Ein herrlich chaotischer Abend…
…war angekündigt worden und das Publikum wurde nicht enttäuscht. Manche kennen ihn
unter dem Pseudonym „Prinz Chaos II.“, oder „Donna San Floriante“ oder auch „Commander
Shree Stardust“, doch nur wenige kennen ihn unter seinem bürgerlichen Namen Florian Ernst Kirner. Es sollte ein Abschied werden – ein Abschied aus der Großstadt Berlin aus der sich der mehrfach umzugerprobte Künstler nun zurückzieht, um in Südthüringen in ein Schloss einzuziehen, dass er günstig erworben hat. Die 36 Zimmer werden natürlich nicht leer stehen, denn ganz alleine hält es gerade ein Kirner nicht aus. Was er dem Berliner Publikum als Abschiedsgeschenk in der Ladengalerie der „jungen welt“ darbot, ließ sich wirklich mit Fug und Recht als ein Geschenk bezeichnen, eine Bereicherung für Geist und Seele…
Freitag, 08.02.08, die Ladengalerie der „jungen welt“ ist kurz vor dem angekündigten Konzertbeginn um 19 Uhr noch mäßig gefüllt, was aber nichts zu bedeuten hat. Die „akademische Viertelstunde“ ist auch hier etabliert und gegen 19:20 Uhr waren die meisten der Plätze durch erwartungsvolle ZuschauerInnen belegt. Eingeladen zu diesem Konzert hat die „junge welt“ in Persona von Michael Mäde, dem Gestalter und wesentlichen Förderer der Idee zu dieser Ladengalerie, der die einleitenden Worte zu diesem Abschiedskonzert sprach, bevor Kirner die Bühne betrat.
Zunächst stimmte der Künstler das Publikum auf das Motto des Abends ein: „Abschied“.
Abschied nehmen ist für Kirner kein unbekanntes Terrain, hat er es in 33 Jahren immerhin auf gute 20 Umzüge gebracht, die ihn von seinem Ausgangspunkt München u.a. über die Stationen Sankt Pauli, Köln, die USA, Indien und Japan schließlich nach Berlin führten.
Synchron zu seinen Stationen beginnt Kirner dann einen musikalischen Streifzug durch sein Leben und seine Impressionen, die er auf den bisherigen Stationen seines Wirkens aufnahm. Viele der ehemaligen Wegbegleiter und Freunde waren ebenfalls gekommen, um Kirner durch ihre Anwesenheit ihren Respekt zu bekunden. Dr. Seltsam, der im „Max und Moritz“ schon ein Dauerabonnement für seine satirischen Darbietungen hat und eine Laudatio auf den Künstler hält. Mit nahezu unlauterer Bescheidenheit versucht Kirner die Eloge abzumildern, was ihm auch auf charmante Weise gelingt. In herrlich erfrischenden Liedern reflektiert Kirner seine Einstellung zu „Gott und der Welt“. Dabei überkommt die aufmerksame ZuschauerIn der Eindruck, gleich mehreren altbekannten und hochkarätigen Liedermachern beizuwohnen. Mit der linguistischen Überzeugungskraft eines Hanns-Dieter Hüsch, der grammatikalischen Präzision eines Hannes Wader und der gestochen scharfen Gesellschaftskritik eines Franz-Josef Degenhardt macht Kirner vor keinem Thema halt. In spitzbübisch-ironischer Klarheit offenbart er die Defizite einer postrevolutionären Gesellschaft, die sich dem Sklaventum des Konsums und den kapitalistischen Hierarchien bedenkenlos ergeben zu haben scheint.
Auch Peter Wolter, der 17 Jahre lang als getarnter Redakteur bei der Nachrichtenagentur „Reuters“ arbeitete, ist heute Abend gekommen und lässt keinen Zweifel daran, dass auch er ein großer Bewunderer von Kirner ist, der im Anschluss mit einer Selbstinterpretation der Parteihymne der ehemaligen DDR unmissverständlich klar macht, dass keine der heute etablierten Parteien sich hiervon unterscheidet und nur aufgrund des neoliberalen Anstrichs verdeckt zu halten glaubt. Michael Mäde betritt nun noch einmal die Bühne und trägt im Folgenden 3 Gedichte in gewohnt eindringlich tiefem Sonor, der zum Nachdenken zwingt. Nach einem Streifzug durch das Chaos des Neo-Tokyoter Wahnsinns macht Kirner einen Schwenk zu lyrischen Adaptionen. Um die Auswüchse einer wuchernden Gesellschaft ebenso ungeschminkt darzustellen, bedient sich Kirner seiner eigenen Stilistik, die verdeutlicht, dass er trotz seines kabarettistischen Talents gleichsam in der Lage ist, die ZuschauerInnen an seinem Weltschmerz teilhaben zu lassen.
Nach Art eines modernen „Till Eulenspiegel“ reflektiert er mit seinem Spiegel alles was ihn berührt und inspiriert, wobei er mit verschmitzter Miene mit dem Publikum kokettiert und es doch gleichsam vorführt – eine kabarettistisch-musikalische Glanzleistung alter Schule eben. Doch wer nun glaubt, das sein Abschied von Berlin das Ende seines kreativen Schaffens ist, der hat sich getäuscht. Mit dem Umzug in sein Schloss möchte Kirner seinem Bedürfnis nach einer naturnahen Umgebung Ausdruck verleihen. Auf meine Frage warum er das Großstadtleben aufgebe sagte er: „ Weißt Du, wenn ich in einer Berliner Kneipe stehe und es treffen sich dort Freunde die sich mit den Worten „Na, alles im grünen Bereich ?“ , dann halte ich es einfach nicht mehr aus…“
Glücklicherweise werden wir ihn zukünftig auch hier in Berlin wieder erleben dürfen, da seine Schaffenskraft noch lange nicht erschöpft ist. Wir dürfen schon auf seinen nächsten Auftritt gespannt sein, wenn er im März vorbeischaut !
Berlin, 10.02.08
Udo König