Wer will das friedliche Zusammenleben in Österreich aufs Spiel setzen? – Die islamische Glaubensgemeinschaft entschloss sich, nach Angriffen auf die Religionsfreiheit und die österreichische Verfassung und pauschalen Unterstellungen gegen Muslime in die Offensive zu gehen. So berief man eine sehr gut besuchte Pressekonferenz am 17. 9.2007 bei der Islamischen Religionspädagogischen Akademie in Wien ein, an der sogar deutsche Medien teilnahmen.Anas Schakfeh (Präsident der Glaubensgemeinschaft), Carla Amina Baghajati (Medienreferentin), Fuat Sanac (Mitglied des Obersten Rates), Gülmiri Aytac (Religionslehrerin) und Dudu Kücükgöl (Muslimische Jugend Österreich, Vorsitzende der Bundesjugenvertretung) stellten ihre Sicht der Dinge dar.
Obwohl es eigentlich selbstverständlich sein sollte, nicht 400.000 Menschen für das Verhalten von drei Personen verantwortlich zu machen (von denen eine bereits wieder enthaftet wurden und wo die Justiz bei den anderen beiden vor allem „Großsprecherei“ sieht), sind immer wieder Stellungnahmen der mulismischen VertreterInnen notwendig. Tatsächlich kapselten sich die drei Personen von den Aktivitäten der Glaubensgemeinschaft und der Mulismischen Jugend ab und gründeten eine eigene „Islamische Jugend“ als Verein. Obwohl die Glaubensgemeinschaft auf die Verwechslungsgefahr und die Inhalte dieser aus maximal fünf Personen bestehenden „Islamischen Jugend“ hinwies, untersagte die Vereinspolizei die Gründung nicht.
Als es jedoch einen Aufruf zum Boykott der Nationalratswahlen gab, interessierte sich der Verfassungsschutz für die „Islamische Jugend“, deren „Chef“, der verhaftete Mohamed Mahmoud, intensiv nach Medienöffentlichkeit suchte. Dies passt natürlich so gar nicht zur Vorstellung vom „Topterroristen“, die manche Medien am Kochen halten wollen, da es wenig konspirativ ist, den Verfassungsschützern gewissermassen dauernd „Hallo da bin ich!“ zuzurufen. Aus Sicht der Glaubensgemeinschaft hat sich eine kleine Gruppe selbst ausgegrenzt und isoliert, wollte also gerade mit dem gelebten Islam und den Muslime in Österreich nichts zu tun haben.
Sanac, Shakfeh, Baghajati, Aytac
Dies richtet sich auch gegen die vorbildliche Integration österreichischer Muslime, zu der etwa die deutsche Kanzlerin Merkel VertreterInnen der Glaubensgemeinschaft als ExpertInnen eingeladen hat. Tatsächlich kann sich Deutschland etwas von Österreich abschauen, da hierzulande der Islam seit 1874 (1912 modifiziert) eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft ist, was ein wichtiges Symbol gesellschaflicher Gleichstellung für Muslime ist. Radikales Gedankengut ist bei Österreichs Muslime eine Randerscheinung, wobei die Glaubensgemeinschaft stets den Dialog sucht und vom Weg der Mäßigung überzeugen will.
Man wollte auch mit den Verhafteten reden, doch lehnten diese alle Gesprächsangebote ab. Während viele besonnene Stimmen den Muslimen versicherten, dass man nicht bereit sei, von Einzelfällen auf alle zu schliessen, ist doch ein schürten von Ängsten zu bemerken, das in Aussagen wie „Minarette sind artfremd“ gipfelt, da nicht nur mit dieser Bemerkung Anleihen an nationalsozialistische Sprache genommen werden. Bei einer Demonstration am 13.9. in Wien-Brigittenau gegen die Aufstockung eines Gebäudes der ATIB, in dem bislang u.a. ein Gebetsraum untergebracht war und wo es nun auch einen Kindergarten geben soll, waren auch Politiker von FPÖ und ÖVP zu sehen sowie Neonazis. Rufe nach „Anzünden!“ wurden laut, die sich entweder auf das Gebäude beziehen konnten oder auf die Kopftücher anwesender Frauen (wie eine Journalistin befürchtet, die direkt daneben stand).
Die Glaubensgemeinschaft fordert entschiedenes Vorgehen gegen die Einschüchterung der muslimischen Bevölkerung, da besonders Frauen, die mit dem Kopftuch klar „deklariert“ sind, Angst haben, nachts heimzukommen. Ausgrenzen und pauschale Verdächtigungen spielten Extremisten jeglicher Richtung in die Hände, so die eindringliche Warnung, deren Ziel es ist zu beweisen, dass Islam und Westen unvereinbar seien. Im eigenen Bereich ist die Glaubensgemeinschaft immer dann gefordert, wenn es um Fragen des Islam geht, die jedoch nicht bei Nachbarschaftskonflikten vorgeschoben werden sollen. Auch kann keine Religion die Aufgaben des Staates im Bereich Sicherheit übernehmen.
Es soll an der Universität Wien ab 2008 die erste europäische Ausbildung für ImamInnen geben, mit Modulen wie Gender Mainstreaming (das auch bei katholischen Pfarrern wäre whow!), interreligiöser Dialog (Grundwissen über andere Religionen, zeitbezogene islamische Themen, europäische Kulturgeschichte und Informationen über den Schulkontext sowie Deutsch für ImamInnen. Bereits heute wird teilweise in Deutsch gepredigt, was sich auch danach richtet, welche Sprache der Mehrheit der Gläubigen vertrauter ist, Muslime der zweiten und dritten Generation brauchen meist ein Angebot auf Deutsch. Der Religionsunterricht wird wiederum in der Regel in Deutsch gehalten, da es wegen der unterschiedlichen Herkunftsländer der SchülerInnen gar nicht anders ginge.
