Wer sich da bei welchem Schreiduell in welcher Redaktionssitzung durchgesessen hat, man weiss es nicht. Aber besser 5 Jahre zu spät als nie. „Tagesschau.de“ hat einen Bericht vom ARD Korrespondenten Klaus Scherer in Washington über die derzeitige US-Regierung, Medienpropaganda und den Krieg auf die Webseite gelassen, für die man in den 80ern noch in die DDR abgeschoben worden wäre. Trau keinem unter 30 heisst es zu Recht, denn die ganzen Klingeltontauscher wissen doch gar nicht mehr, wie das zu West-Zeiten war: ein kluges Wort, schon Kommunist.
Nun – bevor man ob solchen Lobes jetzt bei den Kollegen einen Schweissausbruch bekommt, es geht im ARD-Bericht und „Tagesschau“-Artikel bloss um folgende Erkenntnis: dass im Krieg nicht nur auch, sondern ständig gelogen wird. Weil man nämlich gewinnen will. Weil es im Krieg dazu keine Alternative gibt. Aber das zu kapieren, da hat´s bei Manchen eben lange gebraucht.
Der Bericht kommt übrigens auch morgen um 19.20 im Weltspiegel.
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„Neusprech“ in der US-Politik: Orwells Comeback in Washington
Wann lügen Politiker? Wenn sie den Mund aufmachen, ätzt ein alter Spruch. Ganz so schlimm ist die Lage sicher nicht, aber in den USA ist irreführende oder falsche Polit-PR inzwischen oft schon die Regel. Doch nicht nur die Regierung, auch die Medien verbreiten „Neusprech“ à la Orwell.
Von Klaus Scherer, ARD-Studio Washington
Dass der Himmel über San Francisco ohne Wolken ist, kommt selten vor. Eher, dass sie die ganze Bucht umhüllen oder zumindest die mächtige Fernsehantenne über der Stadt. „Das könnten auch die Wortwolken sein von den Weichzeichnern im Fernsehgeschäft“, sagt der Mann, den wir besuchen: Norman Solomon, Direktor des Instituts für öffentliche Sorgfalt, ein Kämpfer gegen politische Werbesprache – die Kriege lieber „Wüstensturm“ nennt, als seien sie naturgewollt. Nun, da sich die Ära Bush dem Ende zuneigt, sei es Zeit für eine Schadensbilanz.
„Ich glaube nicht, dass sich die Bush-Administration jemals um die Wahrheit scherte“, resümiert Solomon. „Es sei denn, sie passte gerade mal, um zu erreichen, was sie ohnehin wollte, nämlich amerikanische Interessen zu sichern. Kriege waren dabei immer ein Schlüsselelement der Außenpolitik.“
Die US-Medien hätten sie stets mitverkauft, zeigt Solomon anhand seines Beispielarchivs. Immer verpackt in Slogans wie „Amerika schlägt zurück“. Und sobald etwas von Opfern sichtbar wurde, schickten die Sender die Rechtfertigung gleich hinterher: „Wir möchten sie hier daran erinnern“, hieß es dann, „dass diese Militäraktionen nur die Antwort sind auf einen Terrorangriff, der tausende unschuldiger Menschen tötete.“
„Tradition des Hurra-Patriotismus“
Für Solomon ist das einer der größten Medien-Coups von Bushs PR-Strategen. „Den Grundkonflikt zwischen Nationalismus und Journalismus gibt es überall“, sagt er. „Aber hier in Amerika kommt eine Tradition des Hurra-Patriotismus dazu, der den Journalismus im Zweifel vor dem Nationalismus in die Knie gehen lässt. Und das ist immer eine Gefahr.“
Dazu komme, dass die Polit-PR geschickter werde, sagt er, und blickt etwas weiter zurück. Auf das weinende kuwaitische Flüchtlingsmädchen etwa, das vor dem ersten Golfkrieg öffentlich von irakischen Babymördern berichtete, bis auch den Zuhörern die Tränen liefen. Dabei war sie die wohlgeschulte Tochter des Botschafters – und ihre Geschichte durchweg erlogen, um Presse und Weltsicherheitsrat auf Kriegskurs zu bringen.
Jahre später war es der damalige Außenminister Colin Powell, der der Welt frisierte Fakten über Saddams Chemiewaffen auftischte. Auch das entschied die Weltpolitik, unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Im Krieg selbst folgten die Heldengeschichten, etwa von der dramatischen Befreiung der US-Soldatin Jessica Lynch aus der Hölle irakischer Gefangenschaft. Dabei waren es Bagdader Ärzte, die ihr das Leben retteten. Und ihr Begleiter starb an amerikanischen Kugeln, wie später ein Ausschuss klärte. Das tapfere Rambo-Mädchen, das die US-Presse hochgejubelt hatte, sagte sie nun, habe es nie gegeben.
