Wiesbaden, Hannover: „Frau Ypsilanti hat gegen die Unternehmensteuerreform genauso gewettert, wie sie gegen die Agenda 2010 gewettert hat,“ (1) so die derzeitige Kanzlerin bis 2009 in heller Verzweiflung im hessischen Wahlkampf.
Gibt es ein besseres Argument dafür, in Hessen Andrea Ypsilanti zu wählen? Man stelle sich nur mal vor, man wacht Montags in Hessen und Niedersachsen auf, aus dem Radio kommt Paris Hilton und es ist schon wieder für 4 Jahre alles beim Alten.
HESSEN
Die Umfragen, die Ministerpräsident Koch (CDU) und Andrea Ypsilantis SPD in Hessen gleichauf sehen, sind nicht „aktuell“, wie es immer so schön heisst, sondern vor über einer Woche erstellt worden. Wenn die Grünen in Hessen nicht so tranig und langweilig wären, könnte man in der Tat schon davon sprechen, dass eine Parlamentsmehrheit – nicht „Machtübernahme“ – für rot-grün realistisch sein könnte. Ist sie aber nur dann, wenn in den letzten Tagen bis zur Wahl sich die ganzen Profi-Verlierer und Heulsusen im sozialdemokratischen, progressiven und linken Spektrum endlich mal darüber klar werden, dass sie tatsächlich noch am Leben sind. Manchmal hat man das Gefühl, das Warten auf die Parkbank ist die einzige Emotion, zu der diese Mitbürger noch fähig sind. Jede Ungerechtigkeit und sinnlose Ausplünderung durch Konzerne und deren Helfershelfer wird devot geschluckt, weiterhin den Superversagern aus dem DGB die Mitgliedsbeiträge abgedrückt und die Frage mit „Haben Sie mittlerweile aufgehört ihre Frau zu schlagen bzw irgendwie die Demokratie zu versuchen“ mit einem wimmernden „Jaaahhh“ beantwortet. Das ist das wirkliche Problem der Republik: die Stammwählerschaft der SPD, die nicht SPD wählt wenn es ausnahmsweise mal einen Sinn hätte.
NIEDERSACHSEN
Ministerpräsident, Aufsichtsratsmitglied bei VW (da wo man Spass hat im Leben, wenn man die Bosse kennt) und Schwiegersohn-Blaupause: das ist Christian Wullf. Weiss man sonst noch irgendetwas von ihm? Was sind seine Leistungen? Was hat er für die Niedersachsen erreicht, ausser das, was alle Ministerpräsidenten aller Parteien überall hinbekommen haben, sinkende Löhne, von alleine wachsender Reichtum, Abbau des Sozial- und Verfassungsstaates, wachsende soziale Kälte und Mitleidlosigkeit, Stress und Erfolgsdruck oder Apathie und Armut als goldene Wahl der Arbeitenden? Was zeichnet Wulff wirklich aus?
Ganz einfach: die Alternativlosigkeit. Der Schnauzer Jüttner, der sich mit jeder Faser seines Auftritts nach den 70er Jahren zurücksehnt, ist einfach immer am Start um den Rechten die Themen wegzunehmen und zu betonen, dass im Falle eines Wahlerfolges der SPD sich nicht gleich der Abgrund unter der Republik auftue. Fleischgewordene Langeweile schleppt er sich durch die Sätze dass man wegrennen möchte, es hapert und plumpert sich so dahin, als wolle er dass die Leute nicht Eintritt sondern Austritt bezahlen wenn er kommt. Energisch wird er – wie alle Sozens – immer nur, wenn es gilt gegen die eigene Basis und demokratische Sozialisten zu kämpfen, die so dumm sind das mit der SPD zu versuchen. Und natürlich, wenn es um die Partei „die Linke“ geht.
„DIE LINKE“: EIN VERHINDERUNGS-INSTRUMENT LINKER POLITIK
„Die Linke“. Was könnte man da alles schreiben. Zuerst: ich kenne keinen Linken, der sich den Einzug dieser Partei in irgendein Parlament wünscht. Die Sprechchöre Richtung des neuen Landesvorsitzenden der Partei „Die Linke“ in Niedersachsen, Dieter Dehm, in Hannover am 8.9.2007 („Lügner, Lügner“) kamen nicht von Gegnern der Linken oder rechtsreaktionären Kräften, sie kamen aus der eigenen Partei, und zwar weil laut Berichten die gesamte Wahl des Vorsitzenden und die Vorstandswahl des Landesverbandes Die Linke. Niedersachsen eine abgesprochene Farce war. Dann musste sich der VW-Betriebsrat Edmond Worgul – der sich laut den Berichten offenbar bei seinem überraschenden Rückzug von der Kandidatur um den Landesvorsitz mit Dieter Dehm abgesprochen hatte – nach einen Outing durch den Kreisverband Die Linke. Verden auch noch als Freimaurer bekennen. Es fiel ihm nichts Anderes dazu ein als die Äusserung, dass ohne die Freimaurer die französische Revolution damals wahrscheinlich anders verlaufen wäre. (2)
Das alles deckt sich mit den Informationen, die ich als Direktkandidat zu den Berliner Abgeordnetenhauswahlen 2006 und Mitarbeiter in bundesweiten WASG-Netzwerken gerade aus Niedersachsen bekommen habe. Die WASG war nach meinen Informationen von Anfang an als Auffangbecken von links-sozialem Wählerpotential bei anschliessender Überführung in eine umdekorierte PDS mit West-Ausdehnung gedacht. Führende IG- und andere Gewerkschaftsfunktionäre spielten hierbei die entscheidende Rolle.
