Über Privatleben, (Un-) Fairness und fehlendes Gleichgewicht zwischen Medien und Politik – Am 3. und 4. Dezember 2007 wird es in der Zukunftswerkstätte in Wien eine interessante Diskussionsreihe geben. Am ersten Tag ist das Motto „Macht.Homestory.Politik?“, was u.a. „Hat die Pressefreiheit Grenzen?“ und „Wer braucht Privates öffentlich?“ bedeutet. Am zweiten Tag erwartet die BesucherInnen „Macht.Homestory.Meinung?“ als Losung und dann eine Diskussion „Leben PolitikerInnen nur von Politik?“. Es klingt nach einer längst überfälligen Auseinandersetzung, da der Umgang vieler Medien mit der Politik und ihren AkteurInnen mehr als zu wünschen übrig lässt.Ich sehe Journalismus als vierte Macht im Staat und nicht gegen den Staat, würde aber für so manche/n Kollegen oder Kollegin in den kommerziellen Medien nicht die Hand ins Feuer legen. Zu sehr sind viele bereit, sich an Medienhypes zu beteilgen und einander in blindem Eifer darin zu übertreffen, PolitikerInnen geradezu an die Wand zu stellen. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Umgang mit Ministerin Kdolsky, die sich von ihrem Mann trennte und einen neuen Freund hat, Umgang mit Minister Platter bei der Arigona-Inszenierung, Umgang mit Minister Darabos, als er über die US-Raketenschild-Pläne diskutieren wollte, Umgang mit der Bundesregierung, insbesondere aber mit den MinisterInnen Platter, Darabos, Berger und Plassnik bei den jüngst durch die Medien geisternden Terrordrohungen, die zum Glück nur ein kurzlebiger Hype waren.
Besonders beim letzten Fall fragte ich mich, ob es überhaupt noch nicht seitens der Medien überschrittene Grenzen gibt, denn eine offenbar nachträglich erstellte Anfügung zu Österreich an ein Video wurde als Aufhänger dazu verwendet, durch das Zitieren von Terrorhysterieexperten persönliche Bedrohung für Regierungsmitglieder herbeizureden. Diese sagten dann in jedem Satz, dass sich jemand animiert fühlen könnte, und für politisch eher desinteressierte Zielgruppen gab es auch überall große Fotos der potentiellen Opfer. Manche Kräfte sehen dies gar nicht so gerne, aber ich mache bei sowas nicht nur demonstrativ nicht mit, sondern frage mich auch, warum Medien Terrorvideos verbreiten müssen (während ich weder Links noch Bilder verwendete). Wie weit sind Medien zu gehen bereit, und warum? Um einander auszustechen?
PolitikerInnen sind auch nur Menschen
Besonders bei den Debatten um das Privatleben von Ministerin Kdolsky wurde deutlich, dass manche Menschen offenbar furchtbar entäuscht sind, wenn auch PolitikerInnen ganz normale Menschen sind. Bigott erhobene Zeigefinger in Medienkommentaren trugen dazu noch ein Übriges bei, als ob die Ministerin sich eines Vergehens schuldig gemacht hätte, das zum sofortigen Rücktritt führen muss. Seltsamerweise fanden sich Männer am rechten Rand der Konservativen dazu bereit, eine Unterschriftenaktion gegen Kdolsky zu starten, die niemals etwas daran auszusetzen hatten, wenn Politiker bekanntermaßen Beziehungen zu zwei Frauen zugleich haben (seien sie auch in der CSU oder der FPÖ). Ebenso hielt sich die Empörung über die Wikingjugend-Vergangenheit von FPÖ-Chef Strache vergleichsweise in Grenzen, stammten Rücktrittsaufforderungen doch nur aus anderen Parteien und waren regelrechte Kampagnen nicht zu bemerken.
Andrea Kdolsky mag es ein Trost sein, dass gerade viele Frauen ihr Verhalten vollkommen nachvollziehen können und auch heute noch empört sind über den Umgang mit ihr. Es ist auch immer wieder ein Thema unter Frauen, wobei meist auch angemerkt wird, dass mit dem Privatleben von Ministern scheinbar anders umgegangen wird, wofür Erwin Buchinger als Beispiel genannt wird. Ich fand sympathisch, wie sie in Ö 3 über die Entwicklungen in ihrem Privatleben sprach, nachdem Boulevardblätter es bereits breitgetreten hatten. Dies wurde ihr als Öffentlichkeitssucht vorgeworfen, dabei wollte sie zu Recht einmal in eigenen Worten Stellung beziehen, statt dauernd nur durch den Kakao gezogen und als kaltblütige „Ehezerstörerin“ hingestellt zu werden. In Wahrheit haben sie und ihr Mann sich auseinandergelebt, was sie auch als fehlende körperliche Anziehung beschreibt, sodass reine Freundschaft blieb und sie sich neu verliebte.
Etwas, das jeder fühlende Mensch, egal ob Mann oder Frau, Journalist oder Journalistin, Politiker oder Politikerin nachempfinden kann. Kdolsky ging damit fair und ehrlich um, schien aber dem Medienurteil und einigen Webpostings nach zu kurz beziehungslos gewesen zu sein. Und wie sollte, ganz praktisch gefragt, Kennenlernen und aneinander Herantasten unter den besonderen Bedingungen der Spitzenpolitik (oder auch anderer Topjobs) denn stattfinden? Wie sollte man da zum Beispiel erstmal wochenlang manchmal ins Kino, manchmal Essen oder Spazieren gehen? Ministerinnen und Minister haben ein Arbeitspensum, das meist an sechs Tagen in der Woche von ganz in der Früh bis Mitternacht reicht. Unter diesen Umständen ist absolut verständlich, dass die Ministerin nach eigenen Worten rasch wusste, dass „er“ ihr neuer Partner ist, da wenige Augenblicke entscheiden müssen, wenn man nicht Herrin oder Herr der eigenen Zeit ist.