In Zukunft sollen in den Moscheen und Gebetshäusern verstärkt Deutschkurse angeboten werden. Man möchte eine „Integrationstheologie“ betonen, die zur Teilnahme an der Gesellschaft und an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten ermutigt. Ausserdem wird betont, dass die Identität als MuslimIn mit der Identität als ÖsterreicherIn vereinbar ist. Mit Tagen der offenen Moschee und anderen Angeboten wird wie bisher der Dialog mit der nichtmuslimischen Gesellschaft gesucht. Tausende junger Muslime sind in der Muslimischen Jugend engagiert, die auch eine eigene PfadfinderInnenorganisation geschaffen hat und wo zahlreiche Frauenprojekte verwirklicht werden im Rahmen der Jungen Musliminnen Österreich.
Die Muslime wehren sich dagegen, dass sie und ihre Rechte „Tauschobjekte“ sein sollen gegen Andersgläubige in einem anderen Land, und stehen dabei auf dem Boden der Verfassung des säkularen Österreich. Sowohl die Glaubensgemeinschaft als auch das IRPA (Veranstaltungsort) werden jedoch mehr oder minder subtil von (scheinbar) unterschiedlichen Seiten angegriffen, sodass in Frage steht, inwieweit sie „repräsentativ“ sind für „die Muslime“ in Österreich, die manche so gar nicht gerne so friedlich sehen wollen.
Im ORF „Im Zentrum“ (16.9. abends) wurde Präsident Schakfeh von drei Seiten angegriffen, und nun hatten die Journalisten insofern Hausaufgaben gemacht, als dass sie fein säuberlich heraussuchten, was welcher Imam im Jahre Schnee wo gesagt hat. Dabei fällt dann das Wort „Extremist“, ganz egal, wie die Person heute spricht bzw. welche Funktion sie bekleidet. Hausaufgaben im Sinne journalistischer Pflicht, Fakten zusammenzutragen statt einseitig und oberflächlich zu schreiben, was offenbar verlangt wird, sind hierzulande recht unbeliebt.
Gar kein Interesse haben die Redaktionen an der Frage, aus welchen Bestandteilen Terrorvideos gebastelt werden und warum sie so oft zuerst auf den Webseiten der US-Firmen SITE und IntelCenter erscheinen (Pentagon- und Geheimdienstnahe). Die Glaubensgemeinschaft nimmt dazu nicht Stellung, sondern vertraut auf die Ermittlungsbehörden und die Justiz, doch wird nicht unbekannt sein, dass der im vielzitierten Video vorkommende Ayman Al Zawahiri nach der Ermordung von Präsident Sadat von England beschätzt wurde und 1999 die UCK im Kosovo unterstützte. Ebenso wenig, dass der „Islamist“, der in Al Zawahiri-Videos erscheint, den auch ORF-Aufnahmen von „Islamistischen Seiten“ zeigen, ein Mossad-Agent namens Pearlman ist.
Womit wir bei der alles entscheidenden Frage sind: wem nützt es, wenn der soziale Friede in Österreich gefährdet ist, wenn Muslime bei Begegnungen mit der Mehrheitsbevölkerung unsicher sein müssen, was die/der andere gerade denkt, wenn muslimische Mädchen Angst vor Übergriffen haben müssen, da sie durch das Kopftuch eindeutig identifizierbar sind, wenn Menschen allen Ernstes glauben, sie seien durch „den Islam“ in irgendeiner Weise in ihrem Alltag bedroht? Nützt es „dem Islam“? Nützt es der Republik Österreich, deren Kanzler Alfred Gusenbauer am 16.9. in der ORF-Pressestunde souverän Stellung bezog und jedem Versuch der Spaltung und Panikmache eine entschiedene Abfuhr erteilte?
Alexandra Bader
PS: Musliminnen wie die Lehrerin Aytac können es schon nicht mehr hören, dass der Islam wegen Frauenrechten dauernd kritisiert wird. Sie sehen es als Strategie an, um ihren Glauben generell als barbarisch hinzustellen. Auffällig ist, dass Politiker (und Journalisten), denen Frauenrechte immer beim Thema Islam ein Anliegen sind, sich da sonst nicht so engagieren. Keiner jener Politiker, die Muslime scharf kritiisierten, fand etwas Bemerkenswertes an der Kritik von CEDAW am fehlenden Schutz von Frauen in Österreich vor Gewalt mangels entsprechender Handlungen von Polizei und Justiz. Jede Frau, die MuslimInnen nicht gegen ungerechtfertigte Angriffe in Schutz nimmt, muss sich darüber im Klaren sein, dass es hier auch um Frauenrechte geht – das Recht jeder Frau, so zu leben wie sie will, und das Recht, auch als „nichtmuslimische Österreicherin“ /Christin vor Gewalt sicher zu sein…
Weitere Infos:
– Artikel @ Terrorvideo und Co: Woher kam das Video? Waren die „Terrorkids“ bei „Al Qaida“? Terrorvergleich BRD & Österreich
– The Power of Nightmares – über die Neocons und den Mythos „Al Qaida“
– Islamische Glaubensgemeinschaft
– Muslimische Jugend
– Junge Musliminnen
– Institut für Islamische Religionspädagogik
– Projekt Fatima (für Musliminnen)
– Muslimische PfadfinderInnen
alles unter der Quelle:
http://ceiberweiber.at/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=669
Mit den besten Grüssen in die.. (hüstel), in die unabhängige Republik Österreich.