neun: Mein (Aus)Trittschreiben für die „Neue Linke“ / Linkspartei
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=607&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=06
Quellen:
(1)
http://www.linkspartei-debatte.de/index.php?name=News&sid=475
(2)
http://www.tagesspiegel.de/berlin/;art270,1928332
(3)
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=613&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=06