Nicht auf den Alltag von „NormalbürgerInnen“ ist wohl auch übertragbar, dass auf in Frage kommende PartnerInnen ebenfalls besondere Anforderungen zukommen. Sie müssen wenig verfügbare Zeit akzeptieren und sollten bei einem so harten Beruf wie dem MinisterInnenamt (und wohl auch bei einem Wirtschafts-Topjob) auch wohlwollendes Verständnis haben, Belastungen lindern und abfangen, was gesamt sicher eine Menge an Stabilität und Verankertsein im eigenen Berufsleben erfordert. Vermutlich laufen weder Frauen noch Männer in der Politik oder im politiknahen Bereich so zahlreich herum, die dies packen. Dazu kommt ja auch, dass Betroffene jederzeit damit rechnen müssen, dass Fotos aus dem Privatleben in Medien landen und dort breitgetreten werden – vorzugsweise dann, wenn die in der Öffentlichkeit stehende Person kritisiert werden soll und man auch von ihren Inhalten ablenken will.
Ich war schon erschüttert, wie hämisch zum Teil darauf reagiert wurde, dass Ministerin Kdolsky von Verliebtheit und Schmetterlingen im Bauch sprach, als ob man einer Politikerin oder einem Politiker nicht einmal dies gönnen könne. Manchmal hatte ich, besonders bei diversen Posts im Web, fast den Verdacht, manche Menschen glauben, PolitikerInnen würden auch ihr Herz, ihre Seele, ihre Anatomie und ihre Biologie verlieren, indem sie ein wichtiges Amt übernehmen. Vergessen die Leute denn alle, wenns um das Feindbild PolitikerInnen geht, wie gut ihnen selbst eine liebevolle Beziehung tut, wie stärkend sie auch für die Anforderung in weniger stressigen Arbeitsumfeldern sein kann? Interessanterweise sind auch JournalistInnen an diesem Vergessensprozess stark beteiligt und forcieren ihn, obwohl es in ihrem Umfeld doch auch sehr „menscheln“ muss.
Warum nicht umgekehrt: PolitikerInnen enthüllen Privatleben von JournalistInnen?
Hier besteht, was es auch so unfair macht, keine „Waffengleichheit“, um einen etwas militaristischen Begriff zu gebrauchen. Wie wäre es denn, wenn es auf der Webseite der Bundesregierung (oder den Seiten der Parteien) eine Rubrik gäbe, in der das Privatleben zumindest von Chefredakteuren, RessortleiterInnen, wichtigen KommentatorInnen thematisiert wird? Es könnte ja auch mal sein, dass „die Bevölkerung“ Handyfotos von Redakteur XY mit neuer Freundin an einer Tankstelle einschickt, dies dann veröffentlicht wird und die WählerInnen darüber diskutieren, ob diese Person in jenem Medium tragbar ist. So kann die Politik auf einfache Weise dem Handlungsspielraum der Medien einschränken, was umgekehrt ja offenbar zulässig ist.
Genauso könnte im Parlament oder bei Pressekonferenzen beim Zitieren von Kommentaren und Artikeln das Neueste aus dem Privatleben des Verfassers/der Verfasserin dazugesagt werden. Vermutlich würden dann manche JournalistInnen, die bislang gedankenlos Wettrennen mit anderen um die neuesten privaten Details lieferten, doch einmal innehalten und sich fragen, ob sie denn so behandelt werden wollten wie mit PolitikerInnen so oft umgesprungen wird. JournalistInnen bekommen doch durch die vielen Pressetermine ganz gut mit, unter welchen Belastungen PolitikerInnen stehen – und dann wollen sie den Handlungsspielraum dieser Menschen in einer Weise einschränken, die nichts mit dem Job Politik zu tun hat und die sich MedienvertreterInnen selbst nie gefallen lassen würden?
Es geht hier nämlich auch um Menschenrechte, was bei der Kdolsky-Debatte keineswegs übertrieben mit dem Verweis auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention eingeworfen wurde. Menschenrechte haben es an sich, dass sie unteilbar sind und dass kein Unterschied in der Gültigkeit zwischen StaatsbürgerInnen bestehen darf, und seien diese StaatsbürgerInnen auch MinisterInnen oder Abgeordnete oder JournalistInnen.
Artikel 8. Gebot der Achtung der Privatsphäre
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Einstmals war das Privatleben von PolitikerInnen so tabu, wie die Redaktionen das jeweilige Privatleben der MitarbeiterInnen in der Berichterstattung behandelten. Es war ein unausgesprochener Grundsatz, zwar vieles zu wissen, es aber nicht zu schreiben. Hat es der Art und Weise geschadet, wie Politik in den Medien wiedergegeben wurde? Sicher nicht, da so auch mehr Platz war für sachliche Auseinandersetzungen mit Inhalten. Dass Politik ein Beruf ist (wie der Journalismus), in dem es auf Leistungen ankommt, die ja auch etwas über die Persönlichkeit eines Menschen aussagen, könnte sich langsam wieder als Haltung durchsetzen. Es wäre umso wichtiger, als dass heute auch viele Frauen in der Politik sind, die ohnehin eher an anderem als an ihrer Arbeit gemessen werden, viel mehr als es bei Männern der Fall ist. Und auch bei Männern wird ja wohl, wenn gleiche Kriterien für alle gelten sollen, einzig die Leistung zählen…
Alexandra Bader
Quelle:
http://www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=785