Kriegsrhetorik als Dauerphänomen
Nun denn, im Krieg stirbt die Wahrheit immer zuerst, ließe sich einwenden. Doch ein Kongress in New York beklagt, dass die Kriegsrhetorik hier längst zum Dauerphänomen geworden sei. Orwell comes back – die Rückkehr der Propaganda. Einer der Gäste ist Multimillionär George Soros, ein geachteter, liberaler, regierungskritischer Publizist, was unter erfolgreichen Amerikanern öfter vorkommt.
Im News-Kanal Fox, dem der Golfkrieg zum Durchbruch verhalf, klingt das dann so, wenn sich zwei Moderatoren unterhalten:
„Dieser Mann, der linksradikale George Soros, häuft eine enorme politische Macht auf, mit der Hilfe einiger Mainstream Medien.“
„Wir haben das untersucht, er ist ein Milliardär, der aus Amerika ein linksradikales Land machen will, und der unbemerkt vom Radarschirm damit Erfolg hat.“
„Er hat ein kompliziertes System etabliert, um auf zweierlei Weise voranzukommen. Erstens kauft er sich Einfluss unter manchen liberalen Politikern. Zweitens schmiert er jene, die anderer Meinung sind als er. Ein Extremist, der die Grenzen öffnen will, eine internationale Politik, legalisierte Drogen, Euthanasie und so weiter. Monika, um zu Dir zu kommen, haben wir etwas vergessen?“
„Nein, du liegst genau richtig, und weißt du was? Das ist alles eine brillant orchestrierte Maschine.“
Soros: Fox News ist Orwells Neusprech in Reinkultur
In New York mag man lachen. Doch was Fox so etabliert hat, sind Haudrauf-Nachrichten, die viele ernst nehmen. „Die großen Networks akzeptieren das als Konkurrenz“, klagt Soros. „Ein polternder Propagandasender, der absichtlich die Wirklichkeit verbiegt, aber dabei erreicht, dass das Ergebnis als eine Art legitimer Standpunkt erscheint. Fox News selbst nennt sich dabei fair und ausgeglichen. Das ist das beste Beispiel für das, was Orwell einst Neusprech genannt hat.“
„Das ist im Ergebnis eine Gefahr für die Demokratie in diesem Land“, sorgen sich Zuhörer im Plenum, überwiegend aus Wissenschaft und Journalismus. „Wir sollten uns nicht verunglimpfen lassen. Wenn ich unpatriotisch bin, etwa weil ich Folter Folter nenne, dann bin ich gerne unpatriotisch.“
Wenn Folter nicht Folter ist
Das wohl aktuellste Beispiel für amerikanisches Neusprech: Wenn es die eigene Regierung tut, gilt Wasser-Folter offiziell nicht mehr als Folter, sondern als eine „Verhörmethode“. Zwar blamiert sich damit sogar der neue Justizminister, Michael Mukasey, doch wen stört das? „Ich kenne die Details nicht“, beschwichtigte Mukasey, „aber wenn es Folter wäre, wäre es nicht legal.“
„Terroristen sind nicht sichtbar“, bilanziert Soros, „deshalb ist es der Krieg gegen den Terror auch nicht. Umso leichter lässt sich daraus ein Dauerkrieg machen, auch in der Sprache und gegen eine Abstraktion. Beispielsweise gegen Saddam Hussein, der mit den Terrorangriffen absolut nichts zu tun hatte.“
Freikarte der Medien für die Lügner
Fakten lassen sich dann eben konstruieren, sagt Solomon und nennt als Beispiel Saddams Uran aus Afrika. Oder die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen. „Wenn ein Zeuge einmal gelogen hat, ist er für spätere Auftritte vor Gericht gewöhnlich unglaubwürdig“, erinnert Solomon den Zuhörer. „Wenn das in der Politik auch gelten würde, wo sich Bush und Cheney als Lügner erwiesen haben, dürften die Leute über sie nur noch lachen.“ Doch das könnten die Nachrichtenmedien nicht tun, weil es unhöflich wäre. „Man muss Ehrfurcht zeigen vor einer Amtsperson aus dem Weißen Haus oder dem Pentagon. Deshalb haben die eine Freikarte. Sie tun es, dann tun sie es wieder, wenn auch ein wenig anders, und sie kommen davon.“
Ganz neu sei das freilich nicht, sagt er. Mit Lügen, Sprachtricks und Nebelwerfern hätten andere auch schon gearbeitet. Und jetzt, im Wahljahr, hätten die Wortakrobaten ohnehin wieder Konjunktur. Die Bush-Administration allerdings habe eigene Standards gesetzt.
Diesen Beitrag sehen Sie am am Sonntag um 19.20 Uhr im Weltspiegel im Ersten.
Quelle:
http://www.tagesschau.de/ausland/uswortkosmetik2.html
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