Schon 2004, kurz nach der Vereinsgründung mit einem selbsternannten Bundesvorstand, ging es los. Gerade die selbstbewusstesten und aktivsten Mitglieder bekamen ständig Ärger, jede Art des Aufbaus wurde durch die eigenen Gremien verhindert, Arbeitsgruppen sogar auf Bezirksebene weggeredet. Der Anfang 2005 durch die ungeduldige Basis in Nordrhein-Westfalen gegen einen nörgelnden und destruktiv agierenden Bundesvorstand um Klaus Ernst förmlich erzwungene Landtagswahlkampf wurde nach den mir vorliegenden Berichten aktiv sabotiert, Wahlkampfmaterial vor den eigenen Mitgliedern versteckt. Ich hatte jahrelang Zeit diesbezüglich zu recherchieren, ich sprach mit Hunderten von WASG-Mitgliedern, darunter ein halbes Dutzend Landesvorsitzende. Alle schilderten die Situation exakt gleich: Gewerkschaftsfunktionäre und Mitglieder der PDS (denen flux als „Doppelmitglieder“ die Abstimmungsberechtigung in einer anderen Partei eingeräumt worden war) gingen mit der Methode vor, die ein Landesvorsitzender mir gegenüber einmal als „Identifizieren, Isolieren, Eliminieren“ von Befürwortern einer eigenständigen WASG beschrieb. Die eigene Partei sollte als williges Opfer und Blutinfusion am Ellenbogen von Gregor Gysi enden, und so kam es dann auch.
Die Rolle von Oskar Lafontaine bei dieser Geschichte springt einem förmlich vor Augen, wenn man sich mal diesen Artikel der trotzkistischen SAV vom 17.Februar 2003 mit der Zwischenüberschrift „Herausbildung einer neuen Arbeiterpartei – ein Prozess“ durchliest (3):
Möglich ist auch, dass einzelne bekannte Persönlichkeiten Initiativen in diese Richtung ergreifen. Auch wenn Gregor Gysi in seinem offenen Brief an Lafontaine nur eine Zusammenarbeit vorschlug, könnten Gysi oder andere zu einem späteren Zeitpunkt versuchen, den Aufbau einer neuen politischen Interessenvertretung zuvorzukommen, um Proteststimmung politisch in geordnete Bahnen zu lenken.
Genau so lief es dann auch, nur mit einem klitzekleinen Haken: der WASG Berlin und ihrem Wahlantritt gegen die PDS und Wowereit in Berlin, der nur unter äusserster Kraftanstrengung gegen abstimmungsberechtigte PDS-Mitgliedern in den eigenen Reihen und den eigenen WASG-Bundesvorstand am 08.März 2006 durchgesetzt werden konnte, damals noch mit Unterstützung der Trotzkisten (unsere Spitzenkandidatin Lucy Redler war SAV-Mitglied) (4).
Vorher hatte explizit Oskar Lafontaine, damals „Doppelmitglied“ in WASG und PDS, sich in einem an sämtliche Mitglieder der WASG verschickten Brief an uns gewandt und allen Ernstes gefordert, dass wir in unserer Urabstimmung gegen den eigenen Wahlantritt stimmen sollten. Der Druck aus der Bundestagsfraktion – die Angst hatte um ihre Millionen aus der Wahlkampfkostenerstattung aus der vorgezogenen Bundestagswahl 2005, der die umbenannte PDS auf dem Rücken der WASG überhaupt wieder in das Bundesparlament befördert hatte – war immens (5), ebenso der aus der Stadtregierung von Wowereit und der „linken“ Presse. Allein gegen alle holten wir eine knappe Mehrheit in der Urabstimmung der WASG Berlin, ein Sieg, der bis heute nachwirkt und letztlich zu einigen kommunalen Abgeordneten in den Berliner Bezirksparlamenten geführt hat.
