Berlin: Radio Utopie am 24.November:
„Offenbar setzen Hansen, Mehdorn und die Glaspaläste auf U-Boote und Zuarbeiter in der GDL-Gewerkschaft. Irgendjemand in der Gewerkschaft GDL spielt da falsch“ (1).
Heute nun brachte der von der Springer-„Welt“ zum „einflussreich geltenden“ GDL-Bezirksvorsitzenden ernannte Hans-Joachim Kernchen die Zerschlagung der Bahnbelegschaft durch Auslagerung der Lokführer in eine „Beschäftigungsgesellschaft“ ins Spiel – ungefragt. Sollte die Bahn ein entsprechendes Angebot machen, würde die GDL auch darüber reden, so Kernchen (2). Gleichzeitig wird er bereits seit Wochen vom Berliner Medienklüngel in den Nachrichten plaziert.TEILE UND HERRSCHE
Sollte die Bahn ein entsprechendes Angebot zur „Ausgliederung“ der Lokführer in eine eigene Beschäftigungsgesellschaft machen, würde die GDL auch darüber reden, so der Bezirksvorsitzende von Berlin, Sachsen und Brandenburg in einem Interview. Diese Lösung habe es bereits einmal gegeben. Allerdings seien die Lokführer damals „als Fraktion im Konzern eingebunden“ gewesen, so Kernchen sybillinisch. „Dann müssten natürlich auch gewisse Sicherheiten da sein, die eine ähnliche Einbindung auch dann möglich machen“, sagte Kernchen.
Ein GDL Lokführer schilderte Entwicklung und Hintergründe gegenüber Radio Utopie folgendermassen:
„Bis 1997 waren die Lokführer zusammen mit dem Werkstattbereichen dem ehemaligen Geschäftsbereich `Traktion` zugeordnet. Die Welt war halbwegs in Ordnung. Wir hatten Vorgesetzte, die meist selbst aus dem Fahrdienst stammten und wußten von was sie redeten. Die Dienste waren abwechslungsreicher, das heißt man fuhr
Güter-, Schnell- und Nahverkehrszüge im Wechsel mit den unterschiedlichsten Lokomotiven. Hinzu kamen Ausweicharbeitsplätze für dienstuntaugliche Kollegen und von der GDL geführte Betriebsräte. Letzteres führte dazu, daß nicht zuletzt auf Betreiben der Transnet der Geschäftsbereich `Traktion` aufgelöst wurde und die Kollegen auf die heutigen Geschäftsbereiche Railion, Regio und Fernverkehr aufgeteilt wurden. Monotone Dienste und zum Teil von der Transnet geführte Betriebsräte (Tendenz fallend) waren die Folge. Die Kollegen sind alles andere als zufrieden.
Wenn jetzt eine Ausgliederung der Lokführer in die Welt gesetzt wird, so weiß der Urheber um die Begehrlichkeiten welche in den Hinterköpfen der Lokführer geweckt werden: Wir könnten die Traktion wiederkriegen!
Deshalb muß man verstehen, wenn nicht vehement von der GDL, und auch nicht von den Lokführern, dagegen widersprochen wird. Die Umsetzung würde eher schwer und nicht ungefährlich sein. Deshalb glaube ich auch nicht daran.“
DIE ZERSCHLAGUNGS- UND SPALTUNGSINTRIGE
Schon vor Wochen hatte ein hochrangiger GDL-Funktionär – ebenfalls ungefragt und ohne dass ein offizielles Angebot von den DB AG-Funktionären um Mehdorn, Suckahle und Hansen unterbreitet worden war – die Zerschlagung der Bahn-Belegschaft indirekt befürwortet: der stellvertretende GDL-Vorsitzende Günther Kinscher.
Dem „Steinbrück-Modell“ der Bundesregierung und des SPD-Finanzministers zufolge ist vorgesehen, innerhalb der DB eine Holding für die Unternehmensbereiche Nah- und Fernverkehr sowie Transport und Logistik zu schaffen und diese Sparten nach und nach zu privatisieren. Am 10.November erklärte Günter Winscher nun, die Ausgliederung der Lokführer in eine eigene „Service-GmbH“ sei für die Arbeiter „sicher etwas Lohnenswertes“ (3).
