Man stelle sich das mal vor: da gibt es einen Brand in einem Haus in Antalya. Mehrere deutsche Mitbürger in der Türkei sterben, die Feuerwehr rettet mehrere von ihnen in der letzten Sekunde, türkische Polizisten fangen Kinder auf die in höchster Not von ihren Eltern aus dem Fenster geworfen werden. Jeder fragt sich, wie konnte das geschehen.
Einen Tag später säubern türkische Polizisten in einer Unterführung weiter weg vom abgebrannten Haus eine Wand von Runen der Grauen Wölfe oder Symbolen von Ergenekon oder anderen faschistischen Banden in Militär, Geheimdiensten und Establishment, die als türkische „Patrioten“ andere Türken umbringen, dann sagen, es seien Kurden, „Islamisten“ oder Linke gewesen. Daraufhin geht unter der mehrere Millionen zählenden deutschen Gemeinde in der Türkei – die überwiegend sehr schlecht türkisch spricht und meist mit grauenvollem Akzent – das Gerücht um, der türkische Staat stecke hinter diesem Attentat. Man beschimpft die Feuerwehrleute, weil sie der eigenen Meinung nach am Tode der Menschen Schuld sein sollen, und ruft nach der deutschen Kanzlerin in der Türkei.
Die wird dann eingeflogen, nachdem sie aus Berlin den Brand mit Überfällen und Morden an Deutschen in der Türkei in der Vergangenheit verglichen hat. Sie wird aber trotzdem höflich empfangen, weil man in der Türkei mittlerweile Angst hat vor der deutschen Minderheit, deren Männern mehrheitlich dafür bekannt sind leicht emotionalisierbar zu sein und dann in grösseren Gruppen unter Schwenken der deutschen Fahne gewalttätig zu werden.
Dann spricht die deutsche Kanzlerin in Antalya am Brandort durchaus vernünftige Worte.
Danach sagen ganz gerührt in der Türkei geborene Menschen, die dort aber keinen Pass bekommen und kein Bürgerrechte haben, dass sie sich sehr gefreut haben IHRE KANZLERIN gesehen zu haben. Als 2 Millionen Deutsche. In der Türkei.
Und dann, dann stellt sich diese Kanzlerin, zu Gast in der Türkei, vor die Presse und fordert vom türkischen Staat deutsche Schulen und Unis für deutsche Kinder in der Türkei, weil die offenbar zu doof seien türkisch zu lernen. Obwohl sie in der Türkei geboren sind. Und zumindestens besser türkisch reden als ihre Eltern.
Dass sie das nur gesagt habe, um den deutschen Eltern Recht zu geben und ihnen zu schmeicheln, weil diese Millionen von Kindern – als „Deutsche“ in der Türkei geboren – immer noch als „Deutsche“ aufziehen, in der Türkei, aber mit deutschen Vorstellungen wie z.B. altertümlicher Trennung von Moslems, Juden und Christen, Höherwertigkeit des einen Menschen über den Anderen, Krieger- und Eroberungsmentalität und Gewalttätigkeit als ehrenvolles Mittel zur Verteidigung des eigenen Stolzes und der eigenen Arroganz, diesen Vorwurf weist die deutsche Kanzlerin natürlich weit von sich.
Und dann, dann stellt sich die deutsche Kanzlerin noch hin und fordert von der türkischen Regierung noch lautstark die Aufnahme in die Mittelmeer-Union. Und zwar zack-zack. Wo doch so viele Deutsche am Mittelmeer wohnen würden.
Und irgendwo in Istanbul, da steht ein Fenster offen. Und es flucht heraus, in bestem Türkisch, ja.
Irgendjemand, der sich als Türke vielleicht darum bemüht hat, dass die deutsche Republik und deren Kanzlerin nicht von irgendwelchen Geheimlogen weggeputscht wird, der sich sogar darum bemüht hat den bräsigen Deutschen aus Westdeutschland in der Türkei zu erklären dass sie in der Türkei nicht unter Schwenken der deutschen Fahne über Ostdeutsche herzufallen haben, jemand der als Türke – froh über seine Kultur und seine uralte Sprache – wirklich alles versucht dass die in der Türkei geborenen Menschen sich auch als Türken fühlen können und dürfen, ohne irgendwelchen hanebüchenden Blutslinien- und Abstammungswahn, Jemand der möchte dass die männlichen deutschen Jugendlichen nicht mehr versuchen als Deutsche in der Türkei bestimmte Strassen und Viertel zu beherrschen und es dafür mal mit der Grammatik versuchen, dieser Jemand flucht aus seinem Fenster, dass es den Raben noch vor seinem Fenster schreckt.
Vielleicht denkt er im Augenblick darüber nach, wie dumm, undankbar und gemein die deutsche Kanzlerin gewesen ist. Vielleicht denkt er über die menschliche Fähigkeit nach, alles noch schlimmer als vorher zu machen, aus lauter Ignoranz, Selbstsucht und Eitelkeit. Vielleicht denkt er in diesem Augenblick an gewisse Fenster in Berlin, Tel Aviv, London, Paris und New York.
Denn irgendwo steht immer ein Fenster offen.
Überall.
Anlass:
http://www.abendblatt.de/daten/2008/02/09/845980.html