Doch vorher gab es noch einen in der Republik noch nie gekannten Versuch, eine demokratische Partei an der Teilnahme einer Wahl zu behindern. Lobbyisten aus Gewerkschaften, PDS.Linkspartei, und dem Bundesvorstand starteten einen regelrechten Krieg gegen uns. In einem offenen Brief an die Parteiführung riefen WASG-Mitglieder aus Hessen (heute „Linke“) und Berlin zu diktatorischen Massnahmen gegen uns auf. Es wurde versucht, uns zu beugen.
„Was die Partei jetzt braucht ist vor allem eine Führung, die den Kampf um eine unbedingte Vereinigung mit der Linkspartei.PDS verbindet mit einer offenen und zugleich solidarischen Kritik an Dresdner und Berliner Zuständen.“ (7)
Die Unterschrift unter dieses Papier aus dem übelsten Abgrund totalitärer Versionen der sozialistischen Utopie sagt alles:
Volkhard Mosler, Kreisvorstand WASG Frankfurt
Dieter Hooge, Geschäftsführendes Landesvorstandsmitglied Hessen
Hans-Joachim Viehl, Stadtverordneter Die Linke.WASG Frankfurt
Andrea Sarakun, WASG Frankfurt (Betriebsrätin)
Manuel Sanchez Parellada WASG Frankfurt
Michael Matthes WASG Frankfurt, Mitarbeiter der Römerfraktion Die Linke.WASG
Klaus-Dieter Heiser, Initiative Rixdorf der WASG-Berlin.
Der WASG-Bundesparteitag in Ludwigshafen Anfang Mai 2006 beschloss allen Ernstes dem Bundesvorstand „administrative Massnahmen“ gegen den eigenen Landesverband in Berlin zu erlauben – um diesen mit aller Gewalt an der Teilnahme an den Abgeordnetenhauswahlen zu hindern. Wie es auf diesem WASG-Bundesparteitag – ich war zu diesem Zeitpunkt durch Parteigerichte wegen allgemeinem Schimpfwörter-Gebrauch auf Mailinglisten aller meiner demokratischen Ämter und Rechte enthoben – zuging, schrieb das damalige Landesvorstandsmitglied Edith Bartelmus-Scholich (6):
Nach dieser Einstimmung griff Lafontaine in die Debatte um die Anträge zum Berliner Wahlantritt ein. Er führte die Gegenrede zum Antrag Gleiss/Spilker, obwohl er als Nicht-Delegierter gar nicht zu einem Antrag hätte reden dürfen. Dabei bezog er sich überhaupt nicht auf den Antrag, sondern hielt eine Brandrede für den Initiativantrag der Bundesvorstandsmehrheit um Klaus Ernst. Die Frage der Kandidatur der WASG Berlin wurde zur Überlebensfrage des Parteibildungsprozesses hoch stilisiert. Danach wurde der Antrag Gleiss/Spilker mit 143 Ja- zu 156 Nein-Stimmen bei wenigen Enthaltungen abgelehnt. Das Stimmverhalten ganzer Delegiertenblöcke wurde dabei durch so genannte Stimmführer kontrolliert.
Es half ihnen alles nichts. Obwohl unser Landesvorstand anschliessend durch Klaus Ernst und Konsorten für abgesetzt erklärt und uns ein Politkommissar vor die Nase gesetzt wurde – der jetzige Bundestagsabgeordnete Hüseyin Aydin – zogen wir vor das Landgericht Berlin und gewannen (8). Wir traten zur Wahl in Berlin an, erreichten nur 2.9%, aber trugen zumindestens dazu bei, dass alle die WASG-Mitglieder, die bundesweit für uns gespendet und gekämpft hatten, das Gefühl bekamen dass die Demokratie eben mehr sein kann als eine miese Farce.
NUR 16 MAL IM LEBEN
Es bleibt das Fazit: es fehlt eine Partei in der Republik. Nur – den Hessen und Niedersachsen hilft das jetzt nicht weiter. Sie müssen sich selbst entscheiden was sie machen, wen sie wählen und ob sie es aushalten am Montag Morgen wieder den 4-jährigen Murmeltier-Tag zu beginnen.
Hochgerechnet hat man eh nur 16 Mal im Leben dafür Gelegenheit. Dann kommt auch schon der grosse Feierabend.
(…)
weitere Artikel:
21.01.08
Hessen: ohne Linke kommt rot-grün und Ypsilanti
26.03.2007
WASG,PDS: warum „die Linke“ keine Zukunft hat..
Quellen:
(1)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,530622,00.html
(2)
http://www.offenes-presseportal.de/politik_gesellschaft/die_linke-eklat_in_hannover_27298.htm
(3)
http://www.sozialismus.info/index.php?name=News&sid=361
(4)
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2006/0310/lokales/0023/index.html
(5)
http://www.redglobe.de/index.php?option=com_content&task=view&id=613&Itemid=118
(6)
http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=1710&Itemid=213
(7)
http://archiv.w-asg.de/28+M5927f242f15.html
(8)
http://www.morgenpost.de/content/2006/06/02/berlin/832936.html