Die Ähnlichkeit des heutigen Medien-Ei´s von Kernchen bezüglich einer „Beschäftigungsgesellschaft“ liegen auf der Hand.
Norbert Hansen (SPD, Bahn-Vorstand, Transnet) in einem Interview am 23.11.07 mit der Berliner Bürgertumspostille „Tagesspiegel“:
TAGESSPIEGEL: Die Bahn denkt offenbar auch über eine eigene Gesellschaft für die Lokführer nach.
HANSEN: Die GDL findet das toll, ich kann nur davor warnen. Wenn der Arbeitgeber über Outsourcing nachdenkt, hat er bestimmt nicht vor, die Leute ins soziale Paradies zu führen, sondern sich mittel- oder kurzfristig von der Last der Abhängigkeit zu befreien. Höhere Löhne sind dann schnell verfrühstückt. (4)
In diesem einen Fall hat der Mann recht.
Die unterschwellige Hinleitung zu der Frage der Zerschlagung der Eisenbahner in willige Einzelfraktionen, Service-GmbHs, Beschäftigungsgesellschaften oder Firmen findet sich seit Wochen in den Medien. Immer wieder wird sie vor die Optik geschoben, immer wieder von einzelnen Protagonisten auffällig unauffällig erwähnt. Dabei sind hier die Strippenzieher am Postdamer Platz, im Regierungs- und den Nobelvierteln vorsichtig geworden. Sie wissen, was für sie auf dem Spiel steht. Eine vereinte, solidarische Bahn-Belegschaft könnte durchsetzen was sie wollte, niemand könnte sie daran hindern. Funktionäre, Mediengeplapper, Wischiwaschi und Versprechungen brechen deshalb jeden Tag aus dem Füllhorn der Kapitalinteressen auf die Eisenbahner ein um sie gegeneinander in Stellung zu bringen.
Dabei ist oft nicht einfach zu erkennen, wer welches Spiel spielt.
DER MIME KERNCHEN
Am 26.Oktober fand der Bezirksvorsitzende Beachtung auf „Spiegel Online“ mit dem Wunsch nach einem „eigenen Tarifvertrag“ (6,8). Gestern erzählte uns dann das ob des Verhandlungsangebots des GDL-Hauptvorstands offenbar verdutzte Blatt: „Die zentralen Streitthemen sind so kompliziert, dass sie Nicht-Experten kaum noch zu vermitteln sind. Es scheint, als würde vor allem um Worte gefeilscht: eigener Tarifvertrag, eigenständiger Tarifvertrag?“ (7)
Wer den Unterschied nicht versteht, sollte sich erstens fragen, ob die eigenen Kinder wirklich die eigenen und ob sie vielleicht auch mal selbstständig sind.
Von einem GDL-Funktionär, der die Mitglieder in einer brutalen Medienschlacht vertritt – in der die Zukunft der GDL und der Erfolg des Streiks entschieden wird – sollte erwartet werden, dass er zumindestens auf Tarifebene den Unterschied begreift.
Seltsamerweise prognostizierte Kernchen damals am 26.10. noch optimistisch, wenn man vor Gericht das Streikrecht zugesprochen bekäme, sei ein Ende der Lokführerstreiks in Sicht. „Ich sehe keinen einsamen und auch keinen langen Kampf mehr“, so der GDL-Bezirkschef (8). Wenn es Ende kommender Woche zu einem positiven Gerichtsbeschluss über Streiks im Fern- und Güterverkehr käme, werde die GDL aber selbstverständlich erneut streiken – so Kernchen.
Es drängte sich der Eindruck auf, hier versuchte jemand Tritt und Anschluss zu halten. Vor allem mit dem wahrscheinlichen Nachfolger von Manfred Schell, Claus Weselsky. Dieser hatte kurz zuvor mit Streikmassnahmen gedroht.
Am 14.November hatte Kernchen dann den Nahverkehr in Belin von Streikmassnahmen ausnehmen wollen (15), GDL-Vize Claus Weselsky – der in Wort und Tat zu keinem Zeitpunkt von der Linie der gemeinsamen Beschlüsse der Gewerkschaftsgremien abwich – musste erst die Sache klären. (5)
Am 24.November brach Mehdorn dann am Nachmittag die Verschwiegenheit der gemeinsamen Gespräche zwischen GDL und DB AG. Erstaunlich schnell fand man Kernchen daraufhin in der „Tagesschau“ um 20.00 Uhr zur Hauptsendezeit. Was hatte er zu sagen: ihm wäre lieber gewesen, Mehdorn hätte den Mund gehalten (9). Nicht nur die kurzen Medienwege in Berlin verblüfften wieder einmal (wie kam ein Kamerateam so fix ausgerechnet zu Kernchen?), sondern dass ein einfacher Bezirkschef mit einer solchen Botschaft ohne Inhalt es überall zur Zitierfähigkeit brachte.
Die letzten Tage hatte nun explezit Kernchen immer wieder auf einen sofortigen, unbefristeten Streik gedrängt. „Es riecht nach Streik“, titelte gestern der „Stern“ (10) und hielt dabei Linie im Klüngel der Konzernmedien. Gestern hatte auch die Springer-„Welt“ geschrieben:
„Der „Bild“-Zeitung (Montagausgabe) zufolge lehnen mehrere Vorstandsmitglieder die Offerte ab. „Es riecht ganz gehörig nach neuen Streiks“, zitiert die Zeitung einen GDL-Vorstand.“ (11)
Dabei kommt die Parole nach den sofortigen Streiks bei der Basis der GDL natürlich gut an. Es kommt aber nicht auf den Streik an, sondern darauf ZU GEWINNEN…
Gestern beschrieb Manfred Schell bei seiner überraschenden Pressekonferenz folgendes „Szenario“: eine Verschwörung zwischen DB AG und anderen Gewerkschaften um die GDL in Arbeitskämpfe hineinzutreiben mit dem Ergebnis diese zu „eliminieren“.
Wörtlich sagte Schell weiter:
„Das entnehme ich daraus, dass ja nun im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn, im Konzernaufsichtsrat, eine Entscheidung getroffen worden ist von Aufsichtsratsmitgliedern, `die sollen solange streiken wie sie wollen, einen eigenständigen Tarifvertrag bekommen sie nicht`. Und 10 Aufsichtsratsmitglieder gehören nicht unserer Gewerkschaft an, also, es hätte nur noch eines Einzigen bedurft, dann wäre das schon die Mehrheit gewesen und das bestärkt uns auch, dass ein solches Szenario nicht mehr ganz, ich sag mal, von der Hand zu weisen ist.“ (12)
Er wird seine Gründe dafür gehabt haben. Der Grund, die auf der Siegerstrasse befindlichen Lokführer der GDL-Gewerkschaft in die isolierte Sackgasse einer „Beschäftigungsgesellschaft“ zu führen wird das schon nicht gewesen sein – hoffentlich.
weiterer Artikel:
10.11.07
Welche Rolle spielt Günter Kinscher (GDL) beim Bahn-Streik u.-Verkauf?
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=1198&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=11
Quellen:
(1)
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=1272&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=11
(2)
http://www.welt.de/wirtschaft/article1404201/GDL_haelt_Extrafirma_der_Lokfuehrer_fuer_denkbar.html
(3)
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=1198&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=11
(4)
http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/;art271,2425881
(5)
http://www.ndrinfo.de/nachrichten/weitere_themen/nachrichten8_url-aHR0cDovL3d3dy50YWdlc3NjaGF1LmRlL3dpcnRzY2hhZnQvYmFob(6)
(6)
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,513763,00.htmlnN0cmVpazI3Mi1uaW1leC54bWw=.html
(7)
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,519782,00.html
(8)
http://www.pr-inside.com/de/gdl-bezirkschef-pocht-auf-eigenen-tarifvertrag-r267797.htm
(9)
http://www.focus.de/finanzen/news/tarifangebot_aid_145263.html
(10)
http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/unternehmen/:Bahn-Tarifkonflikt-Es-Streiks/603541.html
(11)
http://www.welt.de/wirtschaft/article1400312/Bei_der_Bahn_riecht_es_wieder_nach_Streik.html
(12)
http://www.radio-utopie.de/index.php?themenID=1279
Quellen aktualisiert am 05.11.2014